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2.0. Von der antiken zur spätantiken Kunst

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Der historischen Abgrenzung der Spätantike von der klassischen Antike haftet etwas Willkürliches an. Ähnlich verhält es sich auch mit dem Übergang von der antiken zur spätantiken Kunst. Zwar verbindet man mit spätantiker Kunst Anonymität, Stilisierung und Statuarik der Figuren auf den Mosaiken, aber wie genau und vor allem warum dieser Umbruch erfolgte, ist Gegenstand reger kunstgeschichtlicher Diskussion. In älteren Untersuchungen wurde häufig ziemlich ansatzlos gleich das Christentum ins Spiel gebracht und die Transformation antiker bzw. hellenistischer Kunst in frühchristliche Kunst thematisiert, sowie deren Abgrenzung zur byzantinischen Kunst. Es gibt jedoch auch Brüche in der römischen Kunst der späteren Kaiserzeit, in denen man ein Spezifikum spätantiker Kunst sehen könnte. Da dies primär eine Frage der Kunstgeschichte ist, sei an dieser Stelle der Zusammenhang nur kursorisch und allgemein skizziert. Spezifischere Bemerkungen zur bildenden Kunst und Architektur folgen in 5.1. und 5.2., wenn von den Bauten Konstantins die Rede sein wird.

V.4.1.6.2.

Die alte These, der Umbruch der antiken Kunst sei in erster Linie auf die Spiritualisierung durch das Christentum zurückzuführen, ist kunstphilosophisch naturgemäß reizvoll, zumal sie nicht unplausibel erscheint und insbesondere im byzantinischen Kontext, wo sich das Christentum philosophisch mit dem Platonismus traf, einige Berechtigung haben dürfte. Für die frühere Zeit ist allerdings jenen Einwänden zuzustimmen, die auf die lange Dauer der Ununterscheidbarkeit von heidnischer und christlicher Kunst verweisen. Zudem gab es andere »Wenden«: Solche innerhalb der römischen Kunst selbst, die den Übergang von der antiken Idealität zur spätantiken Form markierten. Dieser Übergang unterschied sich zudem zwischen West und Ost nicht unerheblich. Während im Westen die sogenannte Kunst der Völkerwanderung ins frühe Mittelalter führte, wurde die Kunst im Osten byzantinisch. Der Ausdruck Spätantike wird dabei in der Regel durch die in die Antike reichende Klammer des Hellenismus nur für die östliche Entwicklung angewandt, obwohl es auch in der Kunst der neuen Völker antike und byzantinische Einflüsse gab.

Pelikán 1982, 47

VI.8.0.ff.

Um 200 zeichnet sich ein erster Stilwandel ab. Das antike Ideal der Klarheit und Ruhe wurde abgelöst durch einen Manierismus der Fülle, Dynamik und des Pathos. Der Terminus Manierismus in diesem Zusammenhang wurde zwar unter Hinweis darauf, dass im Unterschied zu Griechenland »die Kunst des römischen Imperiums in allen ihren Phasen ständig von Manierismus begleitet [wird], selbstverständlich in jeweils verschiedener Häufigkeit und Intensität, […]«, kritisiert. Oldrich Pelikán spricht lieber von einem Anwachsen des Irrationalismus. Unter diesem Vorbehalt sei der Ausdruck für unseren Gebrauch als Kennzeichnung beibehalten. Auch hier ging es um Subjektivierung, Expressivität, Emotionalität, Dynamisierung. Es liegt nahe, auch hier in der Absicht, sich aus dem engen Korsett antiker Idealität zu befreien, eine leitende Motivation für die Künstler zu sehen, ähnlich wie dies auch im Manierismus der Renaissance der Fall war.

Veyne 2009a, 13, 68

Ebd., 87

L’Orange/Gerkan 1939

Veyne 2009a, 84

Paul Veyne macht diese erste Wende am 203 errichteten Triumphbogen des Septimius Severus fest. Die offizielle Kunst bediente sich seiner Meinung nach erstmals bewusst primitiver, grobschlächtiger Verfahren, Veyne spricht von »Populismus«. Allgemein, auch die private Kunst umfassend, kam dieser Stil um 300 zum Durchbruch, dem zweiten sich abzeichnenden Stilwandel. Mit diesem lässt Veyne die Kunstperiode der Spätantike beginnen. Als Schlüsselwerk dazu galt schon Alois Riegl der Konstantinsbogen (315). Er war weniger ein Triumphbogen als mehr ein Monument der Befreiung Roms vom »Tyrannen« Maxentius. Für den Hauptschmuck wurden Platten im neoklassischen Stil aus dem 2. Jh. verwandt. Darunter zieht sich der thematisch auf Konstantin bezogene Fries mit heiteren, anekdotischen Szenen in naiver, volkstümlicher Ausführung. Veyne vergleicht die Darstellung mit modernen Comics.

Andreae 2012, 299

Kraus 1967, 127/134

Andreae 2012, 229

Veyne 2009a, 14

Allgemein wurde die Kunst narrativ mit silhouettenartig schematisierten Menschendarstellungen, die an die Stelle ausgearbeiteter naturalistischer Abbildungen traten. Bernard Andreae sah die »eigentümliche Leistung der römischen Kunst« im Stilwandel »von der natürlichen zur symbolischen Form. Diese Wandlung markiert den Übergang von der Antike zum Mittelalter.« Andere Kunsthistoriker bemühen einen »konstantinischen Klassizismus« und sehen ein spätantikes Menschenbild, »das die individuellen Gesichtszüge hinter einer neuen Transzendenz zurücktreten läßt, […].«

L’Orange 1973, 96

Dennoch erscheinen die Darstellungen frei und überraschen mit ungewöhnlichen Lösungen. Vieles davon, insbesondere die »großäugigen Masken«, wurde schließlich zur Konvention. Man fand sie im gesamten Reich und sie wurden schließlich in die Ikonenkunst übernommen. Dort passten sie nahtlos zur kulturellen Erzählung von Sehern und Mysten, die den Körper abstreifen, um zur reinen Schau zu gelangen. Die Analogie zwischen philosophischer Erzählung und Kunst ist hier offensichtlich: »The concentration of spiritual expression in the portraits of late antique figural art is in close agreement with these descriptions.«

Veyne 2009a, 51–57

Schweitzer 1949, 275f

2.6.2.

Der neue Stil trat mehr und mehr neben einen beharrenden Klassizismus, der am alten Ideal festhielt. Als einen der Gründe für diesen Wandel machte man die Krise des Reichs aus. Nun ist ein verbreiteter Pessimismus in der spätantiken Welt zwar gut belegt, aber es ist kaum anzunehmen, dass Künstler die Herrscher und Kaiser mit angsterfüllter Miene darstellen wollten. Abgesehen von der großen Schwierigkeit, Physiognomien von Porträts aus so weit entfernter Zeit exakt zu deuten, spricht Veyne von Nachdenklichkeit und einer darin sich ausdrückenden Willensstärke, Verantwortung und Entschlossenheit. Andere Autoren verweisen auf den Einfluss des Neuplatonismus und der hellenistischen Philosophenschulen mit ihrem Ideal der Seelenruhe.

Die spätantike Porträtkunst gilt als eine außerordentlich reife Leistung dieser Epoche. Sie stammte von gelehrten Künstlern, die den Porträtierten als Menschen mit Bildung und Weitblick darstellten. Ob man darin auch eine Offenheit für den Ernst einer neuen Religiosität sehen soll, mag dahingestellt bleiben.

Barral i Altet Xavier in Bruneau u.a. 1996, 210

Ebd., 205

Ein barock anmutender Manierismus hingegen trat vor allem in der Sarkophagkunst auf. Teils verdichten sich Menschen zu undurchdringlichen Massen mit expressiven Gesten, hässlicher Mimik, schematisiertem Faltenwurf der Kleider. (Jagdsarkophag Mattei I; Sarkophag des Achill und der Penthesilea) »Rohe Expressivität« trat neben »einfachen graphischen Stil«. Teils verherrlichten die Grabmäler die Leistungen der Verstorbenen, indem sie auf expressionistische Emotionen verzichteten. Inhaltlich trat an die Stelle mythologischer Darstellungen die Biographie. Die Ablösung vom klassischen Kanon führte zu einem »neuen physischen wie psychologischen Individualismus«.

L’Orange 1965, 96

0.2.2.

X.2.5.

L’Orange 1973, 96

Thümmel 2008, 451

Veyne 2009a, 103

Neben der Pessimismusthese sah man in diesen neuen Paradigmen einen Reflex auf den staatlichen Totalitarismus des 4. Jh.s. Für Paul Veyne hingegen, der Zusammenhänge zwischen Kunst und umgebender Kultur ablehnt, ist es ein Spiel intelligenter Künstler mit den Formen, also ein nahezu autonomer künstlerischer Prozess, der sich aus der eigenen Formdynamik ergab. Das ist freilich – jedenfalls für diese Zeit – eine schwer zu belegende These. Veyne hat hier möglicherweise einen Theorieansatz verwandt, der eher in der Kunst des 20. Jh.s eine gewisse Plausibilität besitzt. Die Befreiung von den strengen Vorgaben der Klassik umfasste demnach auch die Befreiung von der Mimesis. Für Hans Peter L’Orange liegt die Ursache dafür eindeutig in der Ambition von Spiritualität und Mystik beim spätantiken Menschen. Daher sei es kein Zufall, dass dieser Portätstil aufkam, »precisely in the century of Plotinus, […].« Diese fehlende Naturtreue fand sich sowohl in Mosaiken der römischen Villen der Spätantike (Piazza Armerina auf Sizilien mit Anklängen an die Mosaiken in Karthago, Apameia, Antiochien, Rom, Paphos auf Zypern) als auch in der frühchristlichen Mosaikkunst (Ravenna). »Das Individuelle wird durch den Typus ersetzt.« Die Frontalität bei den Kaiserdarstellungen dürfte einhergehen mit dem höfischen Protokoll und war eine ideale Vorgabe für die christliche Kunst, die für die Christus- und Heiligendarstellungen das kaiserliche Zeremoniell zum Vorbild nahm. In der Bildgestaltung kam die Bedeutungsperspektive zum Einsatz. Der im Hintergrund stehende Kaiser auf dem Basisfries des Obelisken auf dem Hippodrom von Konstantinopel ist größer dargestellt als die Tänzerinnen im Vordergrund. Wenn schon nicht das Christentum mit seiner Spiritualisierung Ursache für diesen Verlust an Naturtreue und anatomischer Genauigkeit ist, so konnte die christliche Kunst jedenfalls bei einem solchen Paradigma anschließen und der Weg in die bereits abstrakt zu nennende Ikonenkunst scheint in der Tat vorgezeichnet: »Manchmal wird die Struktur so stark akzentuiert, dass man fast von abstrakter Kunst sprechen könnte.«


206–210 Mosaike in der Lot-und-Prokop-Kirche (6. Jh.?) auf dem Berg Nebo; Jordanien

Bianchi-Bandinelli 1953

Der Vergleich der Spätantike mit der postmodernen Globalisierung hat jedenfalls in der Stilvielfalt, die sich nunmehr etablierte, ein weiteres Argument. Denn neben den geschilderten Brüchen hält sich die hellenistische Kontinuität über das 10. Jh. bis in die makedonische Renaissance. Schöne Beispiele dafür sind die klassischen Mosaiken des byzantinischen Kaiserpalastes in Konstantinopel, die aus diesem Grund so schwer datierbar sind.

6.2.2.

Resümierend kann man festhalten, dass die neu sich etablierende christliche Kunst vor einem spätantiken Stilpluralismus stand, wobei die einzelnen Stile vermutlich jeweils philosophisch konnotiert waren. Die klassische Tradition hatte die Bedeutung der Wertschätzung des Vergangenen und war Ausdruck eines Bildungswissens, während die diversen Brüche mit Populärkultur, mit Inszenierung von Herrschergestalten und künstlerischer Kreativität verbunden worden sein mögen. Bei all diesen Optionen hat das Christentum angeknüpft. Es gibt christliche Sarkophage in einem naiven und heiteren Stil, ebenso wie solche in schönem hellenisierenden Stil. Auch bei den Christen gab es gebildete Geistesaristokraten, die das auch zeigten. Und es gibt Mosaike, wo die Christusfigur in einem strahlenden Licht räumlich wird, aber auch solche, wo die Körper zweidimensional und schematisch erscheinen. Nach 500 wird diese Vorgabe zur Konvention. Die freie Monumentalplastik der Antike war verschwunden, das skulpturale Werk war Teil eines Ensembles und selbst das Relief trat zurück. Dass dies in einer Zeit passiert, in der das Christentum philosophisch vom Platonismus durchdrungen wurde, wird dabei kaum ein Zufall sein.

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