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Am Moorsee auf dem Steg zog Rahel an der Zigarette, hielt den Rauch in ihren Lungen und ließ den Rauch in sich zu Stärke werden. Sie verstand, warum Indianer Friedenspfeifen rauchten. »Das ist eine ganz andere Intensität, so tief in dir«, sagte sie. Und sie sagte: »Soll er doch toben, der Alte.«

Sie lebte an einem Abgrund. Sie musste an einem Abgrund leben, damit sie sich spürte. Ernte 23, Chanel und Jeans, die sie nicht wusch. Auf einmal waren ihre Haare hellrot gefärbt, und die Fingernägel waren schwarz. Sie legte sich lang auf den Steg. Nur das Atmen war noch da – und er, der sie beobachtete.

In der Schule sagte ein Junge, der zwei Klassen über ihnen war: »Entweder du bringst sie heute Mittag ins Wäldchen oder es gibt morgen Klassenprügel.«

Johannes wusste, was das Wäldchen hieß, wusste, was Klassenprügel hieß. Der Junge sagte nicht: »Du kommst heute Mittag ins Wäldchen und bringst sie mit.« Er sagte: »Du bringst sie heute Mittag ins Wäldchen.«

Danach wich Johannes diesem Jungen und allen in dessen Klasse wochenlang aus. Zwei Tage lang ging er nicht in die Schule. Er war krank. Zahnpasta essen ging immer.

Lauerten sie auch der Schwester auf, so wie sie Rahel auflauerten? Miriam erzählte nie etwas. Aber sie wurde ruhig. Sie lachte nicht mehr. Etwas war los mit ihr. Er spürte es.

»Was ist los mit dir auf einmal?«

»Nichts ist los mit mir. Was soll mit mir schon los sein?«

Johannes ging mit Miriam an den See. Sie hörten den Wind, der mit den Schilfrohren spielte. Das Dorf lag hinter ihnen. Und hinter dem Dorf lag das Wäldchen. Der Steg war langweilig ohne den Zigarettenrauch. Miriams Gesicht war rundlich geworden. Sie hatte zugenommen.

Sie lachte: »Meine Lippen, mein Bruder, lechzen nach dir. Ich suche das Rot in deinen Lippen.« Aber das Lachen passte nicht. Er war schockiert von ihrem Aussehen. Es war Frühling. Sie sagte: »Liebe, mein Bruder, ist eine Zeit, die außer sich ist.« Sie sagte: »Lass uns uns gegenseitig begleiten, bis wir miteinander in unseren Nächten wohnen.«

So hatte sie noch nie geredet. Es gefiel ihm, wie sie redete. Es machte ihm Angst.

Sie sagte: »Jauchzet, ihr lieben Gemeindeglieder, die ihr eure Nächstenliebe mit Löffeln gefressen habt, die ihr uns mit keinem Blick würdigt. Unser Anblick macht euch unwohl. Wir könnten euch anstecken mit unseren Augen, die ganz andere Dinge sehen als die, die ihr uns vorgaukeln wollt. Habt ihr die Angst gesehen? Habt ihr die Angst gesehen, die eurem Körper mit anderen Körpern nahekommt?«

Danach vermied Johannes es, in Miriams Augen zu blicken. Sie hatten etwas Wildes an sich. Sie kümmerte sich nicht um die Gedanken des Dorfes. Er sagte: »Soll ich mich auch ein bisschen ritzen? Nur für dich?« Sie zuckte die Schulter. »Was du tust, ist deine Sache.«

Am See gab es keine Häuser. Es gab es nur den Wind und die vom Wind ins Wasser gezeichneten Schemen. Seerosenblätter schaukelten, und Schilfrohre murmelten.

Zuhause malte Miriam auf einmal eine grelle Landschaft – ein blutrotes Haus, feurige Wälder, Monsterrehe und ein von Schlangen umwachsenes Schloss. Sie sagte: »Ist das nicht toll, was der Papa heute wieder verzapft hat.«

Johannes sagte: »›Der Mann ist nicht vom Weib, sondern das Weib vom Manne.‹«

»Ja, genau so.«

Johannes sagte: »›Der Mann ist nicht geschaffen um des Weibes willen, sondern das Weib um des Mannes willen.‹«

Sie sagte: »Du triffst den Ton. Der passt zu dir.«

Johannes sagte: »›Lasset eure Weiber schweigen in der Gemeinde. Es steht dem Weibe übel an, in der Gemeinde zu reden.‹«

Johannes sagte: »›Die Weiber seien untertan ihren Männern.‹«

Johannes sagte: »›Das Weib aber fürchte den Mann.‹«

Der Vater hatte zugeschlagen. Ins Gesicht der Schwester. Das war jetzt rot. Auf der linken Seite. Denn der Vater war Rechtshänder.

Miriam war in ihr Zimmer gerannt. Als Johannes anklopfte, malte sie. Das blutrote Haus. Zwei Monsterrehe. Es war, wie es war. Es war, wie es sein musste. So oder so. Dachte er. Was sie dachte, konnte er nicht ahnen. Nicht mehr. Alles war durcheinandergeraten. Rahel, Miriam, der Vater, der Schlag ins Gesicht.

Andershimmel

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