Читать книгу Das neue Easy-Fasten - Bernhard Hobelsberger - Страница 14
ОглавлениеVALTER LONGO UND DIE ERFINDUNG DES SCHEINFASTENS
Hinter der Fasting Mimicking Diet (FMD) steckt Valter Longo, ein italo-amerikanischer Gerontologe und Direktor des kalifornischen Longevity Institutes. Valter Longo – schlanke Figur, offenes Hemd, dunkle, kaum gezähmte Wuschelhaare – ist trotz seines jungenhaften Äußeren ein kompromissloser Wissenschaftler. Wie es sich für einen Professor der Gerontologie und Biowissenschaften gehört, gründet er sein Ernährungsprogramm auf stichhaltige Studien und auf eine langjährige Expertise: Bereits als Doktorand an der Universität von Kalifornien in Los Angeles (UCLA), Anfang der 90er-Jahre, untersuchte der passionierte Jungwissenschaftler, wie sich ein tägliches Kalorienminus von 30 Prozent auf die Immunalterung bei Mäusen und Menschen auswirkt.
DER LANGE WEG ZUR ANERKENNUNG
Nach zwei Jahren erkannte der ehrgeizige Valter Longo, dass ihm die Versuchsobjekte das Geheimnis ihres Alterungsprozesses nicht so schnell preisgeben würden, wie er sich erhofft hatte. »Diese Organismen waren zu komplex, um in relativ kurzer Zeit die für das Altern verantwortlichen Gene zu identifizieren«, schreibt er in seinem internationalen Bestseller »Iss dich jung«. Ungeduldig wechselte er zu einem Gegenstand, der schnellere Erkenntnisse versprach – der Backhefe Saccharomyces cerevisiae. Diese Einzeller sind eine beliebte Spielwiese für Genetiker, weil sie in ihrem Aufbau den menschlichen Zellen ähneln. Zudem lassen sich einzelne Teile des Erbguts leicht entfernen oder hinzufügen.
Dem Altern auf die Spur gekommen
Longos Wechsel in die Biochemie zahlte sich rasch aus. Unterstützt von namhaften Genetikern, Biochemikern und Molekularbiologen, die ihre Labore mit dem Nachwuchswissenschaftler teilten, entdeckte er 1994 das erste Gen überhaupt, das den Alterungsprozess in Organismen steuerte. Zudem arbeitete Longo heraus, dass zwei Nährstoffe das Altern beschleunigten: nämlich Zucker und Proteine. Ließ man die Hefen hungern, indem man sie von einer nährstoffreichen Lösung in reines Wasser versetzte, blieben sie doppelt so lange am Leben. Zucker war der Nährstoff, der die Einzeller am schnellsten altern ließ, weil er ihre Altersgene aktivierte und jene Enzyme abschaltete, die die Hefen vor Oxidation schützten. Die erste von mehreren bahnbrechenden Entdeckungen, die den Weg für die Scheinfasten-Diät ebneten! (Mehr zum Thema Oxidation lesen Sie im Abschnitt »Die Formeln des Alterns«, siehe >).
Wie so häufig bei Entdeckungen, die der Zeit voraus sind, passierte erst einmal wenig. Der 27-Jährige publizierte den von ihm und seinen Mentoren gewonnenen Fund in einer Dissertation, doch die maßgebliche Fachzeitschrift »Cell« weigerte sich, seine Studie zu veröffentlichen. Die Behauptung, dass ein bestimmtes Gen den Alterungsprozess in einem Organismus steuert und dass Zucker diese biologische Uhr schneller ticken lässt, klang allzu überspannt, zumal aus dem Mund eines weithin unbekannten Jungforschers. Als Longo seine Untersuchung zum Stoffwechselweg des Alterns auf der Gordon Conference on the Biology of Aging 1996 den federführenden Experten für Alterungsbiologie vorstellte, erntete er ungläubiges Schweigen. »Die Koryphäen dieses Fachs (…) musterten mich mit einem Gesichtsausdruck, der in etwa besagte: ›Wer ist dieser Student, und worüber redet er?‹«.
Das Blatt wendet sich
Doch allmählich wendete sich das Blatt, nicht zuletzt, weil andere Forscher ähnliche Alterungsgene bei Fruchtfliegen und Fadenwürmern entdeckten. Auch in Longos Labor an der Universität von Südkalifornien fand man weitere Stellen im Erbgut, die durch Aminosäuren aktiviert werden und die Umwandlung von jungen in alte Zellen beschleunigen. Während Longo nahezu pausenlos im Institut arbeitete – in einem Interview mit der englischen Tageszeitung »The Times« gab er an, praktisch nie Urlaub zu machen –, gewannen seine Theorien in der wissenschaftlichen Community an Boden. Fremde Labore bestätigten die Studien. Und das angesehene Fachblatt »Science« erkannte, dass Longos Untersuchungen einen Paradigmenwechsel eingeläutet hatten, der half, die Genetik des Alterns besser zu verstehen. 2001 wurden seine Untersuchungen schließlich veröffentlicht, sieben Jahre nachdem er sie erstmals eingereicht hatte. Im selben Jahr wechselte er auf einen Lehrstuhl an die Davis School of Gerontology an der USC von Los Angeles, dem weltweit bedeutendsten Institut, das sich exklusiv der Altersforschung widmet.
EIN ROCKSTAR AUF ABWEGEN
Valter Longo wuchs in Ligurien und Kalabrien auf. Erst 16 Jahre alt, wanderte er mitsamt E-Gitarre und transportablem Verstärker in die USA aus, um Rockgitarrist zu werden. Der angehende Musikstar kam in Chicago bei Verwandten unter und tauchte rasch in die Musikszene der US-Metropole ein. Nach drei Jahren meldete er sich freiwillig für das Militär, um seine Ausbildung zu finanzieren, und begann anschließend ein Studium an der Universität von Nord-Texas (UNT), einer der gefragtesten Musikhochschulen der Welt. Neben dem Jazz beschäftigten Longo allerdings auch die Themen Altern und Gesundheit. Er hatte erlebt, dass der amerikanische Zweig seiner Verwandtschaft, der sich von Fleisch, Käse, Nudeln und Süßem ernährte, früh an Herz-Kreislauf-Erkrankungen starb, wohingegen die Familienmitglieder in Süditalien, die nach Art der Mittelmeerküche viel Gemüse, Hülsenfrüchte, Olivenöl und Fisch aßen, von diesen Leiden verschont blieben und zumeist ein hohes Alter erreichten. Longos Geburtsort, das kalabrische Bergnest Molochio, zählte vier Bewohner mit über hundert Lebensjahren. Der endgültige Entschluss, die Partituren mit der Pipette zu tauschen, fiel im zweiten Jahr an der Universität. Eines Tages wurde ihm von der Hochschule offenbart, dass er sich wie seine Kommilitonen für einen Kurs einzuschreiben habe, der das Dirigieren einer Musikkapelle vorsah. »›So eine Art Spielmannszug? Niemals‹, dachte ich«, erinnert sich Longo in seinem Buch. »Ich war Rockmusiker und niemand konnte mich zwingen, eine dieser albernen Uniformen anzulegen.« Den unerwünschten Studieninhalt nahm er zum Anlass, in das Fach Biochemie zu wechseln und seiner zweiten Leidenschaft zu folgen: der Frage, welche Ernährung ein langes, gesundes Leben verheißt.
Reichlich gesunde Fette, z.B. aus Oliven, sind ein wichtiger Baustein der Scheinfasten-Diät.
MIT KALORIENENTZUG GEGEN KREBS
Das neue Jahrtausend brachte noch einen weiteren Umbruch für Longo und seine Mitarbeiter. Bis 2003 beschäftigte er sich hauptsächlich mit der Genetik des Alterns bei der Backhefe sowie mit der Alzheimerkrankheit bei Mäusen. Im Grund ging es ihm aber immer um die medizinische Anwendung. Mit der finanziellen Unterstützung des US-Gesundheitsministeriums und im Team mit anderen namhaften Wissenschaftlern erweiterte der frisch ernannte Professor für Gerontologie, Biologie und Neurobiologie seine Fastenforschung auf ein neues Gebiet: Krebs! Seine Arbeitshypothese: Durch den vorübergehenden Kalorienentzug sollten die Karzinomzellen von Patienten für die Chemotherapie sensibilisiert werden, während die gesunden Zellen von den bereits bekannten Schutzmechanismen des Fastens profitierten. »Differenzielle Stressresistenz« nannte der Gerontologe dieses Phänomen – also Trouble für den Tumor, Erholung für das gesunde Gewebe. Der erhoffte Nutzen für die Patienten während ihrer Chemotherapie: weniger Übelkeit, Erbrechen und Müdigkeit bei gleichzeitig besserem Ansprechen auf die Zellgifte.
Fasten bei Krebs?
Es zeigte sich jedoch schnell, dass selbst ein lediglich dreitägiges Wasserfasten im Zusammenhang mit einer Krebsbehandlung nicht durchzusetzen war. Sowohl die zuständigen Onkologen als auch die Patienten selbst befürchteten angesichts der zehrenden Erkrankung und strapaziösen Therapie, dass ein Nahrungsverzicht den ohnehin geschwächten Körper über den Abgrund stoßen würde. Eine Befürchtung, die nicht von ungefähr kommt. Viele Menschen mit Krebs verlieren dramatisch an Fett und Muskelmasse.
»Die Aussichten waren faszinierend, die Ergebnisse niederschmetternd«, erinnert sich Valter Longo angesichts der ausbleibenden Probanden in seinem Buch »Iss dich jung«. Eine neue Strategie musste her! Gesucht war eine Diät, die die Wirkung der Krebstherapie optimierte, zugleich aber sicherstellte, dass die Patienten ausreichend ernährt wurden. Dank der jahrelangen Grundlagenforschung von Longo war das passende Rezept rasch gefunden: Die Lösung lag in einer Ernährung, die hochkalorischen Zucker und tierisches Eiweiß vom Teller verbannte, aber reichlich gesunde Fette lieferte. Die Kost täuscht den Zellen einen strengen Kalorienentzug vor, stellt aber mit 700 bis 1200 Kilokalorien täglich genug Energie bereit, um den Körper nicht zu schwächen. »Wir nannten sie Fasting Mimicking Diet«, so der Altersforscher.
Vielversprechender Ansatz: Scheinfasten bei Krebs
Die Erprobung im Tiermodell ergab, dass das Scheinfasten – zweimal monatlich für jeweils vier Tage angewendet – alle Erwartungen erfüllte. Es versetzte die Körperzellen ebenso in den Schutzmodus wie ein radikales Wasserfasten. Die Anzahl der Krebsfälle sank um fast die Hälfte, zudem traten die Tumoren in höherem Alter auf und erwiesen sich oft als gutartig. Daneben offenbarte die protein- und zuckerarme Diät noch weitere Benefits. Bei den älteren Tieren besserte sich das Gedächtnis, ihr Immunsystem verjüngte sich und die Lebensdauer stieg während der Chemotherapie um bis zu 18 Prozent. Longo habe »ein magisches Schild« gegen Krebs entdeckt, berichteten Presse und Fernsehen, als der Forscher im Jahr 2008 die Ergebnisse seiner ersten Studien vorstellte.
In den vergangenen Jahren bestätigten eine Reihe tierexperimenteller Studien anderer Labore, dass sowohl Fasten als auch Scheinfasten vor den Nebenwirkungen zahlreicher zytostatischer Medikamente schützt. Außerdem verstärkt die Fasting Mimicking Diet im Tierversuch den Effekt der Standardchemotherapie unter anderem bei Brust-, Darm- und Prostatatumoren. Auch einige kleinere Studien mit Menschen sind bereits abgeschlossen. Sie bescheinigen, dass Patienten weniger unter einer Krebsbehandlung leiden, wenn ihr Fastenstoffwechsel kurzeitig aktiviert wird. So vielversprechend die Ergebnisse sind: Noch liegen zu wenig Daten vor, als dass Onkologen Betroffenen empfehlen würden, eine Kalorienreduktion als Begleittherapie außerhalb von klinischen Untersuchungen anzuwenden.
SCHEINFASTEN FÜR JEDERMANN
Aufgrund seiner tierexperimentellen Forschung stand für Valter Longo jedoch schon früh fest, dass nahezu jeder Mensch davon profitiert, wenn er sich einige Tage von Mahlzeiten ernährt, die arm an Energie, Proteinen sowie Zucker sind. Aus diesem Grund entwickelte er eine fünftägige Scheinfasten-Kur für jedermann. Sie ist als Fastenpaket erhältlich (siehe >) und lieferte zugleich die Inspiration für die Rezepte in diesem Ratgeber. Im Gegensatz zu der ursprünglich für Krebspatienten entwickelten Kostform enthält diese Scheinfasten-Variante so viele Kalorien, Vitamine und essenzielle Nährstoffe, dass gesunde Menschen sie mehrmals im Jahr durchführen können, auch ohne Unterstützung durch Ernährungsberater oder Ärzte.