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Handel

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Im ostfränkischen Reichsteil erlangten jüdische Händler nach ihrer zunächst vereinzelten Ansiedlung eine wichtige Bedeutung. Königliche Privilegien schützten sie prinzipiell in ihrer Freizügigkeit und sicherten ihnen ihre religiöse Sonderstellung; sie durften nicht zum Kriegsdienst herangezogen werden und blieben zudem von den Gottesurteilen der Feuer- oder Wasserprobe verschont. Auch garantierten ihnen die Könige in Prozessen mit Christen ein relativ faires Beweisrecht. Neben wirtschaftlichen und sozialen Gründen sorgte vor allem der theologische Ausschließlichkeitsanspruch beider Religionen für eine frühe Separierung der Judenschaft von den Christen als einer misstrauisch beäugten Randgruppe. Bereits der Codex Theodosianus von 438 verbot den Juden, Christen zum Judentum zu bekehren; untersagt waren ebenso Mischehen, Sklavenhaltung – nicht aber der Sklavenhandel –, die Ausübung öffentlicher Ämter, akademischer Unterricht und der Neubau von Synagogen. Ob derartige Vorschriften allerdings nach der „Völkerwanderungszeit“ noch rechtliche Bedeutung besaßen, muss bezweifelt werden, die theologisch begründete Judenfeindschaft dauerte jedenfalls fort.10

Trotz aller Einschränkungen erlebte der Handel im Frühmittelalter erhebliche Wandlungsprozesse. Als dynamisches Element sind zunächst die mittel- sowie nordeuropäischen Handelsplätze zu nennen: Sie entstanden als neue Siedlungskerne im 7. und 8. Jahrhundert nicht zuletzt im Schutz alter Römerorte, wie beispielsweise an der Maasroute Namur, Dinant, Huy und Maastricht als merowingische vici, die dann vom Aufstieg des Karolingerreiches profitierten. Etliche der Handelsplätze in der Region um Maas und Schelde benannten die karolingischen Quellen als portus und betonten damit ihre Bedeutung als Handelshäfen. Ähnliches gilt für die portus von Tournai oder Metz. Das Schelde-Maas-Niederrhein-Gebiet wuchs mit den Küstenregionen von Nord- und Ostsee in diesem Zeitraum zu einem neuen Handelsraum heran. Ein topografischer und wohl auch organisatorischsozialer Dualismus zwischen („adliger“) Burg und Handwerkersiedlung bestand hier wohl ebenso wie bei dem Nebeneinander von Bischofsstadt oder vielmehr befestigtem Bischofssitz und Kaufleutesiedlung, das ebenfalls einen guten Nährboden zur Entwicklung des Handwerks darstellte. Friesische und nordeuropäische Fernhändler, Angelsachsen oder Normannen, beteiligten sich wie die jüdischen Kaufleute am einträglichen Handel mit Luxusgütern, also vornehmlich mit Wein, Glas, Gewürzen, ätherischen und sonstigen Ölen, orientalischen Spezereien und Tuchen sowie mit rheinischer Keramik, aber auch am Sklavenhandel von Ost nach West. Ferner gelangten Speckstein aus Norwegen oder schwedisches Eisen in den überregionalen Handel, desgleichen Keramikprodukte aus dem Kölner Vorgebirge oder aus Knochen gefertigte Kämme in großer Anzahl. Vor allem im Nordwesten des Kontinents dürfte den friesischen Händlern eine bedeutende Rolle zugekommen sein, wobei diese den Handel nicht immer hauptberuflich betrieben, sondern zuweilen als Bauern und Händler zugleich agierten. Spätestens für das 9. Jahrhundert berichtet die Überlieferung von friesischen Vierteln in etlichen Städten oder Plätzen am Rhein.

Der awarisch-slawische Vorstoß von Osteuropa bis an die Adria seit dem 6. und 7. Jahrhundert unterbrach die traditionellen Handelswege über den Balkan bis ans Schwarze Meer und damit auch die alte Verbindung vom Schwarzen Meer zur Ostsee über die sogenannte Bernsteinstraße. Nunmehr musste der Fernhandel des Ostseeraums über das Rheinmündungsgebiet sowie über Maas und Seine zur Rhône und dann weiter zum Mittelmeer umgeleitet werden. Die Eroberung der südlichen Mittelmeerküste durch den Islam und dessen Vorstoß auf die Iberische Halbinsel löste eine vorübergehende Blockade der Seewege aus, freilich ohne dass der Handel mit dem östlichen Mittelmeerraum aufgegeben worden wäre, wie es die ältere Forschung und besonders Henri Pirenne noch betonten. Allerdings erwies sich der Mittelmeerhandel seit der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts als deutlich rückläufig.11 Im Gegenzug führte nicht zuletzt die Verlagerung der Handelswege zu einem wirtschaftlichen Aufstieg Nordwesteuropas. Neben den professionellen Fernhändlern spielte der Karawanenhandel der Grundherrschaften, vor allem der klösterlichen, eine bedeutsame Rolle. Nicht zuletzt die großen Klöster wie Corbie, St-Denis, das gleichzeitig als königliche Pfalz diente, Nivelles, Prüm oder Lorsch gewannen als Konsumenten, aber auch als Produzenten zunehmend an Bedeutung. Und aus Privilegien wissen wir, dass etliche fränkische Klöster aus ihren südlichen Gütern Wein und andere mittelmeerische Produkte wie Öl und Gewürze einführen konnten, ohne in Marseille oder andernorts Zoll zahlen zu müssen.12 Nunmehr dürften zudem – verstärkt durch die sich verstetigenden fränkischen Reichsteilungen – für den Weg gen Süden die Alpenrouten an Bedeutung gewonnen haben, während noch in der Merowingerzeit der Rhône vermutlich ein hohes Gewicht für den überregionalen Handel zukam.

Was das gesellschaftliche Ansehen selbst der christlichen Händler betrifft, so stammen die überlieferten Einschätzungen wiederum aus klerikalen Quellen, und deren Urteil ist entschieden negativ. Augustinus nannte ihre Tätigkeit sündhaft, weil sie in seinen Augen notwendigerweise mit Betrug verbunden war. Salvian von Marseille warf ihnen grundsätzlich Betrug und Meineid vor, später warnten beispielsweise Cassiodor und Isidor von Sevilla vor der Unredlichkeit der Kaufleute. In derartigen Aussagen zeigen sich freilich auch die tendenziell egalitären Vorstellungen des frühen Christentums von der wünschenswerten Sozialstruktur – Vorstellungen, die schon in seiner Herkunft aus einer ländlich-handwerklichen Sphäre begründet lagen. Erst spätere Jahrhunderte sollten diese Vorstellungen überlagern, wenngleich sie von den Mendikanten- oder Bettelorden, in erster Linie den Franziskanern, seit dem 13. Jahrhundert wieder aufgegriffen wurden. Ebenso kann sich die anachoretische Lebensweise einzelner Kirchenväter weitab vom alltäglichen Geschehen auf derartige Anschauungen ausgewirkt haben. Wenn Augustinus an den spätantiken Händlern aber außerdem kritisierte, dass sie sich ihrer Leistungen rühmten und deshalb keinesfalls die Gnade Gottes erlangen könnten, lässt dies auf eine positive Selbsteinschätzung der Kaufleute schließen. Ihren karolingischen Kollegen mangelte es gleichfalls nicht an Selbstbewusstsein. Eine gildemäßige Organisation dürften sie schon früh entwickelt haben, da ihre Zusammenschlüsse bereits im Capitulare Haristallense (Herstal, Lüttich) von 779, im Kapitular von Diedenhofen 805 und im Kapitular Lothars für Italien von 822 verboten wurden. Vielleicht hatte sich ihre Konkurrenz für die im Handel engagierten geistlichen Institute als so erheblich erwiesen, dass deren hochrangige Vertreter bei Hofe gegen sie intervenierten. Denn so scharf die Urteile der Theologen auch ausfielen, haben sich Kirchen und Klöster doch bald in die Praxis des frühmittelalterlichen Warenverkehrs eingefügt und diesen sogar vorangetrieben, um selbst umfangreich am Handel zu partizipieren.

Bei den Händlern handelte es sich zu einem Teil um freie Männer, über die freilich wenig in Erfahrung zu bringen ist; die Überlieferung führt in erster Linie und ohne nähere Bestimmung Große, Großbauern und sonstige „Kaufleute“ an. Daneben tauchen in den Quellen die unfreien Händler der weltlichen und geistlichen Grundherrschaften auf. Manche Kaufleute, die an einem Handelsplatz ansässig waren, unterstanden dem jeweiligen Wikgrafen, andere erhielten Königsschutz, über dessen Ausformung und konkrete Reichweite allerdings wiederum so gut wie keine Informationen vorliegen. Im 11. Jahrhundert stieg dann zumindest im Westen des Reichsgebiets die Zahl der vormals grundherrschaftlich gebundenen Händler, welche nunmehr als freie Kaufleute agierten, sich von ihren ehemaligen Herren also emanzipiert hatten. Handelsreisen dürften in der Regel gemeinsam unternommen worden sein. Da der Landhandel über weite Strecken durch noch unberührte Wildnis sowie ausgedehnte Wälder voller realer und imaginärer Gefahren führte, dominierten hier Karawanen, um die Sicherheit zu erhöhen. Noch die Gebrüder Grimm platzierten in ihren Märchen Hexenhäuschen und wilde Tiere in die tiefen, fast undurchdringlichen Wälder. Solche waren freilich zu ihren Lebzeiten kaum noch zu finden, denn wohl bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts waren im Reich nördlich der Alpen die Waldflächen auf ihre geringste Ausdehnung zusammengeschmolzen. In die Gesetzgebung fanden die Kaufleute der fränkischen Zeit nur selten Eingang, wenngleich das römische Recht, welches noch die Kapitularien Karls des Großen und die in der Karolingerzeit fixierten „Stammesrechte“ beeinflusste, viele Regelungen des Wirtschaftslebens kannte. Die fränkischen Erlasse setzten ein Kaufleute- oder Handelsrecht (lex mercatoria) als bekannt voraus, dessen Inhalte aber wohl gerade deswegen kaum überliefert sind. Dagegen traten nun Bitten um Schutzgewährung, um Abgabenfreiheit oder um größere Rechtssicherheit ein wenig stärker hervor.

Dass die noch ausgesprochen rudimentäre Infrastruktur dennoch zunehmend die Räume verband, zeigt sich beispielsweise daran, dass sich Erfurt und Würzburg – bei guter Verkehrslage an Wasserstraßen beide mit Häfen sowie Ufermärkten ausgestattet – aus älterer Wurzel zu vorstädtischen Siedlungen entwickelten. Das Diedenhofer Kapitular von 805 erwähnte als Grenz- und Handelsstationen in Richtung Osten für den Handel mit den Slawen Bardowick (südöstlich von Hamburg), Schezla, Magdeburg, Erfurt, Hallstadt (bei Bamberg), Forchheim, Breemberga (Premberg, Oberpfalz), Regensburg und Lorsch (östlich von Passau). Allerdings kann daraus nicht auf einen weiträumigen Direkthandel beispielsweise auf der ohnehin nicht durchgängig schiffbaren Donau von Bayern bis zum Schwarzen Meer geschlossen werden. Wahrscheinlicher ist ein mittelbarer Handel zwischen Mitteleuropa und dem Donaumündungsgebiet von eher geringem Volumen. Gerade für diese frühe Phase geben mehr noch als die wenigen schriftlichen Nachrichten die archäologischen Untersuchungen zu Handel, Handelsgütern und möglichen Anlandungsplätzen oder Häfen wichtige Hinweise auf die Entstehung und Bedeutung von Märkten und „Städten“.

Über das Verkehrswesen ist gleichfalls recht wenig bekannt. Von einer Bevorzugung des Schifftransports gerade bei voluminösen und schweren Produkten ist auszugehen. Die Seeschifffahrt wurde weitgehend als Küsten-schifffahrt betrieben, vermied also nach Möglichkeit Fahrten auf hoher See. Dies sollte noch für etliche Jahrhunderte so bleiben. Das römische Straßennetz erfuhr zwar in merowingischer Zeit und darüber hinaus eine Weiternutzung, aber sein Zustand dürfte sich trotz Reparaturen verschlechtert haben. Bei den Verkehrsmitteln zu Lande handelte es sich um Pferde als Zug-, Reit- und Packtiere sowie um Ochsen und Wagen oder, sehr viel häufiger, zweirädrige Karren. Die für die Landwege genutzten Wagen konnten Lasten bis zu etwa einer Tonne transportieren. Die Wikinger waren entgegen den zeitgenössischen Quellen, die allesamt von ihren Gegnern verfasst sind, durchaus nicht nur mordende Krieger. Sie schufen weitreichende Handelsverbindungen: Der normannische Handel erreichte zunächst Nowgorod, dann über Kiew sogar Byzanz. Von dort aus gelangten Seide, Brokat, Schmuck, Wein, Drogen, mit welcher Deklaration vornehmlich Gewürze gemeint sind, in den nordwesteuropäischen Handelskreislauf und an die Küsten Skandinaviens. Die Schiffe der Normannen eigneten sich übrigens bei geringem Tiefgang sowohl für See- wie für Flussreisen, eine entscheidende Voraussetzung der normannischen Expansion.

In fränkischer Zeit dominierten die Wasserwege im Verkehrssystem derart, dass Handelsniederlassungen an schiffbaren Gewässern über gute Wachstumschancen verfügten. Freilich lassen sich weder das gesamte Handelsvolumen noch die Anteile von Schiffs- und Landverkehr auch nur annähernd quantifizieren. Mithin könnte dem Überlandtransport vielleicht eine höhere Bedeutung zugekommen sein als lange angenommen. Dennoch dürften Rhein, Maas, Loire und Seine mitsamt ihren Nebenflüssen für den Handelsverkehr bevorzugt worden sein, und auch östlich des Rheins spielten die Wasserläufe eine gewichtige Rolle für den Transport und allgemein für den Verkehr. Allerdings blieb, was nochmals betont werden muss, die Bindung der Märkte an die Grundherrschaften vorerst noch eng, denn die Grundherren erhielten die einschlägigen Privilegien, nicht die Bewohner der Siedlungen. Neben den persönlich freien Kaufleuten beteiligten sich Hörige im Auftrag ihrer Herren an den Handelsaktivitäten. Als entscheidend erwies sich in diesen Fällen ihre Freizügigkeit, nicht die persönliche Freiheit. Der Fernhandel konzentrierte sich bis ins 10. Jahrhundert vornehmlich auf Produkte wie Glas, Keramik, Tuche, Schmuck, Textilien, Metalle, Wein, Salz, Wachs, Pelzwaren oder Sklaven. Unter diesen verdeutlichen die drei letztgenannten Handelsgüter die Einbeziehung des Ostens und des Nordens in das Handelsnetz. Der überwiegende Teil der Sklaven, bei denen es sich zumindest theoretisch um Heiden handeln musste, dürfte schließlich in den maurischen Teil der Iberischen Halbinsel verschleppt worden sein.

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