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6. Kinderliteratur und Medien
ОглавлениеBedeutung der Kindermedien
Intermedialität, Transmedialität, Hypermedialität und Medienkonvergenz sind Schlagworte, die seit Mitte der 1990er Jahre die Debatte über den Zusammenhang zwischen verschiedenen Medien bestimmen. Allen diesen Begriffen ist gemeinsam, dass sie Manifestationsformen eines umfassenden Phänomens der medialen Interferenzen und Grenzüberschreitungen darstellen. Dass sich verschiedene Medien miteinander vermischen und aufeinander Bezug nehmen, ist keineswegs eine neue Erscheinung, bestimmt jedoch die mediale Wahrnehmung und das künstlerische Schaffen immer mehr. Bereits seit Beginn des 20. Jahrhunderts zeigt sich in einer Vielzahl kinderliterarischer Texte eine Öffnung gegenüber anderen medialen Ausdrucksformen, die seit den 1980er Jahren stetig zugenommen hat. Mit diesem Phänomen muss sich folglich auch die Kinderliteraturforschung auseinandersetzen, wenn sie sich gegenüber den technischen und digitalen Vermittlungsformen kinderliterarische Texte nicht verschließen will. Im Bereich der Kindermedien, neben Printmedien zählen hierzu die AV-Medien und die interaktiven Medien, können verschiedene Strategien des Medientransfers unterschieden werden. Bei dem nach dem Baukastensystem funktionierenden Medienverbund wird ein Leitmedium in andere Medien umgesetzt und gleichzeitig oder mit zeitlicher Verschiebung auf den Markt gebracht. Dieser Medienverbund wird durch den Verkauf von Nebenrechten, sog. Merchandising, auf die verschiedensten Konsumgüterbereiche ausgedehnt. Ausgangsmedium kann dabei ein Buch, ein Comic, aber auch ein Film, ein Hörspiel, ja sogar ein Spielzeug sein. Bei Medienverbundsystemen wird jedoch nicht nur ein Ausgangsmedium in diverse andere Medien umgesetzt, zunehmend ist dabei die Tendenz zu beobachten, dass die jeweiligen Medien Strukturmerkmale anderer Medien aufgreifen und zitieren. Hierbei handelt es sich um ein Phänomen, für das sich der Begriff Intermedialität (der den ungenauen Begriff der Adaption ersetzt) durchgesetzt hat. Intermedialität umfasst alle Mediengrenzen überschreitende Phänomene, die mindestens zwei konventionell als distinkt wahrgenommene Medien involvieren (Rajewsky 2002).
Transmedialität und Hypermedialität
Das Konzept der Transmedialität verweist auf das Vorkommen eines bestimmten Stoffes oder Motivs bzw. die Umsetzung eines Genres in verschiedenen Medien, ohne dass die Annahme eines Ursprungsmediums relevant ist. So können einzelne Medien auf Stoffe aus der Bibel oder der antiken Mythologie zurückgreifen, die im kollektiven Gedächtnis gespeichert sind. Mit der Entwicklung der interaktiven Medien, die sich durch eine besondere Struktur der Hyperlinks auszeichnen, hat sich eine weitere Form medialer Repräsentation etabliert: Hypermedialität. Darunter versteht man die nichtlineare Anordnung von Informationen (Text, Bild, Film, Spiel), die durch mehrere Ebenen miteinander vernetzt bzw. verlinkt sind. Ein markantes Beispiel hierfür sind die Fenster von Websites und Desktop Interfaces im Internet, die durch Anklicken geöffnet werden können und zu einer Verschachtelung der verschiedenen Ebenen beitragen.
Kindermedienforschung
Zum Gegenstand der Kindermedienforschung gehören u.a. a) Medienkombination, auch Multimedialität genannt. Hierbei handelt es sich um eine Verbindung mehrerer Medien wie z.B. beim Bilderbuch (Verbindung aus Text und Bild), dem Comicroman, dem Computerspiel oder dem Kinderfilm. Anhand dieser Auflistung wird schon ersichtlich, dass eine Kombination unterschiedlicher Medien häufig zur Entstehung und Entwicklung neuer eigenständiger Kunstformen führen kann; b) das Phänomen des Medienwechsels (auch: Medientransformation), d.h. Literaturverfilmungen und andere Formen der Umsetzung von einem Medium in ein anderes Medium wie Transformation eines Filmes in einen literarischen Text (Novelization), Vertonungen, Umsetzung in ein Computerspiel usw.; c) Intermedialität, d.h. der Bezug eines Mediums auf ein anderes Medium und dessen Ausdrucksformen. Hierzu gehören Erscheinungen wie die „filmische Erzählweise“ oder die Einfügung narrativer Elemente in den Film, z.B. durch aus dem Off gesprochene Texte, oder die Integration von Filmsequenzen in Computerspiele; d) Remediation, d.h. die Umgestaltung „älterer“ Medien in neuen (digitalen) Medien (Bolter/Grusin 2001). Das damit zusammenhängende Phänomen der Medienkonvergenz spielt im Zeitalter des Internets eine immer größere Rolle, weil sich durch den Umgang mit diesem Medium neue Partizipationsmöglichkeiten der Rezipienten ergeben, etwa durch Fan Fiction oder Blogs (Carr 2010). Durch die Verbreitung eines Mediums auf verschiedenen Plattformen und die Strategie, einen Inhalt über mehrere Medien hinweg zu erzählen, ist eine neue Erzählform entstanden, die man als „transmediales Erzählen“ bezeichnet (Jenkins 2006). Ferner zeichnen sich viele Kindermedienverbünde durch das Prinzip der Serialisierung aus. Das Serienprinzip, ob in der Kinder- und Jugendliteratur oder in den AV-Medien und interaktiven Medien, wird in der Forschung wenig diskutiert und eher negativ eingestuft. Erfolgreiche Medienprodukte – ob Kinderbücher, Filme, Hörspiele, Computerspiele oder Spielzeug – bauen auf dem Serienprinzip auf, indem im regelmäßigen Turnus Fortsetzungen oder um weitere Geschichten ergänzte Versionen erscheinen.
Medienkompetenz und Media Literacy
Obwohl das Printmedium Buch weiterhin eine bedeutende Rolle im Alltag des Kindes einnimmt und das Bilderbuch offensichtlich immer noch das erste Medium ist, mit dem Kleinkinder in Berührung kommen, ist die moderne Kinderkultur in eine multimediale Welt integriert: außer den Printmedien Buch, Zeitschrift und Comics nehmen andere Medienformen immer größeren Einfluss auf die kindliche Medienrezeption (Hurrelmann/Becker 2003). Die Erweiterung des traditionellen Lese-Konzeptes auf das Verstehen von Bildern, Symbolen und Programmiersprachen mündete in ein Plädoyer für eine multimediale Erziehung des Kindes (Groeben/Hurrelmann 2002b). Durch das Erlernen der medialen Codes und die Anleitung zum kritischen Umgang und Vergleich soll die Bedeutung der Kindermedienkultur für die kognitive, sprachliche und emotionale Entwicklung des Kindes herausgestellt werden. Das von der Kindermedienforschung in die Diskussion eingebrachte Konzept der Media Literacy oder Medienkompetenz macht auf die besonderen kognitiven Fähigkeiten, die der Umgang mit Printmedien, AV-Medien und interaktiven Medien aktiviert, aufmerksam (z.B. Wahrnehmung von Sprache-Bild-Relationen, Deutung von Szenenwechseln und multimodaler Kombination bei Spielen und Websites). Je nach ausgewähltem Medium wird noch weiter spezifiziert, indem zwischen Computer Literacy, Electronic Literacy (Dresang 1999) und New Visual Literacy (Kress/van Leeuwen 1996) unterschieden wird.
Hybridisierung und Transliteracy
Neben der Untersuchung dieser Medienvielfalt und ihrem Einfluss auf die Medienkompetenz der Zielgruppe haben sich in den letzten Jahren, auch bedingt durch die rasante Entwicklung des Internets, weitere Tendenzen herausgestellt, die für die Kinderliteraturforschung von Relevanz sind (Ewers 2002c). Eine Tendenz besteht in der zunehmenden Hybridisierung, d.h. der Verschachtelung und Kombination verschiedener medialer Inhalte und Strukturen. Besonders deutlich wird dieses Phänomen im modernen Kinderfilm, der durch die Kombination populärer Filmgenres mit avantgardistischen Filmtechniken eine bestimmte Form des Crossover hervorgerufen hat (Wojcik-Andrews 2000). Vergleichbare Tendenzen lassen sich im Printmedium Buch beobachten, wenn Elemente des Comics, Films und des Computerspiels eindringen und dadurch neue Erzählformen generieren. Das gleichzeitig stattfindende multimediale Franchise eines Werkes in Buchform, als Verfilmung, Comicversion, Hörbuch, Anime, Online- und Computerspiel bis hin zu Websites und Blogs, die zur aktiven Mitarbeit der Rezipienten auffordern, ist maßgeblich an der Entstehung eines transmedialen Netzwerkes beteiligt. Die jeweiligen Medien enthalten dabei Leerstellen, die erst dann ergänzt werden können, wenn man die anderen medialen Varianten heranzieht. Diese Struktur verlangt von dem interessierten Rezipienten, dass er sich mehrerer Medien bedient, um eine Geschichte in all ihren Details erfassen zu können. Außerdem erfordert diese neue Strategie eine Kompetenz, die man in der Forschung als „Transliteracy“ bezeichnet. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass man zwischen verschiedenen Medien, die nicht mehr ausschließlich textbasiert sind, wechseln kann und dabei in der Lage ist, die verschiedenen Symbolsysteme zu verstehen und miteinander in Verbindung zu setzen. Für die Kinderliteraturforschung stellt diese Entwicklung insofern eine Herausforderung dar, als sie einen nachhaltigen Einfluss auf Form, Format und Erzählstrategien kinderliterarischer Texte ausübt und mit dazu beiträgt, dass das Printmedium Buch an einem transmedialen Formen- und Bedeutungswandel partizipiert und damit einhergehend neue Buch- und Erzählformen generiert werden. Die Kinderliteraturforschung muss sich jedoch nicht nur diesen aktuellen Herausforderungen stellen, bislang liegen auch keine umfassenden und vergleichenden Studien zur Geschichte der Kindermedien und des Kindermedienverbundes von ihren Anfängen am Ende des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart vor.