Читать книгу Was Katzen wirklich wollen - Birgit Rödder - Страница 38
Ein Tier und viele Rollen
ОглавлениеDie Katze galt immer schon als ein Tier voller Rätsel. Auch heute noch hält sie mit der ihr nicht ganz zu Unrecht zugeschriebenen Zähigkeit am Bild einer geheimnisvollen und meistens unberechenbaren Kreatur fest, und das allen Untersuchungen von Verhaltensforschern, Ökologen und Wildtierbiologen zum Trotz.
Wer mit Katzen umgeht, sollte das Tier als Individuum in den Mittelpunkt seiner Beobachtungen stellen, nicht die Fragestellung und schon gar nicht eine vorgefasste Meinung.
Niemand weiß alles über Katzen. Und jeder kann sich irren – daran tragen hin und wieder sogar die Katzen selbst Schuld. Wenn ein noch so erfahrener Katzenkenner – die Autorinnen eingeschlossen – beispiels- und leichtsinnigerweise behauptet, eine Katze mache dies oder jenes nie, dann kann man fast sicher sein, dass es mindestens eine gibt, die genau jene Handlung durchführt, die man ihr absprechen wollte. Niemand ist eben vor der Tücke des Objekts, will hier sagen, vor der Tücke des Katzenvolks, gefeit.
Es ist typisch für Katzen, dass sie einem ständig neue Rätsel aufgeben, die zu erraten es sich lohnt. Meiner Ansicht nach tut dies dem Reiz dieser besonderen Tiere keinen Abbruch.
Verhätschelter Abgott
Jede Gesellschaft spiegelt sich selbst im Umgang mit ihren Haustieren wider – heute wie früher.
Über den Umgang der Menschen mit Katzen in früheren Jahrhunderten steht ja bereits ab > so einiges zu lesen. Es überrascht doch, wie wenig sich seither geändert hat: Nach wie vor drängen Menschen die Katze in verschiedene, gegensätzliche Rollen. Wie die alten Ägypter verehren und verwöhnen zum Beispiel die Mitglieder bestimmter Rassekatzenorganisationen ihre kostbaren Lieblinge – manchmal keineswegs zu deren Bestem.
Rassekatzenzucht: Ein damit verbundenes, nicht vernachlässigbares Thema ist heute das Zucht- und Ausstellungswesen. Die zunehmende Rassenvielfalt bringt es mit sich, dass bei den herausgezüchteten Gruppen wie auch bei Individuen gelegentlich Verhaltensabweichungen auftreten. Außerdem liegen in der einseitigen Konzentration der Züchter auf die äußere Erscheinung ebenso wie in den zu immer extremeren »Standards« führenden, nach oben offenen Richtlinien der Juroren zunehmend Gefahren genetischer Defekte. Für die Zukunft der Edelkatze wäre es wünschenswert, wenn dieses Buch bei den Beteiligten einiges Nachdenken und eine gesündere Sichtweise anregen könnte. Die körperliche, geistige und seelische Gesundheit der Tiere sollte in jedem Fall wichtiger sein als Farbe und Form. Das sei vor allem den Züchtern extremer Rassen, deren Erscheinungsbild auf Kosten der Gesundheit oder der Funktion der Sinnesorgane geht, nahegelegt.
Einige bekanntere Beispiele will ich hier aufzählen, doch die Liste ist bei Weitem nicht vollständig:
• Perser und Exotisch Kurzhaar mit funktionsgestörter Nase
• Reinweiße, blauäugige Katzen wegen der damit verbundenen Taubheit
• Die Defektmutanten Sphynxkatze (sogenannte Nacktkatzen), Fold- oder Faltohrkatze (mit Knickohren), Pudelkatze (mit Kräuselfell und zusätzlich mit Knickohren) und Manx- beziehungsweise Bobtailkatze (ganz schwanzlos oder lediglich mit Stummelschwanz)
• Rexkatzen ohne Tasthaare (>)
Verleumdeter Dämon
Nach wie vor verbindet man die Katze vor allem in den stark katholisch geprägten Ländern mit Bösartigkeit, Unglück und Hexerei. In Italien werden laut verschiedener Tierschutzorganisationen jährlich mehr als 50.000 schwarze Katzen von Menschen, die sich vor ihnen fürchten, erschlagen oder in perversen Riten grausam hingerichtet. Aber auch in Deutschland fällt auf, dass in Tierheimen schwarze Katzen am schwersten vermittelbar sind. Sie machen auch den größten Anteil an gezielten Vergiftungsopfern aus.
Schauen wir also vom hohen Podest unseres aufgeklärten, modernen Atomzeitalters nicht allzu hochmütig auf das sogenannte »finstere« Mittelalter herab. Die Katze konnte bis heute ihr okkultes Flair nicht loswerden.
Eine Katze als Freund wirkt beruhigend auf uns Menschen und vermittelt gleichzeitig Lebensfreude. Sie hilft gegen Einsamkeit, unterstützt die Heilung von Krankheiten und ersetzt in Lebenskrisen einen Therapeuten.
Gepriesenes Nutztier
Die Mäusefängerin: Ebenso wie die etwas prosaischeren alten Griechen und Römer, die in der Katze kein göttliches Wesen sahen, schätzen heute noch die Landwirte die fleißige Mäusejägerin.
Der Bauer freut sich beim Anblick einer feldernden Katze und stellt ihr und ihrem Clan Schalen mit frisch gemolkener Milch hin. Mancher Bauer verweigert die Kastration der sich allzu rasch vermehrenden Tiere mit der Begründung, er brauche auf seinem Hof viele Katzen. Es gibt immer noch zu viele Mäuse, in den Scheunen des alten Ägyptens wie auf den Feldern des modernen Deutschlands.
INFO
RECHENEXEMPEL FÜR DEN LANDWIRT
Eine feldernde Hauskatze fängt pro Tag etwa 10 bis 20 Mäuse, das sind, ganz rund gerechnet, 5000 im Jahr. Erfahrungen aus der Käfighaltung von Mäusen haben gezeigt, dass eine Maus mindestens zehn Gramm Getreide oder Wurzeln von Nutzpflanzen pro Tag verzehrt. Sagen wir, die Maus, mit einer mittleren Lebensdauer von etwa einem halben Jahr, büßt durch die Katze im Durchschnitt die Hälfte ihrer Lebenserwartung ein, also drei Monate oder, ganz grob, 100 Tage. Sie hätte in dieser Zeit rund 1000 Gramm gefressen, wenn sie nicht von der Katze erbeutet worden wäre. Auf alle Mäuse hochgerechnet, die die Katze im Jahr fängt, macht das stolze fünf Tonnen Getreide und Nutzpflanzen, die uns dank der Katze erhalten bleiben.
Die Gesellschafterin: Eine ganz andere Aufgabe hat die Katze vorwiegend in größeren Städten. Hier ist sie Sozialpartnerin vieler alleinstehender, insbesondere alter Menschen. Meistens halten diese Singles und Senioren einzelne Katzen, an die sie sich mit tiefer Zuneigung binden. Weil diese Einzelkatzen aber häufig in engen Wohnungen ohne Auslauf leben, kann das schnell zu Problemen führen ( >).
An dieser Stelle möchte ich noch eine kleine Mahnung an die »alleinerziehenden« Katzenhalter äußern: Obwohl gerade Katzen mit ihrem runden Köpfchen, den niedlichen Pausbacken und den großen, runden Augen an kleine Kinder erinnern, ist die Katze kein Kindersatz!
Denn jede Katze ab einem Alter von einem Jahr ist ein erwachsenes Tier, wenn auch mit kindlichem Hang zum Anschluss an ihre Menschen.
Sicherlich werden Sie die Unterstellung, in Ihrer Katze einen Kindersatz zu sehen, weit von sich weisen, aber einer kleinen Schwäche in dieser Hinsicht ist fast jeder unterworfen. Wie viele Menschen brüllen Hunde an, als ob sie schwerhörig seien, reden aber mit Katzen mit hoher Stimme und in Babysprache? – Merken Sie was?
Das Familientier: Einen weiteren Nutzen hat die Katze als Familientier. Kinder, die mit Katzen, Hunden oder auch Kleintieren aufwachsen, sind ausgeglichener, fantasievoller und rücksichtsvoller als solche ohne Tier. Sie erweisen sich auch als gesünder, weil ihr Immunsystem besser trainiert wird und der Kontakt mit einer schnurrenden Katze die Nerven und das Herz-Kreislauf-System entspannt.
Allerdings ist eine Katze kein Kinderspielzeug und auch kein Mittel, um ein Kind zur Verantwortung zu erziehen, indem man es mit der Betreuung des Tieres alleinlässt. Es sollte stets »unsere Katze« statt »deine Katze« heißen. Je nach der Veranlagung des Familienmitglieds hat die Katze in verschiedenen Situationen verschiedene Freunde: Papi, der mit Bier vor sich und Katze auf dem Schoß Fußball schaut; Mama, die Beherrscherin der Küche, des Kühlschranks und der Vorratskammer; Klein Gregor, der herrlich mit der Katze herumtollt; der verträumte Severin, der still auf dem Boden sitzt und die Katze unermüdlich krault und streichelt und sie draußen bei ihren Streifzügen beobachtet. Und, nicht zu vergessen, die tüchtige Ursula, die zwar keinen großen Draht zu Tieren hat, aber der Katze brav und mit Engelsgeduld x-mal am Tag die Tür öffnet. Wem das Bild zu klischeehaft ist, mag die Rollen anders besetzen. Die Harmonie ist ausschlaggebend.
Bengal-Rassekatzen sind zweifellos wunderschöne Tiere – ihrem überaus lebhaften Temperament gerecht zu werden, ist jedoch nicht immer einfach.
Katze als Statussymbol
Die ersten Hauskatzen in Europa waren ein wertvolles Inventar und Rangmerkmal an mittelalterlichen Fürstenhöfen ( >). Heute ist es die seltene Rassekatze, die nach Möglichkeit passend zur Designerwohnung erstanden wird – für viel Geld, denn Rassekatzen sind ein teurer Spaß. Doch je edler, desto besser. Schließlich soll das dekorative Tier seinen Besitzern neidvolle Bewunderung eintragen. Immer mehr solcher Luxuskatzen werden aber letztlich ins Tierheim abgeschoben. Immerhin ist eine Katze ein Tier, das regelmäßig gefüttert werden muss, Verdauungsprodukte von sich gibt und das teure Wildledersofa vollhaart.
Ganz Anspruchsvollen genügen die bekannteren Hauskatzenrassen oft nicht mehr: Eine »Savannah« oder eine »Bengal« soll es sein, damit man etwas Exotisches zum Angeben hat. So werden mit viel Aufwand Servale (für die Savannah) bzw. Bengalkatzen mit Hauskatzen gekreuzt und mit den jeweiligen Vätern wieder verpaart, weil die Zucht sonst wegen Unfruchtbarkeit nicht weitergehen würde. Sicher hat sich die Natur etwas gedacht beim Aufstellen der artspezifischen Kreuzungsgrenzen. Aber »wo ein Wille ist, ist auch ein Weg«, sagt sich der Mensch. Dabei wird leicht vergessen, dass man mit solchen Kreuzungen aus Hauskatze und Wildkatzenart gleichsam Tausende Generationen von Domestikation wegwirft, deren bedeutende Errungenschaft bei der Katze deren Menschenliebe ist.
Was man nicht außer Acht lassen sollte: Katzenrassen mit Wildtiereinkreuzungen wie die Savannah und die Bengal tragen nicht nur die Fellfärbung, sondern auch die Verhaltensweisen ihrer wilden Großväter in sich. Und die erfordern zum Teil starke Nerven. Servale etwa haben nicht nur einen enormen Platzbedarf, sondern sind außerdem Weltmeister im Spritzen und Wischmarkieren ( >). Und Bengalkatzen können in ihren Spielen recht grob und auch plötzlich angriffslustig werden. Ich spreche aus praktischer Erfahrung.
Katzen, die ausschließlich als Statussymbol angeschafft wurden, müssen allzu oft unter dem nur vordergründigen Interesse ihrer Besitzer leiden.
In manchen Industrienationen lassen lockere Tierschutzgesetze es zu, dass jährlich zahlreiche Katzen eingeschläfert werden, weil sie sich weigern, anstandslos die Menschentoilette zu benutzen. Ebenso werden Geruchsnerven durchtrennt und Krallen amputiert, um Harn- und Kratzmarken zu verhindern. Mit Tierliebe hat dies nichts zu tun.