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6.2. Byzantinische Kunst und Architektur

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4.2.

Die Frage, ob man eine oströmische, byzantinische und spätantike Kunst voneinander unterscheiden kann, ist vor allem, was die Zeit vor Karl den Großen betrifft, schon kunstgeschichtlich diffizil, philosophisch ist sie gar nicht aufzulösen, weil die Kontinuität platonisch-neuplatonischer Tradition ungebrochen fortwirkte. Die gleiche griechische Tradition der Philosophie, die im Kontext des Christentums zu den schon an anderer Stelle erwähnten heftigen theologischen Kämpfen bei der Formulierung von Glaubenswahrheiten führte, hatte einen Niederschlag in Kunst und Architektur.

V.4.2.3.

V.5.1.

In der Kunstgeschichte ist die Wahrnehmung byzantinischer Kunst jüngeren Datums. Namhafte Ausstellungen nach dem Ersten Weltkrieg in, Paris (1931), Worcester (1937), Baltimore (1947) regten das Forschungsinteresse und die Sammlungstätigkeit großer Museen (Dumbarton Oaks bei Washington, New York, Baltimore, London, Paris, Leningrad, Athen) an. Dabei reichte das Interesse an Byzanz bis in die Renaissance zurück, wo zahlreiche Gelehrte aus dem byzantinischen Raum (v.a. nach der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen) in den Westen strömten. Kunst und Architektur kamen bereits seit längerer Zeit durch Künstler, Wissenschaftler, über den diplomatischen Verkehr, aber auch durch die Bedürfnisse kirchlicher Liturgie in den Westen – neben den üblichen liturgischen Geräten auch Gewänder und kostbare Stoffe. Trotz der Konkurrenz mit dem Hof von Karl dem Großen in Aachen und der Hochschätzung der Antike durch die Gelehrten an Karls Hof, blieb über Ravenna und Rom, das neben den antiken Schätzen auch einen reichen Fundus an byzantinischer Kunst besaß, in karolingischer Zeit dieser Kulturkontakt erhalten und prägte die romanische Epoche. Der kulturelle Austausch verstärkte sich in ottonischer Zeit nochmals erheblich durch die guten Kontakte der beiden Kaiserhäuser und jenen zwischen großen Klöstern. In der Geschichte des westlichen Mittelalters stößt man daher immer wieder auf solche Austauschvorgänge mit Byzanz. Die Bedeutung der byzantinischen Kunst und Architektur ergab sich nicht zuletzt daraus, dass sie das kulturelle Vakuum im Westen füllten.

Strzygowski 1901

Trotzdem hielt sich über die Jahrhunderte ein starker Romzentrismus und bisweilen folgte die Einschätzung der byzantinischen Kunst der negativen Bewertung des Byzantinischen Reiches etwa durch Edward Gibbon im 18. Jh. Die andere Seite vertrat unter anderem Joseph Strzygowski, der sich einer solchen Sicht entgegenstellte, indem er die Gegenüberstellung von Orient und Rom besonders pointierte.

Lässt sich ein Ende der byzantinischen Kunst mit der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen ansetzen (auch wenn die byzantinische Kunst in anderen geographischen Gebieten durchaus eine Fortsetzung hatte), ist ein Beginn schwieriger anzugeben. Die Gründung Konstantinopels war ein in die Spätantike eingebetteter Akt. In Byzanz, dieser imposanten Anlage, wo sich zwei Kontinente treffen, zwei Meere begegnen und wichtige Handelswege kreuzen, befanden sich die Sitze von Kaiser und Patriarch, die niemals in ähnliche Gegnerschaft gerieten wie im Westen.

Volbach W. Fritz in Volbach/Lafontaine-Dosogne 1968, 13

Manche verbinden aus dieser Konstellation mit byzantinisch die Tatsache, dass die frühchristliche Kunst vor allem seit Theodosius und Justinian als kaiserliche Machtkunst einen zusätzlichen Aspekt erhielt. In der Kaiserkunst fielen, parallel zur Aneignung christlicher Religion durch den Kaiser, Sakral- und Reichskunst zusammen, galt doch der Kaiser als Statthalter Gottes auf Erden und diese Legitimität gehörte (seit Chalcedon 451 offiziell) zur Identität von Byzanz. »Der Unterschied zur Spätantike drückt sich im 6. Jahrhundert in fast allen Lebensbereichen aus, auch in der Stellung des Kaisers gegenüber der Öffentlichkeit und in seinem Verhältnis zur Kirche. […] Hier wird die menschliche Person in orientalischem Geist zu einer überirdischen Erscheinung gesteigert.« Dies lässt sich kunst- und architekturgeschichtlich durchaus nachvollziehen. Das ab Justinian in strenger Übereinstimmung mit der Orthodoxie entwickelte einheitliche Kunstprogramm in der Architektur der Zentralbaukirche und in der Definition der Ikone, die als Kultbild das Repräsentationsbild ablöste, erwies sich – wie der Bilderstreit bald zeigen sollte – als enorm stabil und eigenständig. Es ging dabei keineswegs nur um ästhetische Fragen, sondern um philosophische Inhalte und um das politische Selbstverständnis des Byzantinischen Reichs.

Die byzantinische Kunst erscheint als beständiges, ja – angesichts einer tausendjährigen byzantinischen Periode – als neben Ägypten beständigstes Kunstprogramm der Geschichte. Allerdings sind, wie oben angemerkt, die Unterschiede zwischen den einzelnen Dynastien nicht unerheblich.

Schreiner 2007, 64

Wessel 1999, 1171

Bredekamp 1975, 79

Hieronymus, zit. nach Pekáry 2007, 123

Deckers 2007, 104

Eusebius, Vita Const., III, 58; III, 54

Die byzantinische Kunst war eine Fortsetzung der spätrömischen Kunst und begann mit einem gigantischen Transfer von Kunstwerken in die neue Kapitale. Neben Skulpturen und Friesen wurden ganze Säulen und Architekturteile nach Byzanz gebracht. So sollen allein in und bei der Hagia Sophia über vierhundert antike Bildnisse gestanden haben. Das Hippodrom und die Fora waren geradezu Freilichtmuseen antiker Standbilder. Hieronymus schrieb entrüstet: »Konstantinopel wird eingeweiht, durch die Entblößung fast aller anderer Städte.« Diese wurden von den Christen nicht mehr als (heidnische) Kultbilder klassifiziert, sondern als Kunstwerke wahrgenommen. Erst die Kreuzfahrer zerstörten sie im 13. Jh. Und natürlich waren sie vielen bilderfeindlichen Theologen ein Dorn im Auge. Eusebius feiert in seiner Konstantinsvita die »herrlichen Taten des Kaisers«, überall die alten heidnischen Tempel niederreißen zu lassen und die »Götzenbilder« dem Feuer zu überantworten. Zudem will er uns weismachen, die Standbilder seien dort bewusst aufgestellt worden, um sie der Lächerlichkeit preiszugeben. Die neue Dynamik zog zahlreiche Künstler in die neue Metropole, obwohl man sie im Westen durch Steuervergünstigungen zum Bleiben animierte.

Hutter/Holländer in BSG III, 86; Grabar 1964, 7f

Worringer 1908, 48

VIII.6.2.2.

Gründe für die Abkehr von der antiken Kunst wurden bereits angesprochen. Die in diesem Zusammenhang oft genannten drei Ursachen: ein primär geistiges Verständnis von Christentum (insbesondere im asketischen Mönchtum), die anagogische Funktion des Platonismus und die Ritualisierung der Kaiserliturgie könnten vielleicht für eine zureichende Beschreibung dienen, was man mit »byzantinischer Kunst« verbindet. Die byzantinische Kunst verlor die Leichtigkeit des Narrativen zugunsten einer zunehmend strengen und vergeistigten Komposition. In der Malerei verschwand der hellenistische Illusionismus und machte klarer Ordnung, Harmonie und Statuarik Platz. Ruhige Ausgewogenheit trat an die Stelle von Spannung. Die spezifischen Bildmittel der nachikonoklastischen Ikone, die das Bild transparent auf das Intelligible und zeitlos Transzendente machen, heben an. In diesem teilweise (wie in der Ikonenmalerei) rigorosen Rahmen kann man die Verkörperung einer zeitlosen Wahrheit, die Universalität der zu größter Meisterschaft gediehenen meditativen Spiritualität im Kunstwerk oder aber eine dogmatische und machtpolitische Verknöcherung der ursprünglich lebensfrohen spätantiken Kunst sehen. Letzteres empfand Wilhelm Worringer, der meinte, dass weder bei der Betrachtung der »tote[n] Form« einer ägyptischen Pyramide, noch bei der »Lebensunterdrückung« von byzantinischen Mosaiken eine Einfühlung gelinge.

8.4.

Hutter/Holländer in BSG III, 94

Coche de la Ferté 1982, 30

Maguire/Maguire 2007

Entgegen diesem Eindruck beansprucht von der kunstphilosophischen Anlage her die Ikone dynamische Transparenz. Gleichzeitig erscheint sie als Kunstwerk besonderer Stabilität und Dauer. Kunst erhält – christlich-neuplatonisch aufgeladen – einen Verweisungsbezug. Rein formal darf nicht übersehen werden, dass sich in der byzantinischen Kunst – bei aller grundsätzlichen Konstanz – etliche »Renaissancen« ausmachen lassen, von denen jede »ein eigenes Bild der Antike erwirbt.« Daher ging die hellenistische Leichtigkeit nie ganz verloren und manch ein Kunsthistoriker sah tendenziell an der Peripherie und in der Provinz eine Begünstigung der Stilisierung, während »die Prägung durch die griechische Kultur die Sensibilität des Künstlers öfter zu einer eher naturalistischen Darstellungsweise anregte.« Zudem ist byzantinische Kunst nicht auf reine Sakralkunst einzuschränken, auch wenn ein erheblicher Teil der Kunst von Mönchen hergestellt worden sein dürfte. Viele Zeugnisse profaner Kunstwerke bezeugen dies eindrucksvoll. Byzanz wurde berühmt durch seinen sagenhaften Reichtum und Luxus. In der Tat wurde die unübersehbare Flut von Luxuskünsten, die Marmor-, Mosaik-, Elfenbein- und Emailkunst, die Seidenweberei und Goldschmiedekunst in das Kunstprogramm, auch in das theologische, nahtlos eingebaut. Auch hier gab es diesen Luxus rechtfertigende spirituelle Metaerzählungen.

Mathew 1963

Gervase Mathew versuchte, eine ausdrückliche byzantinische Ästhetik zu beschreiben. Der Dominikanerpater und Kunsthistoriker kennzeichnete eine solche durch vier Faktoren: Geschmack im Sinne der griechisch-römischen Tradition, ein mathematisch-geometrisches Verständnis von Schönheit, ein hervorstechendes Interesse für Optik und Licht und die Annahme einer geistigen Welt, die in der empirischen ihren Schatten findet. Ich bezweifle, ob man mit einem solchen Paket dem, was in einem ganzen Jahrtausend in Konstantinopel passierte, gerecht wird. Zwar haben alle diese Charakteristika ihre Berechtigung und sie werden im Folgenden Leitlinien abgeben, aber es gibt doch eine große innere Differenzierung, die sich besser mit anderen Verweisen rekonstruieren lässt. Der erste Punkt bei Mathew, die griechisch-römische Tradition, ist ein weites Feld von der klassischen Antike bis zu der spätantiken und hellenistischen Kunst, die weiteren drei Punkte gehören alle in den platonisch-neuplatonischen Kontext und sollen auch von dieser philosophischen Option her besprochen werden.

Partsch 2004, 254f

Ähnlich wie in Rom sind wir zum Unterschied von den Auftraggebern und Stiftern über die Stellung der Künstler in Byzanz schlecht unterrichtet. Es gibt kaum Biographien. In der Baukunst unterschied man den mechanikos vom architekton, wobei entgegen dem heutigen Verständnis der mechanikos angesehener war, ein Baumeister mit mathematischen Kenntnissen.

Swift 1951, 70ff

Zaloziecky 1936

Was die Architektur betrifft, verweisen Architekturhistoriker gerne auf die Farbigkeit, die zum Orient gehört, und auf die eigenwillige Auffassung des (gewölbten) Raums, der sich durch die Mosaizierung auflöst. Auf die bisweilen daraus folgende Gegenüberstellung von Orient und Rom, wie sie Joseph Strzygowski vertrat, wurde eben hingewiesen. Inzwischen fand man zu einer ausgewogenen Betrachtung, die freilich orientalische Wurzeln nicht leugnet, diese aber längst in westlichen Vorbildern aufgesogen sieht.

V.7.3.6.1.

Die Motive der Kunst und Architektur von Byzanz verbreiteten sich über ganz Europa, sie legten eine Grundform fest, die sich im Westen im Lauf des Mittelalters kreativ und eigenständig weiterentwickelte. Der größte Meilenstein zu dieser Eigenständigkeit war die Wende des Hochmittelalters zu Aristoteles, und zwar zu einem originären, von platonischer Deutungshoheit befreiten Aristoteles. Dieser Paradigmenwechsel führte von der byzantinischen Tradition weg bis zur völligen »Befreiung« von der maniera greca in der Renaissance. Aber auch dort blieben Enklaven der byzantinischen Kunst wie Venedig oder Pisa noch lange intakt.

Kunstphilosophie und Ästhetik

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