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»Bringt diese Made zur Tür herein!«, donnerte der Kaiser mit erhobener Stimme durch den funkelnden Gerichtssaal. Der Thron, auf dem sein schmaler Arsch festgewachsen zu sein schien, seit er zum Kaiser gewählt worden war, bestand aus glänzendem Marmor, die hohe Rückenlehne und die Armlehnen waren mit den edelsten Diamanten und Edelsteinen geschmückt, die es innerhalb und außerhalb des Reichs gab.

Ashen atmete tief ein und schloss die Augen, als die schweren Türen im Saal geöffnet wurden. Scharniere knarrten unter dem Gewicht des massiven Gesteins, als die Wachen unter Aufwand bloßer Körperstärke die Torbögen aufzogen. Zwei Ackergäule wären nötig gewesen, um sie in angemessener Eile zu öffnen, doch der Kaiser duldete kein Vieh in den Gebäuden; auf die massiven und schön verzierten Gesteinstürbögen hatte er trotzdem nicht verzichten wollen.

Dust, Ashens Schwester, legte ihre kühlen Finger über Ashens im Schoß gefaltete Hände und drückte aufmunternd zu. »Der Kaiser wird unserem Gebieter vergeben«, flüsterte sie zuversichtlich.

Nicht, dass Ashen irgendetwas an seinem Gebieter gelegen hätte. Um schonungslos ehrlich zu sein, mochte er ihn nicht einmal. Und doch, was würde aus ihnen, den Sklaven, werden, sollte der Kaiser ihren rechtmäßigen Besitzer hinrichten?

Sie würden allesamt getrennt und an andere Herren verkauft werden, wo sie eine weniger lobenswerte Position bekommen würden. Vermutlich würde Ashen unter täglicher Prügel die Latrinen niederster Bediensteter leeren müssen. Er sah sich schon in Lumpen bis zu den Knien in Scheiße stehen. Dabei war er kein Junge, der an körperliche Arbeit gewöhnt war, er konnte nicht einmal ein Fass Wein anheben ohne einen größeren, stärkeren Sklaven um Hilfe zu bitten. Für schwere Arbeit war er ohnehin nie ausgebildet worden.

Zwei gepanzerte Ritter der kaiserlichen Garde schleppten einen gefolterten Mann herein. Er trug nur ein zerrissenes, bräunlich verdrecktes Hemd aus Leinen, und beschmutzte Unterhosen, keine Stiefel, er war barfuß, seine blanken Fußsohlen waren blutig und wund. Auf dem hellen Marmorboden hinterließ er eine Schleifspur aus roter und brauner Flüssigkeit, der Gestank von Fäkalien und Tod wehten ihm hinterher.

Ashen senkte den Blick, weil er es seltsam fand, seinen Gebieter so zu sehen, er wollte nicht hinterher dafür bestraft werden, geglotzt zu haben, falls der Kaiser ihren Herrn doch am Leben ließ.

Dust drückte erneut seine Hände, auch sie senkte den Kopf.

Auch wenn man ihrem Herrn jegliche Güter abgenommen hatte – Palast, Ländereien, die gefüllten Schatzkammern, das Vieh in den Ställen, das Korn aus den Vorratskellern, selbst die Kleidung, die er bei seiner Verhaftung getragen hatte – waren die Sklaven aus Valerius Tewes’ Haus noch bestens gekleidet und herausgeputzt. Jedenfalls bis zur offiziellen Verurteilung, oder vielleicht hatte der Kaiser noch keine Zeit gehabt, anzuordnen, auch ihnen die weißen Gewänder und schmucken Haarreife abzunehmen.

Valerius Tewes war bekannt für gut erzogene Sklaven, die er mit Vorliebe ankleidete und schmückte, als seien sie Puppen. Nicht, dass Ashen und Dust die hübschen Tuniken und die funkelnden Haarreife und Halsketten ihr Eigen nennen durften, nein, sie mussten alles wieder abgeben, wenn der Tag vorüber war und sie in ihre Kammern gebracht wurden, bis der Morgen graute und sie wieder herauskommen durften.

Sie waren keine Lebewesen, sie waren Besitztümer.

Eines hatte dieses Dasein an sich, das Ashen als durchaus vorteilhaft anerkennen musste: sie konnten nicht wegen Verfehlungen ihres Gebieters angeklagt werden. Ihr Herr musste sich für seine Taten alleine verantworten und wenn er hingerichtet wurde, würden sie ihm nicht folgen, sondern der Kaiser würde sie für sich beanspruchen oder verkaufen, um die Reichskassen zu füllen; wie es eben mit Besitztümern gehandhabt wurde.

Keine Lebewesen – Sklaven. Und Sklaven waren immer ein Besitz und kein fühlendes, liebendes, verletzbares Wesen.

Ashen hatte diese Wahrheit von Geburt an gelernt, er kannte kein anderes Leben. Doch das bedeutete nicht, dass er sein Dasein unbedingt so mochte, wie es jetzt war.

Er schielte zu seiner älteren Schwester, genau wie er, trug sie über ihrer blassen Haut eine schneeweiße Tunika, die über der rechten Schulter mit einer Spange gehalten wurde und um die Taille mit Stoffgürteln umschlungen war. Ihr langes haselnussbraunes Haar war zu einem langen Zopf geflochten, ein perlenbesetzter Reif schmückte ihren schmalen Kopf, ihre weichen Züge hatten etwas Puppenhaftes, ihre großen, kindlichen Augen waren von langen Wimpern umrandet, ihre spitzen Ohren waren mit Schmuck durchlöchert. Sie sah so jung, so zart, so lieblich aus, doch Ashen kannte das wahre Wesen hinter diesem unschuldigen Gesicht. Dust hatte es faustdick hinter den Ohren, sie war so viel stärker und mutiger als er. Ashen schob es immer auf die fünf Jahre Altersunterschied, jedoch wussten sie beide insgeheim, dass er, im Gegensatz zu ihr, einfach nicht genug Mumm besaß.

Suchend tasteten seine Finger nach denen seiner Schwester, sie verschränkten die Hände miteinander und er fand Trost in ihrer Nähe, in ihrer Stärke. Egal was geschah, niemand würde sie beide trennen, dafür würde Dust schon sorgen. Sie hatte es versprochen, und sie war wirklich gut darin, andere zu manipulieren. Valerius Tewes hatte sie von Geburt an darin geschult, ihre Weiblichkeit zu nutzen, um Männer dazu zu bekommen, ihre Wünsche zu erfüllen, noch bevor sie sie deutlich zum Ausdruck brachte. Diese Gabe hatte Valerius bis zu Letzt bei jedem seiner Verbündeten genutzt, um seine eigenen selbstsüchtigen Wünsche durchzusetzen.

Das Gesicht des Kaisers war von seinen glatten und schulterlangen Haaren eingerahmt, wie schwarze Vorhänge aus glänzender Seide bewegten sie sich bei der Bewegung, ohne dass sich je eine einzelne Strähne herauslöste, fast so, als wäre des Kaisers Haar eine einzige Struktur, ähnlich einer Matte. Er rieb sich das glatt rasierte Kinn; es war sehr lang und spitz, genau wie der Rest seines Gesichts. Er hatte etwas Verkniffenes an sich, seine Augen waren stets zu schmalen Schlitzen verengt, als kämpfe er mit ständigen Sorgen. Um seine dünnen und spröden Lippen lag ein harter Ausdruck, der von der Macht seines Amtes zeugte. Er war der unangefochtene Herrscher des Reichs, die wohlhabenden Bürger hatten ihn selbst gewählt und niemand wagte es, sein Recht auf den Kaiserthron anzuzweifeln, hat er doch als General des letzten Kaisers gut gedient und Ruhm und Ehre erlangt. Nur durch ihn hat das Reich sich soweit ausbreiten und seine Macht stärken können. Die Herrscher und die Könige der anderen Kontinente zitterten schon in Anbetracht der Tatsache, dass der Kaiser, sollte er es wünschen, ihre ganze Welt erobern könnte; nur mit klugem Vorgehen und unerwarteten Zügen auf dem Feld. Aber übernehmen will der Kaiser die Welt nicht, noch nicht jedenfalls. Wenn man dem Geschwätz auf dem Markt Glauben schenken durfte, wollte der Kaiser lediglich ein vereintes Reich gründen, ein Reich, das ihm zu Füßen lag. Gerüchten zu folge, wollte der Kaiser die Könige und Königinnen der anderen Kontinente nicht absetzen, er wollte, dass sie vor ihm niederknieten und im friedlichen Einverständnis unter seiner Herrschaft dienten, auf dass alle den gleichen Göttern huldigten und Frieden herrschte.

Dass die Völker der Menschen sich dagegen wehren würde, war keine Vermutung, sondern eine allgemeine Gewissheit. Selbst Ashen, der so jung war und von Politik keinen Schimmer hatte, wusste, dass der Kaiser von Elkanasai die Menschenvölker unter seiner Herrschaft versklaven würde, weil in der Geschichte der Elkanasai nichts unreiner und böser sein konnte als diese Wesen mit ihren seltsam runden Ohren.

Aber des Kaisers angebliche Pläne konnte auch nur dummes Geschwätz auf dem Markt sein.

Ashen maß sich nicht an, die Gedanken der Mächtigen zu kennen. Er selbst wusste nur eines mit Sicherheit: wenn es Krieg gab, würden zuerst die Sklaven sterben. Und er war ein Sklave.

Der Griff um die Hand seiner Schwester wurde fester, als der Kaiser mit seiner elegant klingenden und doch einschüchternden Stimme zu sprechen begann.

»Valerius Tewes.« Er spukte den Namen aus, als sei er Gift auf seiner Zunge. »Es wurden schwere Anschuldigen gegen Euch erhoben.«

Valerius hob das von Folter gezeichnete Gesicht unter seinem langen Haarschopf an. Das Blond seiner Strähnen wirkte deutlich blasser als üblich. »Ich versichere Euch, sie sind alle haltlos erfunden – Uhrrgt.«

Ein Ritter trat ihn mit dem gepanzerten Fuß in den Bauch. »Du sprichst nur, wenn der Kaiser es dir erlaubt, Gefangener!«

Hustend hielt sich Valerius den Magen, wo der Tritt ihn getroffen hatte. Nur Ashen glaubte, das aufflammen puren Hasses in den Augen seines Meisters zu erkennen.

Das untere Diener, wie ergebene Ritter, ihn duzten und traten und sich anmaßen, ihm Befehle zu geben, war zusätzliche Demütigung zu der Schmach, die Valerius ohnehin verspüren musste, weil er vor jemanden knien sollte, den er hasste.

Ein fieses Lächeln lag auf den Lippen des Kaisers. Zufrieden über den gedemütigten Valerius, lehnte er sich in seinem Thron zurück, die silberne Krone auf seinem schwarzen Haupt, die einen Granz aus Nussbaumästen mit runden Blättern darstellte, verrutschte dabei leicht.

Valerius Tewes und seine Familie waren dem Kaiser und allen anderen reichen Bürgern des Reichs stets ein Dorn im Auge gewesen, selbst die Sklaven wussten das. Das Haus der Tewes’ entstammte aus einem Zweig mit menschlichen Vorfahren. Ein Uhrgroßvater Valerius Tewes’ soll ein wilder Barbar aus dem Eisland Carapuhr gewesen sein, der es im Kaiserreich Elkanasai zu Reichtum geschafft hatte. Von der menschlichen Abstammung sah man Valerius nichts mehr an, er war durch und durch ein Elkanasai mit langen und schlanken Gliedmaßen, blasser Haut und spitzen Ohren, doch sein Name – sowohl Ruf- als auch Familienname – zeugte von dem menschlichen Blut in seinen Venen.

»Ihr behauptet also, der Minister würde lügen?«, fragte der Kaiser. Er warf einen Blick zu dem Mann neben sich, der arrogant eine Augenbraun hochzog und zu Valerius hinabstarrte.

Valerius sah vom Minister zum Kaiser und antwortete gefasst: »Ja, mein Kaiser.«

Staunen war von den Anwesenden zu hören, die reichen Damen schlugen ihre Hände vor die weit aufgerissenen Münder. Kaum vorstellbar, wie anmaßend Valerius doch war!

»Lasst mich sprechen, ich bitte Euch, mein Kaiser!«, flehte Valerius demütig.

Der Kaiser machte eine wenig einladende Handbewegung, es war ihm zuwider, dem nachzugeben, doch er ließ sich darauf ein, damit niemand hinterher behaupten konnte, er würde Verurteilen ohne alle Fakten zu kennen.

Valerius kniete weiterhin auf dem kalten Boden, hätte die Folterung genug Kraft in ihm gelassen, wäre er sicher aufgestanden, um wie üblich stolz zu gestikulieren.

Ashen hielt die Luft an, jetzt war es soweit ...

»Der Minister wirft mir vor, ich hätte ein Versprechen gegeben und dann gebrochen, jedoch kann ich bezeugen, dass ich ihm nie die Hand meiner Cousine versprach, er nahm sie sich gegen meinen Willen, also nahm ich, was mir zuvor gestohlen wurde, zurück.«

Der Minister donnerte eine Faust auf seine Stuhllehne und sprang auf. »Das ist eine Ungeheuerlichkeit! Ich war mit Eurer Cousine bereits vermählt, als ihr sie umbringen ließet!«

»Setzt Euch, Minister«, trug der Kaiser gelangweilt auf.

Der Tod einer Frau kümmerte ihn nicht, solange es nicht jene war, die er begehrte. Und soweit man hörte, sollte er selbst seine Angetraute nicht sonderlich lieben. Sie war nur für ihn notwendig, um ihm Kinder zu schenken.

»Mein Kaiser«, wandte sich der aufgebrachte Minister an seinen Herrscher, »Valerius Tewes hat gerade selbst zugegeben, einen Mord begangen zu haben.«

»Um die Ehre der Familie herzustellen, so wie es jeder gute Mann getan hätte!«, schaltete sich Valerius ein. Er wandte sich erneut an den Kaiser, der verbissen mit den Zähnen mahlte. »Ihr selbst habt Eure erstgeborene Tochter hinrichten lassen, als sie mit einem Eurer Kommandanten davonlaufen wollte. Es liegt im Recht eines Mannes, die Frauen seiner Familie zu verheiraten. Meine Cousine verlor ihren Vater, mein Onkel bat mich auf seinem Sterbebett, für sie zu sorgen. Doch sie beschmutzte mich, mein Haus und unsere Familie, als sie gegen meinen Willen die Verbindung zu diesem Mann einging. Es war mein gutes Recht.«

Damit war der Kaiser in einem Zwist, denn er konnte Valerius nicht wegen Mordes anklagen, es sei denn, er gab zu, selbst ein Mörder zu sein, da er die nichtbewilligte Heirat seiner Tochter auch bestraft hatte. Er nagte lange an seiner Lippe.

Der Minister warf sich vor dem Kaiser auf die Beine, Tränen in den Augen. »Ich habe meine junge Frau geliebt! Und sie liebte mich. Valerius gab uns seinen Segen, bevor wir den Bund eingingen. Nur weil er die Mitgift zurückhaben wollte, ließ er sie töten. Er will mir ein Verbrechen anhängen, weil er meine Ländereien begehrt. Er ist ein Mörder, mein Kaiser!«

»Unsinn! Ich würde doch niemals eine Heirat genehmigen, wenn die Frau bereits mit mir den Bund eingegangen war!«, rief Valerius.

Raunen ging durch die anwesenden Zuhörer.

Der Kaiser entzog sich ruckartig der Hände des Ministers, die seine Finger flehend umklammerten. »Habt Ihr Beweise für die genehmigte Eheschließung?«

Der Minister senkte den Kopf, Wut flackerte in seinem schmalen Gesicht auf. »Ich hatte ein Schriftstück mit Valerius’ Unterschrift, doch es ist spurlos verschwunden.«

»Wie überaus ärgerlich«, knurrte der Kaiser. Er sah hinab zu Valerius, in dessen Augen der Triumph bereits funkelte. »Und Ihr? Könnt Ihr denn beweisen, dass die Heirat gegen Euren Willen geschah?«

»Natürlich!« Valerius neigte ergebend sein Haupt. »Ich würde nie ohne Beweise eine Verteidigung vorbringen, mein Kaiser.« Valerius’ Hand deutete hinter sich, er zeigte direkt auf Ashen und Dust.

Jetzt war es soweit. Nur zu diesem Zweck durften die beiden Sklaven überhaupt dieser Verhandlung beiwohnen.

Der Kaiser bedeutete ihnen, aufzustehen.

Mit ergebend hängenden Köpfen standen Dust und Ashen von ihren Bänken auf, alle Augen waren auf sie gerichtet, was seltsam war, da sie die meiste Zeit über unsichtbar blieben.

»Sprecht, Sklaven!«, forderte der Kaiser auf. »Aber seid gewarnt, lügen ist ein schweres Vergehen. Solltet ihr mich, euren Kaiser, anlügen, werde ich euch dafür mit dem Tod bestrafen.«

Er sagte das so eindringlich, das Ashen tatsächlich überlegte, die Wahrheit zu sagen.

Aber unmerklich stieß ihm Dust einen spitzen Ellenbogen in die Rippen, als wüsste sie, was in ihm vorging.

Dust sprach zuerst: »Mein Gebieter war stets gegen das Gesuch des Ministers, die Cousine meines Gebieters zur Frau zu nehmen, da der Onkel meines Gebieters bereits die Hand seiner Tochter meinem Gebieter versprach.«

»Entspricht deine Aussage der Wahrheit, Sklavin?«

Dust nickte demütig.

»Schwörst du das auch unseren Göttern?«

Erneut nickte sie.

»Setz dich«, trug der Kaiser ihr auf.

Dust setzte sich.

Nun war Ashen an der Reihe.

»Was sahen deine Augen und was hörten deine Ohren, Sklave?«

Ashen log erstaunlich vortrefflich: »Ich war dabei, als mein Gebieter den Bund mit seiner Cousine einging, ich selbst sah zu, wie das Schriftstück zum Beweis dieser Ehe unterschrieben wurde.

Die Frau meines Gebieters lief nur zwei Nächte danach davon und heiratete gegen den Willen der Götter den Minister. Ich schwöre bei Krassus, dem Gott der Aufrichtigkeit, dass mein Gebieter nur ein Verbrechen gesühnt hat, das ihm angetan wurde.«

»Setz dich, Sklave.«

Ashen setzte sich.

Dust nahm wieder seine Hände, beugte sich zu ihm und flüsterte stolz: »Das hast du gut gemacht.«

Doch Ashen fühlte sich unwohl dabei, zu lügen.

Es war genauso, wie der Minister es vermutete. Alles war eine große Intrige, nur damit Valerius die Ländereien zugesprochen bekam, weil man ihm angeblich Unrecht getan hatte.

Nichts von alledem war wahr, er hatte die Heirat gebilligt und hinterher alles so gedreht, dass der Minister der Verbrecher und Sünder war.

»Außer Euren Sklaven habt Ihr nichts?«, fragte der Kaiser. »Warum sollten wir Euren guterzogenen Haustieren Glauben schenken?«

Düsteres, gemeines Lachen ging durch die Zuhörer.

Ashen sah sich mit gesenktem Kopf um, er hasste sie alle dafür, dass er für sie nichts weiter war als ein Ding, über dessen willenloses Dasein sie sich lustig machen konnten.

»Mein Bruder hat die Urkunde der Heirat mitgebracht, mein Kaiser«, erklärte Valerius.

Der Kaiser nickte widerwillig. »Er soll sie reinbringen.«

Erneut wurden die schweren Türen unter grunzenden Wachen geöffnet. Sahrian Tewes, ehemaliger Kommandant in der Kaiserlichen Armee, heute nur noch ein Wrack, der auf einem rollenden Stuhl herumgefahren werden musste, kam herein, geschoben von zwei wunderschönen Sklavinnen aus Valerius’ Haus.

Keiner sagte etwas, alle hielten die Blicke gesenkt, während der ehemalige Kommandant, Liebling aller Soldaten, reingeschoben wurde, sabbernd und nur halb Herr seiner Sinne, gelähmt und mehr tot als lebendig, der Duft von Unrat haftete ihm an.

Er war in einer Schlacht um Zadest schwer verwundet worden, doch statt das die Götter ihm einen ruhmreichen Tod auf dem Schlachtfeld gewährten, hatten sie ihn leben lassen; sofern man das, was er war, lebendig nennen konnte.

Der Humor der Götter konnte grausam sein. Einen Kommandanten wie Sahrian Tewes hatte es in der Geschichte noch nie gegeben. Trotz Unterlegenheit hatte er seine Truppen weiter nach Zadest hereingebracht als jeder andere. Doch skrupellos war er nicht, selbst seine Feinde huldigten ihm Respekt, weil er ein Ehrenmann war. Zadest konnte nach Sahrians Verwundung nicht eingenommen werden, die kaiserliche Armee wurde zurückgedrängt.

Jetzt war von dem einstig großen Kommandanten nur noch eine sabbernde Hülle übrig, die sich auf die Versorgung seines Bruders verlassen musste.

Der Kaiser stand auf und kam von seinem Thron herunter. Selbst er zollte dem einstmals großen Krieger Respekt, indem er ihm die Hände auf die Schultern legte und ein paar nette, geflüsterte Worte mit ihm austauschte. Dann besah er sich das Schriftstück an, das Ashen zusammen mit Dust gefälscht hatte.

Nachdem Sahrian wieder nach draußen geschoben wurde, nahm der Kaiser wieder Platz und überschlug die dürren Beine.

Der Minister sah sich panisch um.

»Nun denn«, begann der Kaiser. »angesichts der Beweise, bleibt mir keine andere Wahl als Valerius Glauben zu schenken.«

»Was? Nein!« Unglauben trat in die Augen des Ministers.

»Nehmt den Minister fest, sein Kopf rollt im Morgengrauen, als Warnung für all jene, die ihren Nachbarn die Frau stehlen wollen.«

»Mein Kaiser, nein!«, protestierte der Minister, aber da wurde er schon von Leibwachen gepackt und aus dem Saal geschleift.

Mit vor Zorn bebender Stimme brüllte der Minister: »Dafür wirst du bluten, Valerius! Die Götter werden deine Lügen nicht hinnehmen, Unreiner!«

Unrein wurden diejenigen genannt, deren Blut mit Menschenvölkern vermischt worden war. Die Beleidigung traf Valerius hart, er knirschte mit den Zähnen, zeigte aber keine Angst vor dem Zorn der Götter, denen er ohnehin nicht huldigte. Jedenfalls nicht, wenn ihn nicht gerade der Kaiser beobachtete.

Ashen sah dem Minister nach, wohlweißlich, dass er eine Teilschuld an dessen Tod trug. Es machte ihm das Herz schwer ...

»Ich danke Euch für Eure Großzügigkeit, mein Kaiser.« Valerius verneigte sich und sah sich schon im Sieg.

»Was Euch betrifft, werde ich es nicht billigen, dass Ihr ohne meine Erlaubnis ein Urteil gefällt habt!«, beschloss der Kaiser.

Valerius wurde blass. »Mein Kaiser?«

»Der Mord an Eurer Frau wird keineswegs unbestraft bleiben, Valerius. Ihr hättet mir dieses Verbrechen vortragen und mein Urteil abwarten müssen, stattdessen habt Ihr Euch über mich hinweggesetzt.«

Oh nein, wenn alles umsonst gewesen war, würde Ashen nie wieder ruhig schlafen können ... Wozu all die Lügen, wenn ihr Gebieter doch hingerichtet wurde?

Der Kaiser dachte lange nach, sah dabei durch die Säulen nach draußen in die Hitze Elkanasais. Dann breitete sich ein bösartiges Schmunzeln auf seinem Gesicht aus.

»Valerius Tewes, ich schicke Euch mit all Euren Untertanen, Vorräten und Gütern auf eine Reise zu einem gefährlichen Ort. Die Reise werdet Ihr aus eigener Tasche zahlen.«

Ashen konnte deutlich sehen, dass die Haut in dem Gesicht seines Gebieters noch blasser wurde als sie ohnehin schon war. »Ihr meint doch nicht etwa ...?«

»Geht und beweist Euren Wert für unser Volk, Valerius«, trug der Kaiser ihm auf. »Ihr wisst, wo von ich spreche, und wohin die Reise gehen wird. Brecht sofort auf und kommt nicht mit leeren Händen zurück. Bringt mir, was ich suche, und Ihr erhaltet nicht nur Eure Länder zurück, sondern auch die des Ministers.«

Ashen wusste nicht, worum es ging, doch er spürte an der Anspannung im Saal, dass es keine leichte Aufgabe war, die der Kaiser Valerius übertrug.

Wie zu sich selbst sagte der Kaiser mit starrem Blick an die Wand hinter den Zuhörerbänken: »Viel zu lang war diese Schmach eine offene Wunde in der Geschichte unseres Volkes.«

»Es ist ein unmögliches Vorhaben, mein Kaiser«, warf Valerius ein, es war ihm sehr deutlich anzumerken, dass ihn die Vorstellung, seine gemütlichen Palasträume zu verlassen, ängstigte.

Doch der Herrscher über das Kaiserreich Elkanasai ließ sich nicht abbringen. Knurrend verlangte er von Valerius: »Bringt mir den Mann, der unserem Volk einst Nohva stahl!«

Im Land der Schatten

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