Читать книгу Im Land der Schatten - Billy Remie - Страница 14

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Als Lugrain zusammen mit dem Drachen hinabstürzte, trieb Bellzazar seinen Hengst einen schmalen Weg entlang die Klippen hinab. Immer wieder drohte das Pferd hinabzustürzen, aber das war Bellzazar egal, er musste zu Lugrain, musste ihn retten.

Unten am Stand schwappten die Wellen gegen den auf der Seite liegenden Drachen. Die Flügel des Monstrums lagen schlaff neben dem viel kleineren Körper, der Schwanz war eingerollt, der Kopf lag mit gebleckten Lippen im Wasser, die Wellen säuberten die weißen Zähne von Blut. Schwer atmete der Drachen, so laut, dass die Erde bebte.

Und daneben lag Lugrain, mit dem Rücken in einem Busch, reglos und verletzt.

Bellzazar sprang von dem Rücken seines Pferdes und rannte auf Lugrain zu. Der Kies unter seinen Füßen machte ihn langsam.

»Lugrain!« Bellzazar warf sich neben ihm auf die Knie. »Lugrain?«

Lächelnd drehte der Angesprochene den Kopf zu Bellzazar, doch er war bleich, so bleich wie der Menschenjunge gewesen war, kurz vor dessen Tod.

»Bring es zu Ende, Zazar«, bat Lugrain und hob eine blutverschmierte Hand, an der drei gekrümmte Finger hingen, deren Knochen gebrochen waren. Er strich mit einem gesunden Knöchel über Bellzazars Wange, Frieden ging von ihm aus. »Töte den Drachen für mich, Zazar. Töte ihn und rette unsere Freunde.«

Aber er konnte nicht. Lugrain lag im Sterben, ihm blieben nur noch wenige Augenblicke. Und da erkannte Bellzazar den Fluch, der auf ihm lag. Denn wenn Lugrain starb, würde er ihn nicht wiedersehen, es sei denn, die Götter erlaubten ihm, in ihr Reich zurückzukehren, wo er die Macht hätte, Lugrains Seele jeder Zeit im Paradies zu besuchen …

»Er lebt noch, du musst sein Leben nehmen«, bat Lugrain.

Die Verzweiflung übermannte Bellzazar, er begann die Trauer hinaus zu brüllen, sodass seine Stimme die Gestalt eines Sturmes annahm und über die Klippen trug.

Von weit her hörte er das Brüllen eines weiteren Drachen. Es klang nach einem sehr viel größeren Exemplar.

»Tu es …«, hauchte Lugrain, seine Augen schlossen sich bereits, seine Seele bereitete sich darauf vor, dem Tod gegenüberzutreten, um sich in eine andere Welt führen zu lassen.

War das Lugrains Schicksal? Mehr hatten die Götter für diesen eindrucksvollen Mann, der solch ein mutiges Herz besaß, nicht geplant? Er solle sterben, um seinen Stamm zu schützen?

Nein! Das konnte Bellzazar nicht zu lassen.

Es war der Moment, in dem er das erste Mal über Magie nachdachte.

Noch bevor sein Vorhaben richtig Gestalt angenommen hatte, hörte Lugrains Herz auf zu schlagen und seine Hand, die zuvor an Bellzazars Wange gelegen hatte, fiel herab.

Weinend legte Bellzazar die Wange auf Lugrains Brust, wollte die Wärme in ihm halten, als der Drachenbulle plötzlich über ihm auftauchte.

Er konnte ihn hören, seine Schwingen im Wind, sein klagendes Brüllen, weil sein Weibchen verletzt war.

Bellzazar sprang auf, er rannte, ohne genau zu wissen, was er vorhatte, zu dem Drachenweibchen und suchte ihre Brust ab, bis er den darin steckenden Speer erblickte.

Blut lief daran hinab, als Bellzazar ihn packte, just in diesem Moment landete der Drachenbulle neben ihm. Der Boden vibrierte durch die Erschütterung der Landung dieses kraftvollen Tieres.

Nur über Gedanken versuchte Bellzazar mit seinem göttlichen Sinn mit dem Tier zu kommunizieren.

Tu nichts – oder ich töte sie, sagte er.

Der Drache knurrte, hielt jedoch inne.

Oder ich lasse sie leben, im Austausch für ein Stück deiner Seele, bot er an.

Der Drachenbulle stampfte mit den Pranken auf, um sein Missfallen kundzutun. Dann sagte er mit einer dunklen Stimme, die Bellzazar in den Schläfen dröhnte: Warum sollte ich dir helfen, Kreatur? Ich könnte dich einfach fressen!

Ich bin unsterblich, erklärte Bellzazar böse grinsend, friss mich, aber dann stirbt dein Weibchen. Und ich werden wiederkehren und auch all deine Jungen töten. Meine Rache wird furchtbar sein.

Viele Drachen waren kluge Geschöpfe, besonders dieser Drache. Er überlegte nicht lange, als er antwortete: So nimm ein Stück von mir, dunkler Zauberer, verbinde meine Seele mit der Welt der Sterblichen, aber dann trage Sorge dafür, dass keiner unserem Hort je wieder zu nahekommt.

- Versprochen.

Und so geschah es, dass Bellzazar ein Stück von einer Drachenseele mit Lugrains Leib und Seele verband und ihm ein weiteres Leben schenkte.

An diesem Tage erschuf Bellzazar den ersten Blutdrachen. Und damit bestimmte er das Schicksal ganz Nohvas.

***

Blinzelnd sah sich Bellzazar den Steinstatuen gegenüberstehend, machtlos gegen sie, weil er sie nicht vernichten konnte. Die Magie, die sie lebendig und zu Schlächtern machte, war höherer Natur, göttlich.

Schützend stellte er sich vor seine Gefährten, während die sieben Statuen einen engen Kreis um sie bildeten und sie unaufhörlich zusammendrängten, wie Hirtenhunde eine Gruppe Schafe.

Sie waren allesamt erschöpft, Wexmell litt unter Fieber, das ihn zittern ließ, der Schurke schwitzte, sodass sein Haaransatz dunkel wurde, der verletzte Jäger konnte sich vor Schwindel kaum auf den Beinen halten.

»Setzt die Schutzkugel ein, Dämon!«

Bellzazar knirschte ungehalten mit den Zähnen, er mochte weder, dass der Schurke ihm Befehle gab, noch schätzte er es, als Dämon bezeichnet zu werden.

Zischend kam Bellzazar eine Erwiderung über die Lippen: »Der Schutz nützt nur etwas gegen herunterkommendes Geröll oder Geschosse, aber die Statuen können einfach durch ihn hindurchtreten und uns trotzdem töten!«

»Geh«, bat Prinz Wexmell plötzlich. Mild und mit vergebender Wärme in der Stimme, gab er Bellzazar die Erlaubnis, sie im Stich zu lassen.

Doch Bellzazar schüttelte den Kopf. Erinnerungen an eine ebenso ausweglose Situation drängten sich ihm auf. Das Innere einer Kirche, der Hochzeitsschmuck in Brand, die Fenster und Türen magisch versiegelt, das Feuer dämonischer Natur. Und Rauch. Dichter Rauch.

Auch Wexmells Vater, der König, hatte Bellzazar aufgetragen, zu gehen, um sich selbst zu retten.

»Ich werde nicht gehen und Euch alleine sterben lassen. Wir stehen das zusammen durch, verlassen diese Welt gemeinsam«, sagte er heute wie damals.

Prinz Wexmell war ebenso hartnäckig wie sein Vater. Von hinten legte er Bellzazar eine Hand auf die Schulter. »Geh, alter Freund. Wir sterben ohnehin. Einmal. Danach ist es für uns vorbei. Du hingegen bürgst dir völlig grundlos einen weiteren Tod auf, den du nicht vergessen wirst.«

Bellzazar blieb dabei, nur den Kopf zu schütteln, obwohl ihm vor Angst die Beine schlotterten. Das Sterben war schmerzhaft und beängstigend, die Augenblicke, wenn einem bewusstwird, dass das Herz zu schlagen aufhören wird, und der Moment, in dem es geschah, waren das aller Schlimmste daran. Und danach kam kein Licht, nur Schwärze. Doch er würde trotzdem nicht gehen.

Er blieb nicht wegen ihnen, nicht gänzlich. Nicht einmal wegen Wexmell, den er mit großgezogen hatte, dessen Vater und Großvater und Urgroßvater und dessen Ahnen er großgezogen hatte. Er blieb, weil er nicht wusste, wo sein Bruder war und fürchtete, er könnte zurückkommen und auch in dieser Falle festsitzen.

Der warme Körper des Prinzen schmiegte sich an seine Rückseite, legte den Kopf auf seine Schulter und ließ ihn dort ruhen. »Deine Bereitschaft, den Sterblichen zu helfen, wird eines Tages den Neid der Götter auf dich ziehen.«

Bellzazar fuhr zu ihm herum. »Was habt Ihr gesagt?«

Wexmell sah ihn irritiert an, eine goldene Locke hing ihm in der erhitzten Stirn, seine Augen waren müde und geschwollen, Fieber zwang ihn nieder.

»Was habt Ihr gesagt?«, hauchte Bellzazar erneut. Durchforschte mit aufgebrachten Augen Wexmells Gesicht, als Erinnerungen an ihm kratzten.

An Lugrains Krankenbett, nachdem er ihm ein Stück von der Seele des Drachen gegeben hatte und sie darauf warteten, dass sein Zustand sich besserte, hatte Surrath die gleichen Worte im gleichen Wortlaut zu ihm gesagt.

Jetzt sah ihn Wexmells irritiert an, während die Statuen immer näher rückten, unaufhaltsam, bereits die Schwerter erhoben. Sobald sie zuschlugen, würden sie alle sterben …

Nein, es konnte nicht sein. Nicht Wexmell. Bellzazar hatte darauf geachtet, welche Seelen die Welt der Sterblichen betraten. Er hätte es doch gespürt, wäre Wexmell Surrath. Nein, sein alter Freund war nicht zurückehrt, vor allem nicht in den Prinzen, denn Surrath hätte niemals, trotz ausgemerzter Erinnerungen, einen anderen als Lugrain lieben können.

Niemals!

»Oh bei den Göttern!« Die Stimme des Jägers zittere, seine Hände krallten sich an Bellzazars Schultern und Armen fest.

Auch der tollkühne Schurke verlor seine Maske, als ihm bewusstwurde, dass sein Ende kurz bevorstand. Suchend nach Nähe, drängte er sich an Luro und den Prinzen heran. Alle drei Männer standen Rücken an Rücken, ließen die nutzlosen Waffen klappernd zu Boden fallen und fassten sich wie Kinder an den Händen.

Ach was soll´s, dachte sich Bellzazar und senkte den Hexenstab, suchend tastete seine freie Hand nach Fingern. Fand, zwang sie auf und hielt Luro fest.

Verwunderte Blicke brannten in seinem Nacken, aber sein Ersuchen wurde nicht verweigert. Die Hand des Jägers war weich, sein Griff zart, als hielte er ein Vögelchen. Schwielen vom rauen Leben waren zu fühlen, ähnlich wie früher bei Lugrain.

Bellzazar war danach, die Augen zu schließen, doch er starrte der Statue entgegen, stellte sich vor, die Götter beobachteten ihn aus diesen Augen, aber wäre dem so, wüssten sie von dem hier, hätten sie eingegriffen, denn den Prinzen wollten und konnten sie nicht sterben lassen, es sei denn, sie wollten das Einzige verlieren, womit der Blutdrache zu kontrollieren war.

Ein Licht durchfuhr plötzlich die Statue, die sich unmittelbar vor Bellzazars Augen befand.

Nach Luft schnappend, lehnte er sich zurück, als eine Klinge durch den Stein fuhr und ihn beinahe ebenso aufgespießt hätte. Einen augenblicklang hing sie mystisch leuchtend vor seiner Nasenspitze, dann wurde sie zurückgezogen.

Die Statue gab ein Stöhnen von sich, das ähnlich dem eines sterbenden Bären klang. Sie sackte auf die Knie, unter ihrem Gewicht bebte die Erde erneut. Dann zerbröselte sie und wurde zu staubigem Geröll.

Unerträglich gutaussehend stand Desiderius in der Lücke, die die Statue hinterlassen hatte, ein kunstvollgearbeitetes Schwert in der Form eines Flügels in den Händen, das von einem geisterhaften Schleier umgeben war.

Sie starrten ihn ungläubig an.

»Hm.« Er begutachtete sein Schwert. »Wer hätte gedacht, dass das tatsächlich funktioniert?« Er sah sie an. »Ich jedenfalls nicht.«

Alle vier keuchten vor Erleichterung. Dann, als hätten sie sich abgesprochen, rannten sie gleichzeitig aus dem Kreis, gerade rechtzeitig – die Schwerter der Statuen trafen auf nackten Boden – und positionierten sich wie ängstliche Enten hinter Desiderius, benutzten ihn als Schutzschild, schoben ihn unbeabsichtigt den Statuen zu.

Luro gab ihm sogar einen Stoß: »Töte sie!«

Am Rande bemerkte Bellzazar den Blick des Schurken, Eifersucht blitzte in seinen Augen auf. Bellzazar konnte es ihm sogar nachfühlen, der Jäger hatte während des ganzen Kampfes keine Hilfe von ihm erbeten, aber kaum tauchte Desiderius auf, war dieser für Luro der strahlende Retter.

So würden die beiden nie zueinander finden, nicht ohne fremde Hilfe, soviel stand fest. Aber das sollten sie ja auch nicht. Bellzazar kannte die Zukunft, die von den Göttern geplant worden war. Brathen ahnte nicht, dass er ihn dadurch nicht gebrochen, sondern neu entfacht hatte. Denn er würde sich nicht beugen und nicht zulassen, dass diese Zukunft jemals eintrat.

Zum Glück konnten jene, die von der Zukunft wussten, den Verlauf der Zeit verändern. Es war Bellzazars Glück, das Nachdenken noch nie Brathens Stärke gewesen war.

Luro hatte seine Bitte sicherlich nicht so ernst gemeint, wie sie bei dem Schurken angekommen war, denn sie alle standen schutzsuchend hinter Desiderius, weil er die einzige Waffe in den Händen hielt, die etwas ausrichten konnte.

Bellzazar trat an den Rücken seines Bruders heran. »Du hast lange gebraucht.«

»Er hatte viel zu erzählen«, gab Desiderius zurück. Er sah sich nicht um, er klang jedoch etwas verärgert. »Du wusstest, er würde mich verwechseln!«

»Geahnt, trifft es eher.«

»Scheißkerl! Du hättest mich warnen können!«, zischte Desiderius.

»Wärst du dann mitgekommen?«, giftete Bellzazar.

Das brachte seinen Bruder zum Schweigen. Ärgerlich zusammengepresste Lippen wurden zu einem dünnen Streifen, der markante Kiefer mahlte verbissen.

»Lasst und später streiten«, bat Allahad.

Die Statuen setzten sich wieder in Bewegung, steif und langsam, jedoch auch groß und mit einer enormen Reichweite.

»Drachen, insbesondere dieser Bulle, haben andere Ansichten über unsere Welt als wir«, sagte Bellzazar flüsternd und nach Versöhnung ersuchend. »Was auch immer er gesagt hat, es entstammte aus einer anderen Epoche, Derius. Seine Worte waren nicht für dich bestimmt, und du musst ihnen nicht einmal glauben.«

Desiderius schüttelte den Kopf, als hätte er eine Spinne im Ohr, die ihn in den Wahnsinn trieb.

»Genug«, beschloss er, schubste Bellzazar zur Seite und wollte gehen. Jedoch drehte er sich noch einmal zu Bellzazar um und sagte: »Bevor ich ging, hat er mir noch etwas gesagt, von dem ich glaube, dass ich es dir erzählen sollte.«

Überrascht hoben sich Bellzazars Augenbraue. »Tatsächlich?«

Desiderius zitierte: » ›Du findest die anderen in der Bibliothek der Seelen‹. Ich weiß nicht, was es bedeutet, aber ich fürchte, du schon, wenn ich deinen Blick betrachte.«

Bellzazar erstarrte zu Stein. Weder bewegen noch sprechen konnte er. Wenn die anderen in der Bibliothek verweilten, bestand die Möglichkeit, dass Lugrain auch dort war. Zumindest eine winzige Chance bestand. Die einzige Chance, die Bellzazar noch hatte.

Entschuldigend sah er Desiderius ins Gesicht, doch die harten Augen, die ihm entgegenschlugen, schienen bereits zu erahnen, was geschehen würde.

»Es tut mir leid«, flüsterte Bellzazar aufrichtig, seine Kehle fühlte sich wund an. Er wollte seinen Bruder nicht im Stich lassen, aber …

Desiderius schüttelte den Kopf. »Sag kein Wort, du hörst auch keins von mir.«

»Ich komme wieder«, versprach Bellzazar noch, als sein Herz bereits sein Handeln übernommen hatte und er sich in schwarzen Nebel auflöste.

***

Eine Leere in Form eines klaffenden Lochs entstand in seiner Seele, als der Nebel sich verzog und Bellzazar verschwand. Er wurde so oft im Leben verlassen, das es ihn doch überraschte, wie schmerzhaft es immer wieder von Neuem war.

Es war, als tippte ein alter Freund auf seine Schulter und sagte: ›Ach, schau an, da bin ich wieder. Tut noch genauso weh wie damals. Faszinierend, findest du nicht?‹

Wie lange hatte er einen Bruder gehabt, für den er keine Made war, die an seinem Erbe saugte? Zwei Jahre insgesamt, wenn es hochkam. Jedoch nur neun Monate auf See, in denen sie sich so nah kamen wie Brüder sich stehen konnten.

Zurück blieb die Frage, wer es war, den Bellzazar so sehr vermisste, dass er sogar seinen einzigen Verwandten im Stich ließ.

Desiderius‘ Blick wurde von Wexmells mitgefühlvollen Augen aufgefangen.

Nun ja, nicht gänzlich allein, aber doch verlassen von aller Familie. Die meisten tot, die leibliche Mutter weggesperrt – nicht, dass er zu ihr wollte – und der große Bruder verschwunden, ohne zu wissen, ob er wiederkommen würde.

Eifersucht überflutete ihn, während er sich fragte, wer der Mann im Sarg gewesen war, nachdem sich Bellzazar so sehr verzehrte, wie die Mutter nach ihrem Kind.

»Derius!«

Allahads dringliche Stimme ließ ihn aufschrecken. Im rechten Moment. Eine Bewegung hinter ihm zeigte, wie nahe ihm seine Gegner waren. Er wirbelte herum und hob im letzten Moment die Drachenflügelklinge.

Sechs überkreuzte Steinklingen trafen auf seine, unter dem Gewicht wurde er niedergedrückt, bis sein Knie den Boden berührte.

Er biss die Zähne zusammen, nahm Wexmells angstvolle Rufe nur halb wahr, und dass Allahad und Luro ihn aufhalten mussten, damit er sich nicht müde und erschöpft in den Kampf warf, was sein Tod gewesen wäre.

Knurrend stemmte sich Desiderius gegen den Druck, der auf seinen Armen lastete, sein Gesicht nahm einen gepressten Ausdruck an, in seinen Muskeln entflammte ein Feuer, seine Sehnen brannten, jede Faser seines Körpers war bis zum Zerreißen angespannt.

Seine Ellenbogen drohten, einzuknicken, er knurrte gegen den Schmerz und den Druck an, kämpfte mit aller Macht darum, die Schwerter nach oben zu drücken und wegzustoßen. Längst war es zu spät, sich wegzurollen, sie würden ihn zumindest am Bein erwischen, ihm eines zertrümmern, oder schlimmer: eines abtrennen.

Der Drache in ihm regte sich, erwachte, spürte die Gefahr, wollte ausbrechen und alles niederreißen. Aber nicht hier, nicht jetzt, die Grabkammer würde einstürzen und alles Leben unter der Erde begraben, es auslöschen.

Desiderius kämpfte; gegen sich selbst und gegen die Statuen.

Und dann wurde der Druck leichter, das Gewicht nahm ab. Kühle, zarte und raue Hände legten sich über seine. Wärme umhüllte ihn, als seine drei Gefährten neben ihm auftauchten, sich in Lebensgefahr begaben, und ihm ihre Arme, ihre Stärke liehen.

Luro, Wexmell und Allahad hatten die Hände um seine gelegt, die das Schwert umklammert hielten, fassten ihn mit den Fingern der anderen Hand an den Armen, stützten ihn, machten auch ihn zu einer Statue.

Gemeinsam stark, gemeinsam furchtlos.

Mit vereinten Kräften schafften sie, was Desiderius alleine nie bewerkstelligt hätte, sie drückten die Schwerter nach oben, mit gebleckten Zähnen und knurrenden Lauten, wie nur Männer von ihrem Stand sie ausstoßen konnten.

Mit einem Ruck stießen sie die Statuen zurück, das Schwert verursachte bei dem Gegenstoß eine magische Welle, die die Statuen taumeln ließ.

Desiderius wurde losgelassen, als er wieder aufrechtstand, und preschte nach vorne.

Nicht denken, nicht zu viel grübeln, kein Zögern, nur Handeln.

Er stieß der ersten Statue, die er erreichte, das Schwert durch den Bauch, zog es eilig wieder raus. Sie ging zu Boden, wie die erste, und verwandelte sich in einen hüfthohen Haufen Staub und Geröll.

Er hörte seine Freunde, seinen Geliebten, die trotz Erschöpfung alles taten, um die Aufmerksamkeit der Statuen auf sich zu lenken.

Wexmell und Luro, nur bewaffnet mit Steinen, die sie von den Überresten der vernichteten Gegner nahmen, warfen damit auf die anderen fünf verbliebenen Statuen und brüllten und schrien, um die langsamen Gegner in ihre Richtung zu locken.

Desiderius war froh, dass sie nicht wie Allahad zu den am Boden liegenden Waffen zurück stürmten. Allahad hob Wexmells Schwert auf, kämpfte damit, trotz, dass ihm der Schweiß in Strömen am Kopf runterlief, und bei jedem Schritt seine Beine vor Erschöpfung zitterten.

Desiderius sprang zwischen zwei Statuen hindurch, er wollte sich umdrehen und zustoßen, als plötzlich eine der Statuen eine Drehung vollführte, das Schwert dabei ausgestreckt hielt, herumwirbelte und alles in ihrem Umkreis erwischte.

Die Statue daneben stöhnte, als sie einen Arm einbüßte, laut krachte der Stein auf den Boden, hinterließ Risse und Dellen.

Desiderius sprang zurück, doch die Spitze der Klinge erwischte ihn und riss ihn von den Beinen. Er wurde einige Schrittweit in den Raum geschleudert, kam hart auf dem Boden auf. Dank früherer Erfahrungen, hatte er den Kopf oben gehalten, um sich nicht wieder eine Platzwunde einzufangen, doch er verlor das Schwert.

Luro und Wexmell zögerten nicht, als sie ihn am Boden liegen sahen; sie rannten los.

Furchtlos – vielleicht auch etwas naiv – sprang Wexmell auf den Rücken der Statue, die Desiderius den Rest geben wollte. Der Prinz wurde herumgeschleudert, hielt sich aber tapfer am Kopf seines Gegners fest, umklammerte ihn, als wolle er ihm die Augen zuhalten.

Luro sprintete zum Drachenflügelschwert. Er hob es auf, seine Arme spannten sich unter dem Gewicht der Klinge an, die zu groß und zu schwer für seine Statur war.

Mit einem Aufschrei rannte er auf die Statue zu und rammte ihr das Schwert in den Unterleib, während Desiderius wieder auf die Füße kam.

Ruhig, sagte er sich. Atme. Atme gelassen. Ganz ruhig. Es fiel ihm mit jedem verstreichenden Augenblick schwerer, den Drachen in sich zu kontrollieren.

Wexmell landete im Geröll, als die Statue von Luro vernichtet worden war.

Desiderius rannte an ihnen vorbei, nutzte die Leichtigkeit ohne Waffe aus, um sich durch die Beine einer anderen Statue zu rollen. Hinter ihr kam er wieder hervor und brülle nach Luro, der ihm die Klinge zu warf.

Desiderius fing sein Schwert auf und hob es weit über den Kopf, seine Füße stießen sich vom Boden ab, er sprang in die Luft, schlug zu und schlitzte den Rücken der Statue auf.

Blieben noch drei.

Die nächste erledigte Desiderius ohne Probleme, trotz erhobenen Schilds. Wexmell warf einen Stein, der sie direkt zischen den Augen traf. Seltsamerweise hatte Desiderius den Eindruck, dass sie kurz verwirrt blinzelte, obwohl ihre Miene doch unbeweglich war.

Auch die nächste besaß ein großes Schild, wie ein Bollwerk hielt sie es vor sich, drehte sich immer mit ihm, hielt ihn auf Abstand.

Wexmell sammelte seine letzten Kräfte, rannte um sie herum, wurde nicht beachtet.

»Dein Schwert!«, rief er.

Desiderius warf es ihm zu. Wie ein Bumerang flog es durch die Luft, drehte und drehte und drehte sich, landete aber mehr durch Glück als durch Können mit dem Heft in Wexmells Hand.

Die Statue bemerkte den Tausch und wollte sich umdrehen.

Desiderius warf sich auf ihr Schild, Kälte aus dem Stein drang durch seine Drachenlederrüstung bis zu seiner Haut durch. Sie versuchte, ihn abzuwerfen, und er wurde herumgeschleudert, wie damals, als er auf der Riesenspinne ritt.

Wexmell nutzte die Ablenkung und zog die Klinge durch die Kniekehlen der Statue. Das Schwert durchtrennte den Stein, ließ die abgetrennten Unterschenkel zu Staub werden, sodass die Statue stöhnend auf den Stummeln ihrer verbliebenen Beine aufkam.

Der Schild kam hart auf dem Boden auf, Desiderius stürzte.

Er sprang zurück auf die Beine, angefeuert von dem Gefühl des Sieges, der so greifbar war.

»Dein Schwert!«, rief Wexmell. Er sah nicht gut aus, als er die Klinge über die Schulter der Statue zurückwarf. Rot war sein Kopf, das Blau seiner Augen war matt, seine vollen Lippen waren ausgetrocknet.

Keine Zeit, um sich zu sorgen, sie mussten erst die Gefahr ausmerzen, bevor sich Desiderius vergewissern konnte, dass es ihm bald wieder gut gehen würde.

Er stand vor der Statue, holte schwungvoll aus und trennte ihr mit einem Aufschrei den Kopf ab.

Polternd landetet er auf dem Boden und rollte darüber, bis er bei Luro zum Stehen kam, der ein Fuß dagegenstemmte.

Alles wurde zu Staub.

Allahad stöhnte in jenem Moment auf.

»Nein!«, rief Luro entsetzlich verzweifelt.

Desiderius wirbelte herum. Er sah den Schurken hocherhoben gegen eine Wand gedrückt, die Kehle von einer steinernen Hand umschlossen, der Kopf rot angelaufen, seine Beine zappelten hilflos in der Luft.

Er rannte los, doch da schrie Allahad schon auf. Der Schurke wurde von der Klinge aufgespießt wie ein Stück rohes Fleisch, bevor man es über die Flammen hielt.

»Neiiiiin!«, knurrte Desiderius. Es klang bedrohlicher als sonst, unmenschlicher, tierisch, wie der Drache in ihm, bevor er brüllte.

Allahads entsetzliches Stöhnen verschluckte sich, als sich die Klinge noch tiefer in seinen Unterleib schob. Seine Augen rollten, er verlor schnell an Farbe …

Desiderius begriff noch im Lauf, dass er ihn nicht rechtzeitig erreichen konnte. Es fehlte nicht mehr viel und die breite Klinge würde ihn in zweiteilen. Desiderius blieb stehen, suchte einen festen Stand und hob das Schwert wie einen Speer. Er zielte mit einem ausgestrecktem Arm, dann warf er.

Es war, als hielten nicht nur er und die anderen gespannt die Luft an, sondern auch die Zeit, während die Klinge durch den Raum flog und schließlich bis zum Heft zwischen den massiven Gesteinsschultern landete.

Die Statue verfiel zu Geröll, Allahads Körper krachte auf den Boden und blieb unbewegt liegen.

Für den Bruchteil eines Augenblicks rührte sich niemand. Es war seltsam still in der Grabkammer, nur Desiderius‘ eigener, unkontrollierter Puls rauschte in seinen Ohren.

Ein großer Kloß saß Desiderius im Hals, er schluckte und schluckte, sein Mund wurde trocken, bis er endlich das Wispern eines Stöhnens vernahm.

Sofort rannten sie alle drei zu Allahad.

Er war noch nicht tot! Dem Schöpfer sei Dank, er war nicht tot!

Zitternde Finger, rot von Blut – hellrotem Blut – tasteten nach der Wunde, ein schwacher Kopf hob sich, sah blass an sich hinab …

Desiderius schlitterte neben dem Schurken auf die Knie, stützte sofort mit einer Hand dessen Hinterkopf. Was er sah, gefiel ihm nicht. Ganz und gar nicht.

Als Wexmell und Luro bei ihm ankamen, fielen auch sie vor Entsetzen auf die Knie.

»Sieht übel aus, oder?«, ächzte Allahad, versuchte dabei, etwas zu erkennen. »Es sieht übel aus, habe ich recht? Ja, ich habe recht … Verdammt!«

Desiderius hinderte ihn daran, an sich hinabzusehen, legte ihm beruhigend die andere Hand an die Wange und streichelte sie.

»Nein«, log er. »Es wird alles wieder gut. Halb so wild. Es wird alles wieder … gut.«

Doch er sah sich noch einmal die offene Wunde an, sah die Gedärme daraus hervorquollen, wie blutige, glitschige Schlangen, die sich aus einem Ei schälten, und er wusste, was es bedeutete.

Sein Blick wanderte tränenverschleiert zu Wexmell, der ihm gegenübersaß. Traurig schüttelte er den Kopf …

Luro hatte es bemerkt und hauchte fassungslos: »Nein…«

»Ich hab … hab es … gewusst.« Allahads Kopf wurde immer schwerer, sein Körper immer kälter, obwohl seine Stirn in Flammen zu stehen schien. »Gewusst …. ich …. hier sterbe.«

Desiderius hielt die Tränen eisern zurück, er war wütend auf sich selbst, er hätte alleine gehen sollen. Er hatte seinem Bruder helfen wollen, er sollte hier liegen, nicht Allahad, der geahnt hatte, dass der Tod auf sie alle warten würde.

Die Tür glitt plötzlich auf, geöffnet durch die Vernichtung der Falle in Form von Statuen, die nur von dem Drachenflügelschwert besiegt werden konnten. Ein Schwert, das er nur bekommen hatte, weil er bereit gewesen war, einem uralten Drachengeist anzuhören.

Das war es alles nicht wert gewesen, stellte Desiderius ernüchtert fest.

Bellzazar hatte ihn – so wie es ihm alle antaten – verlassen. Der Drachengeist steckte nun in einem magischen Schwert – aber zum Glück nicht in Desiderius, wie anfangs befürchtet. Desiderius selbst wusste nicht mehr, was er glauben sollte und was nicht. Und für all das, für reines Chaos, sollte Allahad sein Leben geben?

Luro, der an Allahads Kopf saß, liefen Tränen über die Wangen, er schämte sich nicht, sie fließen zu lassen. Er umfasste Allahads Kopf, strich ihm über das braune Haar und flehte stetig flüsternd: »Bitte …. Bitte nicht … Bitte …«

Wexmell ließ den Kopf hängen, schloss gequält die Augen und nahm Allahads blutverschmierte Hand in seine. Knete sie sanft, spendete dem Sterbenden Trost.

Allahad zitterte, verlor schnell das Bewusstsein …

»Nein!«, hörte sich Desiderius bestimmt sagen.

Wexmell hob den Blick, der Bogen seiner vollen Lippen verzog sich voller Bedauern.

»Nein!«, wiederholte Desiderius lauter und drohend.

Verwirrt sahen sie ihn an. Luro schniefte, seine Augen waren bereits jetzt rot vom Heulen. Desiderius war weder bereit, ihn um einen weiteren Freund trauen zu sehen, noch war er selbst bereit, einen weiteren Gefährten begraben zu müssen.

Nein! Es war genug!

»Heute stirbt keiner!«, beschloss er. »Wex, gibt ihm dein Blut. Luro, hilf mir, die Wunde abzubinden.«

Luro machte sich sofort daran, Stücke aus seinem Umhang zu reißen.

Wexmell hingegen lehnte sich über den inzwischen leblos daliegenden Allahad, der auf dem besten Weg war, diese Welt zu verlassen.

»Seine Gedärme fallen ihm aus dem Bauch, Derius«, redete Wexmell leise auf ihn ein, sodass Luro ihn nicht hören konnte. »Blut wird ihm nicht mehr helfen.«

»Es wird ihm am Leben halten, bis wir hier draußen sind.«

»Und wie sollen wir ihn rausbekommen?«

Irgendwie mussten sie es schaffen.

Wexmell forschte lange in Desiderius‘ Blick, bis er begriff, dass dieser es ernst meinte. Er lächelte liebevoll, legte Desiderius eine Hand in den Nacken und zog ihn zu einem sanften, unschuldigen Kuss heran. Der Prinz schmeckte nach herben Männerschweiß und Kampfdreck; köstlich. An Desiderius‘ Mund flüsterte Wexmell mit warmer Stimme: »Deine Entscheidung macht mich froh, aber hab nicht zu viel Hoffnung, es steht nicht gut um ihn.«

Vermutlich würde er nicht einmal überleben, bis sie nach oben kamen, um die Wunde zu versorgen und ihm Heilkräuter einzuflößen.

Oh, wie sehr sie jetzt Ruhna gebraucht hätten. Die Hexe hatte mit ihren Kräutern immer Wunder bewirkt.

»Gehen wir, bringen wir ihn hier raus«, trieb Desiderius sie zur Eile.

Sie banden dunklen Stoff, gerissen aus ihren Umhängen, um Allahads Leib, versuchten so, die Organe im Körper zu behalten. Wexmell gab Allahad sein Blut, Luro hielt dabei den Kopf des Schurken fest, der nur widerwillig schluckte.

Nachdem Desiderius die silberne Maske eingesteckt und das Drachenflügelschwert und den Hexenstab auf seinem Rücken befestigt hatte, schob er die Arme unter Allahads schlaffen Körper, versuchte nicht daran zu denken, wie blass der Schurke mit jedem verstreichenden Augenblick wurde, und hob ihn auf seine Arme. Sie verließen die Kammer.

Sie durften ihn nicht verlieren, sie hatten schon so viele verloren, deren Verlust noch nicht gänzlich überwunden war. Ihre Familien, den König. Silva … oh, seine süße kleine Schwester. Ruhna. Nebuhr. Niegal, letztlich auch Bellzazar.

Mehr Verlust ertrugen sie nicht, Desiderius jedenfalls nicht. Sein Herz krampfte sich zusammen, je kälter Allahads Körper in seinen Armen wurde.

Schneller. Er lief immer schneller durch die Gänge. Blind, weil Wexmells Fackel nicht hinterherkam.

Der erste enge Pass kam. Desiderius würde, wenn nötig, den Drachen rauslassen und alles zum Einstürzen bringen, um nach oben zu kommen; mit Allahad.

Es schien unglaublich, was sie vollbrachten. Hinterher wussten sie selbst nicht, wie sie es geschafften hatten, Allahad durch die Engpässe zu bugsieren. Sie zerrten ihn durch jede enge Stelle, durch jedes Loch, wie eine leblose Puppe. Das Blut aus der Wunde sickerte ungehalten in den umgebundenen Stoff, mehr Wunden kamen hinzu, Schnittwunden von scharfen Felskanten, Prellungen und blaue Flecke von grober Behandlung.

Egal, alles war vollkommen egal, sie konnten nicht sanft sein, nicht, wenn sie ihn hinausbringen wollten.

Und dann, gefühlte hundert Tage später, stolperte Desiderius hinaus unter freien Himmel. Die Tagesdämmerung machte den Himmel grau, kühler Wind ließ ihn frösteln, verwesende Untote, aufgeschlitzt, lagen zu einem Haufen neben einem Lager.

Karrah quickte fröhlich, Glut spendete Wärme, Zasch und Mitja kamen ihm entgegen.

Mit Allahad in den Armen, brach er erschöpft auf die Knie, ließ den Verletzten zu Boden gleiten, auf Mitjas ausgebreitete Decke neben dem Lagerfeuer.

»Was geschehen?«, fragte sie traurig.

Desiderius schüttelte nur den Kopf.

»Er ist verloren«, glaubte Zasch, als Mitja die Verbände abnahm. Sie zischte, als hätte sie sich verbrannt.

»Wir retten ihn«, beharrte Desiderius. Er würde Allahads Tod nicht hinnehmen.

Luro und Wexmell warfen ihre Fackeln ins Feuer, dann waren sie auch schon wieder an Allahads Seite.

»Leg mehr Holz auf das Feuer, Zasch!«, trug Desiderius ihm auf. »Luro, besorg sauberes Wasser, mach es heiß. Wexmell, such irgendetwas, das als Nadel und Faden verwendet werden könnte …«

»Ruhnas Tasche!«, sagte Zasch sich erinnernd. »Wir haben sie doch mitgenommen! Sie hatte immer Nadeln und magische Fäden, die sich von selbst auflösen, auch Verbände …«

Desiderius hörte ihm gar nicht mehr zu, er durchwühlte bereits ihre Vorräte. Luro war schon auf Wassersuche, das nicht stank wie das Moor um sie herum, Zasch legte Feuerholz auf und Mitja und Wexmell schnitten Allahads Rüstung auf und legten die Wunde frei.

Wexmell schüttelte den Kopf. »Das überlebt er nicht!«

Desiderius fand tatsächliche eine kleine lederne Tasche, darin befanden sich nicht nur Verbände, Nähzeug und einige Kräutersäckchen, er fand auch ein Buch, dem er vorerst keine Beachtung schenkte.

Mitja gab einen tiefen Seufzer von sich: »Blut zu viel. Er bald tot.«

Desiderius schob sie zur Seite, kniete sich neben Allahads Körper. »Wir müssen nur die Wunde nähen.«

»Er hat auch innere Verletzungen«, warf Wexmell ein.

»Auch die werde ich nähen«, beschloss Desiderius, er machte die Nadel in einer Flamme heiß, dann zog er den magischen Faden hindurch und beugte sich über die Wunde. Seine Hände färbten sich mit hellem Blut ein, als er sie in Allahad schob und in ihm wühlte. Ihm wurde schlecht, als die langen Schlangen glitschig durch seine Finger glitten, ein unangenehmer Geruch ging von der Wunde aus.

Ein Stöhnen kam von dem Verletzten, als fremde Hände in ihn fuhren, doch er erwachte nicht.

Wexmell schüttelte wirr denn Kopf und blinzelte. »Weißt du, was du tust?«

Desiderius sah ihn nicht an, als er antwortete: »Ich habe das schon einmal gemacht.«

Jedoch war die Wunde damals weniger schlimm gewesen, nicht so tief.

Desiderius fand die inneren Wunden und begann hochkonzentriert, zu nähen, Mitja und Wexmell halfen, indem sie ihm durch Weghalten von Haut und Muskeln eine freie Sicht schenkten.

»Tatsächlich?«, fragte Wexmell verwundert. »Bei wem?«

Lange ließ sich Desiderius für die Antwort Zeit. Er wollte erst gar nichts erwidern, weil es ihm unwichtig schien. Aber wenn es nicht mehr wichtig war, konnte er es auch genauso gut sagen. Also gestand er, ohne aufzublicken, schlicht und trocken: »Bei Rahff.«

Wexmell sagte nichts dazu, doch sein verwunderter Blick lag lange auf Desiderius‘ konzentriertem Gesicht.

Es hätte ihnen allen viel Leid erspart, hätte er Rahff damals nicht gerettet, aber es war nicht mehr zu ändern. Damals, als er in seiner Verzweiflung nach Nadel und Faden gegriffen hatte, um jemanden zu retten, den er liebte, waren er und Rahff beide noch andere Männer gewesen.

Es war nicht mehr wichtig.

Allahad war wichtig. Allahad, der ihm, nachdem Rahff ihn so enttäuscht hatte, mehr Trost gespendet hatte, als Desiderius je zugegeben hätte.

Luro kam, kochte Wasser über dem Feuer, kochte den Stoff aus, der sich Stunde über Stunde mit Blut vollsaugte und gewechselt werden musste.

Desiderius lief der Schweiß über das Gesicht, glänzte auf seinen Lippen, während er hochkonzentriert Allahad nähte. Stück für Stück, jede noch so kleinste Wunde, nicht wissend, ob er ihm damit half oder nicht.

Ein Mensch wäre längst gestorben, aber Allahad war zur Hälfte Luzianer, sein Körper war robust, er hielt lange durch, heilte schneller.

Immer wieder gab Wexmell ihm sein Blut, bis der Prinz umzukippen drohte und Desiderius beschloss, dass Wexmell sich hinlegen sollte.

Der Prinz hörte nicht auf ihn, sah jedoch ein, dass es das Beste war, wenn ein anderer als Blutspender herhielt. Luro sprang mit Freuden für Wexmell ein.

Und schließlich, als der Abend hereinbrach, gewann Allahad an Farbe. Wurde heiß, litt unter Fieber, aber er lebte.

Die Wunde nähte Desiderius zu, als der Mond bereits am Himmel stand, den ganzen Tag hatte er gebraucht.

Wexmell, der in Ruhnas Buch gelesen hatte, bereitete mit Luro einen Kessel Heilkräutertee zu. Abwechselnd flößten sie Allahad Blut und Tee ein. Keiner von ihnen schlief, selbst das Kind und die Nachtschattenkatze fanden keine Ruhe, spürten, das unheilvollgeschwängerte Stunden bevorstanden.

Es war nicht überstanden. Allahad würde nicht mehr verbluten, aber es gab andere Dinge, die ihn jetzt umbringen würden. Das Fieber machte allen am meisten Sorgen, und doch war es ein gutes Zeichen, das er nicht mehr kalt war.

Sein Körper brannte, Desiderius wollte sich nicht vorstellen, welch innerliche Qualen er litt.

Und doch zweifelte er nicht an der Richtigkeit seiner Entscheidung. Er hätte um das Leben seines Freundes sogar mit dem Schöpfer persönlich gekämpft, wenn er Gelegenheit dazu erhalten hätte.

Im Land der Schatten

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