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Übermüdet und hungrig hatten sie alle die Dämmerung herbeigesehnt. Nach gefühlten hundertstunden war es dann endlich soweit gewesen, und sie konnten die Höhle verlassen, ohne Gefahr zu laufen, von uralten magischen Wesen oder streunenden Bestien zerfleischt zu werden.

Das Lager war größtenteils unversehrt, nur einige fleischfressende Säuglinge, wie Kleinaffen aus den Bäumen, hatten sich an ihren Trockenfleischvorräten vergriffen und ihre Taschen durchwühlt. Die Pferde waren zurückgekehrt und haben in der Nähe des verlassenen Lagers gegrast, sie waren leicht wieder einzufangen gewesen. Sie sehnten sich nach den sanften Händen ihrer Reiter nach dieser furchterregenden Erfahrung.

Allahad, mies gelaunt wegen des mangelnden Schlafs, ging nach einer Spährunde zurück zum Lager. Bellzazar hatte sie verlassen, angeblich um einen sicheren Weg zu ihrem Zielort – was auch immer das Ziel sein möge – zu suchen. Allahad hatte ihn verfolgen wollen, jedoch musste er schnell feststellen, dass es nicht erbaulich war, einen Dämon zu verfolgen, der sich in schwarzen Nebel auflösen konnte. Nach kurzer Verfolgung war Bellzazar spurlos verschwunden. Verflucht! Allahad traute dem Dämon nicht. Jedenfalls nicht so sehr wie Desiderius, der sich blind auf diese Insel führen gelassen hatte.

Prinz Wexmell und Luro saßen an dem neu entfachten Feuer und unterhielten sich über Jagdtechniken. Das Frühstück – eine Reihe aufgespießter Echsen – briet über dem Feuer.

Allahad konnte Luro verstehen, sie alle sehnten sich nach etwas Abwechslung in der Nahrungsaufnahme. Aber er hatte jedes Fleckchen Wildnis abgesucht und nichts gefunden, dass seinem Gaumen geschmeckt hätte. Entweder es war giftig oder einfach ungenießbar.

Als er am Feuer vorbeiging, auf der Suche nach Desiderius, wusste er bereits, dass Luro ihm sehnsüchtige Blicke hinterherwerfen würde. Wie so oft in den letzten Monaten; seit sie das Schiff verlassen hatten sogar noch intensiver und häufiger.

Allahad begriff nicht, was Luro für ein Problem hatte, auf See war ihm doch auch nie Ersatz für Nebuhr ausgegangen – und nein, Allahad war nie darunter gewesen. Ihm konnte es aber egal sein, ob Luro gern zwischen dem Prinzen und Desiderius lag um sich trösten zu lassen – statt zu ihm zu kommen – für ihn war die ganze Geschichte ohnehin vergessen.

Er hatte gewiss etwas für Luro übrig, aber nur zweite Wahl wollte er nicht sein, oder noch schlimmer: nur ein netter Ersatz. Das war aber nicht das eigentliche Problem, sondern nur ein weiterer Grund, lieber die Finger von alledem zu lassen.

Allahad war ein Mann, der immer nur Frauen geliebt hat – bis auf diese eine Erfahrung, die er gewiss nicht wiederholen wollte – und das sollte sich nicht ändern. Er schob die Verwirrung seiner Gefühle auf die Tatsache, dass er den Tod von Frau und Söhnen nicht gut überwinden konnte. Es nagte noch heute an ihm, er hatte noch immer Alpträume. Und er wusste, dass auch Luro noch schlecht träumte, noch immer Nebuhrs Namen weinend flüsterte, wenn er schlief.

Allahad blieb sich und seiner Vergangenheit treu, er wollte nicht die Erinnerung an seine Familie beflecken, indem er jetzt zu einem anderen Mann wurde als er damals war.

Und Luro sollte lieber nach jemanden suchen, der sich nicht darum schert, wenn er zu anderen ins Bett stieg.

Als Allahad schließlich an den beiden Jüngsten ihrer Gruppe vorbeiging, blieben die Blicke jedoch aus. Luro sah zwar kurz zu ihm auf, aber nur flüchtig, als wollte er sich nur davon überzeugen, dass ein Freund das Lager betreten hatte.

Gelassen sprach er weiter mit Prinz Wexmell darüber, wie dieser den Bogen besser führen konnte. »Haltet die Luft an, dann zielt Ihr und erst dann lasst Ihr den Pfeil los …«

Irritiert ging Allahad weiter, warf noch einmal einen prüfenden Blick über die Schulter, aber nein, Luro sah ihm nicht nach.

Gut, dann hatte das Gespräch am Abend davor wohl genügt – ein weiter Beweis, dass Luro nicht viel an Allahad gelegen hatte. Es ging nur darum, irgendjemanden zu haben. So war Luro nun mal einfach, Allahad war nicht sauer. Nein, wirklich nicht …

Warum hatte er dann auf einmal solche Kopfschmerzen? Woher kam der Druck in seinem Nacken? Vom Schlafmangeln! Ja, ganz bestimmt …

War Luro bei Desiderius nicht um ein Vielfaches hartnäckiger gewesen? Über Jahre hinweg sogar, und dass, trotz dass Desiderius ihn konsequent abgewiesen hatten? Sogar, als Prinz Wexmell bereits in Desiderius‘ Leben getreten war? Ja, Luro war Desiderius bis vor Kurzem noch nachgelaufen wie ein Rüde einer läufigen Hündin.

Es sollte Allahad nicht überraschen, dass Desiderius für Luro mehr war als Allahad je hätte sein können. Dafür war Luro viel zu sehr besessen von dem großen Krieger. Trotzdem war es doch überraschend schmerzhaft, zu begreifen, jemanden nichts zu bedeuten, den man Freund nannte – und sogar mehr mochte als alle anderen.

Allahad fand Desiderius nicht weit vom Lager entfernt im Wald, er suchte den Boden nach Pilzen ab, die kleine Karrah hatte er sich wieder vor die Brust gebunden. Das Kind der Magie schlief tief und fest, und das obwohl Desiderius sich immerzu bückte und wiederaufrichtete.

»Dir steht das Mutterglück gut zu Gesicht«, scherzte Allahad näherkommend. »Es fehlen dir jetzt nur noch zwei prallgefüllte Milchbeutel als Brustersatz.«

Desiderius hockte am Boden und buddelte in der Erde, sodass dunkler Grund seine Fingernägel braun färbte.

Desiderius schmunzelte zu Allahad auf: »Würde dir gefallen, hm?«

Allahad schürzte die Lippen. »Nicht, wenn gleich darunter ein Schwanz hängt.«

Zweifelnd starrte Desiderius zu ihm auf und zog eine dunkle Augenbraue in Richtung Haaransatz. Der Name Luro stand unausgesprochen zwischen ihnen.

Allahad presste seine Lippen aufeinander, sein eigener Ziegenbart kitzelte ihm dabei in der Nase, er drehte den Kopf weg und sagte abweisend und leise wie eine Maus: »Ich will darüber nicht mit dir sprechen.«

Gelassen zuckte Desiderius mit einer Schulter, dann wandte er sich wieder dem Boden zu und grub sich tiefer.

Wenn er hoffte, auf Wasser zu stoßen, waren seine Bemühungen nicht nur vergeblich, sondern auch unnütz, denn die Süßwasserquelle befand sich ganz in der Nähe.

»Ich würde gerne etwas sagen«, gestand Desiderius, ohne aufzusehen. »So etwas in der Art, dass ich dir die Nase breche, wenn du ihm weiterhin wehtust.«

Allahad starrte auf ihn hinab, wenn es nötig wäre, hatte er genug in der Hinterhand um den Spieß umzudrehen. Aber bevor er einen Streit anfing, wartet er ab, was sein alter Freund noch dazu zu sagen hatte.

Sich die schwitzende Stirn mit dem Unterarm abwischend, blickte Desiderius zu ihm auf und gestand versöhnlich: »Jedoch erinnere ich mich daran, dass ich von uns allen Luro am meisten verletzt habe. In diesem Sinne … Mach, was du willst, aber wisse, dass ich in dieser Sache hinter Luro stehe. Halt ihn nicht hin, mach dem ein Ende – oder lass es endlich zu. Mehr will ich dazu nicht sagen.«

Allahad ließ ausatmend die Schultern sacken, als wolle er sich ergeben. In gewisser Weise hatte Desiderius Recht, umso schöner war, dass Allahad ihm nun sagen konnte: »Ich habe Luro erst gestern sehr deutlich zu verstehen gegeben, dass ich ihn als Freund betrachte. Nicht mehr und nicht weniger.«

Ihm stand der Sinn danach, anzufügen, das Luro ja auch genug Zuwendung von Desiderius und seinem Prinzen erhielt, und dass Allahad dank dieser Tatsache mehr als überflüssig gewesen wäre – nicht, dass es etwas ändern würde, wäre Luro ein einsames Kätzchen. Aber er hatte keine Lust, sich mit Desiderius darüber zu unterhalten. Er wusste bereits, was sein Freund ihm sagen würde. Desiderius würde darüber schelmisch schmunzeln und so etwas sagen wie: »Wir sind Männer! Natürlich suchen wir an jeder Ecke unseren Spaß, und wenn wir ihn bekommen, ist das auch nicht schlimm.«

Sie dachten alle in gewisser Weise so, jedenfalls, wenn man ihre Handlungen diesbezüglich beobachtete. Vor Prinz Wexmell hatte Desiderius nur eine Regel: jeden Mann nur einmal nehmen, jedes Fleisch nur einmal genießen. Was dazu führte, dass er zahleiche Liebschaften zu verbuchen hatte. Ihr verstorbener Freund Niegal hatte Huren mehr geliebt als seinen Silberbeutel. Luro hatte sich nie zurückgehalten, er wollte fast jeden verführen, dessen Gestank zu ertragen war. Allahad selbst hatte so viele Frauen und Dirnen beglückt, dass er sich nicht einmal an alle erinnern konnte. Und doch … als er sich vereinigt hatte, als er Söhne gezeugt hatte und diese zur Welt gekommen waren, da war diese Gier nach fremden Fleisch unwichtig geworden. Treue, körperliche Treue insbesondere, schätzte er, wenn er sich jemandem verschrieb. Er hatte geglaubt, auch Prinz Wexmell und Desiderius würden sich nach diesem Maßstab lieben – aber wer wusste schon, was sie in den Nächten getrieben hatten, als Luro bei ihnen war.

Darüber wollte Allahad wirklich nicht nachdenken. Zum einem, weil es ihn noch mehr Kopfschmerzen bereitete, zum anderen, weil er nicht sicher war, ob die Vorstellung ihn abstieß oder seine Lust entfachte.

Desiderius fand etwas im Boden und zog es hervor. Eine handgroße Wildkartoffel.

Allahad runzelte die Stirn. Er vermutete, irgendwann, vor langer Zeit, musste hier ein Feld gewesen sein, vor so langer Zeit, dass inzwischen Bäume zu voller Größe auf dem Feld herangewachsen waren.

»Du und ich, wir kennen uns am längsten«, sagte Desiderius bedeutsam, als er sich aufrichtete und Erde von der Kartoffel rieb. »Du weißt, ich bin kein Mann der vielen Worte, aber …«

Er räusperte sich unbehaglich, wich Allahads Blick aus – ein klares Zeichen dafür, wie unangenehm dem Krieger derlei intime Gespräche waren.

Desiderius war ein guter Freund, gerade weil er keiner dieser Männer war, die mit Ratschlägen und selbsterfundenen Weisheiten seine Meinung anderen aufdrängte. Allahad mochte ihn, weil er ohne zu zögern handeln konnte und ein mutiges Herz in seiner Brust schlug. Als Freund konnte man sich auf ihn verlassen, wenn man seine Hilfe benötigte, war er sofort zur Stelle. Aber große Reden schwang Desiderius selten, noch seltener fand man Trost in Form von Worten bei ihm. Eine Umarmung oder eine Hand auf der Schulter waren manchmal auch mehr wert als es Worte hätte sein können.

»Aber?«, hakte Allahad nach, nachdem nichts weiterkam.

»Aber«, seufzte Desiderius und sah ihm fest in die Augen, Entschlossenheit spiegelte sich darin. »Falls es etwas geben sollte, worüber du sprechen willst … Nun, du weißt, wo du mich findest, in Ordnung?«

Allahad waren solche Gespräche ebenso unangenehm, er wollte nicht seine Seele vor anderen preisgeben oder den Eindruck erwecken, er bräuchte eine Schulter zum Ausweinen. Er wollte nicht, dass irgendjemand glaubte, er käme nicht allein mit seinen Gefühlen zurecht.

Er nickte nur noch, damit war das Thema gegessen und beide konnten aufatmen und sich Dingen widmen, die ihnen nicht unangenehm waren.

Wie der Kartoffel, zum Beispiel.

»Da sind noch mehr«, sagte Desiderius. »Hilfst du mir, sie auszugraben?«

Nichts lieber als das. Die Vorfreude auf Kartoffeln ließ Allahads leeren Magen knurren. Jedoch hatte er Desiderius nicht ohne Grund aufgesucht, da gab es etwas, was Allahad ihm dringend erzählen musste.

Dennoch ging er neben Desiderius in die Hocke, beide benutzten ihre Dolche um im Waldboden nach verborgenen Kartoffeln zu graben, die irgendein Ureinwohner vor langer Zeit hier eingegraben haben musste.

Doch für Desiderius schien das Thema doch noch nicht vergessen, denn in die Stille hinein sagte er – darauf bedacht, Allahad nicht anzusehen: »Es gibt andere Wege, weißt du?«

Allahad runzelte frustriert die Stirn, er hatte genug davon, wie ein Kind behandelt zu werden, dem man alles erklären musste.

»Was wir zusammengetan haben«, sprach Desiderius leise weiter, ungeachtet der Tatsache, dass Allahad ihn feindselig anfunkelte, »das war nur eine von vielen schönen Dingen, die man mit einem anderen Mann tun kann.«

»Das einzige, was ich mit einem anderen Mann tun will, ist Kämpfen oder zusammen Trinken, darüber hinaus bevorzuge ich weibliche Rundungen – vor allem unter und gelegentlich auch über mir. Können wir das jetzt lassen?«

Desiderius schmunzelte ihn belustigt an. »Nur gelegentlich über dir?«

Allahad wusste im ersten Moment nicht, was Desiderius meinte. Als er dann begriff, musste er Aufschnaufen. Erleichterung durchströmte ihn, weil das heikle Thema beendet zu sein schien.

Allahad zuckte mit den Schultern, als er eine Kartoffel hervorzog. »Ich habe es gern, wenn meine Frauen auf mir sitzen, sehr gern sogar, jedoch …« - er seufzte bedauernd - »machen es die meisten Frauen obendrauf nicht sonderlich gut.«

Desiderius, der bereits die fünfte Kartoffel ausgrub, schmunzelte weiterhin, sagte dazu jedoch nichts mehr. Er hatte dieses Problem offensichtlich nicht.

Eine Weile machten sie schweigend mit ihrer Arbeit weiter, bis Allahad schließlich den Mut aufbrachte, ein anderes Thema anzusprechen: »Darf ich dich etwas fragen?«

»Mhm«, machte Desiderius in seine Arbeit versunken.

Allahad senkte seine Stimme und beugte sich etwas zu ihm. »Vertraust du dem Dämon?«

Desiderius sah ihn nicht an, als er gelassen erwiderte: »Ich verstehe ja, dass du nach der Begegnung mit dem Dämon der Angst eine Abneigung gegen diese Wesen hast, aber Bellzazar ist unser Freund! Er ist kein Dämon. Wir schulden ihm viel.«

»Oder schuldet er uns viel?«

Stirnrunzelnd sah Desiderius Allahad an.

»Er half uns doch nur, weil deine Macht, die er sich von dir lieh, die einzige Möglichkeit für ihn war, sich von seinem Vater zu befreien«, befürchtete Allahad.

Desiderius blieb skeptisch: »Er hat sein Leben riskiert, um Nohva von dem Einfluss des Dämonenfürsten zu befreien. Er gab sich selbst auf, opferte sein Ich um uns zu retten, er gab das Reich der Götter auf! Er wurde zum Dämon. Er hätte das doch niemals getan, wäre es ihm nur darum gegangen, sich von dem Dämonenfürsten zu befreien. «

»Es sei denn, er wollte zum Dämon werden«, warf Allahad ein. »Ich weiß nur nicht, wozu.«

Sorge stand in Desiderius‘ grünen Augen, als er nachdenklich an seiner Lippe nagte.

»Ja, wir schulden ihm viel«, gab Allahad zu. »Doch was, wenn er bei alledem nur seinen eigenen Vorteil im Sinn hatte?«

Desiderius konterte: »So sind wir doch alle. Und solange sein eigener Vorteil uns dienlich ist, werde ich ihn nicht zwingen, sein Vorhaben aufzugeben.«

Desiderius war nicht naiv, nur pragmatisch. Dennoch konnte Allahad miterleben, wie sich in den grünen Augen seines alten Freundes Zweifel und Sorge zu Enttäuschung wandelten. Es war offensichtlich, dass sich der Krieger nach Brüderlichkeit sehnte, nach Familienloyalität, die er beim Heranwachsen schmerzlich vermisst hatte. Ob Desiderius so etwas in der Art bei diesem Dämon fand, wagte Allahad zu bezweifeln, doch er wollte ihm nicht die Hoffnung darauf nehmen.

Jedoch war Desiderius keineswegs ein Mann, der den Kopf in den Wolken trug, er nickte verdrossen vor sich hin, als er zugab: »Ich verlange gewiss nicht, dass wir ihm alle blind vertrauen, wir sollten nie jemanden ohne Zweifel gegenübertreten. Die Erfahrung lehrte dich und mich, vorsichtig zu sein. Ich habe Bellzazar nicht aus den Augen gelassen, falls du das fürchtest, Allahad. Wir werden achtsam sein.«

»So wie gestern?«

Die Lippen des Kriegers wurden schmal. »Nicht Bellzazar lockte die Irrlichtmutter zu uns, auch er war durch sie in Gefahr.«

»Gewiss, das bestreite ich auch gar nicht. Und ich bezweifle auch nicht, dass er unser Freund ist, jedoch glaube ich, dass er, wenn es seinem Vorteil dienlich ist, uns alle unserem Schicksal überlassen würde. Wenn es heißt, er oder wir, wird er sich für sich entscheiden. Und dahingehend sollten wir umsichtig sein. Zum Beispiel, hätten wie darauf bestehen sollen, dass er uns erklärt, was er hier auf dieser Insel vorhat.«

Wieder nagte Desiderius an seiner schmalen Unterlippe, während um seine Augen Sorgenfalten traten.

»Als Bellzazar das erste Mal die Insel ansprach, habe ich in der Kapitänskabine der Bernstein« - So der Name ihres Schiffes - »nach Seekarten gesucht. Ich wollte wissen, worauf wir uns einlassen«, erklärte Allahad.

Interessiert wollte Desiderius wissen: »Und was hast du herausgefunden?«

Wie so oft in letzter Zeit nur Dinge, die ihm Gänsehaut bereitete. Er griff sich in den Harnisch und zog zwei alte Seekarten hervor. Es war ihr Glück, dass der frühere Kapitän der Bernstein seine Kabine mit unzähligen Karten vollgestopft hatte, darunter sogar Karten, die vor über mehreren Jahrtausenden angefertigt wurden.

Rissig war diese eine uralte Karte, als er sie ausrollte und vor Desiderius hielt, darauf bedacht, dass kein feuchter Grashalm das empfindliche Papier berührte.

»Was ist das?«

»Unsere Welt«, erklärte Allahad. »Sieh dir Nohva an, im Westen. Einst sehr groß und mit mehr Kanten als heute. Vieles ist heute überschwemmt oder einfach abgebrochen. Heute ist Nohva ein runder Kontinent. Der Pass zur Wildnis ist schmal, vor Jahrtausenden hingegen, war die Grenze zur Wildnis so breit wie Nohva selbst.«

Mit wachsendem Interesse begutachtete Desiderius die Karte und studierte sie eingehend.

»Und hier, am damaligen östlichen Wildnis Rand erkennen wir einen Landabschnitt, der doch überraschend viel Ähnlichkeit hatte mit …« - Allahad legte die neuere Karte über die alte und rollte auch diese auf - »der Insel, auf der wir uns in diesem Augenblick befinden.«

Desiderius verschob die obere Karte, bis er auf beiden gut deutlich Nohva betrachten konnte.

»Ein Stück Land von Nohva, so weit in den Norden gerutscht? Wir sind nahe an Carapuhr und so weit entfernt von unserer Heimat …« Desiderius klang zweifelnd, aber er wiedersprach nicht. Nachdem er länger die Karten verglichen hatte, nickte er und musste zustimmen, dass er Allahads Auffassung teilte.

»Hier leben Tiere, die vor Jahrtausenden in Nohva ausstarben, Pflanzen, die ich noch nie gesehen habe, Bäume, deren robustes Holz in Nohva nur noch als Brücken und Häuser zu sehen sind. Wir sind auf einem Stück von Nohva, das abgebrochen ist und weggetrieben wurde. Hier sehen wir, was vor Jahrtausend einst die Heimat unserer Urahnen gewesen war.«

Allahad empfand ein Stückweit Ehrfurcht für diesen Ort, aber die Sorge darum, welche Gefahren hier lauerten, schmeckten bitter in seinem Mund.

Desiderius rieb sich mit einer Falte auf der Stirn das Kinn, während er über die Konsequenzen nachdachte.

»Das wäre ja alles kein Grund zur Sorge«, sagte Allahad. »Aber mir fiel auch auf, das auf den meisten Karten diese Insel mit einem roten Kreuz versehen ist. Auf manchen auch mit einem Totenschädel. Auf der neusten Karte war sie überhaupt nicht mehr eingezeichnet.«

»Eine Insel, auf der man den Tod findet«, hauchte Desiderius. Nicht ängstlich, nicht einmal unbedingt besorgt, ehe glich seine Aussage einer nüchternen Betrachtung ihrer Lage.

Er sah Allahad an und atmete tief durch. »Wir sollten zusammenbleiben. Mir steht nicht der Sinn danach, einen von Euch zu verlieren.«

Obwohl Allahad die Einsamkeit suchte um Luro zu entgehen, nickte er nun recht schnell einverstanden, weil er sich – trotz, dass er halb Luzianer war – an diesem Ort fürchtete.

Die Insel war am Tage wunderschön, doch ein seltsamer Schleier umgab sie. Die Atmosphäre hatte immer etwas Bedrohliches für Allahad, dessen Sinne für Gefahren schon immer sehr scharf gewesen waren.

»Hier, irgendwo auf dieser Insel, lauert etwas Unheilvolles.« Da war er sich so sicher, wie er sicher war, dass morgen die Sonne wieder aufgehen würde.

Desiderius wirkte nicht, als wolle er wiedersprechen, auch er schien etwas zu spüren, jedoch machte es ihn augenscheinlich nicht so nervös wie Allahad.

»Es ist … als ob mich etwas Altes, etwas Bekanntes, hier erwartet«, flüsterte Desiderius gestehend. Er senkte seine Stimme um eine weitere Oktave, als er hauchte: »Ich schlafe unruhig, ich träume seltsame Dinge, seit ich hier bin. Nachts höre ich Flüstern.«

Dieses Geständnis sorgte noch mehr dafür, dass Allahad diesen Ort so schnell wie möglich verlassen wollte.

Ein Ast knackte und sie fuhren beide erschrocken herum.

Bellzazar schlurfte auf sie zu, die Schultern hängend als trüge er eine große Last auf dem Rücken. Doch er setzte ein Lächeln auf und erklärte: »Wir können nach dem Frühstück aufbrechen, ich habe einen halbwegs sicheren Weg zu unserem Ziel gefunden.«

Im Land der Schatten

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