Читать книгу Wenn die Tage ihre Farbe verlieren - Band 1 - Bodo Gölnitz - Страница 8
Kapitel 6: Der erste Fernsehapparat
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Im Jahr 1966 sollte in England, dem Mutterland des Fußballs, die Weltmeisterschaft stattfinden. Mein Vater, der in jungen Jahren selbst aktiv spielte, fieberte diesem Ereignis entgegen. Daher empfand ich es immer als äußerst merkwürdig, dass ich nicht die Erlaubnis bekam, der Fußballsparte unseres Stadtvereins beizutreten. Die Begründung meiner Eltern bestand nur aus einem Satz: »Du kommst uns nicht mit gebrochenen Knochen nach Hause.« Ich hegte allerdings die Vermutung, dass sich meine Eltern mehr um die dabei entstehenden Kosten für die Fußballausrüstung Sorgen machten, als um meine zerbrechlichen Kinderbeine. Dabei gab’s auch damals schon Schienbeinschützer. Auch kannte ich keinen meiner balltretenden Kumpels, denen Ähnliches passiert war - außer einigen blauen Flecken, aufgeschrammten Knien, etc. Obwohl zu der Zeit mit Fußballstiefeln der Marke »Adidas Schuss« gespielt wurde.
Dieses Modell gab es tatsächlich! Und die Bezeichnung Stiefel war auch zutreffend. Die Ähnlichkeit mit den heutigen Sicherheitsarbeitsschuhen war verblüffend. Denn diese Fußballtreter waren ebenfalls mit einer runden Stahlkappe im Zehenbereich ausgestattet. Ein Franz Beckenbauer hatte natürlich viel weichere. Aber für den Normalverbraucher waren solche Wohlfühl-Modelle unbezahlbar.
Mit unserem »Sondermodell Stahlkappe« konnte man allerdings kaum Ballgefühl erlangen. Aber der Ball erlangte mit dieser runden und harten Schuhspitze einen unnachahmbaren Drall, der den beteiligten Torhütern arg zu schaffen machte. Und wenn ich genau darüber nachdenke, könnte wahrscheinlich auch der Schienbeinschützer wegen dieser klobigen Treter erfunden worden sein.
Doch so weit so gut. Das Jahresereignis Fußballweltmeisterschaft stand nun bevor. Bei uns war zwar noch immer Ebbe in der Kasse, aber mein Vater schaffte es trotzdem, Mutter zu überreden, einen Fernsehapparat anzuschaffen. Keine Ahnung, wie er das bewerkstelligt hatte. Axel und ich waren jedenfalls wahnsinnig aufgeregt, obwohl die Programmvielfalt seinerzeit nur aus zwei Programmen bestand. Wir sollten endlich einen Fernseher bekommen!
Die Sendezeit ging damals nur von 14:30 Uhr bis 23:00 Uhr, aber am Nachmittag wurden eine Stunde lang Kinderfilme gesendet.
Die Helden unserer Lieblingssendungen hießen Jess Harper, in der Wildwest-Serie »Am Fuß der blauen Berge«, »Lassie« und »RinTinTin«. »Flipper« gesellte sich später auch noch dazu.
Dann war es endlich soweit.
Es gab da einen Radio- und Fernsehfritzen, der mit gebrauchten Geräten handelte - in einer kleinen Holzhütte am Stadtrand. Sein Geschäft mit Gebrauchtfernsehern war scheinbar sehr lukrativ, denn Jahre später wurde dieser Händler zum größten und erfolgreichsten Elektronik-Kaufhaus-Besitzer der Stadt.
Wir probierten verschiedene Apparate aus und Vati entschied sich für ein etwa zwei Jahre altes Gerät der Marke »Nordmende«. Natürlich war es ein Schwarz-Weiß-Fernseher, denn das »Buntfernsehen« gab es erst Jahre später.
Der Händler versprach, den Fernsehapparat nochmals zu überprüfen und ihn am folgenden Samstag zu uns nach Hause zu bringen. Dort würde er das Gerät noch persönlich auf- und einstellen. Da dieses Prachtstück 400 Deutsche Mark kostete, was etwa einem halben Monatslohn meines Vaters entsprach, schloss Vati mit ihm einen Ratenzahlungsvertrag ab.
Die Zeit bis zur Lieferung wollte nicht vergehen. Doch dann kam das gute Stück endlich. Die zusätzlich benötigte Antenne schraubten der Händler und sein Helfer auf das Hausdach, verlegten ein Kabel, und stellten die beiden Sender ein. Besonders scharf war das Empfangsbild nicht, aber für die damalige Zeit durchaus erträglich.
Die ersten Sendungen, die wir dann aufgeregt im Kreise der Familie ansahen, waren ein 30-minütiger Englischkurs und eine Folge mit irgendeinem dicken Fernsehkoch.
Einige Wochen später fand dann die Fußballweltmeisterschaft in England statt. Und wir waren live dabei!
Ich erinnere mich noch, dass es bei einer Übertragung draußen regnete und das Bild immer schlechter wurde - bis irgendwann nichts mehr zu sehen war. Nur noch Rauschen und Grieseln. Mein Vater tobte!
Mein Vater tobte auch, als es im Endspiel zu jenem legendären Tor der Engländer gegen Deutschland kam, das letztendlich unsere Mannschaft nur zum Vizeweltmeister machte. Kaum ein anderes Thema hat die Deutschen für viele Jahre so beschäftigt, wie dieses irregulär gegebene Endspieltor.
Durch die Weltmeisterschaft erreichte meine Begeisterung für Fußball endgültig das Level, auf dem mein Vater sich bereits befand. Meine komplette Freizeit verbrachte ich fortan mit meinen Kumpels auf den Bolzplätzen der Stadt. Und die Wochenenden saß ich mit meinem Vati vor dem Fernseher, um jede Sportsendung die lief zu verfolgen. Und auch wirklich JEDE.
Diese Sportsendungen sorgten jedoch manchmal für Familienkonflikte. Mutti hatte nämlich ihre Leidenschaft für Gerichtssendungen entdeckt. Jene Sendungen - welche z.B. den Namen »Ehen vor Gericht« oder »Das Familiengericht tagt« trugen - liefen oft zeitgleich zu irgendwelchen Sportübertragungen.
Wenn Mutti zufällig beim Lesen der Fernseh-Illustrierten auf so eine Sendung stieß, auf dem anderen Programm jedoch zur gleichen Zeit ein Fußballspiel stattfand, gab’s unvermeidlich Ehekrach. Meistens setzte Mutti sich dann durch, und Vati stattete frustriert seiner Lieblingskneipe, »Schuhmanns Gasthof«, einen ausgiebigen Besuch ab.
Sollte aber mein Vater so eine Gerichtssendung zuerst in der Zeitung entdeckt haben, wurde die Illustrierte kurzerhand versteckt, bis die Sportübertragung beendet war.
Meine spätere Lieblingssendung hieß »Mit Schirm, Charme und Melone«. Dort lösten Dienstagabends John Steed und Emma Peel ihre aufregenden Kriminalfälle. Dass ich ganz schwer in Emma Peel verliebt war, sei nur am Rande erwähnt.
Leider gab es damals den heute allerdings ausgestorbenen Beruf des Fernsehansagers. Vor jeder Sendung erschien er - oder sie - auf dem Bildschirm, um die nachfolgende Sendung anzusagen und Kommentare dazu abzugeben.
Nur hatten diese Ansager des Öfteren die schlimme Angewohnheit, vor Beginn mancher Emma-Peel-Folgen, einen schrecklichen Satz zu sagen:
»Diese Sendung ist für Jugendliche unter 16 Jahren nicht geeignet!«
Daraus resultierte die Anweisung meiner Eltern: »Ab ins Bett!«
Da half kein Betteln und Flehen. »Ab ins Bett!!!«
Weil unser Kinderzimmer jedoch an das Wohnzimmer grenzte und mit einer zweiten Tür verbunden war, erlebten wir dann einige diese für uns ungeeigneten Serien-Folgen, durch das eingeschränkte Sichtfeld eines Schlüsselloches.