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3.3. Die Theologisierung des historischen Jesus
ОглавлениеMessias
Stemberger 1979, 199
Ferguson 2003, 552ff, 463
Balsdon 1950, 257
Theißen 2003, 265–281
Im Allgemeinen werden der Messiasglaube und die Geschichte von Jesus als Gottessohn als Trennungsgrund des Christentums vom Judentum angesehen. Die Forschung relativiert den ersten Gedanken inzwischen (nicht zuletzt durch die Funde am Toten Meer) mit dem Hinweis auf das mehrmalige Auftreten von Messiasfiguren im Judentum, insbesondere in nachexilischer Zeit. Der Ausdruck Messias wurde für Könige, Priester und Propheten benützt. Der Brauch, einen Befreier als soter oder theios aner anzureden, war in der griechischen Antike seit dem 5. und 4. Jh.a geläufig. Man kann die Ablösung des Christentums vom Judentum, zusammen mit der Kritik an Tempel und Tora, an den messianischen Sohn-Gottes-Vorstellungen festmachen. Dies hat im Umkreis von Stephanus und Paulus zur Profilierung des neuen Selbstverständnisses geführt, was schließlich die Bezeichnung »Christen« zur Folge hatte.
Antiochien
Berger 1994, 140ff, 150, 351f
Markschies Christoph in Kat. 2013a, 376
Anfangs war die Sache keineswegs so eindeutig, weil in Jerusalem verschiedene Gruppen das Erbe Jesu beanspruchten. Dabei kam es bald zu Widersprüchen zwischen den aramäisch und griechisch Sprechenden (Apg 6). Zunächst wurden nur die Hellenisten wegen ihrem ausgeprägten Messiaskult, der den Tempel als Sühneort überflüssig machte, verfolgt (Apg 7,44–60). Zudem sprachen die Griechen aus ihrem kulturellen Hintergrund von einem neuen Tempel, der nicht von Menschenhand gemacht sein würde (Apg 7,48). Die Heftigkeit der Auseinandersetzung führte zu einem ersten Martyrium, jenem des Stephanus. Die bedrängten Hellenisten gingen nach Antiochien, das zum wichtigsten Geburtszentrum des Christentums wurde. Erstmals wurde dort, eine Generation nach Jesus, eine Gruppe als Christen (Apg 11,26) identifiziert und von den Juden unterschieden. Vermutlich entstand zwischen 70 (Matthäus, Markus) und 100 (Johannes) sämtliche Brief- und Evangelienliteratur im Strahlungsfeld Antiochiens (das lukanische Doppelwerk, Lukasevangelium und Apostelgeschichte, möglicherweise in Ephesos). »Von daher erklärt sich auch der nun entstehende, ausgesprochen antijüdische und städtische Charakter des antiken Christentums.«
Saulus-Paulus
Grünbein 2009
Ferguson 2003, 554
Davies 1999, 111f
Keel 1972, 47
Fried 2000, 43
Auf der Seite der Hellenisten wirkte der römische Diasporajude griechischer Zunge aus Tharsos, Saulus-Paulus, der als Pharisäer erzogen worden war. Saulus-Paulus, der die Hellenistengruppe um Stephanus anfänglich noch verfolgte, wurde durch ein legendenhaftes Bekehrungserlebnis vor den Toren von Damaskus zum erfolgreichsten Missionar des Christentums. Er war in verschiedenen Kulturen zuhause und insbesondere auch mit der spätantiken Bilderwelt vertraut. Der universalistisch und auf rationaler Ebene argumentierende Paulus – Durs Grünbein nannte ihn einmal, dabei über seine mystische Seite hinwegsehend, den »ersten christlichen Intellektuellen« – wollte keine neue Religion gründen, sondern eine neue Menschheit in einer neuen Zeit. Hintergrund dieser Ambition ist seine pessimistische Anthropologie. Das »Fleisch« sei durch die Sünde anfällig und nur eine göttliche Intervention, wie sie die Evangelien verkündeten, könne den Menschen retten. Dabei werde das Fleisch nicht verdammt, sondern in der Auferstehung verwandelt. Die Lehre knüpfte am jüdischen Geschichtsdenken an und gab dem Christentum eine lineare Geschichtsdimension. Die frühchristliche Theologie war eschatologisch und apokalyptisch und sah die Welt auf einen Wendepunkt zulaufen, aus dem eine neue (göttliche) Ordnung entstehen sollte. Eine einheitliche Lehre über das Leben nach dem Tod gab es weder in den neutestamentlichen Schriften noch in der jüdisch-christlichen Praxis. In der gesamten Konzeption könnte man einen aufregenden Wechsel der Sichtweise sehen. Gespeist wurde dies alles von mythischen Resten aus dem Alten Orient. In der Tat ist der Prozess der Entmythisierung »bis in die jüngsten Bücher des NT hinein nicht zum Abschluß gekommen.« In der Apokalypse des Johannes schaut der Seher einen neuen Himmel und eine neue Erde, in der es das Meer, das in Mesopotamien Ausdruck einer Chaosmacht war, nicht mehr geben wird. Doch diese mythische Erzählung von der Überwindung der Chaosmächte entpuppte sich spätestens jetzt als ein revolutionäres Konzept mit einer die abendländische kulturelle Erzählung prägenden Rezeption. Die Idee einer finalen Geschichte wurde zu einer christlichen und brachte eine Dynamik, die »in immer neuen eschatologischen Konjunkturen geradezu rasante Schübe mentaler und praktischer Aktivität auslöste.«
Cebulj 2008, 21
sakramentales Erinnerungsmahl
Speyer 2007a, 121–136
Colpe 2008, 200–225
Müller 2003, 68ff
Hörisch 1992
Hülk 1999, 7
Ebd., 8f
Die Theologie des Paulus, die er in 13 Briefen (zwischen 50 und 60 verfasst) – für sieben von ihnen wird die Autorschaft anerkannt – niederlegte, war gottzentriert. Jesus Christus erscheint als Umsetzer der Herrschaft Gottes in der Welt. Zur Nachfolge gelangt man durch einen reinigenden Initiationsritus, die Taufe, und ein sakramentales Erinnerungsmahl, das im hellenistischen Bereich als die Seele veränderndes Mahlgespräch (Symposion) als religiöse Handlung vorgegeben war. Die Offenbarung Gottes erfolgte nicht durch gnostischen Weltausstieg, sondern durch eine geschichtliche Fleischwerdung des Logos, Fleisch, das in dem Erinnerungsmahl, das sowohl als Gedenken als auch als Gegenwärtigsetzung interpretiert wurde, real gegessen werden konnte. Mit dem Mahl – »sie aßen zusammen« (Gal 2,12) – sind viele Erzählstoffe verbunden: Speise- und Weinwunder, Mahlgleichnisse, Brotmetaphorik, Wohlgeruch. In der uferlosen Literatur zu dieser kargen jesuanischen Gastronomie bietet sich kulturtheoretisch an, das Abendmahl als Entschädigung gegenüber der »katastrophalen Wirkung des ersten Essensaktes«, des synästhetischen Erlebnisses des Essens des Apfels im Paradies, zu sehen. So gesehen ergäbe sich eine stupende Deutung der Darstellung des Abendmahls von Leonardo da Vinci im Refektorium der Dominikanerabtei Santa Maria della Grazia in Mailand. Vielleicht hat der gemalte Aufruhr weniger mit Judas zu tun, als vielmehr mit der Zumutung, dass Jesus den Jüngern seinen Leib und sein Blut zum Essen anbot.
Burkert 1972, 343
Im Essen des Leibes Christi als sublimierter Form des Opfers zeigt sich die archaische Verbindung von Zerstören und neuem Leben. »Die direkteste Verbindung von Zerstörung und Aufbau des Lebens ist im Vorgang des Essens gegeben.«
Staal 1979; Colpe 2004
Assmann 1997
Wenzel 1995, 228–240
V.5.3.
Wie beim Essen und Trinken gab es für nahezu alle Lebenshandlungen und -umstände (Waschen, Sich-Kleiden, Stinken und Wohlriechen) eine Tendenz zu ethisch-ästhetischer Konzentration auf das Theatralisch-Symbolische (1 Kor 11,33). Darauf gründen sich Akte des Rituals und der Liturgie. Auf die zugehörigen komplexen Ritual- und Liturgietheorien kann hier nicht eingegangen werden. Einzig auf die Zusammensetzung der christlichen Messfeier aus dem auf der Schriftkultur beruhenden (jüdischen) Wortgottesdienst und der den alten Opferriten entstammenden Eucharistiefeier sei verwiesen. Aufsehen erregte die These von Frits Staal, der dem ursprünglichen Ritual Bedeutungslosigkeit attestierte, was die späteren vielfachen Deutungen erst ermöglichte. Diese These böte eine Voraussetzung dafür, alle diese Erzählstoffe unter dem Paradigma einer Memorialkultur zu interpretieren. Ritualisierung hat immer mit Immunisierung und kultureller Festschreibung gegen das Vergessen zu tun. Und die körperlich-gestische, rituelle und möglichst reale Wiederholung solcher Lebensbezüge sind ein Nachvollzug der Fleischwerdung des Gotteswortes. Sie spielten besonders im Mittelalter eine wichtige, auch kunstphilosophisch originäre Rolle. Dass daraus eine konkrete Institution Kirche entstehen sollte, lag mit großer Wahrscheinlichkeit nicht in der Absicht des Jesus von Nazareth.
Bynum 1995, 175ff
Kunstphilosophisch wichtig ist auch die in der Auferstehungsmetaphorik ausgedrückte Restitution des Leibes. Eine besondere Institution der Sichtbarmachung des Leibes war die Reliquie, die sich durch ihren immerwährenden Bestand jeder Verwesung des Körpers entzog.
Colpe 2004
III.2.1.2.
Klauck 1982, 31–40
Speyer 1989, 7–13
Hasenfratz 2004, 33
Markschies 2004, 15–22
Theologisch bildete dies die Grundlage für die sakramentale Bedeutung solcher gespendeter Handlungen mit ihrer Nähe zu Kulten der Mysterienreligion. Es waren aber vor allem starke ästhetische Impulse. Zumindest ein Typus der Mahltheologie von Fleisch und Wein von mehreren erinnerte an den Dionysoskult, wo Frauen mit gelöstem Haar (crinibus sparsis) ekstatisch auftraten. Möglicherweise verbot deshalb Paulus den Frauen, unverhüllt am Gottesdienst teilzunehmen. Und vermutlich war diese Kultpraxis ein Grund für Repressalien gegenüber den jungen Gemeinden und die Diffamierung mit diversen absurden Vorwürfen, darunter jenem sexueller Exzesse und jenem »Wandermotiv[s]« vom Ritualmord, das später von den Christen gegen gnostische Sekten und im Mittelalter gegen die Juden angewandt wurde. Ohnehin erhoben viele antike Kommentatoren gegen das Christentum den Vorwurf des Aberglaubens, der Unfrömmigkeit und der Primitivität.
Auferstehung
Theißen 1999; Kloft 1999, 98; Zeller 1991, 42–46
Von der Auferstehungsfigur, die als körperliche Entrückung ausgezeichneter Personen ebenso im hellenistischen Umfeld Parallelen hat, war bereits die Rede. In diesem »Ostergraben« fokussieren sich die Theologisierung und der soteriologische Gehalt des Christusglaubens. Der Hintergrund sterbender und wiederkommender Vegetationsgottheiten lässt sich für die Spezifik der Auferstehung nur sehr bedingt fruchtbar machen, auch wenn schon bei Plutarch (frag. 178) das Mysterium in eine gnostische individuelle Eschatologie umgedeutet wurde. Die Einmaligkeit der individuellen Auferstehung verträgt sich schlecht mit dem kontinuierlichen Zyklus der Wiedergeburt.
Leidensgeschichte
5.2.1.
Speyer 2007a, 286
6.2.3.
Tod und Auferstehung waren begleitet von einer ausgeprägten Leidensgeschichte. David Balch vertritt die These, dass die verbreiteten tragischen Leidensdarstellungen in den römischen Häusern einen kulturellen Kontext für diejenigen bereiteten, die von der paulinischen Leidensgeschichte Jesu hörten. Balch schätzt den Einfluss der Bildergeschichten in den römischen Häusern, in denen auch Paulus predigte und Christen ihr Abendmahl feierten, auf die Theologisierung des Jesus sehr hoch ein. Sie stellen einen nachhaltigen Kulturtransfer orientalischer Mythen in die Spätantike dar. In der Tat trat das junge paulinische Christentum »aus der Hörkultur des alten Israel in den Bildersaal von Hellas.« Damit hätten narrative Bilder zur Dogmatisierung beigetragen. Den umgekehrten Vorgang, dass Dogmatik in Form von ausschweifenden Bilderzählungen dargestellt wird, gibt es auch.
Winkelmann 1996, 104
Marek 2010, 654
Paulus trug die Botschaft in alle Zentren des Hellenismus. Auf dem langen Weg von Antiochien nach Ephesos gründete er jahrzehntelang eine christliche Gemeinde nach der anderen, wurde schließlich angeklagt, möglicherweise um 61 nach Rom gebracht und unter Nero hingerichtet. In Rom gab es bereits vor Paulus eine christliche Gemeinde, über deren Gründung wir nicht unterrichtet sind. Kleinasien war ein ideales Gebiet für die Ausbreitung des Christentums: »Wie kaum irgendwo sonst bot das Netzwerk der Städte dieses Landes – in denen das Judentum längst heimisch, Synkretismus uralter und neuer Kulte und Lehren gegenwärtig und eine tief verwurzelte Religiosität neu entfacht waren, wo eine Sprache herrschte, Schriftlichkeit und Bildung die Dörfer erreichte, Wirtschaft und Handel blühten – sowohl den idealen geistigen Nährboden wie die beste Infrastruktur.«
Simon Petrus
Berger 1994, 254
Stegemann 2005
Zwischen Simon Petrus und Paulus gab es tiefgreifende Differenzen. Die Historizität des Simon Petrus, eines der ersten Jünger Jesu, der vielleicht aus Kapernaum stammte, wo er mit seiner Familie als Fischer lebte, gilt als wahrscheinlich, obwohl wir wenig von ihm wissen. Besonders sein Aufenthalt und Tod in Rom sind nicht belegbar. Auch die sogenannten Petrusbriefe stammen nicht von ihm. Paulus’ Anliegen war, das Christentum auf die Heiden hin zu öffnen. Man einigte sich auf diese gesetzesfreie Heidenmission (Heiden mussten nicht zuerst Juden werden) bei einem Apostelkonvent 48/49. Auf Druck der Jakobus-Anhänger rückte Simon Petrus von dieser Linie wieder ab und beharrte auf dem Judentum als Vorstufe zum Christentum (Gal 2,14). Der Vorfall ging in die Forschung als »antiochenischer Zwischenfall« ein. Die Geschichte hat anders entschieden, denn die beschneidungsfreie Heidenmission wurde zum »gravierendsten Ereignis in der Theologiegeschichte des 1. Jh. n. Chr.« Erst durch diesen Schritt konnte das Christentum sich aus dem Geruch einer jüdischen Sekte befreien und die Basis für eine Karriere als Weltreligion legen. Die Heidenmission entsprang einer durch die Erhöhung Jesu zum Kyrios ausgedrückten Universalisierung, damit griechischem Gedankengut. Inwieweit Paulus mit seiner Ablehnung des jüdischen Separatismus ein Vorkämpfer einer (hellenistischen) Universalisierung war und damit Athen (= die Philosophie) gegen Jerusalem (= Religion) in Stellung bringen wollte, ist in der Forschung freilich umstritten. Gegen eine solche These wird eingemahnt, dass auch bei Paulus, namentlich in seinen apokalyptischen Teilen, eine starke Präsenz des Jüdischen zu finden ist. Zudem würde – als ein Argument innerhalb der Theologie – in einer solchen Sicht die Identität Jesu von Nazareth mit dem Gott des Alten Testaments zu einer Äußerlichkeit.
Wess 2008, 131
Dass in der christlichen Geschichte das griechische Element dennoch so dominant wurde, bringt Paul Wess prägnant auf den Punkt: Während Paulus erreichte, »dass die Heiden nicht Juden werden mussten, bevor sie Christen werden konnten, legte die griechisch geprägte ›Heidenkirche‹ fest, dass nun alle ›Griechen‹ werden müssen, wenn sie Christen sein wollten.« Klar ist dabei aber auch, dass in dieser hellenistischen Universalisierung ein unschätzbarer Wettbewerbsvorteil des jungen Christentums gegenüber dem nationalen Selbstverständnis des Judentums und der lokalen Gebundenheit vieler spätantiker Mysterien lag.
Evangelien
Berger 1994, 625
II.1.2.3./III.3.3.1.
Speyer 2007a, 57
Wie schon gesagt, vermutet man die Entstehung der paulinischen Briefe und der Evangelien in einem längeren Prozess im Strahlungsfeld Antiochiens. Keiner der Autoren (außer Paulus) war Zeitgenosse Jesu. Der Thessalonicher-Brief des Paulus – vermutlich in Ephesos geschrieben – wird für das erste beglaubigte Dokument des Christentums gehalten. Das älteste Evangelium – entstanden nach 70 – war vielleicht jenes von Markus. Das Matthäus- und das Lukasevangelium nahmen die Stoffe von Markus auf sowie aus einer von der Wissenschaft postulierten Quelle von Worten Jesu (Logien, daher: Logienquelle Q). Unabhängig von diesen drei (synoptischen) Evangelien entstand das Johannesevangelium um 100, aus dem nicht mehr der irdische Jesus, sondern der Erhöhte sprach. Die Vierzahl der Evangelien könnte man auf die alte Vierzahl der Himmelsrichtungen beziehen, die wir als Auszeichnung des Allgottes und als Königstitulatur der altorientalischen Könige kennen gelernt haben. »Aus der pathosgeladenen ursprünglichen Einheit in der Vierheit wurden nun vier einzelne, konkrete Assistenzfiguren der Evangelisten, die im Rahmen der christlichen Kunst bis in die Gegenwart begegnen, seit dem Ende des Barock aber mehr und mehr ein Schattendasein führen.«
Schäfer 2017, 104
Berger 1994, 572
Balch 2008, 139, 166 u.a.
5.2.
Eine gegenteilige Ambition verfolgt die Johannesapokalypse. Über ihre Datierung gehen die Meinungen weit auseinander. Die Vorschläge reichen von der Zeit Neros bis Ende der 90ger Jahre. Extreme Positionen gehen bis zum Jahr 135. Die Gründe für eine Frühdatierung vor das Jahr 70 heben darauf ab, dass die Schrift enger an das Judentum angelehnt ist als die meisten anderen und vehement eine Rückkehr zu apokalyptischer Radikalität im Geiste des jüdischen Separatismus vertritt. Die Johannesapokalypse ist nicht nur ein restaurativer Versuch, die Entwicklung einer freieren Theologie hintanzuhalten, sondern auch eine Aktivierung eines »seit Dan 7 lebendigen Protestpotentials gegen die jeweils herrschende Weltmacht.« Es handelt sich dabei um eine jüdisch inspirierte antiliberale Stadtkritik. Sie zeigt gegenüber den relativ unpolitischen, ja teilweise romfreundlichen Evangelien einen kosmostheologischen Gottessohn als zornigen Rächer, dem ein Schwert aus dem Mund fährt (Offb 1,12–16). Es ist hier der alte Topos der Wiederherstellung der göttlichen Sinngebung der Stadt aufgenommen. Die Apokalypse mit ihren eindringlichen literarischen Bildern ist eine reiche Fundgrube für Analogien zur visuellen Repräsentation in der Erzählkunst des Ostens, etwa im Bild der kosmischen Unordnung von Himmel und Erde oder im Typus der Schwangeren, die von Monstern bedroht wird (Offb 12).
Lutz-Bachmann 1992
Hübner 2003, 167
Brox 1984, 1f
Zusammenfassend sei versucht, die Theologisierung des historischen Jesus als Ergebnis einer bestimmten Rezeptionsoption zu verstehen. Dass in das sich bildende Christentum und seine Theologie jüdische, griechische und ägyptisch-orientalische Bausteine eingeflossen sind, ist unbestritten. Ebenso ist die These von der Hellenisierung des Christentums alt. Jedoch gab es seit der bemühten Messiasliteratur der ersten Tage über die wichtigen, die Definitionsmacht beanspruchenden spätantiken und mittelalterlichen Konzilien im Umkreis von Konstantinopel bis in die Gegenwart einen Streit um die Rangordnung dieser Bausteine, damit auch um das Wesen des Christentums. Der Zweifel an der Gültigkeit der Hellenisierung des Christentums wird pointiert in die Frage gekleidet, ob nicht in dieser frühen Theologie eine »metaphorische, kategorial nicht faßbare Offenbarungsaussage von Joh 1,14 in eine ontologische, kategoriale Aussage über ein physisches Geschehen […]« verwandelt wurde. Demgegenüber sinniert man in der gegenwärtigen Theologie über Wege der Auslegung des Christentums, »die nicht über Nikaia und Chalkedon führten.«
Wess 2008
4.1./4.4.
Freilich kann es auf dieses Problem keine eindeutige Antwort geben, schon weil sich die Frage stets auf das Neue verschiebt. Man nimmt beispielsweise an, dass die Autoren des Johannes-Evangeliums Judenchristen waren, die durch ihre Sohn-Gottes-Verehrung eine Trennung von der Synagoge erlebten und um 90 das Evangelium im Trauma dieses innerjüdischen Konflikts geschrieben und tatsächlich noch jüdisch gedacht haben. Die Debatte um eine Alternative zur hellenistischen Inkulturation des Christentums, in die sich auch Karl Rahner und der junge Joseph Ratzinger eingebracht haben, kann nie bei einem vermeintlichen Ursprung anheben, sondern setzt immer nur eine Rezeptionsgeschichte an die Stelle einer anderen. Manchmal wird die weitgehend antiphilosophische und antigriechische Linie der syrischen Theologie gegen die hellenistische Inkulturation in Stellung gebracht. Kritiker dagegen verweisen auf die Notwendigkeit einer metaphysischen Grundlage, weil eine Religion nicht dem Irrationalismus verfallen darf – und diese Grundlage habe die griechische Rationalität gesichert.
Diese »Instabilität« des Konzepts Christentum relativiert andere Beobachtungen. Leszek Kolakowski hat in seinem Essay Der Priester und der Narr darüber geklagt, dass sich die Philosophie »niemals vom Erbe der Theologie freigemacht« habe. Die Beobachtung ist aus der Sicht des eine utopiefreie politische Philosophie einfordernden Totalitarismuskritikers nur allzu verständlich. Allerdings muss Kolakowskis Wahrnehmung ergänzt werden durch die gegenläufige Beobachtung, dass das utopische und eschatologische Erbe der Theologie ja seinerseits Resultat eines philosophischen, besser: mythologischen Kontextes ist.