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Kapitel 2 Nadelbäumchen und seine Freunde

Es war Frühling geworden. Einige Bäume und Sträucher in Nadelbäumchens Nachbarschaft standen bereits in voller Blüte, bei anderen blieben diese noch in ihren Knospen. Vielleicht trauten die Zaghaften dem Frühlingswetter noch nicht so recht, denn bis Mitte Mai kann es ja immer mal wieder zu frostigen Temperaturen kommen. Auf den Balkons wurden aber schon die ersten Blumenkästen mit Frühlingsblumen bestückt. Alle freuten sich auf wärmere Tage. Lauer Wind wehte süßen Blütenduft in alle Ecken. Nadelbäumchen schaute schon ganz gespannt auf seine Spitzen und konnte das Wachsen von maigrünen Spitzen kaum erwarten. Immer wieder musste es an die Worte der klugen Taube denken, die es ermuntert hatte, nicht darüber traurig zu sein, dass es nicht als Weihnachtsbaum auserkoren worden war. Wie recht der Täuberich doch gehabt hatte damit! Alle Weihnachtsbäume, die für ein paar Wochen, festlich geschmückt, in den Wohnstuben oder auf Balkons gestanden hatten, waren schließlich auf dem Container gelandet und abtransportiert worden. Was dann wohl mit ihnen geschehen sein mochte? Darüber wollte Nadelbäumchen lieber gar nicht nachdenken. Stattdessen war es froh, sich im Frühlingswind am Duft der Blüten und Gezwitscher der Vögel erfreuen zu können. Viele Vögel waren jetzt ganz emsig mit dem Nestbau beschäftigt. Ein lautes Gurren ließ sich hören! Es war der Täuberich, den Nadelbäumchen hörte. Es gab Neuigkeiten! Herr Täuberich hatte sich unsterblich in eine Taubendame verliebt und das Nadelbäumchen nun darum gebeten, ein Nest für sich und seine Liebste in dessen Ästen bauen zu dürfen. Da fühlte sich das Nadelbäumchen geehrt und erlaubt es natürlich sehr gern. Das ließ sich der Täuberich nicht zweimal sagen. Er brauchte nicht lange nach einer geeigneten Astgabel zu suchen, denn er und das Nadelbäumchen kannten sich ja nun schon seit einiger Zeit sehr gut. Aus Bruchstücken von Zweigen, von denen es in den benachbarten Büschen zum Glück etliche gab, baute er sich innerhalb weniger Tage ein schönes, stabiles Nest. Dann lud er seine Liebste ein, es sich anzusehen. Wie es sich gehörte, stellte er sie dem Nadelbäumchen aber erst einmal vor: „Das ist Becchi, mein Täubchen!“ Das Nadelbäumchen freute sich sehr darüber, dass Herr Täuberich eine Frau gefunden hatte und mit ihr in seinem Schutze sein Nest beziehen wollte. Solch einen Namen hatte er aber noch nie gehört. Becchi schien seine Gedanken zu erraten und erklärte ihm die Bedeutung ihres Namens: „Becchi“ sei ein Wort aus der italienischen Sprache und bedeute „Schnäbelchen“. Na, dieser Name passte dann ja bestens! Becchi gefiel das Nest, was ihr Täuberich gebaut hatte, offenbar gut. Aber trotzdem hatte sie noch ein paar Verbesserungsvorschläge und zupfte hier und dort noch etwas zurecht, bevor sie richtig zufrieden war und ihr erstes Ei hinein legte. Zwei Tage später legte sie das zweite! Herr Täuberich war sehr stolz auf seine Frau. Beide wechselten sich beim Brüten ab und das Nadelbäumchen schützte sie mit seinen Zweigen, so gut es konnte, gegen Sonne, Wind und Regen. Es versuchte sie auch vor den neugierigen Blicken der Elstern zu schützen, die ja ganz gern einmal Nester plündern. Aber nicht das Nest seiner Tauben! Nein, das würde Nadelbäumchen nicht dulden! Ungeduldig wartete es darauf, dass die Jungen schlüpfen. Nach 17 oder vielleicht auch 18 Tagen war es dann endlich soweit! Es hörte ein zartes Piepsen aus dem Nest! Vater und Mutter Taube hatten nun richtig viel zu tun! Während der eine im Nest blieb und die Kleinen huderte, flog der andere ständig zur Futtersuche aus und kehrte dann mit vollem Schnabel zurück, um zu füttern. So ging das viele Tage. Als die Jungen etwas größer wurden, flogen dann die Eltern beide aus und ließen sie während der Futtersuche für mehrere Stunden allein. Sie kamen nun nur noch viermal täglich zum Nest, um ihre Jungen zu füttern. Das Nadelbäumchen hatte während dieser Zeit immer ein wachsames Auge auf sie und unterhielt sie mit Schattenspielen. Es staunte allerdings nicht schlecht, als es bemerkte, dass die Taubeneltern in einiger Entfernung bereits ein neues Nest bauten! Wozu brauchten sie denn ein Zweitnest? Als der Täuberich einmal von der Futtersuche zum Nest zurückkehrte, fragte ihn das Nadelbäumchen frei heraus. Der Täuberich erklärte es ihm: „Das machen wir Tauben schon seit Generationen so! Unsere Jungen bleiben ja nur 23 bis 25 Tage bei uns, dann wollen sie raus und verlassen die Nester. Wenn sie etwa 30 bis 35 Tage alt sind, können sie schon richtig fliegen und sich selbst versorgen. In der Zwischenzeit können wir im zweiten Nest schon neue Junge aufziehen. Da wäre es für alle zusammen zu eng im Nest ...“ Das leuchtete dem Nadelbäumchen ein. Becchi kam mit ein paar dünnen Zweigen im Schnabel angeflogen und stopfte sie sorgfältig ins neue Nest. Plötzlich schüttelte sie ihr Köpfchen, schaute zu ihrem Täuberich und gurrte: „Gugguuuh gu! Gugguuuh gu! Sag mal, was soll denn das? Ich versuche, das Nest in Ordnung zu halten, aber jedes Mal, wenn ich zurückkomme, finde ich Bruchstücke von Zapfen darin vor. Wer wirft die denn immer in unser Nest?“ Der Täuberich schüttelte verwundert den Kopf. Er konnte sich das auch nicht erklären. Aber das Nadelbäumchen kannte die Antwort auf ihre Frage: Die Bruchstücke fielen dem Eichhörnchen beim Knabbern herunter! Belka, das Eichhörnchen, fraß doch so gern Zapfen. Dabei war ihm leider völlig gleichgültig, dass es dabei Abfall produzierte, der genau ins neue Nest von Becchi und ihrem Täuberich fielen!

Das Märchen vom Nadelbäumchen - Gesamtausgabe

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