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Einleitung

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Eine Wirtschafts- und Sozialgeschichte Deutschlands im Mittelalter, die die Veränderungen der natürlichen Lebensumwelt und die Auswirkungen menschlichen Handelns auf diese systematisch berücksichtigt, das ist Anliegen und Inhalt dieses Buches. Was ist gemeint, wenn von Deutschland im Mittelalter die Rede ist? Zumindest im Spätmittelalter umfasste der angesprochene geografische Raum im Wesentlichen das Reichsgebiet nördlich der Alpen. Von festen Grenzen kann noch keine Rede sein, sondern wir haben es mit Grenzzonen zu tun, die zuweilen durchaus großräumigen Veränderungen unterlagen, die sich längst nicht nur infolge von militärischen Auseinandersetzungen ergaben. So schied die Eidgenossenschaft, damals noch ohne die Städte Basel und Schaffhausen, de facto am Ende des 15. Jahrhunderts nach dem Schwaben- oder Schweizerkrieg aus dem Reichsverband aus, rechtlich freilich erst mit dem Westfälischen Frieden des Jahres 1648.1 Allerdings konnten die römisch-deutschen Könige bereits während des 15. Jahrhunderts ihre Ansprüche in der Eidgenossenschaft nicht mehr durchsetzen und dort keine Reichssteuern sowie sonstigen Finanzforderungen mehr eintreiben. Im südwestlichen Grenzgebiet fielen etliche Dörfer und Städte wie Metz, Toul, Verdun oder – als bedeutendste Kommune – Straßburg mitsamt ihrem Umland nach und nach in einem langwierigen Prozess an die französische Krone. Ungeachtet dessen erfolgte die definitive Abtretung des 1681 besetzten Straßburg an Frankreich erst mit dem Frieden von Ryswik 1697 am Ende des Pfälzischen Kriegs; während des 19. und 20. Jahrhunderts sollte das Elsass nochmals zu einem höchst umstrittenen Zankapfel zwischen dem Deutschen Reich und Frankreich werden. Ohnehin blieben die Grenzen im Spätmittelalter durchlässig und behinderten den Handel kaum, der im Inneren des Reiches von Zollstellen an den Verkehrswegen, in den Städten sowie bei der Durchquerung der zahlreichen Territorien deutlich mehr belastet wurde.

Vergleichsweise zeitig lassen sich im späten 14. Jahrhundert im Osten frühnationale Gegensätze fassen, besonders in Böhmen, wo einheimische Kaufleute, aber auch weitere Teile der Bevölkerung sich gegen die Dominanz der meist deutschen Fernhändler wandten. Ohnehin blieb die Zugehörigkeit Böhmens zum Reich trotz der 1356 definitiv festgeschriebenen Funktion des Böhmenkönigs als Wähler des Römischen Königs immer wieder umstritten. Über einen Sonderstatus verfügte Böhmen jedenfalls bereits früher als Österreich, das sich 1358/59 einen solchen mittels Fälschung eines Privilegs sicherte, die schließlich im 15. Jahrhundert anerkannt wurde. Dagegen bilden im Süden die Alpen eine natürliche Barriere, wenngleich Bayern noch im frühen 16. Jahrhundert Kufstein, Kitzbühel und weitere Orte, die allesamt nördlich des Alpenhauptkamms gelegen sind, als Folge des bayerischen Erbfolgekriegs an die Habsburger abtreten musste.


Für den Norden lassen sich Nord- und Ostsee als naturräumliche Grenzen benennen, wenngleich das Herzogtum Holstein zum Reich gehörte, Schleswig hingegen der dänischen Krone unterstand. Teile der Niederen Lande oder Burgunds zählten zwar zum Reich, jedoch ging der Einfluss der Herrscher auch in diesen Territorien massiv zurück; wiederum erfolgte der endgültige Austritt erst 1648. In grober Vereinfachung erschwerten zudem die Mittelgebirge die Verbindungen vom ober- in den niederdeutschen Raum und umgekehrt.

Der viel diskutierte Beginn einer „deutschen“ Geschichte, der sich ohnehin nicht auf den Punkt genau bestimmen lässt, wird heute zumeist auf das 10. Jahrhundert datiert.2 Dennoch fließen selbstverständlich die Jahrhunderte zuvor in die Darstellung ein, angesichts einer für unsere Fragestellungen nur dünnen Überlieferung allerdings mit besonderem Augenmerk auf dem Ostteil des sich im Frühmittelalter formierenden Fränkischen Reichs, zunächst unter den merowingischen Herrschern, dann unter ihren karolingischen Nachfolgern. Elemente der Sozialgeschichte finden ebenso durchgängig Eingang in die Darstellung wie solche der Umweltgeschichte, die ganz allgemein als „Interaktion zwischen Mensch und Natur und vice versa“3 verstanden wird. Ebenso erfolgen immer wieder Ausblicke auf weitere europäische Länder, um die Entwicklungen im Reichsgebiet in grundlegende Tendenzen der ökonomischen und sozialen Prozesse einordnen zu können.

Generell geht die Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit weniger von theoretischen Modellannahmen aus, was schon der nur selten quantitativ hinreichend belastbaren Quellenüberlieferung geschuldet ist. Vielmehr analysiert sie vornehmlich hermeneutisch die eben keinesfalls immer rationalen Verhaltens- und Handlungsweisen der Menschen und der durch sie geschaffenen und umgebildeten Institutionen und bezieht auf diese Weise die für das 19. und 20. Jahrhundert konzipierte Neue Institutionenökonomik mit ein.4 Da wir häufig nur noch die Ergebnisse, die Endpunkte von teilweise langfristigen Entwicklungssträngen oder Prozessen identifizieren können, besteht die Gefahr einer teleologischen Deutung, da mögliche Nebenwege oder Brüche im Rückblick nicht oder kaum noch erkennbar sind. Die Übertragung moderner volkswirtschaftlicher Modelle auf die Wirtschaft des Mittelalters und der Frühen Neuzeit ist schon angesichts unterschiedlicher Rahmenbedingungen ausgesprochen problematisch, da beispielsweise obrigkeitliche und genossenschaftliche Verordnungen Teile des Handels und der Produktion lokal wie regional ganz anders als heute reglementierten.

Vorweg einige Anmerkungen zu den Rahmenbedingungen menschlichen Lebens und Handelns wie den klimatischen Entwicklungen, den Veränderungen der Oberflächenstruktur und der Bevölkerungsentwicklung. Anschließend folgen die Hauptkapitel weitgehend der gängigen Unterteilung in Früh-, Hoch- und Spätmittelalter. Letzteres wird unter Einschluss weiter Teile des 16. und des frühen 17. Jahrhunderts betrachtet, ohne damit ein langes 15. oder 16. Jahrhundert postulieren zu wollen. Zahlreiche Entwicklungsstränge endeten eben nicht an der Wende zum 16. Jahrhundert, und die Schlusspunkte manch tief greifender Transformationsprozesse in Wirtschaft und Gesellschaft, die im Spätmittelalter einsetzten, liegen nochmals deutlich später. Grundlegende Veränderungen der Wirtschafts- und Sozialstruktur sollten danach erst wieder seit dem 19. Jahrhundert erfolgen. Ebenso darf nicht aus dem Blick geraten, dass trotz aller Bedeutung von Produktion und Handel die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung auf dem Land lebte und arbeitete. Abgesehen von wenigen verdichteten Städteregionen haben wir es europaweit im Kern noch mit einer feudalen Produktionsweise zu tun.

Deutschland im Mittelalter

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