Читать книгу Im Land der Schatten - Billy Remie - Страница 4

1

Оглавление

Teil1: Insel der Vergangenheit.

»Folge den Spuren der Vergangenheit und du wirst verstehen. Doch die Grenze zwischen Lüge und Wahrheit verschwimmt, je nachdem, wer die Geschichte erzählt.«

Nach einem langen Ritt durch unbewohntes Gebiet, schlugen sie ihr Lager nahe einer Süßwasserquelle auf. Er beugte sich hinab zu dem Quell, der aus einer grauen Felsspalte floss, und schöpfte mit der Hand Wasser in seinen Mund, das im letzten Schein der Sonne glitzerte.

Nachdem er seinen Durst gestillt hatte, richtete sich der in schwarz gekleidete Mann auf und fuhr sich mit dem Handrücken über die schmalen Lippen.

Er sah sich um.

Dichter Urwald drängte sich um ihn, wechselnde Schatten in den bunten Baumkronen, der Duft von feuchtem Boden, der Gestank eines nahen liegenden Moors, klagende Rufe verschiedener Raubvögel, das düstere Fauchen einer Nachtschattenkatze.

Beinahe könnte er sich vorstellen, in der Heimat zu sein. Aber leider nur beinahe. Die Heimat lag so weit entfernt, dass auch nur der leiseste Gedanke an sie, seine Stimmung verdüsterte.

Wobei seine Laune zurzeit ohnehin mieser Natur war.

Nachdem er seinen Wasserschlauch mit kühlem Wasser aus der Quelle aufgefüllt hatte, ging er zum Lager zurück. Sie hatten es absichtlich einige Fußschritte entfernt aufgeschlagen, damit sie die Tierwelt nicht von ihrem Wasserplatz vertrieben.

Vier seiner Gefährten tummelten sich im aufgeschlagenen Lager. Der Jäger entzündete das Feuer für seine erlegte Beute – zwei hundsgroße Echsen –, der große Barbar und seine Gefährtin mit den spitzen Ohren tränkten die ermüdeten Pferde, und der Schurke saß auf einem überwucherten Stück Felsen und schärfte die Klingen seiner Krummschwerter mit einem Wetzstein, sein zotteliges und braunes Haar verbarg halb sein schmales Gesicht, nur die Nasenspitze und sein Ziegenbart waren zu erkennen. Neben dem Schurken im hohen Gras lag ein greinendes Bündel, das nach Aufmerksamkeit und Essen verlangte. Um das Bündel herum, war die schwarzweiße Nachtschattenkatze geschlungen, die jedes Mal fauchte, wenn auch nur jemand zu nahe an dem Kind vorbeilief.

Mit Unbehagen eilte er an dem Kind und ihrer Beschützerin vorbei, er ignorierte das Fauchen aus dem wolfsähnlichen Maul – und die giftigen Zähne, die in den Kiefern lauerten – und ging hinüber zum Feuer.

Der junge Jäger, so drahtig und dünn, dass er fast schon lieblich wirkte, hob nur kurz den Blick an und nickte ihm stumm zu.

Alle waren schlechter Laune, alle hatten eine lange Reise hinter sich, und es hob nicht gerade die allgemeine Stimmung, dass er sie nun durch dieses heimtückische Gebiet führte. Giftspinnen und Giftschlangen lauerten hier überall, in jedem noch so kleinsten Grasbüschel. Ganz zu schweigen von den großen Echsen, die äußerst aggressiv auf Eindringlinge reagierten.

Keiner seiner Gefährten wollte hier sein, das ließen sie ihn auch deutlich spüren, sie straften ihn mit misstrauischen Blicken und eisernem Schweigen. Doch das kümmert ihn nicht, auch nicht die Gefahr, in die er sie alle brachte, weil sein ganzes Bestreben nur auf diesen einen Tag hingearbeitet hatte. Nun stand der ersehnte Tag so kurz bevor, er war so kurz vor dem Ziel und er erkannte …, dass es zu einfach gewesen war.

Deshalb war seine Stimmung so düster, weil sein Verstand und die Erfahrung ihm sagten, dass es zu einfach gewesen war. Irgendetwas Schreckliches würde geschehen, noch bevor sie ihr Ziel erreichten, er spürte es tief in den Knochen.

Er setzte sich ans Feuer und beobachtete den jungen Jäger, wie dieser die Echsen hintereinander auf einen gewaltigen Stock steckte und sie auf die Vorrichtung über dem Lagerfeuer hing. Der Duft von brutzelnden Schuppen stieg bald auf und ließ seinen Magen knurren.

»Neun Monate auf See«, klagte der Jäger und stocherte in der Glut des Feuers, sodass es Funken sprühte. »Neun Monate nur Pökelfleisch und Fisch – Und jetzt nur Echsen. Ich hatte auch auf Wildgemüse oder wenigstens Obst gehofft.«

»Es gibt reichlich Obst hier«, erwiderte er auf das Genörgel des Jägers hin.

»Aber keines, das mich nicht nach dem Verzehr umbringt.«

Grinsend lehnte er sich zurück und stützte seinen strammen Körper auf die spitzen Ellenbogen. »Ihr habt vielleicht einfach zu hohe Ansprüche, junger Jäger.«

Der dunkelhaarige Jäger warf ihm aus großen Augen einen entnervten Blick zu. Gleich darauf wurden die zarten Züge in dem jungen Gesicht melancholisch. Ein bedauernder Blick starrte in die züngelnden Flammen. »Wisst Ihr, was ich am meisten vermisse? Die Törtchen. Im Palast gab es immer Törtchen. Törtchen zusammen mit frischer, noch warmer Kuhmilch. Wisst Ihr, wie lange wir keine Milch mehr getrunken haben?«

Den Blick zu Boden richtend, schüttelte er den Kopf. Er konnte sich tatsächlich nicht mehr daran erinnern, wann er das letzte Mal etwas anderes als in der Wildnis entsprungenes Wasser getrunken hatte. Oder – wie in den letzten Monaten auf hoher See, nachdem das letzte Fass mit Trinkwasser geleert war – seinen eigenen Urin.

»Es ist eine Ewigkeit her«, flüsterte der Jäger ermüdet. Wie ein Kind saß er in der Hocke vor dem Feuer, die Beine mit einem Arm umschlungen, das Kinn auf den Knien ruhend, während seine andere Hand mit einem Stock im Feuer herumstocherte, als sähe er einen Gegner in den Flammen, den er erstechen wollte.

Ja, die letzten Jahre waren nicht gut zu ihnen gewesen. Angefangen mit Verrat, Flucht und schließlich ihre Verbannung aus der eigenen Heimat. Und keiner von ihnen hatte auch nur geahnt, wie beschwerlich so eine Seereise sein würde. Aber welche Wahl hatten sie denn schlussendlich gehabt? Einvernehmlich hatten sie zugestimmt, die Heimat hinter sich zu lassen, ohne zu wissen, was vor ihnen lag. Und alles hätte gut werden können, hätten sie nur bedacht, dass ihnen auf halbem Wege die Vorräte ausgingen. Keiner hätte voraussehen können, dass sie gleich drei Tage hinter einander in heftige Seestürme gerieten und die Hälfte an Fracht verloren. Und dann diese Krankheit, die die Schiffsbesatzung ausgelöscht hatte, herbeigeführt von zu viel Fleisch und zu wenig Obst, bis keiner außer ihnen mehr übrig war, sodass sie notgedrungen die Kunst des Segelns selbst erlernen mussten. Was nicht einfach gewesen war, jeder von ihnen hatte mit anpacken müssen.

»Wir dürfen nicht vergessen, welch Glück wir hatten«, sprach er auf den jungen Jäger ein.

»Er hat Recht.« Der Schurke stand auf einmal neben ihnen, seine dunkle Stimme wies einen schnurrenden Akzent auf. Mit seiner Anwesenheit leuchteten sogleich die Augen des jungen Jägers glücklich auf. Doch das Strahlen wurde nicht erwidert, der Schurke beachtete es gar nicht. »Wir leben noch, wir sollten zusehen, dass es so bleibt.«

Der Schurke hob einen Bogen vom Boden auf, dazu die letzten verbliebenen Pfeile in einem halbleeren Köcher, den er sich über den Rücken hing. »Ich spähe die Gegend aus. Es wird bald dunkel, und ich will nicht von irgendwelchen Wilden überrascht werden, oder diversen Raubtieren zum Opfer fallen.«

»Du solltest nicht alleine gehen«, warf der Jäger besorgt ein.

»Allein bin ich schneller und leiser

Schamesröte stieg dem jungen Jäger in die Wangen, als er schnell den Kopf senkte. Der Schurke hatte niemand im Speziellen angesprochen, doch allgemein war bekannt, dass der Jäger in ihrer Gemeinschaft der Redseligste war, und selten still sein konnte.

»Wo sind eigentlich unsere erlauchten Anführer?«, fragte er seine Gefährten schließlich.

Der Schurke schnaubte belustigt. Als er antwortete, verzogen sich seine Mundwinkel zu einem schiefen Grinsen: »Sie ›jagen.‹«

***

Spätabendlicher Wind raschelte durch die bunten Blätter des Waldes, Sonnenschein fiel durch die Baumkronen und zeichnete Schattenspiele auf das Gesicht eines scheinbar schlafenden Mannes. Die Melodie der Tierwelt wehte zu seinem Ohr. Das Summen der Fliegen, das Quaken der Amphibien nahe dem Moor, das Singen der Vögel in den Ästen weit über seinem Kopf, sein eigenes Tier tief in seinem Selbst vergraben, das grollend schlummerte.

Ruhe. Einsamkeit. Erholsamer Schlaf, nach einem Kraftakt, der Erfüllung geschenkt hatte.

Milder Abendwind, der über seinen verschwitzten Körper glitt, ohne das Auskühlen zu spüren, dank des Feuers in seiner Seele.

Sich selbst spüren. Wegdämmern, ohne sich im festen Schlaf zu verlieren. Immer wachsam.

Die Präsenzen des Waldes spüren, als seien sie Teil von einem. Die Augen geschlossen halten, den Puls hinunter atmen, trotz zuckenden Lenden nicht die gewillten Finger zur pochenden Männlichkeit bewegen.

So tun, als würde er schlafen.

Sinne schärfen. Spüren, hören, sogar schmecken, wo sich der andere befand. Die Augen auf sich fühlen, die aus dem Unterholz herausstarrten. Hören, wie sich Schatten durch das Dickicht bewegten. Den Duft schmecken, den er auf der Haut des anderen hinterlassen hatte.

Desiderius runzelte belustigt die Stirn, während er krampfhaft versuchte, sich schlafend zu stellen.

Oh, er täuschte den anderen Mann nicht von Beginn an. Er hatte tatsächlich geschlafen. Doch ein halbes Leben als Vagabund hatte ihn gelehrt, jede Bewegung, jede Veränderung um sich herum, wahrzunehmen, auch im tiefsten Schlaf. Manchmal vermisste er die Einsamkeit seines früheren Daseins, die Freiheit, hinzugehen, wohin er wollte. Allein. Und doch wollte er seine Freunde, seine Familie, nicht mehr missen. Selbst dann, wenn er wieder spürte, wie sehr ein Mann manchmal das Alleinsein benötigte.

Gefühle zu zulassen war harte Arbeit, und Emotionen konnten reichlich anstrengend sein. Sie stets richtig zu deuten war schwer. Und doch hatte er sich mittlerweile gut daran gewöhnt. Aber mit anderen Lebewesen, Tag ein und Tag aus, zu jeder Tages- und Nachtzeit zusammen zu sein, zerrte an seinen Nerven. Der Umgang mit anderen war stets schwer für ihn gewesen, nicht einmal die Liebe und Freundschaft zu anderen hatten ihn davor bewahrt. So war er nun mal einfach, er konnte nicht ständig unter anderen Lebewesen sein, er genoss die Zeit mit sich alleine ganz gerne, und sei es nur für wenige Augenblicke, in denen er vor sich hindösen konnte. Nur er und das Tier in ihm, das niemals verschwand.

Er vermisste es nicht unbedingt, nur für sich selbst da zu sein, und doch spürte er gelegentlich seine Geduld schwinden; seine Laune wurde schlechter, je öfter er sich mit anderen Lebensformen umgab. Dann, aber wirklich nur dann, brauchte er eine Pause und Zeit für sich allein. Seine Gefährten wussten darum und ließen ihm seinen Freiraum. Trotzdem hatte er jedes Mal ein schlechtes Gewissen, wenn er sich zurückzog. Jedoch war es besser, wenn er vor Gesellschaft floh, als seine düstere Stimmung ungewollt grob an seinen Freunden auszulassen. Oder – Schöpfer bewahre – an seinem innigen Geliebten.

»Ha!« Der Schatten sprang aus dem Dickicht neben Desiderius’ Schlafstätte – einem monströsen Mammutbaum – und warf sich auf ihn.

Schmunzelnd fing er den geschmeidigen Körper des anderen Mannes noch im Flug ab, warf ihn herum und rollte sich über ihn.

»Ach nein, das ist so ungerecht!« Der Blonde mit dem gelockten Goldhaar trommelte mit zwei eisernen Fäusten auf Desiderius‘ nackte Brust. »Wie kannst du das gewusst haben!«

Leise in sich hineinlachend, schob Desiderius seine Hüfte zwischen die Schenkel des Angreifers.

»Ich habe es genauso gemacht, wie du es mir gezeigt hast!«, beklagte sich Wexmell.

Es stimmte, er hatte sich gut angestellt. Mit einem mitfühlenden Lächeln beugte sich Desiderius zu ihm hinab und fuhr die Linien des vollen Mundes mit der Zungenspitze nach, ehe er nachsichtig versicherte: »Es ist nicht deine Schuld, dass ich eine gute Wahrnehmung besitze. Du hast dich gut geschlagen, ich hätte dich fast nicht kommen gehört.«

Er warf ihm Krümel zu, obwohl nichts davon stimmte. Weshalb er auch der falsche Mann dafür war, um Wexmell irgendetwas beizubringen. Desiderius war gegenüber seinem Prinzen zu nachsichtig, zu inkonsequent. Wenn Wexmell etwas lernen sollte, musste er ihn an seine Grenzen bringen. Nicht nur beim Schleichen, nicht nur beim Jagen, vor allem im Schwertkampf. Nur gut, dass Bellzazar den jungen Prinzen im Zweikampf trainierte. Seither war Wexmell viel besser geworden, und die harte Arbeit eines Seemanns hatte ihm einen starken und durchtrainierten Körperbau beschert, sodass es viel leichter für ihn war, größere Schwerter und nun auch Schilde zu führen.

Vergessen war die Niederlage, nachdem Zungenstrich starrten Wexmells eisblaue Augen wollüstig zu Desiderius auf. »Selbst im Schlaf verlierst du nicht an Härte«, bemerkte Wexmell. Seine Worte unterstreichend, rieb er seinen ledernen Waffengürtel über Desiderius’ pochender Männlichkeit, die zwischen ihren Körpern eingeklemmt war.

Ein grollender Laut entrann sich Desiderius’ Kehle. Er schob einen Arm unter Wexmells goldenen Haarschopf und legte sich genüsslich auf dessen Körper. Schlanker, kleiner als sein eigener Leib.

»Du hast mich einfach schlafend allein gelassen«, beklagte sich Desiderius, ohne den Vorwurf wirklich ernst zu meinen. »Nackt, verschwitzt und der wilden Tierwelt ausgeliefert.«

Um Wexmells volle Lippen spielte ein heiterer Ausdruck. »Vergebung, ich ahnte nicht, dass Ihr so schutzlos seid, holde Maid.«

Desiderius schmunzelte düster. »Oh, das wirst du bereuen.«

»Ach ja, wirklich?« In Wexmells Blick lag pure Provokation. »Denkt Ihr, ich habe Angst vor einem nackten Mann, mein edler Ritter?«

An den Rittertitel würde Desiderius sich nie gewöhnen, zumal es jetzt ohnehin keine Bedeutung mehr hatte, ebenso wenig wie Wexmells königliches Blut in seinen Adern. Ob Prinz, Ritter, Dieb, Meuchelmörder, Barbar oder Dämon ... all diese Titel, ob schmeichelhaft oder beleidigend, bedeuten rein gar nichts mehr so weit ab der Heimat. Seit Wexmells vorgetäuschtem Tod und Desiderius’ Verbannung aus Nohva, waren sie alle nur noch eines: Flüchtlinge, die ums Überleben kämpfen mussten.

Desiderius fuhr mit der Hand über Wexmells erhitzte Stirn und strich ihm das goldgelockte Haar zurück. Es war kühl und seidig, ohne eine Spur von spröden Spitzen oder gekräuselten Strähnen. Trotz aller Strapazen verlor Wexmells Erscheinungsbild nicht an Schönheit. Er war so hinreißend perfekt wie eine Statue, bis auf die Narben unter seinem braunen Lederwams, aber selbst die waren in Desiderius’ Augen keine Makel.

»Unterschätze niemals einen nackten Mann, Wex.« Desiderius klang ernst, als er seinem Geliebten diesen Rat gab.

Sofort verschwand jegliche Belustigung aus Wexmells zaghaftem Gesicht. Nachdenklich legte er den Kopf schief und musterte Desiderius’ markante Züge. »Wieso?«

Lüstern schmunzelnd bewegte Desiderius eine Hand an Wexmells Seite hinab, fühlte das Leder der Rüstung, spürte die kalten Riemen, die sie zusammenhielt, tastete an der leeren Schwertscheide vorbei und schob sie unter Wexmells warmen Körper, um sich deutlich aber nicht grob um die sinnliche Rundung seiner prallen Pobacke zu legen.

»Weil ...«, er schmiegte das Gesicht an Wexmells, » ... sie dir gefährlicher werden können als jeder Mann mit einer Waffe.«

Ein heiseres Keuchen entfloh Wexmells Mund, als er seine Lippen teilte. Desiderius zupfte liebevoll daran, ließ anschließend die Zunge in den süß schmeckenden Mund seines Prinzen gleiten. Unterdessen spürte er bereits Wexmells Hände, die sich an seinen Schultern festkrallten und ihn hinabzogen. Drängend rieben sich ihre Körper aneinander, der eine heiß und nackt, der andere ungeduldig und in Rüstung.

Die Reibung seiner harten Männlichkeit über Wexmells Lederwams sandte ungeahnt lustvolle Impulse durch Desiderius’ Körper. Widerstrebend löste er sich trotzdem von Wexmells Lippen.

Einen protestierenden Laut ausstoßend, flehte Wexmell: »Bitte, nicht aufhören ...«

Auflachend rollte sich Desiderius von ihm runter und landete mit dem Rücken wieder auf dem schwarzen Umhang, den er für sie auf dem Boden ausgebreitet hatte, bevor sie wie Hunde über einander hergefallen waren, wild und unbändig in ihrer Leidenschaft.

Dreimal hatte er mit Wexmell Erfüllung gefunden, bevor er in dessen Armen weggedöst war. Auch im Schlaf hatte er noch das drängende Pochen seines Glieds gespürt, das, seit der Entdeckung des Tiers in ihm, nie zur Ruhe zu kommen schien.

Aber für heute hatte er genug. Er war schon ganz wund, der Kopf seiner Männlichkeit leuchtete rot und hob sich deutlich vom Rest des Schafts ab. Rot gescheuert von zu wilder Behandlung, worüber er sich nicht beklagte. Aber ein Mann wusste, wann es genug war.

Wexmell rollte sich auf die Seite und stützte den Kopf auf eine Hand. Mit der anderen strich er über das wulstige Narbengewebe auf Desiderius’ Arm und Schulter, wo ihn einst magisches Feuer verbrannt hatte.

Noch heute, nach all den Monaten, schmerzten die Narben. Und laut seinem Halbbruder Bellzazar, würde er mit diesen Schmerzen vermutlich leben müssen. Es waren jedoch nicht die einzigen Narben, die vom Kampf um Nohva, den sie verloren hatten, geblieben waren.

Desiderius hob seine Hände vor sein Gesicht und betrachtete die länglichen Narben in den Innenflächen. Tiefe Einschnitte hatten diese Zeichen auf seiner Haut hinterlassen, er hatte sie sich selbst zugefügt, um das Schwert aufzuhalten, das sich quälend langsam in seine Brust geschoben hatte. Wie zur Erinnerung an dieses Ereignis, stach die Narbe über seinem Herzen.

Wexmell legte den Kopf an Desiderius’ Schulter, seine Locken kitzelten an Hals und Schlüsselbein. »Tut es weh?«, fragte der Prinz und hob nun seinerseits eine Hand, um mit dem Finger über die Narbe in der linken Hand zu streichen.

»Nein.« Desiderius ballte die Hände zu Fäusten, dann ließ er die Arme fallen. Er drehte den Kopf und lächelte Wexmell traurig an. »Und selbst wenn, kein Schmerz war, ist oder wird je so groß sein wie jener Schmerz, den ich spürte, als ich dachte, dich verloren zu haben.«

Zwischen Wexmells Augen entstand wieder eine tiefe Sorgenfalte, wie jedes Mal, wenn dieses Thema aufkam. »Ich wünschte, ich könnte dir die Erinnerung daran nehmen. Dein Kummer ist für mich schwerlich zu ertragen.«

Desiderius strich ihm übers Kinn, hauchte ihm einen federleichten Kuss auf die Stirn. »Zu düstere Erinnerung für einen so schönen Abend, lass uns über andere Dinge sprechen.«

»Und worüber?«

»Vielleicht darüber« - Desiderius schmunzelte belustigt in sich hinein - »was wir den anderen erzählen, weshalb wir keine Jagdbeute mitbringen.«

Wexmell schaute düster drein. »Sagen wir die Wahrheit: ich kann einfach nicht jagen.«

Desiderius hatte Mitleid mit ihm und stützte sich auf der Seite liegend auf. »Wex, es ist nie leicht, eine neue Fertigkeit zu lernen.«

Aber Wexmell ließ sich mit solchen Floskeln nicht aufmuntern. Er ließ sich auf den Rücken fallen und starrte stur in den Himmel auf. »Was bin ich für eine Art Mann, wenn ich nicht einmal ein Tier erlegen kann? Ich fühle mich wie ein Kind, das nie erwachsen wird.«

»Benutz das nächste Mal die Fangzähne, statt eines Bogens«, scherzte Desiderius, um seinen Prinzen wieder zum Lächeln zu bringen. Er fuhr sich mit der Zunge über die eigenen Fangzähne, die seinem Volk – den Luzianern – eigen war, als Wexmell ihn forschend musterte, und wackelte anschließend mit den Augenbrauen.

»Ich meine es ernst, Derius!« Wexmell bat um Aufrichtigkeit. »Was siehst du in mir? Nur einen jungen Jüngling, der beschützt werden muss?« Die Vorstellung, Desiderius könnte so von ihm denken, schien ihm nicht zu gefallen. »Das will ich aber nicht«, sagte er wütend, ohne eine Antwort abzuwarten. »Ich will ein Mann sein.«

»Nicht die Fähigkeit des Jagens macht einen Mann aus dir!«, warf Desiderius ein. Er bohrte einen Finger in Wexmells Brust und betonte seine Worte, indem er die Spitze des Fingers immer wieder in das rissige Leder der Rüstung stieß. »Was ein Mann fühlt und was ein Mann denkt macht ihn aus. Nicht die Fähigkeit zu jagen, oder wie ein Schwein zu grunzen.«

Wexmell lachte schnaubend auf.

Eindringlich erklärte Desiderius seine Ansicht: »Ist ein Mann, der einen Hammer in der Schmiede schwingt, denn mehr ein Mann als jener, der auf der Straße einen Pinsel über ein Bild gleiten lässt, nur, weil der Schmied gegenüber dem Maler eine körperliche Überlegenheit besitzt? Nein! Ein Mann ist ein Mann, wegen dem, was er fühlt und was er denkt.« Er strich mit einem Finger über Wexmells stoppliges Kinn und schmunzelte verschmitzt. »Nicht die Fähigkeiten, nicht einmal das Äußere macht einen Mann aus, sondern nur das, was in ihm steckt.«

Und so gesehen war Wexmell mehr Mann als alle Männer die sie kannten zusammen, weil in ihm eine Größe wohnte, die keiner von ihnen besaß. Er war derjenige, der sie anführte, der die wirklich schweren Entscheidungen treffen und mit den Konsequenzen leben musste. Der Mann, der für jede Situation eine diplomatische Lösung suchte, ehe er zum Schwert griff.

Es war leicht, Gewalt anzuwenden, es war leicht, Kämpfe zu beginnen, aber zu versuchen, einen Sieg ohne Blut zu vergießen für sich zu gewinnen, das konnte nur Nohvas rechtmäßiger Erbe. Für Desiderius zeugte dieser Charakterzug, der ihm selbst fehlte, nicht nur von Größe, sondern auch von besonderem Mut. Es ist nämlich einfach, in Rüstung und mit gezogener Klinge seinem Feind entgegenzutreten, doch wirklich mutig waren jene Männer, die in einen Kampf nur Worte mitbrachten.

Er hatte sich schon oft ein Stück von Wexmells scheinbar immer gelassener Art abschneiden wollen, jedoch war sein Temperament strikt dagegen. Nur gut, dass sie zusammengehörten, so glichen sie die Schwächen des jeweils anderen aus.

Wexmell lächelte so lieblich, dass es ein Hasenkind an Niedlichkeit weit übertraf, und fragte: »Bin ich also männlich genug, um ein Mann zu sein?«

Statt die Frage zu beantworten, erwiderte Desiderius: »Das hängt ganz davon ab, wie der Betrachter Männlichkeit definiert.«

Wexmell legte den Kopf schief. »Und du? Hältst du mich für einen Mann?«

Diese Frage beantwortete Desiderius, indem er sich zu ihm hinabbeugte und ihn genüsslich küsste. Er ließ zu, dass Wexmells Hände bald darauf in sein dunkles Haar glitten und sich festkrallten, ihn über sich zogen, wo Desiderius sich rittlings über Wexmells stramme Schenkel setzte.

Als sie sich lösten, bemerkte Wexmell mit vor Lust dunkler Stimme: »Das war keine Antwort.«

»Das war eine deutliche Antwort«, widersprach Desiderius. Er richtete sich auf und sah schmunzelnd zu Wexmell hinab, spürte die Härte unter Wexmells Rüstung, die sich seinem nackten Körper entgegendrängte. »Denn ich würde dich doch nicht küssen wollen, wärest du kein Mann.«

Froh lächelnd verschränkte Wexmell die Arme hinter dem Kopf. »So? Und wenn mich ein böser Zauber morgen in eine Frau verwandelt, verlässt du mich dann?«

»Das habe ich nicht gesagt«, warf Desiderius ein. »Nur, dass ich dich nicht küssen wollen würde, wärest du kein Mann.«

»Dann bleibst du bei mir, ohne mich zu küssen?« Wexmell schien verwirrt.

»Lass es mich versuchen, zu erklären.« Desiderius beugte sich wieder zu ihm hinab, rieb die Nasenspitze an Wexmells Wange und bahnte sich einen Weg aus Küssen über die zarte Wange bis hin zu einem blassen Ohrläppchen, an dem er knabberte, bis seine Fänge Kerben in der verletzlichen Haut hinterließen.

Wexmell keuchte leise unter ihm, bewegte die Hüften auffordernd und rieb sich an seinem bloßen Fleisch, das erneut an Härte gewann.

Mit dem Mund an Wexmells Ohr, flüsterte Desiderius: »Mein Körper begehrt nur Männer, doch für dich hege ich Gefühle. Wärest du eine Frau oder würdest plötzlich eine werden, hätte ich diese Gefühle trotzdem, auch wenn mein Fleisch sich nach Männern sehnt. Gefühle, wie die Liebe, sind nicht an das fleischliche Begehren gebunden. Jedenfalls nicht, wenn man mich fragt. Gefühle sind immer individuell, so wie jedes Zusammensein.

Ich kann mich also mit dir vereinen, unsere Seelen und auch unsere Körper, selbst dann, wenn dein Körper weibliche Rundungen hätte, weil du es bist, den ich mehr ersehne, als jedes Stück Fleisch, das mir begegnet. Du und ich hatten einfach nur Glück, dass wir sowohl gegenseitig unsere Körper als auch unser Selbst begehren.«

Aber konnte er in ihrem Fall wirklich von Glück sprechen? Sofern er Bellzazars Erklärungen über die Anker und Gegenstücke richtig verstanden hatte, war es von den Göttern so gewollt, dass er sich in Wexmell verliebte, und umgekehrt. Sie hatten die Seele des Prinzen absichtlich in den Körper eines Mannes gelegt, weil sie wussten, es würde die Verbindung zwischen Desiderius und Wexmell stärken. Die Götter hatten sich vielleicht einfach nur einen Plan zurechtgelegt, der in ihren Augen ohne Hindernisse aufgehen würde.

Nur eines verstand Desiderius noch immer nicht: Warum wollten die höheren Wesen überhaupt, dass er und Nohvas rechtmäßiger Thronerbe zusammenfanden?

Was hatten sie davon und welch unergründliche Pläne verfolgten die Götter noch für das Leben in der Welt der Sterblichen?

Das Unbehagen dieser ungeklärten Fragen abschüttelnd, vergrub Desiderius sein Gesicht in der Kuhle zwischen Wexmells Hals und Schulter, um sich noch ein letztes Mal an diesem Tag der Fleischeslust unter freiem Himmel hinzugeben, trotz seiner wunden Männlichkeit, ehe sie zurück zu ihren Gefährten gingen. Nichts ahnend, dass er bei seinem Liebesakt mit seinem Prinzen aus neugierigen Augen beobachtet wurde, begann er, Wexmell spielerisch die Rüstung abzustreifen.

Im Land der Schatten

Подняться наверх