Читать книгу EINKAUFEN IST DAS NEUE VERKAUFEN! - Birgit Schulze-Berktold - Страница 10

Der Kunde macht sich schlau

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Was Petra beobachtet, entspricht genau dem, was wir aus Marktuntersuchungen und Kundenbefragungen wissen. Und was längst nicht nur für die Apotheken oder den Gesundheitsmarkt, sondern für fast alle Bereiche, und insbesondere auch für den B2B-Markt gilt.

Früher waren die Kunden froh, Produkt-Informationen von den Verkäufern und gerade auch vom Außendienst zu bekommen. Heute sind im Durchschnitt und über alle Branchen 57 Prozent des Einkaufsprozesses mit einem neuen Kunden schon gelaufen, wenn der Kunde das erste Mal überhaupt mit einem Verkäufer spricht.

Mehr als die Hälfte vom Einkaufsprozess erfolgt sozusagen anonym: Der Kunde macht sich schlau im Internet und ist auf seinem Weg zur Kaufentscheidung bereits mindestens siebenmal oder noch häufiger dem Unternehmen und dem Produkt oder der Dienstleistung begegnet, ohne dass er mit einem Verkäufer gesprochen hätte. Die Anzahl der »Touchpoints«, das sind diese Begegnungen des Käufers mit einem Produkt oder Unternehmen, im Internet oder auch offline, nehmen beständig zu.

Deshalb verwundert es auch nicht, dass immer mehr Kunden zu einem immer späteren Zeitpunkt persönlichen Kontakt aufnehmen. Es ist keine Ausnahme mehr, dass Kaufinteressenten die Anbieter ausschließlich deshalb kontaktieren, um ein individuelles Preisangebot anzufragen. Und das am besten online.

»Da ist mir schon mal tatsächlich der Kragen geplatzt«, erinnere ich mich an die Aussage des Geschäftsführers eines Unternehmens, Herrn Meißner, der sich schon länger mit innovativen Lösungen aus dem Bereich 3D-Druck im Markt positioniert hat. »Wenn es um Nachfragen für unsere 3D-Druckmaschinen geht, dann haben sich die Kunden vorher informiert, über verschiedene Anbieter, unterschiedliche Produkte und die neuesten Technologien auf dem Markt. Dann kommen sie mit sehr vorgefertigten Meinungen zu uns, und es ist alles andere als einfach, sie von ihren Meinungen wieder abzubringen. Weil sie zwar viele, aber eben nicht die richtigen Informationen haben. Und weil es damit noch schwieriger wird, die Kunden von etwas Neuem und den Vorteilen unserer Produkte zu überzeugen. Das war früher doch anders, da haben die Kunden uns wenigstens noch zugehört und nicht gemeint, alles besser zu wissen, schon bevor sie uns gehört haben.«

Aus meiner Beratersicht kann ich die Verärgerung des Geschäftsführers sehr gut nachvollziehen. Schließlich war er mit seinem Unternehmen und seinen Produkten einer der ersten und führend auf dem Markt. Er ist Experte für 3D-Druck und weiß ganz genau, wovon er redet.

Dann kommt Herr Meißner noch auf einen anderen Punkt.

»Was mich dann auch noch wirklich nervt,« sagt er, und ich sehe dabei die Zornesfalte auf seiner Stirn, »das ist, dass die Entscheidungswege in den Unternehmen immer undurchsichtiger werden und die Entscheidungsprozesse immer länger dauern. Oft gibt es ganz plötzliche Kehrtwendungen im Prozessablauf bei der Entscheidung für einen Anbieter, die von außen völlig unverständlich sind. Erst dachte ich, das liegt an meinen Vertriebsmitarbeitern, die die Dinge einfach nicht richtig im Griff haben. Dann habe ich erkannt, dass sich die Abläufe in den Unternehmen verändert haben, die ich von früher noch ganz anders kenne. In der Zeit, in der ich den Vertrieb gemacht habe, hatte sich zunächst die technische Abteilung aufgrund ihrer Kriterien für einen oder auch mehrere Anbieter entschieden. Es gab dann einen definierten Ablauf, der allen bekannt war, und fast immer nur einen Ansprechpartner und Entscheider in der Technischen Abteilung und einen im Einkauf.

Das galt auch für größere Unternehmen und sogar für Konzerne. Man kannte sich, und innerhalb von wenigen Wochen oder noch kürzeren Zeitabständen gab es eine Antwort dazu, wer den Auftrag erhalten hat, und auch warum. Heute sind Überraschungen und nicht nachvollziehbare Abläufe die Regel, auch wenig bis keine Information dazu, warum eigentlich eine Kaufentscheidung getroffen wurde. Und dann gibt es auch noch ständig neue Anforderungen und auch neue Ansprechpartner.«

Du, meine Leserin oder mein Leser, möchtest mir jetzt vielleicht sagen, dass diese Beobachtungen alles andere als neu sind. Dass das nicht erst in den letzten zwei oder drei Jahren so geworden ist, sondern sich bereits über einen viel längeren Zeitraum verändert hat.

Natürlich stimmt das, und es gibt auch einen guten Grund dafür: Denn in Zeiten von immer länger werdenden E-Mail-Verteilern, Ad-hoc-Online-Meetings, Share Point und anderen web- und cloudbasierten Collaboration-Plattformen und Contentmanagement-Systemen sind immer mehr Personen in den Unternehmen an der Einkaufsentscheidung beteiligt. Was viele Überraschungen, Verunsicherungen und manches von außen betrachtet unerklärliche Verhalten der Entscheidungsträger in den Unternehmen am besten erklärt. Aus den Berichten vieler Kunden, Vertriebsmitarbeiter und Kollegen weiß ich, dass die eigentlichen Drahtzieher bei den Kaufentscheidungen gerade für größere Aufträge für die Verkäufer oftmals anonym bleiben. Sie tauchen manchmal auf wie aus dem Nichts, entscheiden nicht selten ohne Begründung und agieren dabei im Hintergrund. Die Zeiten, in denen der Kunde sich vor seiner endgültigen Kaufentscheidung immer noch einmal bei seinem langjährigen Anbieter gemeldet hat, um ihm die Chance für einen »Last Call« zu geben, sind schon lange vorbei. Ich kann auch aus meiner Sicht nur bestätigen: Der Wind ist rauer geworden, und die Verbindlichkeit und Verlässlichkeit der Beziehungen zwischen Kunden und Anbietern deutlich geringer.

Genau das zeigt ja auch die Geschichte von Lutz, die ich dir im Prolog erzählt habe. Er hat die schlechte Erfahrung mit einem seiner wichtigsten Kunden gemacht, der trotz langjähriger, sehr guter Zusammenarbeit mit ihm und seinem Unternehmen einfach zu einem anderen Anbieter abgesprungen ist. Und das ohne jede Vorwarnung, ohne ihn auch nur darüber zu informieren.

Ich hole mir eine Tasse frisch aufgebrühten Tee und überlege dann noch einmal, ob ich in der Auflistung für mein Vertriebsevent alle wichtigen Punkte zum Thema »verändertes Kundenverhalten« aufgenommen habe.

Das hier steht jetzt schon auf meiner Liste:

 Das Verkaufen ist schwieriger geworden, und das Verhalten der Kunden hat sich gegenüber früher stark verändert.

 Die Kunden sind heute wesentlich besser informiert und nicht selten sogar besser informiert als die Anbieter.

 Es ist sehr viel Unruhe im Markt und persönliche Beziehungen zwischen den Kunden und den Anbietern werden immer weniger.

 Die Beziehung zwischen Kunden und Verkäufern ist deshalb unverbindlicher und weniger verlässlich geworden.

 Kaufentscheidungen in den Unternehmen dauern fast immer wesentlich länger als früher und sind für die Verkäufer undurchsichtiger geworden.

Und noch etwas. Ich erinnere mich dabei an Petra, die Außendienstmitarbeiterin. Hatte sie nicht gesagt, die Kunden sind auch viel ungeduldiger geworden? Ja das stimmt, und dabei fällt mir mein Gespräch mit Jacques ein.

EINKAUFEN IST DAS NEUE VERKAUFEN!

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