Читать книгу Im Land der Schatten - Billy Remie - Страница 13

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Angst. Wut. Ungläubiges Entsetzen. Das Gefühl innerer Leere. All das und noch vieles mehr wechselte sich in Bellzazars Empfinden ab. Er wollte brüllen vor Schmerz, dann war die Furcht vor der Bedeutung des leeren Sargs doch zu lähmend für ihn.

»Zazar!«, brülle der junge Prinz, sein goldgelocktes Haar hing ihm in der Stirn, während er an Bellzazars Arm zerrte. Vergeblich. Unbeweglich wie ein Felsen hockte er zusammengesunken vor dem leeren Sarg, unwillig, auch nur zu denken.

Er hörte Kampfgeräusche, vernahm das Klirren von metallenen Klingen auf harten Stein, seine Gefährten grunzten, riefen, brüllten, erbaten magischen Beistand. Der Boden bebte unter schweren Schritten. Jemand sagte: »Sie sind langsam.«

»Aber wir sind eingesperrt«, konterte ein anderer.

»Zazar!«, flehte der Prinz.

Doch all das kam ihm weit entfernt vor. Sein Ich hatte sich tief in seinen Köper zurückgezogen, hatte sich in das Schneckenhaus, das er Hülle nannte, verkrochen.

Allein. Er war so allein.

Er hatte ja erwartet, dass nicht mehr als Staub übrig sein würde. Doch mit Staub hätte er mehr anfangen können als mit Nichts. Auch die hier verwahrte Seele war verschwunden, einzig die Rüstung und mit magischem Feuer verbrannte Spuren der Überreste einer Leiche waren von dem Mann geblieben, den er wiedererwecken wollte.

Wieso?

Meinten es die Götter so bös mit ihm, dass sie ihm nicht einmal seinen einzig wahren Freund gönnten?

Er hätte es verstanden, hätte er nicht bereits alles getan, wonach sie verlangt haben. Nach all der Zeit war der Dämonenfürst tot, den er Vater schimpfte. Er war ein Dämon. Das einzige, was er nun begehrte, war Zeit in Frieden, mit jenen die er liebte. Er und Lugrain hatten nie vorgehabt, den Göttern Schlechtes zu tun, sie wollten nur leben. Entweder bis in alle Ewigkeit in der Welt der Sterblichen als einzige Unsterbliche, oder gemeinsam als freie Seelen im Paradies. Aber Bellzazars Plan wurde schon wieder durch hohe Mächte durchkreuzt.

Und wieso verweigerten sie ihnen es, sich wieder zu sehen? Er hatte doch alles getan, was sie von ihm verlangten!

Reingelegt! Ja, sie hatten ihn reingelegt. Purer Hass ging von Bellzazar aus, sickerte durch seine Venen, ersetzte rotes Blut mit schwarzem Pech. Gestohlen! Sie hatten ihn gestohlen!

Sein Herz begann zu rasen, auf seiner Stirn traten Schweißperlen, die ihm an der Schläfe hinabrannen, Adern pulsierten unter seiner Haut, dunkel und bedrohlich, eine schwarze Aura ging von ihm aus, wie von einer Gewitterwolke, bevor sie sich entlud.

Gestohlen … beraubt seines einzigen Freundes, den er Bruder genannt hatte! Er konnte, er wollte es nicht auf sich sitzen lassen.

Mit dieser Tat öffneten sich seine Augen endgültig. Wo er sonst Entschuldigungen für die Götter fand, blieb nur noch Abscheu zurück.

Ignorant waren sie, machthungrig, ihr Humor war grausam, sie langweilten sich in ihrem unendlichen Leben und mit ihrer uneingeschränkten Macht, sodass sie es für amüsant hielten, mit den Sterblichen und deren Seelen Spiele zu treiben.

Der Tag der Veränderung rückte näher, in jenem Moment, da er begriff, dass die Götter große Grausamkeit gegenüber ihren Schützlingen zeigten.

Er wollte das nicht länger zulassen.

Tief in seinem Inneren spürte er die Veränderung, die Erschütterung der Welt, weil er sich von jenen abwandte, die den Himmel repräsentieren sollten.

Doch der Tag der Umkehrt würde kommen, es war ein unaufhaltsamer Zyklus, dem keiner von ihnen entkam. Er rückte näher, als sie ihn Lugrain stahlen. Und wenn die Zeit gekommen war, würde er sich weigern, ihnen zu helfen. Es war ihre eigene Schuld, dass er ihnen nicht mehr vertraute, dass er sie zu verachten begann. Nicht nur Bahne war abtrünnig geworden, ihnen allen hing immer mehr Dunkelheit und Eigennutz an.

WARUM? Er brüllte in Gedanken, seine Augen schlossen sich und Tränen der Qual rollten über seine mit Bartschatten überzogenen Wangen. Warum tut ihr mir das an?

Er spürte nur unwirklich, dass der Prinz von ihm abließ. Ein weiteres Schwert wurde gezogen.

Sie kämpften. Verteidigten sich gegen die großen Gesteinsstatuen, gegen die sie nichts ausrichten konnten. Immer weiter wurden sie in die Mitte gedrängt, umzingelt von unbesiegbaren Gegnern, die sie töten würden.

»Luro, passt auf!«, schrie der Prinz, warf sich schützend vor den Jäger, der von einem Steinschild zu Boden geworfen wurde. Metall klirrte, schlug auf eine steinerne Klinge, als Wexmell den Hieb parierte und dem jungen Jäger das Leben rettete.

Unantastbare Gutherzigkeit. Diese Eigenschaft wohnte nur dem Prinzen inne, der sich trotz der Tatsache, dass er geschützt werden musste, immer für seine niederen Diener opfern würde. Selbstlos war er, mit einem großen und warmen Herzen. Wie konnte ein Sterblicher mehr göttliche Eigenschaften an den Tag legen als ein wahrhaftiger Gott?

Bellzazar, in Trauer versunken, und seine Kameraden, im Todeskampf vertieft – bemerkte keiner von ihnen das Wesen, das zu ihnen gekommen war.

»Wieso löst du dich nicht auf?«, fragte eine Stimme in Bellzazars Kopf. So dunkel, so vertraut, dass es ihm eine Gänsehaut bescherte.

Wieso er sich nicht auflöste? Was brachte das schon? Die Statuen würden ihn töten und ihn die Schwärze schicken, wo nichts als Dunkelheit und Einsamkeit herrschte. Ob er nun hier verweilte oder dortblieb, ohne den Ausgang zu suchen? Wer sollte ihn daran hindern, einfach in der Schwärze zu bleiben? Es war fast so wie tot zu sein; und niemand würde ihn dort stören. Götter und Dämonen hätten, was sie wollten.

»Wo ist er?«, hörte er sich fragen, seine Stimme klang sogar für ihn fremd.

Das Wesen trat neben ihn, um keinen Tag seit seinem Tod gealtert. Jedoch waren Pelzleibchen und Speer einer moderneren Rüstung und Schwert gewichen. »Du fragst mich das? Ich wartete hier, um dir diese Frage zu stellen.«

Gelangweilt sah Bellzazar zu Brathen auf. »Ich wusste nicht, dass du zu einem Dämon wurdest.«

Brathen schien tatsächlich verblüfft. »Ach nein? Was hast du gedacht, was geschehen würde, als du mich im Wald zurückgelassen hast?«

Er hatte nur getan, was notwendig gewesen war. Brathen trug selbst schuld an seinem Schicksal.

»Jahrtausende in der Unterwelt, weil ich nach Rache sann.«

»Dann hast du sie ja jetzt.« Seinem Schicksal ergebend, während seine Freunde kämpften, starrte Bellzazar auf den Sarg und forderte: »Nur zu, vernichte mich.«

Was kümmerte es ihn jetzt noch, wenn er einfach aufhörte zu existieren? Er war ohnehin verloren in seiner Einsamkeit. Dann wäre der Schmerz auch endlich vorüber …

»So lange wartete ich auf diesen Tag, an dem wir uns wieder begegnen.« Brathen lachte in sich hinein, dunkel und rau. »Aber was kümmert mich dein erbärmliches Dasein? Ja, ich wollte dich vernichten, als die Dämonen zu mir kamen und mir einen Pakt anboten, dem ich nicht wiederstehen konnte. Aber dich so zu sehen, erbärmlich und allein, macht mir mehr Freude, als Rache zu nehmen.«

Hasserfüllt sah Bellzazar zu ihm auf. »Du weißt, Lugrain hat mich immer mehr geliebt als dich!«

»Du kannst mich nicht provozieren, Gefallener«, konterte Brathen. »Ich bin nur hier, um mich an deinem Elend zu laben.«

Gequält wandte Bellzazar den Blick ab. »Verschwinde, lass mich in Frieden.«

»Selbst die Götter verachten dich, von denen du abstammst. Lugrain war dumm, er war naiv, er sah nicht, dass du sein Unglück warst. Nur deinetwegen wurde er bestraft. Nur wegen dir, musste seine Seele hier eingesperrt bleiben, weil die Götter dich damit in der Hand hatten. Und was brachte es dir? Sie haben dich doch wieder verraten. Und Lugrain, mein naiver Bruder, ist verschwunden, seine unsterbliche Seele vermutlich vernichtet, nur damit du sie nicht erreichst. Es ist alles deine Schuld. Du bist für Lugrains Schicksal verantwortlich. Du allein!«

Bellzazar wollte nicht zulassen, dass Brathens Worte ihn noch mehr quälten, aber er konnte es nicht verhindern, sosehr er auch versuchte, sie nicht an sich herankommen zu lassen.

Brathen ging neben ihm in die Hocke, faltete die Hände, als wäre Bellzazar ein kleiner Junge, den es zu überreden galt. Die Blechrüstung klapperte und knarrte bei jeder noch so kleinsten Bewegung.

Schmunzelnd erklärte Brathen: »Ich bin hier, um dir etwas zu zeigen, Gefallener.«

Als er die Hand fordernd ausstreckte, war Bellzazar danach, hineinzuspucken. Bedrohlich knurrte er: »Verschwinde! Ich habe einen Stab mit einer Klinge, die dich sofort töten kann.«

Brathen lachte in sich hinein. Einen Momentlang schien es so, als ob er wieder in den Schatten verschwinden würde. Doch dann packte er zu und schloss die Hand um Bellzazars Handgelenk.

Die Abfolge der Bilder in seinem Kopf, die Stimmen, die Visionen, waren purer Schmerz, der alles ausmerzte, alles erstickte, dass auch nur einer anderen Empfindung als Pein gleichkam.

Leid. Solch unendliches Leid.

Bellzazar schrie, krümmte sich. Sein lautgewordener Schmerz ließ seine Kameraden herumwirbeln, doch helfen konnten sie ihm nicht, zu sehr waren sie damit beschäftigt, den Hieben der Steinschwerter auszuweichen. Verdammt dazu, solange zu kämpfen, bis ihnen die Kräfte ausgingen.

Kein Entrinnen, für keinen von ihnen.

Flüsternd legten sich Brathens Lippen an Bellzazars Ohr: »Du kannst es nicht aufhalten, niemand wird es aufhalten.«

***

Seine Gedanken überschlugen sich. Was war hier los? Keine Zeit, um nach Antworten zu suchen, keine Zeit, um sich ablenken zu lassen.

Der Dämon schrie, ein anderes Wesen, für Luro nur ein dunkler Schatten, saß bei ihm.

Luro versuchte, nicht zu sehr darüber nachzudenken, was sie jetzt tun sollten.

Ausweichen. Parieren. Nicht wieder gegen steinerne Schilde rennen. Ausatmen. Ruhig bleiben. Kräfte sparen.

Eingesperrt. Sie waren eingesperrt mit diesen Dingern, die unermüdlich nach ihnen schlugen. Die steinernen Waffen zu lang und zu groß, hielten Luro und seine Kameraden auf Abstand. Sie kamen nicht einmal in die Reichweite der Körper. Nicht, dass Luro glaubte, dass es ihnen viel genützt hätte.

Metall gegen Stein, ihre Schwerter verursachten nur Funken, keinen Schaden.

Verdammt! Sie waren in ihren Tod gelaufen.

In einem Halbkreis um den Sarg herumstehend, wurden sie immer enger zusammengedrängt, Luro in der Mitte, der Prinz und Allahad zu seinen Seiten, mit erhobenen Klingen, die stumpf wurden, je öfter sie gegen den festen Stein schlugen.

Sieben Statuen engten sie ein, jeder Schritt ein Beben. Langsam waren sie, es war ein Leichtes, ihnen auszuweichen. Jedoch würden die Statuen niemals müde werden, niemals erschöpft sein, ganz im Gegensatz zu Luro und seinen Freunden. Schon jetzt lief ihnen der Schweiß die Gesichter hinab, rote Wangen vor Anstrengung, keuchender Atem, zitternde und ermüdete Gliedmaßen.

Nun, wenigstens würde er Nebuhr wiedersehen.

Drei Statuen sahen es auf Luro ab, zwei auf den Prinzen, die anderen zwei auf Allahad. Beide, sowohl Prinz als auch Schurke, versuchten, die dritte Statue auf sich aufmerksam zu machen, sie wollten Luro nicht gegen drei kämpfen lassen, jeder würde den größeren Kampf auf sich nehmen, um seine Freunde zu retten.

Kameradschaft! Etwas, das diese Wesen nicht hatten. Sie waren nur Stein, durch Magie bewegter Stein, aber dennoch nur Stein. Kein Herz, kein Mut.

Drei Schwerter holten aus, drei Schwerter schlugen nach Luro, jedes übertraf seine Körpergröße an Länge. Überkreuzt sausten sie auf ihn hinab, sodass er nicht einfach nach links oder rechts ausweichen konnte um ihnen zu entgehen. Er nutzte die Spalte nach vorne.

Auf dem schmalen Grat zwischen Wahnsinn und Genialität balancierend, rollte er sich über den Boden und zwischen den Beinen der mittig stehenden Statue hinweg.

Hinter den Statuen herauskommend, sprang er mit seiner ihm eigenen Leichtfüßigkeit auf die Beine und stach mit dem Schwert zu.

Seine schmale Klinge bohrte sich bis zur Hälfte in einen Riss des Rückens der Statue. Es schien sie nicht sonderlich zu stören, nicht einmal ein Stöhnen oder ein Zucken kam von ihr.

Verdammt!

Luro wollte das Schwert herausziehen, doch es steckte fest.

Die anderen Statuen hatten sich bereits umgedreht, beide schlugen nach ihm; eine mit dem Schwert, die andere mit dem Schild.

»Luro!«, schrie Allahad. Er kämpfte selbst, wurde von einem Schild getroffen, das er übersah, weil er auf Luro geachtet hatte. Mit einer Wucht, die unwirklich schien, wurde er vier Schrittlängen durch den Raum geschleudert und prallte mit einem dumpfen Laut gegen eine Wand.

Luro konnte ihm nicht helfen, er selbst saß in der Klemme, und ihr Prinz wurde in eine Ecke gedrängt, er kämpfte wie ein Löwe, jedoch vergeblich.

Das Schwert sauste herab und Luro konnte gerade noch rechtzeitig zurückspringen. Ungläubig sah er, wie Stein auf Metall traf und sein Schwert zerbrach, sodass die eine Hälfte im Stein stecken blieb und die andere klappernd zu Boden ging.

Vorbei, ging es ihm durch den Kopf. Es war vorbei, jetzt hatte er ja nicht einmal mehr eine Waffe.

Das Schild raste auf ihn zu, er ließ sich nach hinten fallen, sodass es über ihn hinweg sauste, jedoch schlug er sich den Kopf auf dem harten Boden auf, sofort floss Blut warm und langsam in seinen Nacken.

Und dann war es soweit, eine der Statuen war nahe genug, hob das Schwert quälend langsam über den Kopf um auszuholen …

Stöhnend gelang es Luro, seinen Ellenbogen zu nutzen, um seinen Körper über den Boden zu ziehen. Seine Sicht verschwamm, ihm wurde übel vor Schmerz, in seinem Kopf pochte es.

Die Statue schlug zu.

Absurderweise konnte er in diesem Moment deutlich ihre unbewegte Miene wahrnehmen. Die gelangweilten Augen, der grimmig geformte Schwung des Mundes, die Hakennase, die zu dünn war, um ins Bild zu passen … Klirr.

Im ersten Moment verstand Luro nicht, warum er keinen Schmerz verspürte. Dann begriff sein Hirn langsam, was er sah.

Die steinerne Klinge: aufgehalten kurz bevor sie ihn erreichte. Eine dunkle Stabklinge versperrte ihr den Weg zum Ziel.

»Bringt Euch außer Reichweite«, knurrte Bellzazar.

Luro atmete seine Erleichterung aus, er hätte am liebsten geweint. Die Tränen in seinen Augen und dem Drang, den Dämon zu küssen, ignorierend, kroch er über den Boden, bis er den Schwindel in seinem Kopf soweit unter Kontrolle hatte, dass er wankend aufstehen konnte.

Er taumelte rückwärts, Bellzazar stellte sich schützend vor ihn.

Luro sah sich um. Allahad war wieder auf den Beinen. Flink wich er den Statuen aus, hielt sie mit Pfeil und Bogen auf Abstand, auch seine Schwerter waren zerbrochen und steckten teils nutzlos in den Statuen.

Prinz Wexmell hatte sich aus der Ecke befreien können, doch seine Kräfte schwanden, das sah Luro deutlich. Der rötliche Kopf, erhitzt vom Fieber der Erschöpfung, war ein deutliches Zeichen dafür, dass er nicht mehr lange durchhielt, nicht einmal um ihnen auszuweichen.

»Wie besiegen wir sie?«, wollte Luro wissen. Der Dämon musste es doch wissen oder wenigstens einen Plan haben!

Doch Bellzazar schüttelte den Kopf. »Gar nicht.«

Bittere Erkenntnis durchsickerte Luros Bewusstsein. Sie waren verloren, selbst der Dämon war dieser Ansicht, Luro sah ihm deutlich die Endgültigkeit an.

Wo war Desiderius? Wo hatte das Licht ihn hingebracht? In Sicherheit? Würde wenigstens er überleben? Bestand die Hoffnung, dass er außerhalb der Tür war und sie öffnen konnte?

Wohl kaum, es gab keinen Hebel, nur die Siegel, und diese waren bereits gebrochen.

»Was ist geschehen? Wo ist der Schatten?«, fragte Luro.

»Geflohen, der Feigling.«

»Er hat Euch wehgetan.«

»Durch Visionen«, gab Bellzazar zurück und warf ein grimmiges Lächeln über die Schulter.

Unaufhaltsam schlurften die Statuen auf sie zu, würden sie bald wieder eingeholt haben.

Und der Dämon blieb, blieb genau wo er war, stellte sich zwischen den verletzten und unbewaffneten Luro, obwohl er in der Lage gewesen wäre, zu verschwinden.

»Was hat er Euch gezeigt?«, wollte Luro wissen. Mehr um sich abzulenken, statt aus Neugierde.

Finsternis legte sich in die Augen des Dämons, als er unheilvoll flüsterte: »Die Zukunft.«

***

Desiderius atmete geräuschvoll aus. Ruhe und Frieden überkamen ihn, ihm war danach, sich von dem Drachen einrollen zulassen und an ihn gelehnt einzuschlafen, um nie wieder aufzuwachen. Er fühlte sich vollständig, fühlte sich zugehörig. Wie ein einsamer Tropfen Wasser, der nach langer Reise zurück in einen See tropfte, aus dem er ursprünglich stammte.

»Jeder Blutdrache ist ein Teil von mir«, erklärte der Geisterdrache und stand auf. Umkreiste Desiderius langsam und geschmeidig, wie eine Raubkatze ihre verletzte Beute. Wollte spielen, bevor er zuschnappte.

»Ein Stück meiner Seele ist mit deiner verbunden, Schicksalshüter.« Die Stimme des Drachen war nur in Desiderius‘ Kopf zu hören. Keine schuppigen Lippen bewegten sich, kein Maul formte Worte. »Wir sind Eins.«

Schicksalshüter? Hier stimmte etwas nicht. Der Drache schien verwirrt, er musste sich irren.

»Was tust du hier?«, fragte Desiderius vorsichtig.

»Weißt du denn, wo wir sind?« Grollend lachte der Drache. »Nein, woher solltest du es wissen? Ich sage es dir: wir sind immer noch in deiner Welt, nur hinter dem Schleier und unzählige Jahre in der Zeit zurück. Ich wusste, du würdest zu mir finden.«

Desiderius bekam wieder Kopfschmerzen. Er rieb sich die pochenden Schläfen, als er verlangte zu wissen: »Wieso sind wir hier?«

»Gebunden an die Seele des Ersten, ist es mein Schicksal, hier zu warten. Bis du kamst. Du bist es, bist der Erste, Hüter des Schicksals deines Landes.«

Er? Wieso denn er? Nein, der Drache musste sich irren. Es war eine Verwechslung.

»Ich bin nicht der, den du suchst. Bellzazar, mein Bruder, er wollte die Grabkammer öffnen.«

»Ich wusste, er würde wiederkommen, aber ich wartete deinetwegen hier. Schicksalshüter. Erster Herrscher.«

Desiderius fühlte sich nun doch reichlich unwohl. Er kam wieder auf die Beine, langsam, bedächtig, um keine falschen Signale zu senden. Er wollte sich diesen geisterhaften Drachen nicht zum Feind machen. »Wieso wartest du auf mich?«

Er wusste, er war nicht der, auf den der Drache wartete, und doch war er neugierig, er musste erfahren, weshalb der Geistdrache hier auf wen auch immer wartete – was er zu sagen hatte.

»Weil die, die du Götter nennst, in den Verlauf des Schicksals deinen Namen meißelten«, antwortete der Drache vielsagend. »Sie erschufen eine Prophezeiung.«

Vor Desiderius setzte sich der Drache an die Wand, der Sarg war das einzige Objekt zwischen ihnen. Aufrecht, wie ein Hund, saß der Drache da, wenn auch mit geducktem Kopf, weil die Decke zu niedrig für ihn war.

»Prophezeiung?«, wiederholte Desiderius nervös. Alles, was er nicht mit einem Schwert bekämpfen konnte, machte ihn nervös. Für seinen Geschmack hatte er für sein Leben genug Magie gesehen.

»Wenn der Blutdrache kommt, fällt der oberste Fürst der Unterwelt und ein weiteres Zeitalter der Götter wird eingeläutet«, zitierte der Drache mit einem amüsierten Funkeln in den Augen.

Langsam umrundete Desiderius den Sarg, sah einen Mann darin liegen, der äußerlich sein Bruder väterlicherseits hätte sein können.

Zu dem Drachen hochhinauf sehend, erklärte er: »Es gibt aber keinen obersten Fürsten der Unterwelt. Die Dämonen sind führungslos.«

»Jederzeit könnte einer der Fürsten aufsteigen.«

Angst befiehl Desiderius, weil der Drache gewiss nicht Unrecht hatte. Und er hatte nicht einmal gegen eine Armee bestehen können, die menschlich gewesen war, wie sollte er auch nur die geringste Chance im Krieg gegen Dämonen haben, sollten sie in Scharen an die Oberfläche dringen? Wie sollte er die schützen, die er liebt, wenn der Drache recht behielt?

»Du fürchtest dich.« Es war keine Frage. »Du fürchtest dich nicht zu Unrecht.«

Desiderius zuckte zusammen, als der Drache über ihn hinweg lief. Erstaunt stellte er fest, dass die Schuppen, die über seinen Kopf streiften, nicht zu fühlen waren.

Er drehte sich um, der Drache wanderte ziellos in der Halle umher, den Blick immer auf Desiderius gerichtet. »Verändere dein Schicksal – verändere deine Welt. Du kannst es, du wirst es sehen.«

»Wie meinst du das?«, fragte er verwirrt. »Ich bin nur ein einzelner Mann. Nur ein Bastard.«

Wieder lachte der Drache in sich hinein. Sinnierend erwiderte er: »Die Geburt eines einzelnen Kindes vermag das Schicksal einer ganzen Welt zu verändern.«

Desiderius‘ Beine wollten erneut nachgeben, aber er riss sich zusammen, um nicht schwach zu erscheinen. Ein wenig Stolz besaß er noch, obwohl er bereits vor dem Drachen zusammengesackt war, wie ein altes Weib vor einem Gott.

»Den, den du Bruder nennst, haben sie auserkoren. Er sollte das Schicksal antreten, das sie nun dir aufbürden wollen. Als Halbwesen, als Mischling aus Dunkelheit und Licht, war es ihm bestimmt, alle Dämonen zu vernichten.«

Der Drache drehte sich an einer Wand um und lief in die andere Richtung. Desiderius verfolgte ihn nur mit den Augen, zu gelähmt, um sich bewegen zu können.

»Doch er war zu sehr von Liebe besessen. So sehr, dass er an nichts Anderes denken konnte. Freundschaft, Brüderlichkeit, Liebe. Er wollte nur eines, und zwar die Loyalität eines einzigen; die Zugehörigkeit zu jemanden, für den er die Welt darstellte. Wie ein Kind die unangefochtene Liebe der Mutter beansprucht.

Du weißt, ich spreche von dir: er wollte dich! Hat bekommen, was er wollte, dafür musst du büßen. Du hast ihm stets geholfen, Erster, hast ihn in deine Familie aufgenommen, hast sein Wohlergehen über die Wünsche der Götter gestellt, wolltest ihn nicht verlieren, hast dich für ihn geopfert, ihm die Liebe geschenkt, nach der er sich gesehnt hat. Er hat es dir gedankt, doch die Götter ... Die nicht, nein, sie waren wütend, auf euch beide.«

Aufmerksam lauschte Desiderius den wirren Worten, glaubte ein wenig zu begreifen und doch verstand er nichts. Es ging um Bellzazar und jemanden, den er vor ihm Bruder genannt hatte.

Gab es mehr? Er musste es sich fragen. Sein Herz klopfte wild bei der Frage, ob er noch Brüder besaß, die er nie kennengelernt hatte. Wo waren sie? Tot? Und wenn es keine Verwandten sind, mit wem wurde er dann verwechselt?

»Er war der Auserwählte, der für die Götter in den Kampf ziehen und ihnen ein weiteres Zeitalter schenken sollte, doch er verfolgte eigene Pläne, deine Pläne, stets war ihm dein Leben wichtiger als seine Götter, bis du plötzlich fort warst.

Aber ich wusste, du würdest wiederkommen, würdest zu ihm und deinen Gefährten zurückfinden. Ich wusste, du warst nicht fort, ich konnte das Stück von mir in deiner Seele stets spüren, Erster.«

Was der Drache glaubte zu fühlen, musste die Magie in Desiderius sein. Die Magie, die jedem Blutdrachen innewohnte.

Langsam begriff Desiderius, dass der Drache mit ›Erster‹ vermutlich den ersten existierenden Blutdrachen meinte, und diesen mit Desiderius verwechselte.

Wer wohl der Mann gewesen war, von dem die Magie, die Desiderius nun innewohnte, stammte?

So viele Fragen, auf die er vermutlich nie Antworten erhalten würde. Aber die drängendste Frage konnte er zumindest stellen: »Was bist du?«, hauchte Desiderius furchtvoll. Auf einmal war nicht genug Abstand zwischen ihnen.

»Oh, in gewisser Weise bin ich auch ein Gott«, gestand der Drache. »Es gibt eine Welt, weit von deiner entfernt, wo nur Drachen herrschen. Ich bin einer der Ältesten, ein Weltenwanderer, der hier in dieser Welt auf den traf, den du Bruder nennst. Ich bin eine Art Orakel für deinesgleichen, ein Seher.«

Desiderius verstand gar nichts. »Und was willst du von mir? Wieso bin ich hier?«

»Sie lügen, deine Götter, das musst du wissen.« Der Drache kehrte zum Sarg zurück, setzte sich erneut wie ein wachender Hund dahinter. »Ich habe viele Jahrtausende darauf gewartet, dich zu treffen.«

»Du wusstest, dass ich kommen würde?«, fragte Desiderius mit gerunzelter Stirn. Er wäre ja schon längst gegangen, hätte er den Ausweg gekannt.

»Gewiss doch.«

»Und was soll ich nun hier?«

Ein weiteres grollendes Lachen stieg in der Kehle des Drachen auf. »Du sollst dir nur anhören, was ich dir zusagen haben, dann sollst du gehen.«

Eigentlich stand ihm wenig der Sinn danach, sich Dinge anzuhören, die ihn nur wieder nicht schlafen ließen. Auf der Seereise hatte er so viele Monate den Frieden genossen, obwohl ihre Zukunft unsicher war. Er hatte sich in Wexmells Lachen verloren, in seiner Liebe, seiner Wärme, seinem Fleisch, und er hatte sich durch dessen Frohsinn anstecken lassen. Er wollte nicht, dass diese Zeit endet. Er wollte nicht als grübelnder Schatten zu Wexmell zurückkehren. Nein, er wollte die Welt noch ein Weilchen von sich schieben und sich erst dann wieder mit Problemen befassen, wenn sie entschlossen, nach Nohva zurückzukehren, um es zurück zu erobern.

Doch Wexmell und die anderen waren in diesem Augenblick in Gefahr, er konnte es auf seiner Haut spüren, die Sorge um seine Gefährten verbrannte ihn überall.

Also nickte er dem Drachen auffordernd zu, um schnell zurückzukehren.

Zufrieden begann der Drache sogleich: »Du kennst bereits das Schicksal, das die Götter für dich vorgesehen haben – für alle Blutdrachen. Ihre Zeit neigt sich dem Ende zu und sie setzten all ihr Vertrauen in ihre Prophezeiungen. Jedoch sehe ich bei dir mehr als einen Weg, mehr als ein Schicksal.«

Neugierig geworden trat Desiderius wieder ein Stück näher. »Was meinst du?« Es ging nicht um ihn, nicht um sein Schicksal, und doch war er neugierig, wenn es um Blutdrachen ging. Sie waren in gewisser Weise auch seine Familie.

»Es kommt ganz darauf an, wen du retten willst.« Der Drache lachte wieder düster. »Verlängere das Zeitalter der Götter, oder leite das Zeitalter der Finsternis ein.«

»Mehr Wege gibt es nicht?« Gab es nur Gut und Böse? »Existiert wirklich nur Licht oder Dunkelheit?« Er wollte das nicht glauben.

»Gewiss nicht. Und Dunkelheit ist in deiner Welt nicht unbedingt böse, ebenso wenig wie Licht immer etwas Gutes ist.

Hatte die Irrlichtmutter nicht auch Licht in der Dunkelheit? Und ranntet ihr nicht alle in die finstere Höhle, um Schutz vor ihr zu suchen?

Was ist schon Licht oder Finsternis, ohne jene, die es sehen oder fürchten? Wer bestimmt, was Gut und was Böse ist? Nicht ich, nicht du. Der Betrachter bestimmt, was er von der Welt hält, in die er reingeboren wird. Der Handelnde bestimmt seinen Weg, bestimmt sein Schicksal, entscheidet, ob er dem Licht oder dem Schatten folgt, entscheidet für sich allein, was gut für ihn ist.«

Desiderius zerbarst fast der Schädel. Je mehr Antworten er erhielt, je mehr Fragen warfen diese auf.

»Es gibt noch mehr Wege«, gestand der Drache schließlich. »Du könntest das Zeitalter der Drachenherrscher einleiten.«

Plötzlich hatte Desiderius das Gefühl, manipuliert zu werden. Er sah den Drachen mit geklärtem Blick an: »Dein Zeitalter! Du willst herrschen über meine Welt?«

»Aber nein. Ich bin kein Drachenherrscher, ich bin ein Drache. Oder war es zumindest.«

Verwirrter denn je, schüttelte Desiderius den Kopf. »Was sind Drachenherrscher?«

»Alle, die mit Drachenfähigkeiten herrschen. Sterbliche wie du, die sich verwandeln können. Sterbliche, die unsere Sprache flüstern oder die Drachen beherrschen können. Sterbliche, deren Haut unsere Schuppen tragen. Sterbliche, die Feuer-, Eis- oder Geistatem speien können. Sterbliche, die durch verirrte Magie irgendwie mit uns verbunden wurden.«

»Und was geschähe dann mit unserer Welt?«

»Sie bleibe, wie sie wäre; gefüllt mit Sterblichkeit.«

»Und die Götter?«

»Die Erinnerung bleibt, jedoch ohne Einfluss. Sterbliche werden immer Götter anbeten, aber sie wären nicht länger erreichbar. Das Zeitalter der Sterblichen würde beginnen. Nur der, den du Schöpfer nennst, bleibt auf ewig.«

Desiderius musste sich setzen. An Ermangelung von Möglichkeiten, lehnte er sich auf den offenen Sarg. Seine Hand spielte mit dem Amulett um seinem Hals, als er nachdenklich fragte: »Und wenn ich mich für die Götter entscheide?«

Er fragte nicht für sich, ihm war bewusst, dass er nicht zu jenen gehörte, die über die Gabe verfügten, dass Geschehen der Welt lenken zu können; die Zukunft zu bestimmen. Aber wen auch immer der Drache erwartet hatte, dieser Mann, dieser Erste, hatte Macht, und welche Macht genau, wollte Desiderius erfahren.

»Wird alles Böse vernichtet«, antwortete der Drache.

Desiderius sah auf. »Das ist doch gut!«

»Alles, was deine Götter für böse halten«, warf der Drache ein. »Darunter auch Menschen, Luzianer, Elkanasai. All jene, die nicht genug gebetet, nicht fromm genug gelebt hatten. Du, und deine Freunde, die Blut vergossen haben.«

Desiderius starrte vor sich hin und murmelte: »Ist das der Dank dafür, wenn ich den Göttern helfe? Sie töten mich und alle, die mir treu folgen?«

»Den Tod sehen sie als Segen, um die Seelen zu reinigen.«

»Und wenn ich gar nichts tue?« Denn ob der, den der Drache erwartete, kommen würde, wagte Desiderius doch stark zu bezweifeln.

»Dann kommt der Tag der Veränderung, der Umwandlung«, antwortete der Drache mit seltsam ruhiger Stimme, obwohl er vom Untergang sprach. »So wie es in den Aufzeichnungen deines Volkes prophezeit steht, wird der Himmel fallen und die Unterwelt wird sich emporheben. Götter werden zu Dämonen und Dämonen zu Göttern, das Leben der Sterblichen wird ausgelöscht und Neues wird geformt, wie bei jedem Zyklus, wenn ihn keiner durchbricht.«

Desiderius konnte förmlich spüren, wie er kalkweiß wurde. Er musste sich fast übergeben, angesichts der Dinge, die zu groß, zu mächtig schienen, um der Wahrheit zu entsprechen.

Vielleicht stand er wieder vor einem Dämon der Angst, und der Drache war nur ein Gebilde, das nicht existierte. Und doch spürte er, dass vor ihm kein Dämon saß. Die Aura war nicht bedrohlich.

»Und welcher Weg ist der richtige?«

»Es gibt keinen richtigen und keinen falschen Weg, Schicksalshüter«, korrigierte der Drache und lachte wieder über ihn. »Es gibt nur Ansichten.«

Genau das sagte er doch selbst immer …

»Es kommt nur darauf an, an was du glaubst.« Der Drache bewegte eine Klaue über den Boden, ohne ein Geräusch zu verursachen, dann legte er sich nieder. »Wie ich bereits sagte: es kommt darauf an, wen du retten willst. Deine Freunde? Deinen Bruder? Oder wirst du dich selbst retten?«

Desiderius schüttelte den Kopf. »Es steht außer Frage, dass ich darüber keine Entscheidung fällen kann. « Er würde alle retten wollen, stünde er tatsächlich vor solch einer Entscheidung. Er war froh, dass der Drache ihn lediglich verwechselte. Er war froh, ein im Grunde unbedeutender Bastard zu sein. Ein halbgöttlicher Bastard, aber denn noch nur ein Bastard. Die Magie in ihm brachte ihm nur geringfügig Vorteile, meistens eher Nachteile, wenn man bedachte, dass er die Verwandlungen schlecht kontrollieren konnte, und er seine Gefährten oft in Gefahr brachte. Vor allem nachts, bei einem Alptraum, wenn er gerade noch rechtzeitig hochschreckte, bevor der Drache aus ihm herausbrechen konnte und nicht nur das Schiff zerbersten würde, sondern auch Wexmell, der neben ihm schlief.

»Eines Tages wirst du dich entscheiden müssen, denn eines steht festgeschrieben: du wirst euch nicht alle retten können. Entweder – oder!

Es obliegt dir, was du aus deinem Leben machst, und die Entscheidungen führen letztlich zum neuen Zeitalter. Möglicherweise wird nie jemand den Thron der Unterwelt besteigen, vielleicht führt eine deiner Entscheidungen dazu, dass der Thron leer bleibt. Dann musst du nur weitergehen und entscheiden, ob du die Sterblichen oder die Götter wählst.«

»Wieso ich?«

Der Drache bewegte seine Schultern, als zuckte er damit. »Es hätte jeder sein können, aber du bist nun Mal in dieser Zeit der einzige Blutdrache. Du hast dich herführen lassen, du bist nicht vor dem Flüstern geflohen, du bewegst dich in der Welt. Du handelst.

Warum also ein anderer?

Vielleicht ändert sich alles, wenn du entscheidest, in einer Hütte im Wald zu leben und bis zu deinem Tod Holz zu haken. Vielleicht; wer weiß das schon?«

Wissende und unendlich kluge Augen sahen Desiderius an, als der Drache noch anfügte: »Aber wir beide wissen, dass es nicht deinem Wesen entspricht. Du kannst nicht stillstehen, kannst nicht zulassen, dass dein Land von Feinden regiert wird. Es ist in deinem Blut, in deiner Seele. Du wirst kämpfen, und du wirst auf dem Schlachtfeld sterben, soviel steht fest.

Aber wo und wann hängt ganz von dem Weg ab, den du gehen wirst.«

Desiderius stand mit offenem Mund da und konnte weder sprechen noch sich rühren. Auch jeder Gedanke fiel ihm schwer. Er wusste nicht – wollte es auch nicht wissen – was das alles zu bedeuten hatte.

»Nimm das Schwert aus dem Sarg, Schicksalshüter, stich es mir ins Herz und kehre in deine Zeit zurück.«

Desiderius zuckte zusammen. »Ich soll dich töten?«

Ein milder Ausdruck trat auf die Züge des Drachen, er legte den Kopf auf den Boden, sein langer Hals beschrieb eine Kurve. »Wie sonst soll ich dich begleiten?«

»Und wenn ich nicht will?« Die Vorstellung, den Geist mitzunehmen, behagte ihm nicht.

»Es wird dich nicht verändern«, versprach der Drache. »Aber, wenn du nicht willst, dann bleib eben.«

Bleiben? Wieso denn bleiben? Desiderius verstand die Worte schnell: »Der einzige Weg für mich, hier wegzukommen, ist, dich zu töten?«

Interessiert verfolgten die klugen Drachenaugen Desiderius‘ inneren Kampf, der sich deutlich auf dessen Gesicht abzeichnete.

Er war der falsche Mann! Aber wenn er das vor dem Drachen offenbarte, obwohl er sich anhörte, was nicht für ihn bestimmt war, würde dem Geist sicher nicht gefallen. Ob er ihm überhaupt Glauben schenken würde, war eine ganz andere Frage.

»Was also wirst du tun, Schicksalshüter?«, fragte der Drache. »Gehst du nun? Oder bleibst du?«

Er musste gehen, er musste Wexmell helfen, seine Freunde retten, seinen Bruder beschimpfen, weil er ihn nicht davor gewarnt hatte. Sein Blick fiel auf das kunstvollgearbeitete Schwert im Sarg und er dachte über die Worte des Drachen nach.

Was waren sie? Prophezeiungen aus einer anderen Zeit? Die Zukunft? Hirngespinste eines Drachengeistes, der in einer uralten Grabkammer wohnt?

Mit trockenem Mund stellte Desiderius eines fest, nachdem er sich alles noch einmal gründlich durch den Kopf hatte gehen lassen: »Du hast mir nicht erklärt, wie ich das Zeitalter der Finsternis einläute.«

In sich hineingrollend antwortete der Drache betont eindringlich: »Vernichte. Deine. Götter

Im Land der Schatten

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