Читать книгу Kunstphilosophie und Ästhetik - Bernhard Braun - Страница 16
3.5. Inkarnation versus Pneumatologie – ein gegenkulturelles Konzept
ОглавлениеKermani 2015
Die Reihe der Motive ließe sich beliebig verlängern, auf einige davon wird bei Gelegenheit zurückzukommen sein. Das Entscheidende dabei ist jedoch, dass man sich dem Christentum eben nicht nur über die Analyse der Dogmatik, der Kultpraxis oder auf soziologischen Pfaden nähern kann, sondern auch über die in der Kunst vorgegebenen Gottesbilder. Eine solche Annäherung vollzieht seit längerem in eindrucksvoller Weise Navid Kermani, der seine Ergebnisse unlängst in einem Buch zusammengefasst hat.
214 Hagia Sophia, Allah-Kalligrafie, im Hintergrund Mosaik Muttergottes mit Kind
In gewisser Weise konzentrieren sich die Werke der frühchristlichen Kunst auf zwei Aspekte: die Hochschätzung des geistigen Moments und die unterschiedliche Einschätzung des Materiellen. Daher muss man den vielfältigen kunstphilosophischen Impuls des Christentums aus der produktiven Spannung von Inkarnation und Pneuma verstehen. Ganz zum Unterschied vom Judentum und vom späteren Islam hat die Menschwerdung Gottes nicht nur eine abstrakt christologische Funktion, sondern einen soteriologischen Sinn. Der Hauptstrom griechischer Vorstellung des Gott-Menschen hat eine körperfeindliche Konsequenz, geht es doch um die Erhöhung des Menschen, seiner Seele, seines Geistes aus dem Gefängnis des Körpers. Das Christentum denkt in der Menschwerdung dieses Verhältnis jedoch von oben nach unten, setzt also einen körperfreundlichen Impuls, der sich – als hellenisierte Religion – gegen die erwähnte körperfeindliche Ambition freilich stets nur schwer behaupten konnte. Trotzdem ist das Christentum, verbunden mit der Geschichtsdimension, bis zu einem gewissen Grad eine Religion des Leibes. Damit eröffnet sich der bildnerischen Kunst eine enorme Möglichkeit der Darstellung handelnder Figuren bis hin zu den göttlichen Gestalten selbst – das wurde auch von den Verteidigern des Bildes im Bilderstreit stets ins Treffen geführt.
8.3.
Berger 1994, 470
Demgegenüber kennt das Christentum auch eine ausgefeilte Pneumatologie, eine Lehre vom Geist. »In unumkehrbarer Abfolge hat Gott in einem ersten Schritt eine sarkische Schöpfung erstellt, um sie in einem zweiten Schritt als pneumatische zu vollenden.« Immer wieder wird das Menschliche und Menschengemachte abgewertet, immer wieder wird auf die Geistgestalt des ungreifbaren Gottes verwiesen. Christentum ist also ebenso wie eine Religion des Leibes eine Religion des Geistes. Dabei traf es sich mit der griechischen, genauer: platonischen Vorstellung von der Überlegenheit des Geistigen.
215 Mutter mit Kind, Apsis der Euphrasius-Basilika (6. Jh.); Poreç
Der theologische Niederschlag ist vielfältig, man denke etwa an den »filioque-Streit«. Der lateinische Westen setzte im nizäischen Glaubensbekenntnis den Zusatz filioque (lat. dem Sohn gleich) was den Hervorgang des Heiligen Geistes aus Vater und Sohn benannte und den Heiligen Geist gegenüber Vater und Sohn zurückstufte. Während der Westen eine starke Erlösungslehre mit Jesus pflegte, entfaltete der griechische Osten eine ausdifferenzierte Lehre des Heiligen Geistes und lehnte das filioque vehement ab, um eine Gleichheit der drei göttlichen Entitäten zu sichern.
5.0.
Diese Spannung, die teilweise in den oben genannten Motiven von Lichtmystik, Bild und Abbild Gottes buchstabiert wird, hat auch in der Kunst ihren prägenden Niederschlag gefunden. Dies insbesondere in der frühen christlichen Kunst, die von einer reinen Gleichnishaftigkeit über ausschweifende Bilderzählungen bis zu großartigen Typisierungen und avancierter Ikonenspiritualität reicht.
Braun 2017
V.5.3.2.
Auffallend ist die Differenz in den Christusdarstellungen zwischen Byzanz und dem Westen. Beide beriefen sich beim Bild auf Inkarnation und Homoousios-Lehre, aber die neuplatonische Metatheorie führte in Byzanz zur Stärkung des Geistelements und einem abstrakten Bildkonzept, während im Westen, insbesondere nach der philosophischen Wende zu Aristoteles im Hochmittelalter, dem materiellen Bild gefrönt wurde.