Читать книгу Kalina - Bärbel Junker - Страница 12
DER TIERFÄNGER
ОглавлениеAls Kalina sich zum Treffen mit ihren neuen Freunden im Hauptquartier einfand, wurde sie schon ungeduldig erwartet.
„Heute kommst du zu spät, und das Treffen gestern hast du ganz verpasst“, knurrte Bobo ärgerlich. „So geht das nicht.“
„Ich war schon auf dem Weg zu euch“, verteidigte sich Kalina. „Aber dann war Roberta in Gefahr und ich musste zurück und ihr helfen.“
„Hmm“, brummte Bobo. „Was ist passiert?“
Und Kalina erzählte ihnen von dem Überfall.
Der Kerl hat es nicht anders verdient, war die einhellige Meinung und damit war für die Katzenclique das Thema beendet und sie gingen zur Tagesordnung über.
Bobo richtete sich stolz auf und drapierte elegant seinen buschigen Schwanz um sich. Ganz der Boss blickte er streng von seinem gewaltigen Ohrensessel auf seine Gefolgschaft herab. „Und was hast du als Nächstes vor?“, wollte er von Kalina wissen.
„Wieso ich? Kati hatte doch eine Idee, oder nicht?“
„Richtig, davon weißt du ja noch gar nichts“, erwiderte Bobo. „Kati, erzähl mal.“
„Es...es geht um einen Tierfänger.“
„Interessant, Kati. Bitte, erzähl weiter“, ermunterte Kalina sie, was ihr einen wohlwollenden Blick von Molly, Katis mütterlicher Beschützerin, eintrug.
Kati rutschte vorsichtig von ihrem Polster runter, humpelte zu Kalina und hockte sich neben sie. „Er wohnt nicht weit von hier. Er ist ein sehr böser Mann und ich möchte gerne dabei sein, wenn er bestraft wird“, sagte sie leise und leckte ihr krankes Beinchen.
„Ich hasse Tierfänger“, knurrte Henry.
„Genau“, nickte Bobo. „Ich schlage vor, wir seh´n uns die Gegend mal an, in der dieser Kerl haust. Was haltet ihr davon, Freunde?“
„Gute Idee! Dann mal los“, meinte Jonny. Er wetzte seine scharfen Krallen unternehmungslustig am rauen Bezug eines Sessels und grinste.
„Ich mach den Mistkerl alle“, murmelte der Fetzer.
„Wir sind keine Mörder, Henry“, rügte ihn Bobo. „Bestrafen ja, aber mehr läuft nicht, verstanden?“
„Jaja“, grummelte Henry und senkte den Kopf.
Er hat seine Gang wirklich gut im Griff, dachte Kalina beeindruckt.
„Also dann los“, befahl Bobo und setzte sich zusammen mit Kati, die trotz ihrer Behinderung flink auf den Beinen war, an die Spitze des Trupps.
Der Tierfänger wohnte wirklich nicht weit entfernt. Schon nach wenigen Minuten erreichten sie ihr Ziel. Im Haus brannte Licht. Kalina sprang mit einem eleganten Satz auf den Fenstersims und beobachtete den Mann vor der Flimmerkiste, der aus einer Bierflasche trank.
Er war grobschlächtig, wirkte brutal und war so ungepflegt, das man sein schmieriges T-Shirt und die vor Dreck strotzende Jeans hätte hinstellen können.
Das genügte. Sie hatte genug gesehen. Kalina sprang vom Sims herunter. „Ich glaube, er ist allein, Boss“, flüsterte sie.
„Weißt du, wo er die Tiere gefangen hält, Kati?“, wollte Bobo wissen.
„In einem Schuppen am Ende des Grundstücks.“
Henry gesellte sich zu ihnen. „An der Rückseite des Hauses gibt es ´ne super Einstiegsmöglichkeit“, grinste er. „Wenn wir ihn uns gemeinsam vornehm´, bleibt nich´ mehr viel von ihm übrig.“
„Henry!“, rügte Bobo. „Lernst du es denn nie?“
„Das wäre sowieso keine gute Idee, Henry“, murmelte Kalina.
„Und wieso nicht, du Neunmalkluge?“
„Ganz einfach, weil die Polizei schnell herausfinden würde, dass die Täter Katzen waren. Sie würden kalt lächelnd die Jagd auf alle herumstreunenden Katzen freigeben. Die Medien würden uns als mörderische Bestien anprangern und unseren Feinden damit in die Hände arbeiten.“
„Genauso ist es“, knurrte Bobo. „Das wäre ein ganz schöner Schlamassel. Womöglich würde das auch noch Tenko, der Brecher, ausnutzen. Schließlich ist er mein größter Gegenspieler. Dem Mistkerl ist doch alles zuzutrauen.“
„Tenko? Wer ist das, Boss?“, fragte Kalina.
„Ein Stück Scheiße“, knurrte Bobo. „Nimm dich bloß vor dem in Acht.“
„Wieso?“
„Weil Tenko der bösartigste und gewalttätigste Kater ist, der auf Erden herumläuft. Der Mistkerl kennt keine Ehre und keine Gnade. Selbst wenn sich sein Gegner ergibt verschont er ihn nicht, sondern bricht ihm systematisch sämtliche Knochen, daher auch sein Spitzname der Brecher. Tenko ist eine absolute Schande für unsere Spezies, denn er tötet mindestens ebenso gerne und so gnadenlos wie manche Menschen.“
„Vielleicht muss ihm mal ´ne Lektion erteilt werden“, meinte Kalina.
„Vergiss den Widerling. Lass uns lieber überlegen, was wir mit dem Kerl da drinnen im Haus anstellen wollen“, sagte Bobo ungeduldig. „Oder hast du bereits ´ne Idee?“
„Ich glaube schon“, erwiderte Kalina und erklärte ihm ihren Plan.
Und dann war es soweit. Gefolgt von ihren Freunden lief Kalina zurück zur Straße, in der die Autos der Anwohner parkten. Sie entschied sich für einen alten, feuerroten Mercedes und konzentrierte sich auf den Kofferraum.
Knaaack!
Die Verriegelung sprang auf. Kalina hatte gut gewählt, denn unter dem Gerümpel im Kofferraum entdeckte sie einen vollen Benzinkanister. Sie konzentrierte sich auf den Behälter. Lautlos schwebte er empor und auf das Haus des Tierfängers zu. Niemand beobachtete das seltsame Geschehen, denn um diese Zeit saßen alle vorm Fernseher. Die Straße war menschenleer.
Wie hypnotisiert folgten die Katzen dem schwebenden Kanister bis vors Fenster des Tierfängers. Geräuschlos sprangen sie auf den Fenstersims und spähten ins Zimmer.
„Der Kerl zündet sich ´ne Zigarette an“, flüsterte Bobo.
„Das ist gut“, grinste Kalina. „Aber jetzt bring dich und die anderen besser in Sicherheit, denn hier wird es gleich sehr heiß.“
„Können wir dir wirklich nich´ helfen?“
„Nein.“
„Also gut. Kommt, wir zieh´n uns zurück“, befahl Bobo.
Kalina dirigierte den Kanister genau vors Fenster und hielt ihn in der Schwebe. Da störte ein Geräusch ihre Konzentration. Sie erschrak, verlor die Kontrolle über den Benzinkanister, dieser stürzte zu Boden, landete jedoch zum Glück auf einer dicken Grassode, die das Geräusch dämmte. Wütend fuhr sie herum.
„Verdammt noch mal, Henry! Bist du denn von allen guten Geistern verlassen?“, fauchte sie den Kater an, der plötzlich hinter ihr aufgetaucht war.
„Der Chef schickt mich, ich soll fragen, ob wir dir nich´ doch helfen können“, sagte Henry beleidigt. „Wie machst du das? Wieso kannst du Dinge fliegen lassen?“
„Ich weiß es nicht, Henry. Ich kann es einfach“, erwiderte Kalina besänftigt. Schließlich hatten ihre Freunde es ja nur gut gemeint.
„Kann ich zuseh´n, wenn du das Haus anzündest?“
Kalina nickte. „Aber du darfst mich nicht ablenken.“
„Kein Problem. Warnst du den Kerl?“
„Das müssen wir, sonst wären wir ja nicht besser als er.“
„Na, dann leg mal los. Hoffentlich wird dem miesen Kerl vorher noch so richtig warm“, wünschte Henry.
„Darauf kannst du wetten“, erwiderte Kalina und wandte sich dem Kanister zu. Sie hielt ihn weiter in der Schwebe und löste den Verschluss. Dann setzte sie den Behälter in Bewegung und jagte ihn mit der Wucht eines Geschosses durch die zersplitternde Glasscheibe ins Zimmer hinein. Der Kanister schlug auf dem Boden auf. Der Verschluss flog im hohen Bogen davon und die zwanzig Liter Benzin spritzten heraus.
Der Mann schnellte wie ein Kastenteufel von seinem Stuhl hoch, wirbelte zum Fenster herum und starrte verdutzt in die beiden Katzengesichter.
„Hallo, Tierfänger“, zischte Kalina.
Der Mann schnappte nach Luft. „Ha...hast du eben gesprochen?“, stammelte er.
„Ja, und wenn du nicht augenblicklich die Kurve kratzt, wirst du in wenigen Sekunden geröstet“, warnte Kalina.
„Das werde ich nicht, du Scheißkatze“, keuchte der Mann und stürzte sich wutentbrannt auf sie.
Kalina stoppte ihn, indem sie den Deckenventilator auf ihn fallen ließ. Benommen stürzte der Kerl zu Boden. Seine glimmende Zigarette fiel auf eine Zeitung, die zu schwelen begann.
Kalina und Henry beobachteten fasziniert die kleinen, gierig züngelnden Flammen und ihre langen Schwänze peitschten erregt über den Sims.
„Wahnsinn“, murmelte Henry. „Das is´ ja aufregender, als der beste Kampf.“
Die winzigen Flammen gewannen an Substanz und arbeiteten sich in Richtung der Benzinspur vor.
„Gleich wird´s brenzlig, Henry“, zischte Kalina. „Besser wir hau´n ab.“
„Was is´ mit dem Mann?“
„Der hat noch Zeit genug zu verschwinden. Er steht gerade wieder auf.“
Sie sprangen zu Boden und jagten davon. Als sie sich neben ihre Freunde fallen ließen krachte es hinter ihnen. Das Haus verwandelte sich in ein Flammenmeer und explodierte. Eine gewaltige Feuersäule raste zum Himmel empor. Schlagartig wurde es hell. Türen und Fenster wurden aufgerissen, und die Anwohner strömten erschrocken aus ihren Häusern auf die Straße.
„Jetzt wird’s ungemütlich“, sagte der Professor nervös. „Kommt, wir verschwinden lieber.“
„Nicht, bevor wir die gefangenen Tiere befreit haben“, sperrte sich Henry.
„Und wenn Hunde dabei sind? Wollen wir die etwa auch befreien?“, fragte Fanny ängstlich.
„Ja, die auch“, nickte Kalina. „Hunde sind zwar nicht gerade unsere Freunde, aber was ihnen in den Laboratorien angetan wird ist so schrecklich, dass wir sie davor bewahren müssen, denn keinem lebenden Wesen darf solches Leid zugefügt werden.“
„Das sehe ich auch so. Wir befreien alle“, sagten Bobo und Henry gleichzeitig.
Geschützt durch Bäume und dichtes Gebüsch huschten sie wie Schemen auf den massiven Schuppen am Ende des Grundstücks zu. Kalina sammelte erneut ihre Kräfte und ließ den schweren Riegel aus der Halterung springen. Knarrend öffnete sich die schwere Holztür und gab den Blick auf eine lange Reihe enger, schmutziger Boxen frei, in denen Hunde und Katzen unterschiedlichster Rassen auf den Abtransport ins Grauen warteten.
„Ruhe!“, donnerte Bobo energisch.
Das Klagen und Wimmern, Jaulen und Heulen, Bellen und Winseln, Knurren und Kläffen der eingesperrten, ängstlichen und verzweifelten Geschöpfe wurde leiser und verstummte völlig, nachdem sie begriffen hatten, dass die Katzengang als Retter und nicht als Feind gekommen war.
Und nachdem Kalina die Verriegelungen der Käfige gesprengt hatte, stob die Hundemeute in die eine und die Katzenmeute in die andere Richtung davon, ohne einen Gedanken an die ihnen nachgesagte Rivalität zu verschwenden.
„Gute Arbeit“, lobte Bobo.
„Das können wir öfter machen“, meinte Jonny, die Kralle.
„Ich bin sehr glücklich, dass der Bösewicht einen Denkzettel erhalten hat“, schnurrte Kati, während Karlchen auf seinem dicken Hinterteil saß und fasziniert auf das brennende Gebäude und die hin und her hastenden Menschen starrte, die mit Gartenschläuchen ihre Häuser vor dem Übergreifen des Feuers zu schützen versuchten.
„Auf geht´s, Freunde. Wir verschwinden“, befahl Bobo.
„Genau“, stimmte ihm Kalina zu. „Es ist schon spät. Roberta macht sich bestimmt Sorgen. Ich muss nach Hause.“
„In Ordnung! Morgen Abend, selber Treffpunkt.“
„Übermorgen, Boss. Ich muss mich einen Tag ausruhen. Dieses Transportieren von Gegenständen ist nämlich verdammt anstrengend.“
„Alles klar“, entgegnete Bobo verständnisvoll und stob mit seinem Gefolge davon.
Kalina ruhte sich noch ein wenig aus und beobachtete aus sicherer Entfernung das Abbrennen des Hauses. Als sie wieder einigermaßen bei Kräften war, konzentrierte sie sich auf Robertas Garten und verschwand.
Sie hatte sich etwas verschätzt und materialisierte neben der Gartenpforte, an der ein tollkühner Kater in Unkenntnis der territorialen Verhältnisse, gerade seine aufdringliche Visitenkarte hinterlassen wollte.
Als nach dem unangenehmen Luftzug, der ihn vor Kalinas Auftauchen streifte, diese auch noch höchst persönlich und in voller Größe aus dem Nichts auftauchte, kreischte der Kater entsetzt und raste wie von Furien gehetzt davon. Das Signieren der Gartenpforte hatte er vergessen.
„Fremde Duftnoten in meinem Garten! Soweit kommt es noch“, zischte Kalina empört und sprang über die Pforte. Sie schlüpfte durch die Katzenklappe ins Haus und schlich müde in die Küche. Heißhungrig stürzte sie sich auf ihren Napf. Danach huschte sie zu Roberta ins Wohnzimmer und kuschelte sich an sie.