Читать книгу Kunstphilosophie und Ästhetik - Bernhard Braun - Страница 23
ОглавлениеAus diesen Gründen war Augustinus der Bezug zur Zahl wichtig. An mehreren Stellen in exegetischen Werken nahm er Gott als die höchste Zahl und bezog sich gerne auf Weis 11,21. Kunstwerke sind dann mittelbar Ausdruck dieser göttlichen Schönheit in Gewicht (pondus), Zahl (numerus) und Maß (mensura): »Das Schöne gefällt durch die Zahl […].« und die Zahl garantiere die Beständigkeit des Geschaffenen: »Alles Sichtbare, das der Veränderung unterliegt, kann nur deshalb mit dem Körpersinn oder durch geistige Betrachtung erfaßt werden, weil es durch die Zahlenform gehalten wird; […].«
Augustinus, Civ. 11,18
Beierwaltes 1975, 145
Das Schöne realisiert sich im Harmonischen. In der Manier heraklitscher Dialektik wird der Ausgleich in der sich aufhebenden Oszillation der Gegensätze gefunden. Die Schönheit der Welt (pulchritudo saeculi) erwachse aus Gegensätzen. Werner Beierwaltes sprach – die spätplatonische und neuplatonische Bildphilosophie aufgreifend – im Hinblick auf die Symmetrie von einem inneren Gestaltungsprinzip und einer dynamischen Einheit eines Ganzen. Dekoratives Beiwerk (aptum, decorum) sei dann legitim, wenn es angemessen ist und sich dem Ganzen einfügt wie ein Organ dem gesamten Organismus.
Flasch 1994, 357
Diese ontologische Funktion des Schönen drängt eine Ästhetik des Angenehmen (etwas, was durch unmittelbare positive Affektion gefällt) oder gar des Illusionismus weit auf die Seite. Die Sichtbarkeit wird nicht vom rezipierenden Subjekt her verstanden, sondern vom sich verströmenden Sichtbaren. Die Adaptation der platonisch-neuplatonischen Schönheitsphilosophie auf das Christliche war für das Mittelalter folgenreich.
Chadwick 1987, 40ff
Waibl 2009, 106
Seay/Stevens 1993, 10
Besonders geht Augustinus auf die Musik mit ihren mathematischen Konnotationen ein. Manche vermuten die Ursache dafür in der Hochschätzung der sieben freien Künste aus den frühen Jahren seiner Zuneigung zur antiken Bildung. Seine Traktate De ordine (386) und De musica (387–389), die den (guten) Rhythmus (eurythmos) zum zentralen Prinzip der gesamten Ästhetik machen, bestimmten die ästhetische Diskussion bis weit in die Renaissance. Es läge nahe, in der asketischen Entsinnlichung einen philosophischen Hintergrund des von Papst Gregor eingeführten einstimmigen Choralgesangs für die Messfeier, in erster Linie deren fixe Teile des Ordinariums (Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Agnus Dei, Ite missa est) zu sehen. Noch nach vielen Jahrhunderten, beim Konzil von Trient (1545–1563), wurde diese »in ihrer Kargheit und Sperrigkeit beinahe schon Nicht-Musik« immer noch für verbindlich erklärt. Eine praktische Ursache für die lange Dominanz der Einstimmigkeit sieht die Musikforschung im schlechten Notationssystem. Ein entwickelteres System setzte sich erst um die Jahrtausendwende durch und ermöglichte die Aufzeichnung mehrerer Melodielinien: »Seit jedoch die Notation das Gedächtnis entlastete, konnte sich die Mehrstimmigkeit zu voller Blüte entfalten.« Die lange Verbindlichkeit verweist aber auf ein ebenso vorhandenes weltanschauliches Interesse.
Die Musik mit ihren mathematischen Ordnungsregeln normierte wie schon in der Antike auch die Dichtung, den Tanz und natürlich die Architektur. Von den anderen künstlerischen Äußerungen blieb das Theater wegen seines fiktiven und trügerischen Charakters negativ bewertet.
Augustinus, Conf. 10,27
In den Büchern X und XI der Confessiones lässt sich nicht nur Schönheit als Lehre des Erkennens Gottes rekonstruieren, sondern sie wird auch als Lichtmetaphorik buchstabiert. Das Licht selbst bleibt unsichtbar und wird vermittelt durch das Erleuchtete. Augustinus kleidet dies in die rhetorische Frage, was er denn eigentlich liebe, wenn er die Schönheit liebt. Die Antwort ist: Gott! »Spät habe ich dich geliebt, Du immer alte, immer neue Schönheit! […] Und siehe: Du warst innen […], und ich außen […].«
Augustinus, De mor. 27,52
Augustinus, Sol. I,2,7
Dass Gott im Sinne der platonischen Totalität immanent gesehen wird, also innen ist, begründet, dass Schönheit keine äußere Wahrnehmung sein kann, sondern ein Erinnern Gottes in der eigenen Seele. Die philosophierende Schau ist letztlich eine Begegnung mit der inneren Seele. Denn diese Seele ist eine »vernünftige Seele, die sich eines sterblichen und irdischen Körpers bedient.« Die höchste Glückseligkeit, die gleichsam auch ein ästhetisches Moment ist, lässt ihn jubeln: »Gott und die Seele erkennen, das ist mein Wunsch«.
Es ist das Transzendieren des Selbst, das eine Verschmelzung mit der göttlichen Wahrheit (die in Harmonie und Symmetrie erscheint) ermöglicht. Denn dort, im Inneren, existieren die ewigen Ideen und Regeln, die alles Wahre ausmachen und als göttliche den menschlichen Geist bewegen. Selbstredend ist das ein Leitfaden der anagogischen »Mechanik«.
Augustinus, Conf. 4,15
Kreuzer 1995, 84
Augustinus, Conf. 10,6/11,11/13,38
Einheit und Vielheit sind für Augustinus keine Gegensätze, ganz so wie er es im Neuplatonismus gelernt hatte. »Der ›Aufstieg‹ des Menschen ›in te supra me‹ erweist sich als Rückgang in diesen Grund der Erinnerung.« Worauf man dann trifft, ist kein Ort, den eine Zeit relativieren könnte: »[…] was dort erklingt, vergeht nicht mit der Zeit […].«Und Gott selbst wird zu einem »Glanz der stets verharrenden Ewigkeit […].« Die Visio Dei wird zu einer Visio rei: »Wir sehen also das, was du geschaffen hast, weil es ist: allein es ist, weil du es siehst.« Die Schönheit dient letztlich dazu, durch Erinnerung Vielheit und Zeit zum Ursprünglichen hin zu übersteigen. Dies ist die Grundfigur eines anagogischen Vorgangs, der durchaus auch als Er-innerung ins Eine/Ganze interpretiert werden kann.
Kreuzer 1995, 233
Flasch 1980, 80
396 verfasste er eine Schrift an den Mailänder Bischof Simplician, der 397 Nachfolger des Ambrosius wurde, (Quaestiones ad Simplicianum), die eine neue Gnadenlehre enthielt. Demnach sei es dem Menschen unmöglich, sich durch Nachdenken, Philosophieren oder sittliches Handeln auf die Gnade vorzubereiten oder sie gar herbei zu zwingen. Gott schenkt die Gnade und verweigert sie, wem er will. Kurt Flasch verweist auf die zeitliche Übereinstimmung dieses »Angriffs auf die Menschenwürde« mit Augustinus’ Bischofsweihe. Mit ihr kam notgedrungen die Verwicklung in Politik und Institution. Flasch weiter folgend könnte man genau an dieser Wende des Denkens von Augustinus den Übergang einer philosophischen Streitkultur in eine Kultur der Institutionalisierung und Sakramentalisierung (zunächst der Kirche) sehen, also eine Kultur, die auf Autorität und Tradition aufbaut. Das aber machte über weite Strecken das Mittelalter aus. 396 löste ein System ohne jede Nachvollziehbarkeit ein durch den Menschen gestaltbares Weltgeschehen ab. Zudem trat mit dieser Wende an die Stelle einer von neuplatonischer Anagogie ausgezeichneten Ästhetik Ratlosigkeit gegenüber dem Schönen und der Kunst. Zwar gab es heftige Kritik an dieser Sicht. Der britische Mönch Pelagius sah in der neuen Gnadenlehre einen heidnischen Fatalismus und einen Angriff auf die Willensfreiheit des Menschen und focht für eine asketische Kirchenreform. Heil für das Befolgen der göttlichen Gebote, hieß sein Angebot. Augustinus, der wiederum bei Pelagius’ Deutung die Kräfte der Menschen zu hoch veranschlagt und das göttliche Wirken beeinträchtigt sah, siegte in diesem Streit und setzte die Verurteilung des Pelagius durch. In der Tat veränderte sich vor solch neuer Rechtfertigungsprozedur die Stellung des Menschen im Kosmos grundlegend – und dies war keine gute Grundlage für das aufkommende Mittelalter. Kunstphilosophische Entwürfe, die sich auf Augustinus beriefen, knüpften freilich bei dessen neuplatonischer Vorlage an.