Читать книгу Das Märchen vom Nadelbäumchen - Gesamtausgabe - Birgit Kretzschmar - Страница 10

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Kapitel 6 Nadelbäumchen und die Oma

Schon seit einigen Tagen beobachtete das Nadelbäumchen, dass sich Blaumeise Cinciarella, Spatz Gorrión und Amsel Mirlo regelmäßig mit einigen Artgenossen am Futterhäuschen trafen. Das war an einem der Balkons gegenüber angebracht, am 2. Balkon von unten. Nadelbäumchen hatte allerbeste Sicht darauf. Die Vögel zwitscherten beim Futterholen so laut und fröhlich, dass es seinen Blick gar nicht abwenden konnte. Was für eine glücklich wirkende Bande! Manchmal gesellten sich auch Specht Picchio und Eichelhäher Jay mit seiner Frau dazu. Von Zeit zu Zeit konnte das Nadelbäumchen hinter der Glasscheibe der Balkontür das Gesicht einer Frau erkennen, die den Vögeln beim Futterholen zusah, nachdem sie frisches Futter ins Häuschen gelegt hatte. Neben dem Futterhäuschen hing so ein komisches Ding mit einer Kugel drin. Cinciarella und ihre Blaumeisenfreunde flogen immer wieder an das Ding und pickten an der Kugel. Auch Frau Kohlmeise und ihr Mann! Was das genau war, konnte Nadelbäumchen trotz größter Anstrengung nicht erkennen und das weckte natürlich seine Neugierde. So konnte es sich auch nicht verkneifen, Cinciarella danach zu fragen, als sie auf einen seiner Zweige geflogen kam. „Hallo liebe Cinciarella! Ich habe mal eine Frage. Sag mal, was ist denn das für ein seltsames Teil neben dem Futterhäuschen und was ist das für eine Kuller darin?“ Cinciarella tschilpte: „Guten Tag, Nadelbäumchen! Das sind ja gleich zwei Fragen auf einmal! Aber weil du’s bist ... Das seltsame Teil ist ein Schneebesen! Und die Kuller ist ein Meisenknödel!“ „Ein Schneebesen?“, fragte das Nadelbäumchen verwirrt. „Es liegt doch gar kein Schnee! Und es kehrt auch niemand mit dem Ding ...“ Cinciarella kicherte leise. „Ach Nadelbäumchen! Du hast ja wohl wirklich keine Ahnung. Aber woher auch, du stehst ja immer an deinem Platz, während ich überall herum komme. Ich schaue besonders gerne in geöffnete Küchenfenster hinein. Mitunter gibts da ja was zu naschen ... Also, die Sache ist die: Manche Menschen haben solche Gerätschaften in der Küche und rühren damit in Töpfen und Schüsseln herum, wenn sie Speisen zubereiten. Dabei rühren sie oft so schnell, dass ich der Handbewegung kaum mit den Augen folgen kann. Wenn sie zum Beispiel ein flüssiges Eiweiß so schnell rühren, dass ganz steifer Schaum daraus wird, dann nennen sie diesen Schaum Eischnee, wenn ich mich nicht verhört habe. Vermutlich heißt das Gerät deswegen Schneebesen. Allerdings, wenn ich so recht darüber nachdenke, kann ich mir jetzt auch nicht erklären, warum das Ding Besen heißt. Gekehrt wird damit echt nicht.“ Damit war Nadelbäumchens Neugierde zunächst befriedigt. Als Cinciarella gerade losfliegen wollte, fiel Nadelbäumchen allerdings noch eine Frage ein. „Warte, bitte! Ich habe noch eine Frage an dich!“, bat es die Blaumeise. „Na, was denn noch?“ „Warum gibt’s denn jetzt die Meisenknödel im Schneebesen? Braucht die Frau den denn nicht mehr in der Küche? Im vergangenen Winter hingen doch immer Netze mit zwei bis drei Kugeln da.“ „Das sind doch schon wieder mehrere Fragen auf einmal ...“, tschilpte die Meise, „Ich weiß es nicht, tut mir leid.“ „Aber ich!“, krächzte da auf einmal von oben eine Stimme. Die kam von Jay, dem Eichelhäher. „Wenn ich mich mal einmischen darf ... Die Oma, also die Frau, die das Futterhäuschen für uns dort versorgt, hat dafür extra einen neuen Schneebesen gekauft. Das hörte ich sie neulich zu ihrer Nachbarin sagen. Die Netze nimmt sie nicht mehr, seit sie mal in einer Zeitschrift gelesen hat, dass manche Vögel mit den Krallen darin hängen bleiben, sich dann kopfunter zu Tode zappeln oder die Krallen abreißen. An dem Schneebesen kann so etwas nicht passieren!“ „Oh, wie aufmerksam! Gut zu wissen! Ab sofort werde ich für die Oma jeden Morgen ein extra Liedchen singen! Oder, sagen wir mal, ab dem Frühjahr. Jetzt ist es mir zu kalt, da singe ich nicht so gerne. Aber im Frühling werde ich daran denken, versprochen!“, tschilpte Cinciarella und flog davon. Das Nadelbäumchen dachte über das soeben Gehörte nach und fand, dass die Oma da sehr fürsorglich gehandelt hatte! Nicht auszudenken, welche Qualen solch ein Vögelchen auszustehen hatte, blieb es mit den Krallen hängen! Diese Oma musste einfach ein Mensch mit gutem Herzen sein! Hoffentlich hatte sie auch jemanden, der sich so gut um sie sorgte, wie sie sich um die Vögelchen! Bei diesem Gedanken erinnerte sich Nadelbäumchen daran, dass es die Oma bisher noch nie in Gesellschaft anderer Menschen gesehen hatte. Wenn es in ihre Wohnung schaute, war sie allein darin. Ob sie das nicht traurig machte? Während es so darüber sann, fiel sein Blick auch auf die Wohnung darunter. Der kleine Junge, der darin mit seinen Eltern wohnte, war ihm gut bekannt. Schließlich hatte es mit ihm und seinem Ball einmal ein richtiges Abenteuer erlebt! Da war doch der Ball beim Spielen so hoch gekickt worden, dass er bestimmt in eine Fensterscheibe geflogen wäre, wenn Nadelbäumchen ihn nicht gefangen hätte. Bei der Erinnerung daran taten ihm gleich wieder Bruchstellen der Zweige weh, die dabei zerbrochen waren. Heute hatte der Junge aber seinen Ball nicht dabei, sondern saß am Tisch, den Kopf auf die Ellenbogen gestützt und wirkte sehr nachdenklich. Irgendwie traurig, wie Nadelbäumchen fand. Ob er Sorgen hatte? Oder nur Langeweile? Das musste doch irgendwie herauszubekommen sein! Er schaute nach oben, wie Kinder es manchmal machen, wenn sie über etwas nachdenken und nach einer Antwort auf ihre Fragen suchen. Da sah er zwei kleine Wipfelelfen sitzen. Sie waren winzig und zart, hatten durchsichtige Flügel und grün schimmernde Augen mit ganz langen Wimpern. Für das menschliche Auge sind Wipfelelfen nicht sichtbar, aber ihren Duft können auch Menschen wahrnehmen. Es ist genau dieser Duft, den man riecht, wenn man in den Wald kommt. In der Stadt riecht man ihn kaum, weil es da nur sehr wenige Wipfelelfen gibt. Ihnen ist normalerweise die Stadtluft zu schmutzig, es ist zu laut und abends - durch die vielen Lampen - zu hell. Aber diese beiden schienen sich hier trotzdem ganz wohl zu fühlen. Das Nadelbäumchen freute sich sehr über ihren Besuch. Als es noch in der Baumschule war, schwirrten viele von ihnen um ihn herum. Seit es jedoch auf seiner Wiese stand, waren das die ersten Wipfelelfen, die ihn besuchten. „Nadelbäumchen, du möchtest gern den kleinen Jungen und die Oma zusammenbringen, damit beide nicht mehr so alleine sind, stimmt’s?“, fragte ihn eine der beiden Elfen. „Hallo und schön, euch zu sehen! Ja, genau, das hatte ich mir gerade gewünscht für die beiden!“, antwortete da das Nadelbäumchen. Es wusste ja, dass die Wipfelelfen Gedanken lesen können, deshalb war es nicht verwundert über diese Frage. „Nun, dann werden wir uns etwas einfallen lassen, nicht wahr, Schwester?“, fragte eine Elfe die andere. Diese nickte und blinzelte mit ihren langen Wimpern. Dabei erzeugte sie einen leichten Hauch, als wenn ihre Wimpern Fächer wären. Und flugs waren sie auch schon verschwunden! Nadelbäumchen konnte nur vermuten, was die beiden jetzt vorhatten: Wahrscheinlich würden sie jetzt einen Traum zaubern, diesen zu dem kleinen Jungen schicken und dann darauf warten, dass das Wunder wirkte ... Ein lautes Quietschen von Autoreifen riss es aus seinen Gedanken. Das kam von einem kleinen Lieferauto. Offenbar hatte es der Fahrer sehr eilig, denn er parkte seinen Transporter ziemlich schräg, rannte zur hinteren Fahrzeugtür, öffnete sie und holte zwei große Pakete heraus. Dann flitzte er zum Hauseingang, suchte dort wohl am Klingelschild nach den richtigen Namen und klingelte. Nadelbäumchen hörte ihn etwas sagen, darauf ein Surren und dann sah es, wie sich die Haustür öffnete. Der Mann ging schnell hinein und kam kurz darauf, ohne die Pakete, wieder heraus. Er flitzte ins Fahrzeug, fuhr ein paar Meter weiter, und hielt wieder. Hier lieferte er nur ein kleines Päckchen aus. Dann ging er schnellen Schrittes zurück zum Transporter und fuhr damit um die Ecke. „Na, er hat aber viel Stress!“, dachte Nadelbäumchen so bei sich. Dann schaute es wieder zur Wohnung, in der der kleine Junge wohnte. In dem Moment sah es den Jungen vom Tisch aufstehen und weggehen. ‚Ich bin ja mal gespannt, ob die Wipfelelfen etwas erreichen.‘, dachte es gerade, da sah es den Jungen mit einem Paket im Arm in die Stube zurückkommen, das Telefon aus der Jacke ziehen und etwas eintippen. Fast zeitgleich sah es, dass die Oma in der Wohnung darüber auch telefonierte. Seltsam, sowohl der kleine Junge als auch die Oma schienen beinahe gleichzeitig ihre Telefongespräche zu beenden. Dann verschwanden der Junge und die Oma auch noch fast zur gleichen Zeit aus seinem Blickfeld! Merkwürdig! Auf einmal sah er die Oma wieder in die Stube kommen, und der kleine Junge war bei ihr! Er trug ein Paket unter dem Arm und setzte es auf etwas ab, von dem Nadelbäumchen nicht sehen konnte, was es war. Dann sah es, dass die Oma den Jungen etwas fragte und dieser, fröhlich lächelnd, nickte. Danach drehte sich die Oma um, ging zum Wandschrank und holte dort etwas heraus, das Nadelbäumchen nicht kannte. Sie legte es auf den Tisch. Es war rechteckig, bunt, irgendwelche kleinen Teile waren dabei und etwas, das wie ein Becher aussah. Was das wohl sein mochte? So sehr Nadelbäumchen sich auch anstrengte, es konnte nicht erkennen, was das war! Und dann setzte sich die Oma auch noch mit dem Rücken zu ihm gewandt an den Tisch, sodass es nicht sehen konnte, was die beiden jetzt miteinander vorhatten. Es musste ein Spiel sein, davon war es überzeugt, aber was für eines? „Nadelbäumchen, ärgere Dich nicht!“, hörte es da plötzlich die Wipfelelfen kichern. „Neugierde kann ganz schön auf die Nerven gehen, stimmt‘s?“ Das musste Nadelbäumchen zugeben ... „Nun sagt schon! Was habt Ihr gemacht und was machen die zwei da drüben?“, bat es die Elfen um Auskunft. Die Wipfelelfen klärten es auf: „Nun, zuerst war da die Sache mit dem Paketboten. Wir haben uns aufgeteilt – ich habe Oma so laut in die Ohren gesungen, dass diese das Klingeln nicht gehört hat,“ sagte die eine. „Und ich habe dem Paketdienst eingeflüstert, dass der das Paket bei dem Jungen abgegen soll.“, ergänzte die andere. „Aha, verstehe, und dann ging Euer Plan auf, dass der Junge das Paket bei der Oma abgibt.“, meinte Nadelbäumchen. „Genau, zumindest war das Teil 1 des Planes. Teil 2 war, Oma daran zu erinnern, dass sie in ihrem Schrank ein Mensch-ärgere-Dich-nicht-Spiel hat. Das hatte sie ja völlig vergessen, weil sie es seit Jahrzehnten schon nicht mehr benutzt hat. Mit wem hätte sie es auch spielen sollen? Sie ist ja immer alleine!“ „Ja, und wir haben noch ein paar Ideen, was die beiden in Zukunft miteinander machen können! Es wäre doch gelacht, wenn es uns nicht gelänge, einsame Menschen wieder zusammen zu bringen!“, sagte eine der Wipfelelfen. Nadelbäumchen sah nun, dass in der Erdgeschosswohnung Licht anging und die Mutter des Jungen offenbar nach ihm suchte. „Hey, liebe Elfen, habt ihr auch daran gedacht, dem Jungen einzugeben, seinen Eltern eine Nachricht zu hinterlassen, wo er ist? Nicht, dass sie sich Sorgen machen müssen!“ „Oh, stimmt ja, daran haben wir nicht gedacht!“, sagte eine der Wipfelelfen erschrocken. „Aber, sieh mal, die Frau liest gerade einen Zettel! Der gute Junge hat offenbar selbst daran gedacht!“ Dann sahen die drei, dass das Licht in der Wohnung erlosch und kurz darauf auch die Mutter des Jungen bei Oma und ihm am Tisch sitzen und mit ihnen spielen.

Das Märchen vom Nadelbäumchen - Gesamtausgabe

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