Читать книгу Kalina - Bärbel Junker - Страница 10
KALINA EILT ZU HILFE
ОглавлениеWährenddessen raste Kalina wie von Furien gehetzt durch gepflegte Anlagen und verwilderte Gärten, über Rasenflächen und Blumenbeete, sprang über Zäune und Mauern, um den Weg abzukürzen. Die Angst um Roberta trieb sie an und verlieh ihr eine solche Geschwindigkeit, dass ihre Pfoten kaum den Erdboden berührten.
Endlich erreichte sie die Straße, in der sie wohnte. Sie jagte an den Nachbarhäusern vorbei, stürmte zur Küchentür und schlüpfte durch die Katzenklappe ins Haus.
Wo ist Roberta? hämmerte es hinter ihrer Stirn. Sie schnüffelte. Ein Fremder! Und er roch widerlich. Sie lauschte. Geräusche aus dem Schlafzimmer! Ab zur Treppe. Sie sprang die Stufen hinauf und sah sich um. Was war passiert? Sie huschte zum Zimmer und lugte hinein.
Roberta lag auf dem Bett. Ein Mann beugte sich über sie. Was tat er da? Da hob der Mann den Arm und schlug mit der flachen Hand in Robertas Gesicht. „Verdammt noch mal! Wach endlich auf, du Hure. Ich will, dass du voll da bist, wenn ich dich mir vornehme“, pöbelte er.
Der Kerl tat ihrer Roberta weh!
Kalinas Augen begannen zornig zu glühen. Ihr muskulöser Körper spannte sich, grollend rückte sie vor – und der Kerl wirbelte erschrocken herum.
„Was, zum Teufel...“, fluchte er und griff zum Messer.
„Mistkerl“, knurrte Kalina und zeigte ihm ihre kräftigen, spitzen Zähne.
„Wa...was?!“, stotterte er und starrte sie dümmlich an.
Und in diesem Moment stieß sich Kalina mit ihren kräftigen Hinterbeinen vom Boden ab. Wie ein Geschoss flog sie auf ihn zu. Sie landete auf seiner Brust und warf ihn um. „Was hast du mit meiner Roberta gemacht?“, zischte sie.
„Du...du sprichst? Da...das gibt´s doch nicht!“
„Und ob es das gibt“, zischte Kalina. „Wenn du ihr etwas zu Leide getan hast, mach ich dich alle, kapiert?“
„I...ich hab ihr no...noch nichts getan“, stotterte der Kerl verstört. Eine sprechende Katze! Das haute ihn glatt um.
„Dafür, dass du ihr nichts getan hast, sieht sie aber ziemlich zerschunden aus, du Mistkerl“, knurrte Kalina. „Ich werde dir ...“ Robertas Stöhnen lenkte sie ab. Sie lockerte den festen Zugriff ihrer Pfoten und wandte sich dem Bett zu, auf dem sich Roberta stöhnend aufrichtete.
Und der Verbrecher erkannte seine Chance! Mit beiden Händen umklammerte er den Katzenkörper auf seiner Brust, schleuderte ihn von sich, sprang auf und flüchtete in Richtung Flur.
„Nicht mit mir“, keuchte Kalina und setzte ihm hinterher. Er erreichte die Treppe nach unten. Oh nein, der Kerl würde nicht entkommen! Mit einem gewaltigen Satz sprang sie ihm auf den Rücken und krallte sich fest.
Als er den Halt verlor, löste sich Kalina von ihm und brachte sich mit einem Satz in Sicherheit. Der Kerl stürzte kopfüber die Treppe hinunter, prallte gegen eine marmorne Konsole und rührte sich nicht mehr.
Da taumelte Roberta in den Flur. „Wieso bist du hier, Kalina?“, flüsterte sie verstört.
„Zufall. Reiner Zufall“, flunkerte Kalina.
„I...ist er weg?“ fragte Roberta ängstlich.
„Ich glaube, er ist tot.“
„Tot? Wieso tot?“
„Er wollte abhau´n und ist dabei die Treppe runtergefall´n. Dabei hat er sich wohl das Genick gebrochen. Selbst schuld, kann ich da nur sagen.“
„Kalina, so etwas sagt man nicht. Wir müssen nach ihm sehen und einen Krankenwagen rufen.“
„Keine Chance. Der Mann war ein Bösewicht. Außerdem ist er bestimmt tot. Du solltest dir lieber überlegen, was du der Polizei erzählst.“
„Polizei? Wieso Polizei?“, fragte Roberta begriffsstutzig.
„Na, du bist vielleicht gut“, zischelte Kalina. „Immerhin liegt da unten im Flur eine Leiche. Ewig kann sie da ja wohl nicht liegen bleiben. Oder willst du sie vielleicht im Garten verbuddeln?“
„Natürlich nicht“, erwiderte Roberta und begann taumelnd die Treppe hinabzusteigen.
„Was hast du vor?“, wollte Kalina wissen.
„Nachsehen, ob er noch lebt.“
„Also meinetwegen“, knurrte Kalina und folgte ihr.
Unten angekommen hockte sich Roberta neben den Eindringling und griff widerstrebend nach dessen Handgelenk. „Kein Puls. Er ist tot.“
„Sag ich doch“, zischelte Kalina. „Und jetzt müssen wir uns überlegen, was du der Polizei sagst.“
„Wieso? Ich denke, er ist die Treppe heruntergefallen?“
„Schon. Aber du warst nicht dabei.“
„Hast – hast du ihn ...?“
„Nein. Ich habe ihn nur verfolgt, gefallen ist er von allein.“
„Dann erkläre ich der Polizei, er habe mich verfolgt, sei dabei über meine Katze gestolpert und die Treppe hinabgestürzt. Was hältst du davon?“
„Sehr gut, so machen wir´s. Und jetzt ruf die Polizei.“
Die Polizisten waren sehr nett. Nachdem sie ihre Fragen gestellt hatten, wurde die Leiche abtransportiert und Roberta zur Behandlung in ein Krankenhaus gebracht, aus dem sie zwei Stunden später wieder entlassen wurde. Ein Taxi brachte sie nach Hause, wo Kalina auf sie wartete. Erschöpft und todmüde kroch sie ins Bett und schlief sofort ein.
Ich habe Roberta gerettet, dachte Kalina glücklich. Zwar ist der Unhold dabei ums Leben gekommen, doch ich habe etwas sehr, sehr Schlimmes von ihr abwenden können und alleine das zählt. Sie rollte sich schnurrend zusammen und schloss zufrieden mit sich und der Welt die Augen.