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Vier
ОглавлениеDer Flug war stets der lästigste Teil bei manchen Geschäften. Was dazu führte, dass Karl Grothner, den ohnehin ständig die Aura des Schlechtgelaunt-seins umgab, zu noch weniger Konzessionen und Kompromissen bereit war als ohnehin üblich. Sein Anwalt hatte ihm nahegelegt, diese kurze Dienstreise zu unternehmen, um persönlich für das letzte Quäntchen Überzeugungskraft zu sorgen. Mit rein juristischen oder betriebswirtschaftlichen Argumenten sei dem betreffenden Gesprächspartner nicht beizukommen. Es bedürfe dieser »speziellen« Verhandlungsweise, wie sie nur Grothner zu eigen sei. Und so stieg Karl Grothner mit seinem Anwalt und zwei seiner Leibwächter in den Firmenjet und flog nach Den Haag, um dort eine mittelgroße Spedition zu kaufen und danach sofort zu zerschlagen. Die Spedition wurde durch einen einzigen Mann gelenkt, Daniel Dickens, der dem Unternehmen auch den Namen gab: »Dickens Transport«. Ihm war es gelungen, einen europaweit agierenden Lebensmittelkonzern davon zu überzeugen, ihm allein die Transporte von Rohstoffen innerhalb der Benelux-Staaten zu überlassen. Damit kam er aber der »Grothner Transport & Logistic« in die Quere, die ebenfalls Verträge mit dem Lebensmittelkonzern hatte. Grothner ließ kontinuierlich den Druck auf Daniel Dickens erhöhen und warb Kunden des Spediteurs ab. Dickens musste gemerkt haben, dass ihm ein wirklicher Riese in diesem Geschäft den Krieg erklärt hatte, doch der Niederländer war stur und uneinsichtig.
Im nächsten Schritt schickte Karl Grothner ihm seinen privaten Anwalt auf den Hals. Dr. Krieger war ein Jurist in Reinkultur. Einer der ganz wenigen Menschen in Grothners innerem Zirkel, der Fragen stellen durfte, ohne gefeuert zu werden. Weil er der Einzige war, dem es manchmal gelang, Schwachstellen in Grothners Strategien zu erkennen. Dr. Krieger war ein hochgewachsener, sehr stämmiger Mann mit etwas zu langem, fast weißem Haar. Er trug stets einen schwarzen Anzug und eine rote Seidenkrawatte, die mit einem gestickten Paragraphenzeichen versehen war. Trotz der Tatsache, dass es Zahnersatz und Brücken in keramischer Form gab, die als solche nicht zu erkennen waren, besaß Dr. Krieger zwei Goldzähne, einen rechts und einen links im Oberkiefer, was ihm die Aura eines Dinosauriers verlieh und seinem Lachen etwas Unheimliches gab. Dr. Krieger war Karl Grothners Vollstrecker. Bei ihm ging es niemals darum, ob etwas ging, sondern nur wie es zu bewerkstelligen war. Und wenn alle Mittel versagten, erstattete Dr. Krieger Bericht und Karl Grothner musste die Hinrichtung seiner Gegner selbst bewerkstelligen.
Unangenehm für alle Beteiligten. Grothner hatte seine Beziehungen spielen lassen und seinen »Schnüffler« von der Leine gelassen. Karl Grothner nannte den Mann nur »den Schnüffler«, ein Privatdetektiv, dessen kriminelle Vergangenheit Grothner völlig egal war. Auf seinen »Schnüffler« war auch dann Verlass, wenn alle anderen, legalen Mittel versagten. Und auch im aktuellen Fall hatte der Mann interessante Dinge ausgegraben, Munition für Grothner, um seinen Gegner zur Strecke zu bringen.
Dr. Krieger hatte den Termin bei Daniel Dickens angebahnt und Dickens hatte erst nach Wochen eingewilligt, Karl Grothner zu treffen und mit ihm persönlich zu reden. Als Grothners Mietlimousine auf das Gelände der Spedition einbog, stand Dickens hinter dem Fenster seines Büros und verfluchte den Tag, an dem er in den Fokus des Interesses der Grothner-Gruppe geraten war. Er führte die Spedition nun in vierter Generation und hatte den Führungsstil seiner Vorfahren fortgesetzt. Er hatte die Spedition vergrößert und sie zu einem florierenden Unternehmen geschmiedet. Jeder seiner Angestellten wurde von ihm als Freund betrachtet und auch so behandelt. Es gab keine personelle Fluktuation bei »Dickens-Transport«, die Zufriedenheit seiner Mitarbeiter war das Ergebnis seines stets freundlichen, ehrlichen, aber auch konsequenten Umgangs mit ihnen. Und die Verlässlichkeit in der Umsetzung aller Aufträge war auch in den Kreisen der Mitbewerber anerkannt. Dickens hatte schon oft unter Druck gestanden. Er hatte seine Firma durch alle Krisen geführt, und er war davon überzeugt, auch diese Krise meistern zu können. Daniel Dickens war ein schlanker, hochgewachsener Mann von fast zwei Metern Körpergröße. Für seine fünfundsechzig Jahre wirkte er sehr sportlich, und seine grauen Haare verliehen ihm etwas seriöses. Ein Eindruck, der durch die goldgefasste Brille noch verstärkt wurde. Er trug stets einen gepflegten Anzug, keine Nobelmarke, aber doch teuer genug, um zu demonstrieren, dass er in der Firmenhierarchie ganz oben stand. Trotz seines sehr fairen Führungsstils strahlte er Autorität aus und er war sehr starrsinnig und selbstbewusst in dem, was er wollte, oder eben nicht wollte. Seine Sekretärin, ungewöhnlich blass, öffnete die Tür zu seinem Büro und teilte ihm mit, dass »die Herren aus Deutschland« jetzt da seien. Er nickte nur und Karl Grothner betrat das Büro des Spediteurs. Ihm folgte der Anwalt, der ihn in den vergangenen Wochen so sehr bedrängt hatte. Der Anwalt nickte Dickens nur kurz zu und stellte eine Aktentasche und einen Laptop auf den Besprechungstisch in der Mitte des Raumes. Dann verließ Dr. Krieger das Büro wieder und Dickens war mit Grothner allein.
»Setzen wir uns!«, sagte Karl Grothner knapp und Dickens fühlte sich, als sei er der Gast hier. Ohne seine Reaktion abzuwarten, nahm Karl Grothner an dem Besprechungstisch Platz. Der Tisch bestand aus einer rechteckigen Mahagoniplatte. In der Mitte standen einige Gläser und verschiedene Getränkeflaschen. Daniel Dickens versuchte, so souverän wie möglich zu klingen.
»Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?«
»Sparen Sie sich die Höflichkeiten, ich habe hier die Verträge für die Übernahme, Sie unterschreiben, packen Ihre Sachen und verlassen das Firmengelände. Und dann, vielleicht, wünsche ich eine Erfrischung.« Grothners Stimme war nicht laut, aber sie war fest, klar und kalt. Dickens starrte ihn an, als hätte Grothner einen irrsinnigen Knittelvers aufgesagt.
»Sind Sie noch ganz bei Trost? Sind Sie völlig irre? Ich habe dem Gespräch nur zugestimmt, damit ich Ihnen ins Gesicht sagen kann, dass Sie niemals, niemals diese Firma übernehmen werden. Nicht, solange ich lebe und auch danach nicht. Verlassen Sie sofort mein Büro und lassen Sie sich nie wieder blicken.« Feine Speicheltropfen stoben von Daniel Dickens Lippen, als er diese Worte geradezu herausschrie. Sein niederländischer Akzent verlieh dem Gesagten noch mehr Ernsthaftigkeit als der Groll, der in seiner Stimme mitschwang. Mit hochrotem Kopf stand Dickens vor dem Mogul, die Fäuste fest gegen die Hüften gepresst. Grothner griff zu seiner Aktentasche und suchte scheinbar unbeteiligt einige Papiere heraus. »Der Vertrag.« Er griff in die Innentasche seines Sakkos und förderte einen edlen, schwarzen Füllfederhalter zutage, den er sanft auf den Stapel Papiere legte. »Unterschreiben!«
»Sie sind völlig wahnsinnig!« Dickens versagte die Stimme.
»Bin ich das? Was ist denn in Ihren Augen Wahnsinn? Eine Firma zu übernehmen im Zeitalter der Globalisierung? Oder Mord? Tausendfacher Mord? Beihilfe zum Völkermord?« Grothner sprach die Worte ruhig, fast feierlich, ohne seinen Gegner dabei aus den kalten Augen zu lassen.
»Was ist Wahnsinn?« Die letzten drei Worte hatte er deutlich lauter gesprochen. Am ganzen Körper bebend stand Daniel Dickens im Raum, seine Hände öffneten und schlossen sich in schnellem Rhythmus.
»Raus! Auf der Stelle raus!!«, brüllte der, nun nicht mehr souveräne, Spediteur. Unbeeindruckt griff Grothner wieder in die Aktentasche und zog ein weiteres Blatt Papier heraus.
»Dies ist eine beglaubigte Kopie, die mir freundlicherweise vom Bundesarchiv in Leipzig zur Verfügung gestellt wurde. Das Schreiben ist datiert vom 2. September 1942. Absender ist das Reichssicherheitsamt in Berlin. Das Amt beauftragt Ihren werten Herrn Vater mit dem Transport von Industrieanlagen von Erfurt zu einem Ort in Polen, den sie vielleicht kennen. Ah, hier steht es ja. Der Ort heißt Auschwitz. Die Industrieanlagen sollen bei einer Firma J. A. Topf und Söhne in Erfurt geladen und in dieser seltsamen polnischen Stadt wieder abgeladen werden. Auftraggeber ist ein Herr Karl Bischoff. Bauleiter der SS.«
Wieder griff Grothner in die Aktentasche. Diesmal hielt er mehrere Blätter in der Hand. »Ah, das ist ja interessant. Sie haben für die Nazis auch nach Dachau, Gusen und Mogilev geliefert. Immer Industrieanlagen der Firma Topf und Söhne. Und hier, schauen Sie mal, auch nach Buchenwald. Ist das nicht gleich bei Erfurt?« Lässig warf Karl Grothner die Papiere auf den Tisch. Ein letzter Griff in die Aktentasche. »Ladepapiere, einige tragen die Unterschrift Ihres Vaters und Ihres Großvaters.« Grothner schloss kurz die Augen, als wolle er einen lästigen Gedanken aus seinem Inneren vertreiben. Dickens stand völlig erstarrt und leichenblass immer noch an derselben Stelle wie zu Beginn dieses Gespräches. »Dreimuffelöfen«, las Grothner vor. »Und hier ... gasdichte Fenster und Türen. Und hier, ein Dankschreiben, unterschrieben von Ihren Vorfahren, für die gute Zusammenarbeit und voller Hoffnung, das alles zur vollsten Zufriedenheit des Führers abgewickelt wurde. Wissen Sie, werter Herr Kollege, was Dreimuffelöfen sind? Nein? Es sind Krematorien. Sie haben den Nazis die Mittel beschafft, sie mit den Mitteln versorgt, um hunderttausende Menschen umzubringen.« Grothner machte eine Kunstpause. »Nun gut.« Er griff zu dem Laptop und klappte ihn auf. Nach Sekunden zeigte der Bildschirm das Logo eines bekannten Internetdienstes.
»Da Sie sich beharrlich weigern, Ihre Firma zu veräußern, werde ich diese Information nun in einer bereits vorformulierten Mail an alle Geschäftspartner, an die Spediteursgewerkschaft, an Ihre und meine Regierung und natürlich an alle Ihre Kunden weiterleiten. Zudem habe ich im Verteiler dieser Mail sämtliche Medienvertreter aufgenommen, die an dieser Information Interesse haben könnten.« Demonstrativ griff Grothner zu dem schwarzen Füllfederhalter und steckte ihn wieder ein. Dickens hatte sich aschfahl auf einen der Stühle gesetzt und betrachtete mit zitternden Händen die Papiere, die Karl Grothner auf den Tisch gelegt hatte.
»Das ... das wusste ich nicht. Ich ... ich habe das nicht gewusst.«, stammelte der Niederländer.
»Tja, jetzt wissen Sie es. Ich brauche gar nichts mehr zu tun. Ich drücke diesen Knopf hier und fege in drei Wochen die Scherben zusammen, die von Ihrer Spedition übrig geblieben sind. Das war es, schönen Tag noch.« Grothner stand auf.
»Nein, warten Sie. Bitte. Bitte senden Sie das nicht ab. Wir reden, ich rede mit Ihnen. Das darf nicht ... das darf niemals ... meine Familie ... bitte, reden Sie mit mir.« Dickens Stimme zitterte und Tränen standen in seinen Augen.
Seine Brille hatte er abgenommen und auf den Tisch gelegt, ein Zeichen völliger Resignation. Mit flehendem Blick sah er Grothner an. Dieser musterte ihn wie ein exotisches Insekt. Ohne ein Wort zu sagen, holte er erneut den Füller hervor und warf ihn Dickens zu.
»Überall, wo ein Kreuz ist.« Daniel Dickens unterschrieb nicht sofort. Er blätterte die Seiten durch und stutzte, als er den Kaufpreis sah. Seine Spedition war mindestens das Zehnfache wert.
»Das ist doch nicht Ihr Ernst! Die Kaufsumme ist doch nicht wirklich Ihr Ernst! Alleine der Fuhrpark ist das Doppelte wert. Ich kann Ihnen doch meine Firma nicht schenken.« Der Niederländer sah Grothner verzweifelt an.»Wenn ich hier auf diese Taste drücke, ist Ihre Firma nicht mal mehr einen Cent wert«, flüsterte Grothner und hielt den rechten Zeigefinger auf der »Enter«-Taste.
»Ich flehe Sie an. Mit dem Kaufpreis kann ich nicht leben. Das ist viel zu wenig. Ich muss doch auch an meine Familie denken.«
»So wie Ihr Vater an die Familien der Leute gedacht hat, die die Nazis in die Dreimuffelöfen geschoben haben? Unterschreiben Sie!« Dickens erkannte intuitiv, dass seine Karriere als Geschäftsmann jetzt und hier endete und er fügte sich in sein Schicksal.
Eine Minute später gehörte Karl Grothner die Firma.
»Bitte löschen Sie jetzt die Mail«, flüsterte der Geschlagene. Grothner legte seine Fingerspitzen aneinander und schaute darüber hinweg seinen ehemaligen Gegner an.
»Wissen Sie, warum sich der Hund an den Eiern leckt?«, fragte Karl Grothner den irritiert blickenden Dickens.
»Weil er es kann!«, sagte der neue Besitzer von »Dickens-Transport« und drückte den »Senden«-Button.
Leichenblass saß der vernichtete Dickens an Grothners Tisch in Grothners Büro, als dieser den Raum verließ und seinem Anwalt nur kurz zunickte. Dieser nahm die Papiere vom Tisch und verstaute sie in der Aktentasche. Er klappte den Laptop zu und nahm ihn unter den Arm. Kurz blitzten seine Goldzähne auf. »Einen schönen Tag noch.« Der Anwalt folgte seinem Herrn zur Mietlimousine. Er setzte sich wortlos auf den Beifahrersitz. Es gab nichts zu besprechen. Seine Arbeit war es nun, die Trümmer, die von »Dickens-Transport« übrig geblieben waren, zusammenzukehren, die Pressearbeit zu veranlassen und neue Verträge zu formulieren, mit denen der Finanzorganismus des Grothner-Imperiums weitere Facetten erhielt. Karl Grothner saß im Fond des Fahrzeuges und sah aus dem Fenster. Er hatte die Oberlippe leicht hochgezogen und seine schneeweißen Zähne blitzten zwischen den schmalen Lippen hervor. Seine Mundwinkel wiesen dabei nach unten, was seinem Gesicht etwas Bösartiges verlieh. Einer der seltenen Momente, in denen er lächelte. Eine Stunde später hob der Learjet ab und brachte Karl Grothner und sein Team zurück nach Deutschland. Am Flughafen erwartete die Gruppe bereits die Cheflimousine und der Land Rover für die Leibwächter. Die Fahrt ging in Richtung des Wohnsitzes des Multimillionärs. Es war bereits dunkel, als die Kolonne das Anwesen erreichte.