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Zu Rahels Familie gehörte die Dichterin von »O du Lamm Gottes«. Alle kannten dieses Lied. Die Dichterin war Hausmutter einer Missionsanstalt gewesen, wo sie jahrzehntelang treu ihren Dienst versah. Zweiundvierzig Jahre lang war sie verheiratet mit dem Leiter der Missionsanstalt. Die Gehirnhautentzündung, die sie sich als Kind in Jerusalem zugezogen hatte, und die Krankheit am Kehlkopf, die sie später befiel, minderten ihren Opfermut nicht. Sie ging auf in ihrer Aufgabe. Sie gab sich hin – der Anstalt und der Mission. Zehn Kindern schenkte sie das Leben. Zwei von ihnen gingen schon bald wieder heim. Das Dichten von Kirchenliedern war Teil ihrer Gaben und Aufgaben. Sie gehorchte IHm. In allem.

Dass es in Rahels Familie einen Nobelpreisträger gab, erwähnte niemand, denn dieser Nobelpreisträger war dreimal verheiratet und schrieb Dinge, die nicht christlich waren. Auf ihn war niemand stolz. Eltern im Dorf gaben ihren Kindern nie seinen Vornamen.

Überhaupt hatte man im Dorf ein seltsames Verhältnis zur Literatur. Es gab zahlreiche Verbindungen; Namen, Stuben, Klassenzimmer, die nach Dichtern benannt waren: das Hölderlin, das Mörike, das Hauff. Man erinnerte sich auch an jene, die Theologen waren oder in die Mission gingen oder die Bibelanstalten und christliche Verlage leiteten. Jene, die keinen christlichen Lebenswandel führten, erwähnte man nicht. Man verurteilte sie nicht. Das stand einem nicht an. Urteilen tat der HErr, der ALlmächtige, der SChöpfer des Himmels und der Erde. In der Bibliothek des Dorfes standen die Werke des Abtrünnigen. Und Johannes las sie – alle. Wer dreimal heiratete, konnte kein Vorbild sein. Wer indische Religionen vorzog, konnte kein Vorbild sein. Wer griechische Frauen anbetete, konnte dagegen ein Vorbild sein. Friedrich und Eduard und Wilhelm und Dorothea durfte man seine Kinder nennen, Hermann nicht.

Johannes las Bücher, in denen nicht klar war, wer gut und wer schlecht, wer angenommen und wer nicht angenommen war. Miriam las Bücher über Frauen, die durch Losentscheid nach Tibet geschickt wurden, um dort einen unbekannten Mann in einer Missionsgesellschaft zu heiraten. Sie las von der Mission in der Provinz Ladakh. Sie las von den Entbehrungen, die Frauen auf sich nahmen, von Landwirtschaften, die sie im Land der Heiden unter schwierigsten Bedingungen und größten Entbehrungen aufbauten, vom Unterricht, den sie in primitiven Klassenzimmern erteilten, von Kindern, die sie gebaren, von Krankheiten, die sie überstanden, und von Reiseabenteuern, die sie, mit GOttes Hilfe, ans Ziel führten. Sie las von einer großen Liebe in einem rätselhaften Land, von den bescheidenen Mitteln, mit denen gearbeitet wurde, und von den Entbehrungen, die Familien um des hohen Zieles willen auf sich nahmen.

Der HErr segnete Miriam. Der HErr behütete sie. Sie war treu und gehorsam. Um SEines und SEiner Liebe willen. Jeder Schmerz kam von IHm. Jedes Leiden kam von IHm. Jeder Segen kam von IHm. Alles, was in ihr geschah, kam von IHm. Sie konnte und sie durfte es annehmen. ER würde alles einrichten. Das war, da war sie sich sicher, gewisslich wahr.

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