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Ein Lob der Vielfalt

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Vor langer Zeit habe ich mir das Altern wie einen umgedrehten Trichter vorgestellt – das Leben, dachte ich, würde immer enger und gleichförmiger werden. Was ich bisher erlebt habe, lässt auf das genaue Gegenteil schließen. Da, als ich jung war, niemand mit mir über solche Themen gesprochen hat, möchte ich es gerne hier und jetzt bezeugen. Das Leben verliert mit dem Alter nicht zwangsläufig an Qualität. Es ist auch möglich, dass unser Erleben mit jedem Tag stärker wird. Schließlich haben wir so viel erlebt, dass jede neue Erfahrung eine ganze Reihe von Assoziationen auslöst. Eine solche Vielfalt hätte ich vor dreißig Jahren nicht erfahren können, ganz einfach, weil ich noch nicht so viel erlebt hatte. Das ist wie bei der Biologin, die mehrere hundert Grassorten unterscheidet, wo ein anderer nur grün und immer wieder grün sieht. Oder wie bei dem erfahrenen Musikliebhaber, der in der Fülle der Musik versinkt oder einzelne Stimmen heraushört oder sich vielleicht Gedanken über die Ähnlichkeiten mit anderen Kompositionen macht. Das Erleben solcher Menschen ist naturgemäß reicher als das anderer. Und deshalb wird ihr nächstes Erlebnis noch reicher sein. Der Trichter verbreitert sich. Sofern man nicht blasiert wird, versteht sich.

Im Laufe der Jahre hat sich bei mir, und das ist sicher vielen vertraut, ganz tief im Inneren ein Kern der Zuversicht und Geborgenheit gebildet. Ich traue mir zu, zu handeln, etwas auszuprobieren, zu empfinden und zu erleben. Auf diese Weise erweitere ich meine Grenzen und drehe den Trichter um, das Leben wird breiter, nicht enger.

Manchmal fällt mir auf, wie wenig ich mich an die Zeit erinnere, als mein Leben einfach so dahinrollte. Ich erinnere mich daran wie an eine Stimmung, einen Glücksschimmer. Und das ist bereits viel. Aber mehr ist mir davon auch nicht geblieben. Was in meiner Erinnerung lebendig geblieben ist, was sich mir eingeprägt hat, ist das, was wirklich schwierig gewesen ist. Nicht, dass ich mich in meinen Problemen suhle oder sie immer wieder durchkaue. Zum Glück habe ich keinerlei Hang zur Verbitterung. Im Gegenteil, wenn die Probleme hinter mir liegen, freue ich mich fast immer darüber, dass es sie gab. Erst sie haben es mir ermöglicht, mehr zu erleben, mehr zu wagen, mehr zu wollen und die Zeit anders zu empfinden.

Zeit

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