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In ihr war eine Tiefe. Das spürte er. Sie zwang sie, Dinge zu tun.

Der Vater sprach mit GOtt. GOtt war der Vater. GOtt war die Liebe. Wer Vater oder Mutter mehr liebt als MIch. Der Vater hätte sie auf den Altar gebunden. Der ist MEiner nicht wert. Das wussten sie. Wer Sohn und Tochter mehr liebt als MIch. So wie Abraham es mit Jakob tat. Der ist MEiner nicht wert. Daran dachten sie immer wieder. Alles hätte blutig ausgehen können. Der Vater war bereit, Johannes und Miriam auf den Altar zu fesseln und ihnen das Messer in die Kehle zu rammen. Der Vater hätte seine Prüfung bestanden. Er verstand es zu opfern.

Miriam ging auf den Steg. Die Haare fielen ihr auf einmal über die Schultern. Sie summte Phantasien von Schumann. Da waren Mächte in ihr. Eine Macht gehörte ihr; das war sie; eine andere gehörte etwas Mächtigerem, das von außen kam und das ihr nicht gehörte, das aber trotzdem eine Macht in ihr war. Die andere Macht bestand aus Musik, bestand aus einem Gehen und Wiegen, bestand aus Wasser und Größe, bestand aus blutroten Häusern und Monsterrehen. Er liebte sie. Er liebte diese Miriam, wie er sie noch nie geliebt hatte. Er liebte ihren Körper, liebte ihren Hals und die Größe ihrer Bilder.

Sie zog eine Zigarettenschachtel aus der Hosentasche. »Willst du auch eine?« Der heilige Mund, die heiligen Töne, die heiligen Worte.

»Dummkopf«, hatte sie den Vater genannt. Also musste sie fühlen. Sie nannte ihn »beschränkt«. Also musste sie fühlen. Denn mit diesem Sie-Fühlen-Lassen zeigte der Vater ihr, wie sehr er sie liebte. Er konnte sie nicht verkommen lassen. Das Schlechtsein musste ihr ausgetrieben werden. In Liebe. »Ich treibe dir das schon noch aus.« Den falschen Willen. Das Böse. Um ihrer Rettung willen.

Alles ging ineinander über – in ihr und in ihm. Sie zog an der Zigarette und ließ den Rauch in sich hineinsinken. Sie sagte: »Ich habe das Gefühl, dass ich auf einmal allein bin.«

Der Vater war in ihr Zimmer gegangen, ohne anzuklopfen. »Lass uns gemeinsam beten.« Sie brüllte. »Ich bin keine Magd, nicht deine und auch keine Magd GOttes. Du willst, dass ich werde wie du. Sanftmütig, fromm und gehorsam. Mit dem Prügel in der Hand. Ich werde nicht wie du.« Sie rannte an die Zimmertür. Die war abgeschlossen. Der Schlüssel fehlte. Den hatte der Vater zu sich genommen. Aus Liebe. Vorsorglich. Fürsorglich. Der Vater litt, ihr zuliebe, IHm zuliebe. Sanftmütig wollte er sein. Aber er musste GOtt gehorchen. Selbst wenn es ihn schmerzte.

Sie sagte: »Das Lamm Gottes.«

Sie waren Fremde – vor sich und in sich. Miriam war Schneewittchen ohne Kuss. Johannes war das Reh ohne Wald. Johannes und Miriam.

Sie träumte, sie sei eine Riesenschildkröte, so alt, dass sie Moos auf dem Rücken hatte. Sie versteckte sich unter einem Stein. Den Stein rollte der Vater weg. Der Vater schlug sie mit einem Stock auf die Nase. Sie sagte: »Warum bekomme ich immer eins auf die Schnauze?« Sie wurde immer dahin geschlagen, wo es ihr am meisten wehtat. Sie wollte in den nächsten Sumpf kriechen. Sich unter Wasser verstecken. Aber sie musste atmen. Sie wurde wieder auf die Nase geschlagen. Sie sagte: »Ist das nicht ein komischer Traum?«

Die Mutter litt aus der Ferne mit. Sie ließ alles geschehen. Aus Gehorsam. Weil es richtig war. Sie sagte: »Wisst ihr, ein behindertes Kind habe ich nicht gewollt. Aber das Nächstschlimmste für mich wäre ein Kind mit roten Haaren gewesen. Und jetzt färbst du sie dir rot!«

Die Seele war ein heißer Nebel. Sie gehörte IHm. Sie war Mensch und GOtt. Sie war unvorstellbare Nähe.

»Sie ist eigentlich noch zu jung, um so etwas zu tun«, sagte der Psychologe in der Stadt. Sie ging jetzt einmal in der Woche zu ihm. Beim ersten Mal wartete Johannes im Wartezimmer. Der Psychologe sagte: »Das nächste Mal ohne ihn.« Er meinte Johannes. Rainer Manschitz-Eisele hieß der Psychologe in der Stadt. Ab jetzt durfte Miriam einmal in der Woche mit dem Bus in die Stadt fahren. Allein. Sie kam mit leeren Augen zurück.

Sie trug ihre Haare achtlos, ließ sie sich zu Knoten verwachsen. Das war die Zeit der Herzschläge, die Bilder waren. Die Bilder akzeptierten das Schreckliche. Achtlos, bleich und immer wieder neu.

Miriam blieb in ihrem Zimmer. Sie träumte. Johannes blieb in seinem Zimmer. Er machte Fußballtabellen. Miriams Zimmer war das kleine Zimmer, das früher der Abstellraum gewesen war. Ihr Zimmer hatte ein kleines Fenster, das nach Norden blickte. Sein Zimmer war das größere Zimmer, dessen Fenster nach Osten und Süden blickten. Dafür hatte ihr Zimmer ein eigenes kleines Waschbecken. Es war der Mutter wichtig, dass Miriam ein eigenes Waschbecken hatte. Mehr Waschbecken und weniger Licht.

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