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Sie wusste, sie brauchte erst gar nicht zu fragen, ob sie mitspielen dürfe. Ein Mädchen durfte nicht mitspielen. Ein Mädchen hätte alles verdorben. Ein Mädchen hätte nicht kapiert, um was es ging.

Sie stand hinter dem Fangzaun und schaute zu. Der Draht war zwischen ihr und ihnen. Da hatte sie sich hingestellt. Sie wollte nicht stören. Mit neugierigen Augen stand sie da und schaute, den Kopf gesenkt, zu. Sie bettelte nicht. Sie schaute ihnen zu, wie eine Besucherin in einem Museum der Führung einer anderen Gruppe zuschaut. Es war eine andere Welt, die sie vor sich sah. Sie würde nie zu dieser Welt gehören. Vielleicht war da eine Sehnsucht nach dieser anderen Welt. Sie wusste es selbst nicht. Sie schaute nur zu.

»Verzieh dich.« »Verpiss dich.« Das hätte Johannes ihr zugerufen, wenn sie gefragt hätte, ob sie mitspielen dürfe. Sie war hübsch mit ihren kastanienbraunen Haaren, die sie zu Zöpfen geflochten hatte, mit ihren lebendigen Lippen, die gern lachten, mit ihren Augen, die eine Mischung aus hellbraun und hellgrün waren, mit ihrer Haut voller Sommersprossen. Make-up trug sie keines. Dem HErrn gefiel es nicht, wenn ein Mädchen eitel war. Hübsch war sie. Aber mitspielen durfte sie nicht.

Sie schauten nicht zu ihr hin. Ablenken ließen sie sich nicht. Was sie taten, war wichtig.

Sie hielt die Lippen aufeinandergepresst. Sie hörte das silberne Klingeln des Fangzaunes. Ihre Lippen waren so schmal, dass sie fast aus dem Gesicht verschwanden. Es war nicht mehr sie selbst, die da lächelte. Sie war eine Figur, die dem, was war, gedankenverloren zuschaute. Das, was geschah, geschah ohne sie. Es waren Jungen, die auf der anderen Seite des Fangzaunes spielten. Sie machte sich zu dem, was sie meinte, für die, die sie nicht anblickten, sein zu müssen. Sie brauchte sich nicht zu zwingen. Es war einfach. Das Lächeln kam von selbst – von innen heraus. Das war sie – ein lächelndes Mädchen, das hinter dem Fangzaun stand, während Johannes mit anderen Jungen Fußball spielte, ein Mädchen, das zuschaute und auf den Boden schaute. Johannes. Durch ihn nahm sie teil. Auch an diesem Spiel. An diesem Fußballkonzert, das erklang, wenn der Ball ins Fangnetz einschlug. Der Bruder, in ihr, durch sie. Sie gehörte zu ihm, und er gehörte zu ihr. Er spielte. Er traf. Er schoss.

Kuss und Kussi: immer noch. Die Namen verschwanden zuletzt.

Johannes roch nach Gras und Erde. Sie atmete ihn ein.

»Hey, Süße, knackiger Arsch.«

Es lag nichts als Übermut in den Worten. Die Jungen lachten. Alle. Und im Mitlachen betrog Johannes sie. Er wurde ihr fremd. Er gehörte zu den anderen. Er spürte, wie er sich fremd wurde.

Die Mutter sagte: »Steh aufrecht, Mädchen, sonst bekommst du einen Buckel.«

Dass Miriam gebeugt sein wollte, damit ihr Rücken sie vor der Welt schützte, verstand er. Ihre Schultern drängten nach vorn. Wenn sie dann so gebeugt am Tisch saß, gab es zwischen den Schultern und den Knien einen Ort, der nur ihr gehörte. In den konnte sie sich, vom eigenen Körper umgeben, einschließen. Dorthin kam niemand außer ihr. Sie blickte nach unten. Immer schräg nach unten blickte sie. Sie traute dem Oben nicht.

Andershimmel

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