Читать книгу Jede Blüte zählt! - Bärbel Oftring - Страница 11

Оглавление

VERÄNDERUNGEN DER LANDSCHAFT


1. Deutschland 1926: Die strukturreiche Kulturlandschaft rund um das Dorf besteht aus kleinen Feldern mit reich von Blumen und Büschen gesäumten Feldwegen.


2. 1952 ist die Kulturlandschaft schon dicht besiedelt. Häuser mit eingezäunten Gärten bilden mit den nun größeren zusammengelegten Feldern ein Mosaik.


3. 2009 ist von der strukturreichen Kulturlandschaft nichts mehr übrig: Feldwege wurden zu asphaltierten Straßen, statt Wildblumen begrenzen Zäune die Wege.

FLÄCHENVERTEILUNG IN DEUTSCHLAND (2019)

Der Anteil naturbelassener Flächen in der Landschaft ist gering. Von der Gesamtfläche entfallen:

 51 % auf die Landwirtschaft (60 % für Tierfutter, 20 % für Lebensmittel, der Rest vor allem für Energiepflanzen);

 30 % auf Wälder und Forste;

 14 % auf Siedlungen und Verkehr, davon sind 46 % versiegelt;

 2 % auf Wasserflächen;

 2 % auf sonstige Flächen (Ödland etc.).

Täglich verschwinden 60 Hektar Land für Siedlungen, Industriegebiete und den Verkehr – in jedem Jahr summiert sich das auf rund 250 Quadratkilometer, einer Fläche, so groß wie Frankfurt am Main.


Je vielfältiger die Randstrukturen landwirtschaftlicher Flächen sind, umso größer ist ihre Artenvielfalt: Kleine Felder mit Bioanbau und abwechslungsreichen Säumen aus Wildblumen, Stein- und Asthaufen sowie Hohlwegen beherbergen im Vergleich mit intensiv genutzten Flächen die meisten Insektenarten.

INSELN UND BIODIVERSITÄT

Aus der Perspektive von Pflanzen und Tieren zerfällt die Landschaft in immer mehr kleine Inseln. Sie entstehen durch Zersiedelung – durch den Bau von immer mehr Straßen, Neubau- und Gewerbegebieten oder anderer Bauprojekte auf der grünen Wiese. Auch Verkehrsinseln gehören dazu.

Wir selbst nehmen diese Inseln kaum wahr, weil sie für uns kein Hindernis sind. Denn wir können heute sogar große Entfernungen in relativ kurzer Zeit zurücklegen. Auf Tiere hat die Bildung solcher Inseln dagegen einen großen Einfluss. Ein Beispiel: Für Heuschrecken kann schon ein asphaltierter Feldweg dazu führen, dass ihr Lebensraum rechts und links des Weges jeweils zu einer Insel wird. Denn sie meiden kahle Flächen wie asphaltierte Wege. So wird die Population auf der anderen Seite für sie unerreichbar. Weil Tiere, Pflanzen & Co. durch diese Bildung von kleinen und winzigsten Inseln nicht mehr so leicht Partner finden bzw. neue Lebensräume besiedeln können, verarmt nach und nach die Artenvielfalt. Inseln beherbergen immer weniger Arten als eine ebenso große Fläche auf dem Festland, die mit ihrer Umgebung vernetzt ist. Ökologische Forschungen zeigen diese einfache Relation: Trägt man die Anzahl der auf einer Fläche gefundenen Arten in ein Diagramm gegen die Flächengröße auf, wird diese mit abnehmender Fläche immer kleiner und tendiert schließlich gegen null: Ein einzelner Strauch einer Hunds-Rose inmitten von Tausenden Quadratmetern Maisfeld ist allein auf weiter Flur. Dorthin gelangt noch nicht einmal eine flugtüchtige Biene.

Dazu ein Gedankenbeispiel: Eine kleine Feldgehölzgruppe wird durch den Bau eines breiten asphaltierten Feldwegs geteilt. Es entstehen zwei Inseln. Auf einer Insel haben fünf Zitronenfalter den Winter überlebt. Einer gerät beim Überqueren des Feldwegs in den Kühlergrill eines Traktors, ein zweiter wird von einem Singvogel erbeutet. Es bleiben drei übrig – ein Weibchen und zwei Männchen. Sie paaren sich im April, das Weibchen legt seine Eier auf die Blattknospen eines Faulbaums. Ein Landwirt verspritzt Pestizide auf dem Feld. Auch die Blätter des Faulbaums werden getroffen, nur eine der frisch geschlüpften Raupen überlebt diese Giftdusche – das ist das Ende der Falter auf dieser Insel. Durch ihre isolierte Lage erreicht kein anderer Zitronenfalter die Insel.


Selbst wenn auf dieser »Insel« Vögel brüten – für Futter müssen sie weit fliegen. Ob sich dieser Kraftakt lohnt?

DAS GROSSE ARTENSTERBEN

In Anbetracht dieser Entwicklung verwundert es nicht, dass der Zustand der heimischen Natur alarmierend ist. Ein Blick in die offiziellen Veröffentlichungen des Bundesamts für Naturschutz sowie des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit zeigt: Jede dritte Pflanzen-, Tier- oder Pilzart steht auf der Roten Liste gefährdeter Arten – das sind etwa 24 000 heimische Arten. Besonders betroffen sind Reptilien (86 % der Arten), Fische (72 % der Arten), Amphibien (67 % der Arten), Insekten, Säugetiere und Flechten (je 60 % der Arten) sowie Vögel, Schnecken, Muscheln und Moose (je 50 % der Arten).

Solche Roten Listen gibt es übrigens auch für gefährdete Biotoptypen und Pflanzengesellschaften, deren Zustand ähnlich erschreckend ist wie die der einzelnen Arten. Wussten Sie beispielsweise, dass fast zwei Drittel der heimischen rund 860 Lebensraumtypen von Verlusten bedroht bzw. schon vollständig vernichtet sind?

Noch alarmierender wird es, wenn man nicht die Anzahl der betroffenen Arten anschaut, sondern die Individuenzahlen. Hier ist der Rückgang noch gravierender: Im Zeitraum einer menschlichen Generation – das sind 30 Jahre – sind 50 % aller Vögel und 80 % aller Fluginsekten verschwunden.

Das Insektensterben ist eine ökologische Katastrophe, denn in allen festländischen Lebensräumen sind neun von zehn Tieren Insekten. Sie sind die Nahrungsbasis von Vögeln und ihrer Brut, von Fledermäusen, Eidechsen und vielen anderen Tieren. Ohne Insekten brechen deren Populationen schließlich zusammen – das erleben wir aktuell.

WENN 80 % FEHLEN ....

Stellen Sie sich diese beiden Sätze als ein Buchstabennetzwerk vor. Funktioniert es noch, wenn einzelne Buchstaben fehlen?

5 % Buchstaben fehlen:

Stelen Sie sich diese beid n Sätze als ein Buchstabennet werk der Sprache vor. Funk ioniert es noch, we n einzelne Buc staben fehlen?

20 % Buchstaben fehlen:

Stel n Sie si h di se b id n Sä ze ls ein B chstabe net we k der Sprac e vor. Funk ioni rt es no , we n ein elne Buc stab n f len?

50 % Buchstaben fehlen:

S el Sie s di se id Sä ze l ei B chst e ne we d Sprac v r. Fu ioni t es no , we n ei ln Bu stab f le ?

80 % Buchstaben fehlen:

S e s di id Sä B st e we Spra . Fu io t ,

w i u s b f ?


Auf dieser Doldenblüte suchen viele Bestäuber nach Nahrung – Weichkäfer, Schwebfliegen und Wespen.

DIE FOLGEN DES INSEKTENSTERBENS

Vögel und Insekten sind stark miteinander vernetzt: Von den 248 Vogelarten, die bei uns brüten, ernähren sich 80 % von tierischer Kost, vor allem von Insekten. Für die Küken fast aller Vogelarten sind Insekten die Hauptnahrung, auch für den Nachwuchs der Vogelarten, die als erwachsene Tiere Pflanzenkost zu sich nehmen. Fehlen die Insekten, wird die Brut nicht mehr satt – die üblichen Verluste durch natürliche Feinde (Sperber, Katzen), Glasscheiben, Wettereinbrüche, Winter und Vogelzug können nicht ausgeglichen werden: Wo vor 100 Jahren noch zehn Vögel saßen, sitzen heute nur noch zwei. Genauso fatal wirkt sich der Rückgang der Insekten natürlich auch auf alle anderen Insektenfresser wie Fledermäuse etc. aus, aber auch auf die Pflanzenwelt: 80 % unserer Nutzpflanzen sowie 90 % der heimischen Pflanzen sind auf Bestäuber wie Bienen und Schmetterlinge angewiesen. Ohne Insekten gehen auch sie zugrunde, nach Schätzungen würden unsere Ernten um bis zu 90 % abnehmen.

Die Gründe für den Rückgang der Insekten sind vielfältig – und meist vom Menschen verursacht.

 Es ist zu grün bei uns: Durch zu häufiges Mähen von Wiesen – egal ob auf dem Land, in Parks oder Gärten – kommen viele Pflanzen nicht zur Blüte und können keine Samen bilden. Vielen Tieren fehlt es deshalb an Nahrung und Unterschlupfmöglichkeiten (→ >).

 Die Böden sind überdüngt (→ >). Hoher Stickstoffgehalt ist das Aus vieler Pflanzen, die den wenigen stickstoffliebenden Pflanzen weichen müssen. Mit diesen Wildpflanzen verschwinden auch die an sie angepassten Tiere.

 Auf landwirtschaftlichen Flächen werden größtenteils Monokulturen angebaut, z. B. dient ein Drittel der Fläche dem Maisanbau, der als Energiepflanze und als Futterpflanze für die Fleischproduktion genutzt wird. Monokulturen sind für Insekten und andere Tiere jedoch so interessant wie ein asphaltierter Parkplatz.

 Der intensive Einsatz von Pflanzenschutzmitteln wie Insektiziden und Herbiziden schädigt Insekten massiv bzw. zerstört dauerhaft ihre Lebensgrundlage.

 Fragmentierung: Weil auf den landwirtschaftlichen Flächen Wildblumenstreifen, Hecken, Böschungen, Waldränder und Ähnliches fehlen, leben Insektenpopulationen isoliert auf Inseln und verschwinden schließlich.


Einst gehörte ihr Gesang, vorgetragen hoch am Himmel, zu jeder Feldlandschaft. Heute ist die Feldlerche einer der vielen Verlierer in der industrialisierten, von Agrochemie geprägten Landwirtschaft.

BEISPIEL BRACHFLÄCHEN

Bis 2008 gab es in der EU eine Brachflächenregelung. Wer landwirtschaftliche Flächen brachliegen ließ, wurde finanziell entschädigt. Diese Brachen waren wichtige ökologische Ausgleichsflächen. 2008 wurde diese Regelung abgeschafft. Gleichzeitig nahm der Anbau von Mais und Raps stark zu und die Bestände von Feldvögeln wie Feldlerche und Rebhuhn etc. stark ab. Heute sieht man immer wieder sogenannte Lerchenfenster in Getreidefeldern – das sind zwei mindestens 20 m² große brache Flächen pro Hektar, die den Feldlerchen als Landeplatz dienen sollen. Das hilft zwar manchen Lerchen, nicht aber Heuschrecken, Käfern und anderen Insekten, von denen sich auch die Feldlerche ernährt. Auch Blühstreifen mit Phacelia oder Sonnenblumen helfen wenig: Sie sind zwar gute Nektar- und Pollentankstellen, bieten aber weder Schmetterlingsraupen noch anderen pflanzenfressenden Insektenlarven Nahrung.

Tatsächlich sind unsere heimischen Insektenbestände so geschwächt, dass laut Experten wie dem Ökologen Dr. Carsten Brühl sofort (!) 30 % der landwirtschaftlichen Flächen komplett der Nutzung entzogen und brachliegen müssten.

GÄRTEN ALS KORRIDORE

Sie können dazu beitragen, dass sich die Situation der Insekten bessert. Etwa indem Sie biologische und regionale Produkte sowie wenig Fleisch kaufen, um den Ökolandbau zu fördern. Und durch die Art und Weise, wie Sie gärtnern: Um die Artenvielfalt zu bewahren, müssen Lebensräume durch Korridore miteinander verbunden sein. Ihr Garten kann Teil eines solchen Korridors sein, über den die Tiere und Pflanzen sich austauschen und reproduzieren können. So trägt Ihr Garten dazu bei, dass etwa Insekten darin überdauern können, bis sich die Situation in Feld und Flur wieder gebessert hat.

Jede Blüte zählt!

Подняться наверх