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II. Deklarations-Text und Problembereiche
ОглавлениеInsgesamt sieben grundlegende Prinzipien der Völkerrechtsordnung, die zudem Aufnahme in die UN-Charta gefunden haben, werden in der FRD näher spezifiziert:
1. | Prinzip: → universelles Gewaltverbot (Art. 2 Ziff. 4 UN-Ch.); |
2. | Prinzip: Gebot → friedlicher Streitbeilegung (Art. 2 Ziff. 3 UN-Ch.); |
3. | Prinzip: → Interventionsverbot (Art. 2 Ziff. 1 und Ziff. 7 UN-Ch.); |
4. | Prinzip: Kooperationsgebot (Art. 1 Ziff. 3, Art. 55 ff. UN-Ch.); |
5. | Prinzip: Grundsatz der Gleichberechtigung und → Selbstbestimmung der Völker (Art. 1 Ziff. 2 UN-Ch.); |
6. | Prinzip: Grundsatz der souveränen Staatengleichheit (Art. 2 Ziff. 1 UN-Ch.) (→ Gleichheitsprinzip); |
7. | Prinzip: Grundsatz der Erfüllung der Pflichten aus der UN-Charta nach Treu und Glauben (Art. 2 Ziff. 2 UN-Ch.). |
Alle Prinzipien waren in ihrem Kerngehalt bereits zum Zeitpunkt der Verabschiedung der FRD für die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen verbindliches Vertragsrecht (UN-Charta). Bis auf das Kooperationsgebot handelte es sich bei den Grundsätzen zudem um Inhalte des universellen → Völkergewohnheitsrechts, wenngleich dies damals für das Selbstbestimmungsrecht der Völker von den westlichen Staaten noch regelmäßig in Zweifel gezogen wurde. In ihrer Schlussbemerkung erhebt die Deklaration zudem den Anspruch, in allen ihren Aussagen das geltende Völkergewohnheitsrecht wiederzugeben, wenn sie betont, „dass die Grundsätze der Charta, die in diese Erklärung eingegangen sind, Grundprinzipien des Völkerrechts darstellen.“
Im Mittelpunkt der Diskussionen über die rechtliche Tragweite der FRD (s. unten, III.) standen das universelle Gewaltverbot, das Interventionsverbot sowie das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Gerade bei diesen Grundsätzen blieben nicht wenige Fragen unbeantwortet:
So war es im Hinblick auf das → universelle Gewaltverbot nicht möglich, die Ein- oder Ausgrenzung politischen und ökonomischen Zwangs aus dem Gewaltbegriff zu klären. Auch der für das → Interventionsverbot maßgebliche Begriff der Intervention konnte – bis auf die Nennung einzelner, nicht abschließender Beispiele (z. B. die sog. subversive Intervention) – in der FRD keiner Definition zugeführt werden. Deshalb ist es gerade im Bereich der → Wirtschaftssanktionen gegen einzelne Staaten oftmals von einer Vielzahl unterschiedlichster Faktoren abhängig, ob (noch) ein völkerrechtlich erlaubter wirtschaftlicher Druck oder (schon) ein völkerrechtswidriger wirtschaftlicher Zwang vorliegt.
Das → Selbstbestimmungsrecht der Völker war bis dahin in seiner völkerrechtlichen Existenz und Tragweite höchst umstritten, da es gem. Art. 1 Ziff. 2 UN-Ch. lediglich als Zielvorgabe für die Vereinten Nationen galt und im Übrigen eine völkervertragsrechtliche Absicherung nur in Art. 1 Abs. 2 IPbpR/IPwskR gefunden hatte. Beide UN-Pakte, 1966 unterzeichnet, traten aber erst 1976 in Kraft (→ Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte; → Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte). Obwohl es an einer Definition des „Volkes“ fehlt, ist doch aus der umfassenden Formulierung „haben alle Völker das Recht“ zu schließen, dass es nicht auf Kolonialvölker beschränkt sein sollte, wie dies von den Ostblockstaaten bis dahin regelmäßig behauptet worden war. Außerdem – und das war seinerzeit ein Novum – stellte die FRD das Selbstbestimmungsrecht in einen direkten Zusammenhang zum Recht eines Volkes auf Sezession (→ Staatennachfolge).
Neben der Mehrdeutigkeit einzelner Formulierungen trugen auch die am Ende der Deklaration aufgeführten Auslegungsmaßgaben zu einer weiteren Relativierung der substanziellen Aussagen bei, weil „bei ihrer Auslegung und Anwendung […] die vorstehenden Grundsätze voneinander abhängig [sind]; jeder Grundsatz ist im Zusammenhang mit den anderen Grundsätzen zu verstehen.“