Читать книгу Wenn die Tage ihre Farbe verlieren - Band 1 - Bodo Gölnitz - Страница 3
Kapitel 1: Untergang und Aufbruch
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Irgendwo in Ostpreußen. In einem kleinen Dorf nahe der masurischen Seenplatte. Kurz vor Ausbruch des 2. Weltkrieges - als Adolf Hitler Kanonenfutter für seine wahnwitzigen Ideen brauchte und am 1. September 1939 den Selbstmord des alten Deutschlands einfädelte.
Mein Vater Ernst gehörte zu der Generation der vielen jungen Männer, die in dieser Zeit zufällig erwachsen wurden. Gerade 26 Jahre alt, hatte er mit meiner Mutter bereits fünf Kinder gezeugt. Zur damaligen Zeit war das allemal nichts Ungewöhnliches. Außerdem kam meine Mutter dadurch in den Genuss, vom Führer das Mutterkreuz« zu erhalten – und eine kostenlose Ausgabe von »Mein Kampf«.
Nun zog Vater also an die Front. Und meine Mutter musste die Kinder alleine versorgen - in Kriegszeiten wahrlich kein leichter Job.
Hitlers Soldaten bekamen, wenn sie verwundet wurden, Fronturlaub. Auch mein Vater wurde im Kampf verletzt. Eine Schusswunde im Verlauf eines Sturmangriffs. Und so kam er für eine kurze Zeit der Genesung nach Hause. Mit dem Resultat, dass im Jahre 1940 mein Bruder Wolf-Rüdiger das Licht dieser, von Raketen und Granatwerfern erhellten Welt erblickte.
Zu dem Zeitpunkt war Vati allerdings wieder bei seiner Einheit, irgendwo an der Ostfront. Seinen neugeborenen Sohn sollte er dadurch niemals kennenlernen, denn Wolf Rüdiger erlebte leider nicht seinen ersten Geburtstag. Unterernährung, Vergiftung durch verdorbene Milch. Das war der Grund für den frühen Kindstod.
Gegen Ende des Krieges nahm meine Mutter ihre Kinder, sowie nur wenige Habseligkeiten, und flüchtete aus Angst vor dem Einmarsch russischer Soldaten, von Ostpreußen in Richtung Schleswig-Holstein.
Geplant war, mit der »MS Wilhelm Gustloff« über die Ostsee in sicherere Gefilde zu schippern. Die war jedoch von den Massen an flüchtenden Menschen völlig überfüllt. Und so gings dann zu Fuß in Richtung Westen.
Am 30. Januar 1945 wurde die Wilhelm Gustloff vor der Küste Pommerns von feindlichen Torpedos getroffen und versenkt. An Bord befanden sich fast 9.000 Flüchtlinge und Besatzungsmitglieder.
Glück? Schicksal? Meta hatte jedenfalls überlebt.
Nach Kriegsende fand sie mit ihren fünf Kindern eine in einem kleinen Dorf in der Nähe des Nord-Ostsee-Kanals. Was aus Ernst Gölnitz geworden war? Niemand wusste es.
Meine Mutter machte nun das, was alle Frauen zu der Zeit taten - sie ließ meinen Vater über Vermisstenlisten suchen. Doch es tat sich nichts. Aber Meta Gölnitz übte sich in Geduld. Was blieb ihr auch anderes übrig. Sie versorgte mehr schlecht als recht ihre Kinder und wartete beharrlich auf ein Lebenszeichen ihres Mannes.
Regelmäßig suchte sie das »Deutsche Rote Kreuz« auf. Nur um zu erfahren, dass es in Sachen Ernst Gölnitz nichts Neues geben würde. Aber sie gab nicht auf. Es war jetzt bereits 1953.
Da bekam sie völlig unerwartet die Nachricht, dass es in Nortorf - einem Dorf, nicht weit entfernt - einen Ernst Gölnitz geben würde. Seit seiner Entlassung 1945, aus amerikanischer Gefangenschaft, würde er dort wohnen, und hätte eine Arbeitsstelle bei einem Bauern als Melker.
Und tatsächlich - dieser Mann war: mein Vater! Acht Jahre hatten er und meine Mutter, getrennt durch lächerliche 20 km, praktisch in der Nachbarschaft gelebt und nichts voneinander gewusst.
Trotz aller Freude - die anschließenden Monate waren alles andere als einfach. Immerhin waren Vaters Kinder zu Beginn des Krieges noch sehr klein gewesen. Es lagen 15 lange Jahre dazwischen. Und nun waren die damals Kleinen bereits im pubertären Alter, teilweise sogar schon erwachsen. Für sie war er fast ein Fremder. Und die Erlebnisse an der Front hatten ihn roh, streng, und schnell aufbrausend gemacht.
Um seine Stellung und Autorität in der Familie wiederzuerlangen, brauchte es noch eine geraume Zeit. Aber die Familie war jedenfalls wieder vollständig.