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5.0. Spätantike und frühchristliche Kunst
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Die Epochenbezeichnung »Spätantike« lässt sich, wie schon gesagt, mit einer eindrücklichen Kunstproduktion assoziieren. Abgesehen von der Veränderung der antiken zur spätantiken Kunst, geht es um das Verhältnis von spätantiker und frühchristlicher Kunst. Entsprechend der konstitutiven Bedeutung der antiken philosophischen Konzepte bei der Entstehung des Christentums liegt es nahe, auch das Selbstverständnis einer ausdrücklich christlichen Kunst und ihre Unterscheidbarkeit von den griechisch-römischen Vorbildern zu befragen.
3.5.
Neumaier 1856, 6
Ruskin 1846, III
Die Frage, was christliche Kunst ganz generell sei, bewegte vor allem das 19. Jh. Die Debatte gipfelte unter dem Einfluss des Deutschen Idealismus darin, das Geistige (also die »Pneuma-Seite«) einer christlichen Kunst gegenüber dem Sinnlich-Schönen des Heidentums auszuspielen. Christliche Kunst habe sich von sinnlicher Schönheit in die Sphäre geistig-himmlischer Schönheit erhoben. Sie sei ein einzigartiges sursum corda gewesen. Ähnlich argumentierte John Ruskin, der nirgendwo in der heidnischen Antike »irgendeine gehobene Verfassung der Seele« zu entdecken vermochte.
Deichmann 1983, 167
Veyne 2009a, 103f
Dieser Ansatz wurde bis ins 20. Jh. fortgeführt. Christliche Kunst sei mit einer Abstraktion ins Zeichenhafte verbunden. »Die Darstellungen wurden zum Zeichen« und der »Ideismus« der neuen Kunstform sei an die Stelle des »Similismus« getreten. Eine christliche Kunst sei – so wird unterstellt – aufgrund ihrer geistigen Qualität gegenüber einer mimetisch abbildenden Kunst der späten Antike eine Kunst abstrakter Symbolik. Hier wird die kaum bestrittene Tatsache der fehlenden Naturtreue spätantiker Kunst, die in die christliche Kunst übernommen wird, mit dem Pneuma-Sarx-Schema ideologisch überformt.
Sybel 1906a; Sybel 1906b
Rice 1993, 9
Grabar 1964, 29
Koch 1995, 7
Eine genau gegenteilige These marginalisierte im 20. Jh. das Christliche der spätantiken Kunst. Die christliche Kunst habe sich – so hieß es jetzt – keiner anderen als der vorgegebenen Kunst bedient und das sei die antike gewesen. Altchristliche Kunst gehöre in die Altertumswissenschaft und nicht in die Theologie. Darin spiegelt sich einerseits der Positivismus des 19. und 20. Jh.s, andererseits wiederholt sich in dieser Debatte nur, was auch schon für die Entwicklung der frühen Theologie galt, die tief in der antiken Gedankenwelt wurzelte. Die Mehrheit der Autoren geht heute davon aus, dass sich mit Konstantin zwar die Religion, damit aber nicht notwendig auch die Kunst geändert habe. Die christliche Kunst bewegte sich weiterhin in der antiken Terminologie bei durchaus erfolgter Erweiterung des Vokabulars. Man machte diese Terminologie »für die neuen Bedürfnisse nutzbar« und »christianisierte« sie. Ging die alte Theorie immer von einem autochthonen christlichen Corpus aus und versuchte dann, die Eigenart einer christlichen Kunst zu definieren, versteht man heute das theologische Corpus weitgehend als Umcodierung griechischer Motive und die Kunst als deren Spiegelbild.
Kemp 1994, 17
6.2.3.
Wolfgang Kemp schärft diesen Gedanken weiter und sieht in der christlichen Kunst einen »Kontext über dem Text«, also eine neue Bedeutung über dem alten Text der antiken Kunst. Demnach vermag sie selbst die Elemente einer Aussage und die Regeln der Kombination dieser Elemente (Syntax) festzulegen sowie das Verhalten der Elemente in Kombination mit anderen (Grammatik). Der Betrachter wird zu einem strukturellen und synthetisierenden Betrachter, der nicht mehr in einem geschlossenen, einheitlichen Mythos steht (wie in der Antike), sondern in einem Kontext, mit dessen Syntax und Grammatik eine Entschlüsselung einzelner Elemente zu einem ganzheitlichen Sinnentwurf möglich ist. Von diesem Ansatz her entschlüsselt Kemp auch die Erzählstruktur der Bildergeschichten in den spätantiken Basiliken. Diese Bildergeschichten sind für Kemp ein Beispiel dafür, dass die Kunst der Religion nicht nachgeordnet ist, nicht die Theologie nur illustriert und die Heilige Schrift reproduziert, sondern dass sie selbst Organon einer religiösen Kultur ist.
Neben der Frage nach dem Wesen der christlichen Kunst fand eine Debatte über deren Geographie statt und rückte Zentren wie Alexandrien, Antiochien, Karthago, das Augustus nach der Zerstörung im 3. Punischen Krieg glanzvoll erneuern ließ, und Konstantinopel neben Rom wieder in das Bewusstsein. Teilweise waren es jene Zentren, die bei der Entstehung des Christentums eine Rolle spielten.
3.5.
Auerbach 1929, 22
Man kann angesichts der divergierenden Meinungen zu diesem Thema folgenden Pfad der Argumentation vorschlagen. Es ist offensichtlich, dass das Christentum keine neue Kunst erfunden, sondern die antike umcodiert hat. Dazu bedurfte es allerdings eines (kunst-)philosophischen Hintergrundes, der die neuen Codes ermöglicht hat. Die Schwierigkeit einer Antwort auf die Frage nach diesem Code entspricht dem Schwanken in der Theologiegeschichte zwischen der Betonung des Leiblichen oder des Geistigen als dem Proprium der christlichen Lehre. Ganz anders als der das Geistige betonende Idealismus meinte etwa der Romanist Erich Auerbach, die christliche Kunst habe einen »Realismusschub« ausgelöst, im Sinne der Betonung der leiblichen Einmaligkeit des Weltseins, das durch die christliche Botschaft gegenüber der Antike so geadelt worden sei. Hans Robert Jauß aktualisierte diese Position und machte sie über die Stufen der Katharsis und des Mit-Leids im Sinne der imitatio Christi anschlussfähig für Kennzeichnungen der modernen Kunst als Ästhetik des Kontingenten, Individuellen, ja Hässlichen.
Jauß 1991, 165–243
Zusammenfassend kann man feststellen, dass sich eine Frontstellung zwischen antiker Lebensbejahung und Sinnesfreude auf der einen und christlicher Lebensverneinung zugunsten einer erhobenen Seele auf der anderen Seite weder an den Kunstwerken selbst noch an den philosophischen Konzepten festmachen lässt. Zutreffender wäre als Kriterium die Dichotomie zwischen einer antik-platonisch-neuplatonischen (die aristotelische Ästhetik geht hier andere Wege) Verneinung des Sinnlichen samt einer Spiritualisierung auf der einen und dem entscheidenden Gehalt des Christentums: Inkarnation und Kreuzesgeschehen auf der anderen Seite. Namentlich für die frühchristliche Kunst kann man mit dieser Dialektik einiges an Klärungen erreichen. Die platonisierende Vermeidung des Sinnlichen hat durch mannigfache Strategien der Spiritualisierung, etwa Ablösung des Realen durch Zeichen oder symbolische Abstraktion, einen Impuls für eine frühe Abstraktion ausgelöst. Die christliche Tradition wiederum wurde dort bilderfreundlich und figurativ, wo sie den inkarnatorischen Impuls in den Vordergrund stellte. Darauf wird zurückzukommen sein.