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Er ging an der Hoffnung vorbei, vorbei am Licht und am Schatten. Alle drei standen offen. Alle drei hatten einen eigenen Geruch. Die Hoffnung roch nach Speichel und Lysol, denn sie musste oft desinfiziert werden, das Licht roch nach alten Steinfliesen, denn das Gebäude diente als Speicher, und der Schatten roch nach Fotokopiermaschinen und Parfum, denn in ihm war die Verwaltung untergebracht. Und ein Stück weiter an der Straße kam die Töpferin. Deren Geruch kannte er in- und auswendig. Den roch er in sich, bevor er die Schrift »Töpferin – Um die Ecke« auf dem handgemalten Schild sah. Bei ihr roch es nass und erdig. Es surrte und brauste. Sie saß auf einem Schemel und hatte immer wieder gelbes Blut zwischen den Fingern, das sie formte und in die Höhe steigen ließ. Mit dem Handrücken wischte sie sich Haarsträhnen aus dem Gesicht und versuchte, sie sich hinters Ohr zu streichen, was ihr aber nur selten gelang, weil ihre Haare wild waren.

Maria hieß sie. Und Morgenröte. Sie ließ ihn zuschauen. Er durfte neben ihr stehen und Nässe und Erde riechen, wie sie lebendig zwischen ihren Fingern größer und kleiner, höher und runder wurden. Auf ihrer Scheibe zwischen den Beinen ließ sie die Ränder von Tassen und Kannen schnell in die Höhe fließen. Die dünnen Wände flossen tatsächlich nach oben. Und dann waren plötzlich, wenn das Messer kam, die Ränder auf halber Höhe weg. Die gelben Finger kneteten, was das Messer abgeschnitten hatte, zu einem gelben Blutklumpen und warfen ihn zurück zum anderen Blut in der Schüssel. Es war eine Form des Schlachtens, die hier mit dem Kreischen der Sandsteinscheibe und dem Messer stattfand. Nur war hier alles gelb, und niemand wurde an den Ohren hereingezogen und mit einem Schuss in die Stirn auf den Boden geworfen. Manchmal sagte die Morgenröte: »So, kommst du mich wieder einmal besuchen?« Und sie sagte: »Willst du mir eine Weile zuschauen?« Sie sah ihn gern. Bei sich. Neben sich. Meistens sagte sie nichts. Sie wusste, sie brauchte nichts zu sagen. Er durfte da sein – in der Nässe und in der Erde und im Drehen der Platte zwischen ihren Beinen. Und er schaute ihren Fingern, ihren Fingernägeln, ihren Handflächen und Daumenspitzen zu. Und er wollte ihre Haare riechen. Er wollte wissen, wie sie wirklich rochen. Aber da waren die Gerüche der Nässe und der Erde, der Geruch des gelben Blutes. Sich ganz nah neben sie stellen und ihre Haare riechen durfte er nicht. Eine Armlänge – das war die geltende Distanz im Dorf. Und über diese Entfernung konnte er ihre Haare in der Werkstatt mit all den anderen Gerüchen nicht riechen. Vielleicht war das überhaupt der Grund, weshalb man diesen Abstand im Dorf einhalten musste. Haareriechen war gefährlich. Im Geruch der Haare begann die Hölle. Im Geruch der Haare wurde es heiß und sündig. Das spürte er. Deshalb war er hier. Deshalb stand er in der Werkstatt beim Formwerden des gelben Blutes.

Am Ende durfte er einen Teller machen, aber nicht auf ihrer Scheibe. Er gab sich Mühe mit seinem Teller. Sie sollte sich beim nächsten Mal wieder über seinen Besuch freuen. Sie sollte ihn segnen. Sie sollte den Teller segnen. Sie sollte sagen: »Ich glasiere ihn dir. Soll’s wieder blau sein?«

Der kleine Junge und das Dorf. Dass die Morgenröte mit ihm verwandt war, war selbstverständlich, denn in diesem Dorf waren alle mit allen verwandt. Miriams Haare – er hatte nie an ihnen gerochen. Er konnte es sich nicht erklären. Er hatte nie an ihnen riechen wollen. Das bereute er. Aber es nachholen wollte er nicht. Es war zu spät. Die Augenblicke waren vorbei. Im Atmen. Im Schlafen. Ein und aus. Immer wieder. Ineinander. Miteinander. Durcheinander. Sie und er. Im Dorf. In diesem Dorf, das eine Sekte war.

Andershimmel

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