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ОглавлениеSprach der Vater mit GOtt, dann sprach er in der Sprache eines Mannes, der einen Mann liebte. GOtt war seine erste Liebe. Die Sprache der Liebe kam, wenn er mit seinem GEliebten redete, von tief in ihm. Sie berührte erst spät die Kehle. Es war seine Seelenstimme. Der Vater liebte IHn über alles. Seine erste Liebe war ein Gehorchen. Wer Vater oder Mutter mehr liebt als MIch, der ist MEiner nicht wert; und wer Sohn und Tochter mehr liebt als MIch, der ist MEiner nicht wert. Das war das erste Gesetz der Liebe. Ihr Vater wäre fähig gewesen, sie, wenn der HErr es von ihm verlangt hätte, auf einen Altar zu binden und ihnen mit einem Schwert den Kopf abzuschlagen. GOtt konnte so etwas verlangen. Und bei ihnen im Dorf gab es nirgends einen Widder, der plötzlich durchs Gesträuch gebrochen wäre und sie im letzten Augenblick gerettet hätte.
GOtt lebte in der Liebe. ER lebte in jedem Menschen. ER lebte in ihnen. GOtt war Mensch. Und Menschen, auch sie, Johannes und Miriam, waren ein Teil GOttes, ein Teil der lebendigen Liebe GOttes. ER war in ihnen. ER war sie. ER sagte: »Komm mit.« Sie schauten den Wolken zu, die übers Moor hereinzogen. GOtt sprach zu ihnen durch Menschenmund. Gefiel IHm etwas nicht, sprach ER zu ihnen durch Menschenmund. Dann redeten die Menschenmünder vom ALlmächtigen, vom EWigen, vom ZEbaoth und vom VAter. Dabei wurden die Münder spitz, die Worte kamen aus der Seele, die Stimmen wurden heilig. Dann sagten die Ältestenmünder durch ihre grauen Bärte, Bruder Lauer, Bruder Dorner, Bruder Maiwald, Bruder Nagel, was IHm nicht gefiel. Frösche quälen, einer Fliege die Flügel ausreißen, am Sonntag Fußball spielen. »Betet, dass ihr es nicht mehr tut. Bittet IHn innständig um SEine Vergebung.«
Johannes schaute den Spitzmäulern zu. Miriam schloss die Augen und hörte.
»Ihr Knechte, seid untertan mit aller Furcht den Herren, nicht allein den gütigen und gelinden, sondern auch den wunderlichen«, sagte das Spitzmaul Maiwald. Bruder Maiwald mochte es nicht, wenn man ihm, wenn er redete, aufs Maul schaute. Man sollte die Augen gesenkt halten, wenn das Spitzmaul Maiwald mit einem sprach. Eine Colaflasche aus der Bäckerei gestohlen. Die alte Bäckerin hatte es gesehen. Miriam konnte die Augen schließen und den Kopf senken. Sie hatte vor der Bäckerei gewartet.
Wenn sie die Colaflasche wenigstens hätten trinken können.
Haribo macht Kinder froh. Und Erwachsene ebenso.
»Bereut ihr aufrichtig?«
Sie nickten.
Die Seele war Teil vom IHm. Sie war hell und durchsichtig. Sie war ein weißer Nebel, der brennen konnte, ohne sich zu verzehren, der brennen konnte, ohne heiß zu werden. An Pfingsten tanzten die Seelen als Flammen auf den Häuptern der Jünger; die Jünger sprachen in Zungen, die alle Völker verstanden, weil sie in allen Sprachen der Welt sprachen. Der HEilige GEist war über sie gekommen. Der HEilige GEist war in tanzenden Seelenfeuern auf den Häuptern. Der HEilige GEist war eine tanzende Sprache.
Und weil die Seele ein Teil von IHm in einem selbst war und weil man zu IHm, dem HErrn, betete, war der Odem, mit dem man IHn anbetete, ein besonderer Odem. Es war ein Seelenatem. Er gehörte IHm. Er war eine unvorstellbare Nähe zwischen IHm und den Worten des Betenden.
In der Küche sang die Mutter, wenn es ein schwieriger Tag war, weil die Kinder vor den Ältestenrat berufen wurden: »SEine Güt und Wahrheit wäh-he-ret e-wig-lich.« Sie sang die Worte. Sie gab den Worten Atem. Wäh-he-ret. Und mit dem lang gedehnten E-wig-lich, das sie mehr hauchte als sang, ließ sich der Tag leichter ertragen. In IHm.
Weshalb blieben ihm die Schläge, die Miriam empfing, so klar in Erinnerung, während sich die Schläge, die er empfing, in einem Erinnerungsnebel auflösten. Die Schläge, die er empfing, waren Teil einer anderen Seele, die nicht IHm gehörte. Sie waren Teil der Trotzseele. Der Ichbinichseele. Der Ichwillwegseele. Der Amerikaseele. Die Schläge, die Miriam empfing, waren Hilferufe. Sie verletzten. Sie trafen. Sie blieben im Dorf. Sie blieben in Miriam. Sie blieben in Johannes. »Verdient«, sagte der Vater mit den großen Zähnen. »Verdient hast du es dreimal.«
Das sagte er in Liebe. In SEiner Liebe.
Gab es in der Bibel eine Stelle, wo ein Mann seine Frau oder seine Tochter schlug? Johannes erinnerte sich nicht. Miriam wurde geschlagen, wie er geschlagen wurde. Existierte das Schlagen von Frauen und Kindern in der Bibelzeit? Wurde es nicht erwähnt, weil es unwichtig war? Bileam schlug seine Eselin, er schlug sie noch mehr, und er schlug seine Eselin mit dem Stock. Da sprach die Eselin zu Bileam: »Was habe ich dir getan, dass du mich nun dreimal geschlagen hast?«
So wurde erwähnt, dass ein Tier, ein weibliches Tier, geschlagen wurde – und das Tier antwortete mit Menschenworten. Denn das Tier war ein Instrument GOttes.
Die Mutter sagte: »Eigentlich sollte ich dir den Hintern versohlen.« Miriam sagte: »Darfst ruhig ein bisschen sohlen, wenn du willst.« »Darfst ruhig ein bisschen sohlen.« Immer wieder sagte die Mutter den Satz. Im ganzen Dorf herum. Und lachte.