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ОглавлениеMiriam sagte: »Wir haben nur probiert, die Handbremse anzuziehen.«
Der VW Käfer hatte der Schwerkraft gehorcht und Bekanntschaft mit einem Grenzstein am Parkplatzrand gemacht. Krachend. Scherbend. Überraschend.
Obwohl auch das in GOttes unergründlichem Ratschluss lag, war der Vater nicht dankbar für diese Prüfung.
Wer nicht hören wollte, musste fühlen.
Johannes musste fühlen. Aus Liebe.
Nachher, als der Vater gegangen war, kam Miriam in sein Zimmer: »Tut’s noch weh?«
»Nein, ich hab gar nichts gemerkt. Wirklich. Mich trifft er nicht, höchstens meinen Körper.«
Diese Trennung zwischen Körper und Seele hatte Johannes bei der Tante gelernt, die einen Krebs im Körper hatte. »Mir geht es gut. Wie es meinem Leib geht, ist eine andere Sache.«
»Du hättest ganz andere verdient«, brüllte der Vater. »Du hättest es hinter die Löffel verdient, nicht nur auf den Hintern.«
Verdienen. Etwas verdienen. Auch das gehörte zu diesem Dorf. Wenn der Vater ihm etwas gab, das er verdient hatte, staunte Johannes, weil dann die Zähne im Vatergesicht groß wurden. Es sah aus, als hätte er die Zähne eines anderen Wesens im Gesicht.
Miriam sagte: »Was spüren Tiere, wenn sie geschlagen werden? Hast du dich das schon mal gefragt?«
Schläge waren gängige Währung im Dorf. Bei Kindern und Vieh. Alles, was von GOtt, dem VAter, den Menschen anbefohlen worden war. In GOttes unergründlichem Ratschluss lag es. So wollte es GOtt. So wollte es GOttes Wort. So wollten es die Gemeindeältesten. So wollten es die Eltern. Schläge bedeuteten Ordnung. Schläge zählten. Schläge halfen der Seele. Wer geschlagen wurde, erfuhr SEine Güte und Barmherzigkeit. In Liebe.
Denn also hatte GOtt die Welt geliebt, dass er SEinen eingeborenen SOhn gab, dass ER Mensch werde und als Mensch leide. Auch GOtt ließ sich als SEin eingeborener Sohn, der ER auch war, schlagen. Er ließ sich Nägel durch Hände und Füße schlagen. ER ließ sich anspucken. ER ließ sich erlösen.
Und der HErr sah, dass es gut war.
Mit Mann und Ross und Wagen, hat sie der HErr geschlagen.
Johannes holte Luft, bevor es anfing. Er hielt die Luft an. Er machte sich klein. Er atmete aus, wenn es vorbei war. Im Ausatmen ließ er alles aus sich heraus. Auch das, was sich in seinem Körper angestaut hatte. Im Ausatmen trennte er sich von dem, was geschehen war. Es war gar nicht ihm geschehen. Es war jemand anderem geschehen. Es war vorbei. Gelobt sei, was hart macht. Ein Indianer kannte keinen Schmerz. Johannes war stärker als das, was da mit ihm geschah.
»Wer den Stock schont, schadet dem Kind«, hieß es im Dorf.
Manche Eltern mussten vom Pfarrer und von den Ältesten getröstet werden, wenn der HErr ihnen die Prüfung auferlegte, dass sie ihre Kinder lieben sollten. »Es ist nicht immer einfach, IHm gehorsam zu sein.«
SEine Güte und Barmherzigkeit währten ewiglich. Das durfte man nicht vergessen. Es ging um das ewige Leben.
Johannes und Miriam blickten durchs Dachfenster. Draußen war der Himmel. Draußen war es Nacht. Draußen hörten sie den Wind, der sich mit den Pappeln auf dem Nachbargrundstück beschäftigte.
Miriam sagte: »Dass der Grenzstein auch gerade an der Stelle stehen musste.«
Johannes sagte: »Genau. Der hätte auch ein paar hinter die Löffel verdient.«
Miriam lachte.
Johannes lachte. Er wusste, er würde eines Tages aus dem Dorf gehen. Weggehen. Verschwinden. Nach Amerika würde er gehen. Amerika war das Land, das schlug und nicht geschlagen wurde. Wer in Amerika war, wurde nicht geschlagen. Nicht vom Vater. Nicht von GOtt. Nicht von den Ältesten.