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I. Kinder- und Jugendliteratur:
Definition und Begriffsgeschichte 1. Definition

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Der Begriff Kinder- und Jugendliteratur

Der Begriff „Kinder- und Jugendliteratur“ ist mehrdeutig: er kann einerseits als Literatur für Kinder und Jugendliche, andererseits als Literatur von Kindern und Jugendlichen interpretiert werden. Dennoch hat man von Anfang an mit ihm nur die erste Bedeutung konnotiert, obwohl es nachweislich auch von Kindern und Jugendliche geschaffene Literatur gibt. Hierzu gehören die von Kindern erfundenen Verse und Kinderreime, die meist mündlich tradiert werden (Messerli 1991), aber auch umfangreichere Texte, die nur in seltenen Fällen in Anthologien oder als Einzelpublikation ediert werden, wie etwa das berühmte Tagebuch (1947) der Anne Frank. Im Zuge der Möglichkeiten, die das Internet mit Online Publikationen, Blogs und Fan Fiction bietet, nimmt die literarische Textproduktion von Kindern und Jugendlichen kontinuierlich zu, so dass sich hier ein neuer Zugang zur Kinder- und Jugendliteratur eröffnet.

Allgemein kann man Kinder- und Jugendliteratur als Oberbegriff für die gesamte für noch nicht erwachsene Rezipienten bestimmte Produktion von (literarischen) Werken bestimmen, die in der Regel von Erwachsenen verfasst werden und Kindern entweder mündlich vorgetragen oder vorgelesen oder von Kindern und Jugendlichen selbst gelesen werden. Ihr Spektrum umfasst alle Gattungen und fast alle Genres, die auch in der Literatur für Erwachsene anzutreffen sind, angefangen vom Kleinkindbilderbuch für Kinder ab dem Alter von 10 bis 12 Monaten bis zu den für junge Erwachsene verfassten Romanen (im Englischen: Young Adult Novel), die sich an die Altersgruppe der 16- bis 20-Jährigen richtet. Ein genuin kinderliterarisches Genre ist das Bilderbuch, das allerdings verwandte Züge mit dem für Erwachsene bestimmten „Künstlerbuch“ und der Graphic Novel aufweist. Neben fiktionalen Werken gehören zur Kinder- und Jugendliteratur noch die Sachliteratur – neuerdings wird auch der Begriff „Wissensliteratur“ vorgeschlagen – sowie Zeitschriften und Comics für Kinder und Jugendliche. Des Weiteren fallen unter diesen Begriff auch alle für Kinder und Jugendliche bestimmten Bearbeitungen erwachsenenliterarischer Werke, die durch den Autor selbst oder andere Personen angefertigt werden. Einen Sonderfall nimmt die mündlich vorgetragene, aber oft nicht schriftlich festgehaltene Literatur für Kinder ein, die nach Forderung der Oral-Poetry-Forschung als Bestandteil der Kinder- und Jugendliteratur angesehen werden sollte (Ong 1988). Ebenso gibt es unveröffentlichte kinderliterarische Manuskripte, auch diese gehören im weiteren Sinne zum Gegenstand der Kinder- und Jugendliteratur. Die in Printmedien (Bilderbogen, Buch, Zeitschrift, Heft) veröffentlichte Kinder- und Jugendliteratur ist zugleich Bestandteil der Kinder- und Jugendmedien, zu denen noch die AV-Medien (Hörkassette, Hörbuch, CD, Fernsehen, Film u.a.) und interaktiven Medien (Computerspiel, E-Book, Internet) gehören.

Kinder- und Jugendlektüre

Über die genannten medialen Formen hinaus gibt es Werke und Medien, die zwar von Kindern und Jugendlichen rezipiert und gelesen werden (wie etwa Erwachsenenliteratur, Zeitungen, Zeitschriften, Comics und Fachliteratur sowie Filme und Computerspiele für Erwachsene), aber nicht für diese Zielgruppe geschaffen oder an diese durch Bearbeitungen angepasst worden sind. Diese Werke gehören nicht zur Kinder- und Jugendliteratur im engeren Sinne. In der deutschsprachigen Forschung hat man hierfür den Begriff „Kinder- und Jugendlektüre“ vorgeschlagen (Brüggemann/Ewers 1984), der allerdings keine scharfe Trennung zum Terminus „Kinder- und Jugendliteratur“ erlaubt, weil dieser in einer systematischen Perspektive ebenfalls zur Kinder- und Jugendlektüre zu rechnen ist.

Heterogene Begriffsvielfalt

Über diese Unterscheidungen hinaus hat man in der deutschen Kinderliteraturforschung mehrfach den Versuch unternommen, das breite Spektrum der Kinder- und Jugendliteratur genauer zu spezifizieren, indem man verschiedene Kategorien wie „intentionale Kinder- und Jugendliteratur“ (= Gesamtheit der für Kinder und Jugendliche als geeignet empfundene Literatur), „spezifische Kinder- und Jugendliteratur“, neuerdings auch „originäre Kinder- und Jugendliteratur“ (= Gesamtheit der für Kinder und Jugendliche geschriebenen Literatur) oder „sanktionierte (versus nicht-sanktionierte) Kinder- und Jugendliteratur“ (= Texte, die von den gesellschaftlich autorisierten Instanzen zur geeigneten Kinder- und Jugendlektüre erklärt worden sind) vorgeschlagen hat (Brüggemann/Ewers 1984; Ewers 2000; Gansel 1999). Diese Terminologie, die verschiedene Aspekte – literaturhistorische, rezeptionsgeschichtliche, soziologische und pädagogische – miteinander vermischt, trägt allerdings eher zur Verwirrung bei (auch aufgrund der immer wieder anzutreffenden Verwechslung von intentionaler und spezifischer Kinder- und Jugendliteratur), als dass sie zu einer systematisch-analytischen Zugangsweise zum Gegenstand beiträgt.

Schulbuchliteratur und Kindheitsliteratur

Von der Kinder- und Jugendliteratur sind ferner die Schulbuchliteratur und die sogenannte Kindheitsliteratur zu unterscheiden. Die Schulbuchliteratur, wozu u.a. Fibeln, Lesebücher und Fachbücher für den schulischen Sach- und Sprachenunterricht gehören, ist zwar auch für Kinder und Jugendliche geschrieben worden und war bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts eng mit der Kinder- und Jugendliteratur verzahnt, wird aber jetzt als eigenständiger Bereich angesehen, der von der Schulbuchforschung und der Literaturdidaktik untersucht wird. Zur Kindheitsliteratur dagegen rechnet man diejenigen fiktionalen Werke der Erwachsenenliteratur, in denen der Werdegang von Kindern und Jugendlichen im Mittelpunkt steht. Hierzu gehören u.a. Kindheitsautobiographien, Adoleszenzromane, Entwicklungsromane und Schülerromane, sofern diese für eine erwachsene Leserschaft verfasst worden sind (Seibert 2005).

Kinder- und Jugendliteratur

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