Читать книгу Jede Blüte zählt! - Bärbel Oftring - Страница 12
ОглавлениеDER GARTEN IM NETZWERK DER NATUR
Öffnen Sie Ihren Garten für die Natur: Futterstellen und Gartenelemente, die Unterschlupf und Nahrung bieten, machen ihn zu einem attraktiven Lebensraum – nicht nur für zahlreiche Vogelarten.
Da es in der Umgebung rund um Ihren Garten ein massives Artensterben gibt, ist die heimische Natur in den letzten Jahrzehnten artenärmer geworden. Was noch vor 50 Jahren funktioniert hat, funktioniert heute nicht mehr – etwa, dass viele Schmetterlinge von umliegenden Wiesen in Ihren Garten einwandern oder dass die Vögel, die in Ihrem Garten brüten, außerhalb Ihres Gartens genügend Insekten- und Samennahrung für sich und ihre Brut finden. Professor Peter Berthold, Ornithologe, Verhaltensforscher und langjähriger Leiter der Vogelwarte Radolfzell, belegt in seinen Arbeiten, dass allein auf den Weizenfeldern Deutschlands (etwa 3 Mio. Hektar) durch den Einsatz von Unkrautvernichtungsmitteln rund eine Million Tonnen Sämereien von Wildkräutern verloren gingen. Rechnet man nun noch die Verluste an Wildpflanzensämereien auf den Mais- und anderen Getreidefeldern plus Kartoffel-, Erdbeer-, Spargel-, Rübenfeldern plus die Verluste auf den Wiesen durch Silagemahd hinzu, kommt man bundesweit allein bei den Sämereien auf mindestens 10 Millionen Tonnen weniger, von denen sich 300 Millionen Finken, Spatzen und andere samenfressende Vögel ernähren könnten. Noch dramatischer stellt sich die Situation bei den insektenfressenden Vögeln dar, die die Mehrzahl unter den heimischen Brutvogelarten bilden.
Zum Vergleich: Bis in die 1950er-Jahre und etwas darüber hinaus wuchsen auf den Feldern weit über 200 verschiedene Wildkräuterarten in stattlichen Beständen. Mittlerweile bildet nur noch etwa die Hälfte der Arten bedeutsame Bestände.
Eine Mönchsgrasmücke labt sich an Vogelbeeren. Heimische Sträucher sichern vielen Vögeln das Überleben.
GARTENVÖGEL BRAUCHEN HILFE
Heute leben in den Siedlungen mehr Vögel als in den Kulturlandschaften rundherum. Doch das heißt nicht, dass es ihnen gut geht – vielmehr ist dies ein Zeichen dafür, dass es sich außerhalb der Dörfer und Städte noch schlechter leben lässt. Denn letztlich finden sich heute in den Gärten viel weniger Vögel als noch vor Jahrzehnten. Und wenn in manchen Gärten mehr Vögel vorkommen als in anderen, dann hängt das nachweislich damit zusammen, was im Garten wächst und wie er gestaltet ist. Sie haben es also in der Hand, ob Ihr Garten für Vögel attraktiv ist oder nicht: Es macht aus Vogelsicht einen gewaltigen Unterschied, ob im Garten eine kleine, bunte Blumenwiese oder ein eintöniger Rasen wächst, ob statt Thuja nährende Wildsträucher wie Weißdorn, Hartriegel und Hunds-Rose gedeihen und ob es Beerensträucher, Apfelbaum, Komposthaufen, Totholz und eine nicht versiegelte Trockenmauer aus Natursteinen gibt statt Betonmauern und Kiesflächen.
Eine Kohlmeise hat sich einen Grashüpfer geschnappt. Je mehr Insekten in einem Garten leben, umso mehr Vögel werden sich dort mit der Zeit einfinden.
Ganzjahresfütterung für Gartenvögel
Da es vielen Gartenvögeln an Nahrung mangelt, plädiert Professor Peter Berthold für eine ganzjährige Fütterung. Ganzjährig deshalb, weil die Vögel zur Brutzeit doppelt so viel Energie verbrauchen wie im Winter – die Flüge zur Suche nach genügend Insektennahrung für den Nachwuchs sind sehr kräftezehrend: Haben Sie schon einmal gezählt, wie oft ein Kohlmeisenpaar täglich den Nistkasten anfliegt, um die Küken mit Läusen, Räupchen und anderen weichen Kleintieren zu füttern? Rund 350-mal jeden Tag, und das drei Wochen lang! Anschließend werden die Küken noch weitere zwei bis drei Wochen lang außerhalb der Nisthöhle versorgt, bevor sie selbstständig sind.
Danach brüten Kohlmeisen meist noch ein zweites Mal, um die natürlichen Verluste im Winter auszugleichen. Das bedeutet für ein Kohlmeisen-Paar insgesamt zehn bis zwölf Wochen Hochleistung.
Nachweislich haben Vogeleltern, die von Fütterungsstellen profitieren, mehr Nachwuchs. Sie können sich dort satt fressen und haben mehr Kraft und Zeit, um Läuse, kleine Raupen und andere Insekten für ihre Küken zu suchen.
Wie erfolgreich sich die Ganzjahresfütterung auf Gartenvögel auswirkt, zeigt ein Blick über den Ärmelkanal: In Großbritannien füttern viele Menschen seit über 50 Jahren ganzjährig die Vögel in ihren Gärten. Wissenschaftliche Langzeitforschungen dokumentieren, welche Auswirkungen das hat: Nach einem langsamen Beginn nahmen die Individuenzahlen der Vogelarten, die die Futterstellen besuchten, rasant zu. Die gute Nahrungssituation in Großbritannien hat sich sogar bis zu uns »herumgesprochen«: Ein Großteil der heimischen Mönchsgrasmücken zieht im Herbst nicht mehr ausschließlich in die traditionellen Wintergebiete im Mittelmeerraum, sondern westwärts über den Ärmelkanal nach Großbritannien, um dort den Winter zu verbringen.
Wer sich mehr mit der Ganzjahresfütterung von Wildvögeln befassen möchte oder auch Antworten auf kritische Fragen sucht, findet wertvolle Informationen in den Publikationen von Prof. Dr. Peter Berthold (→ >, Literatur).
Betrachten Sie dieses Bild eines ungemähten, blühenden und samentragenden Gartenstücks ausgiebig und immer wieder: Gewöhnen Sie sich so an den natürlichen Anblick heimischer Wildblumen, die stehen bleiben dürfen bis über den Winter.
DEN GARTEN FÜR DIE NATUR ÖFFNEN
Den Vögeln durch ganzjähriges Füttern zu helfen ist eine Möglichkeit der Unterstützung. Einziger Nachteil dieser »Soforthilfe«: Vögel sind hungrig und verputzen reichlich Meisenknödel, Erdnüsse, Sonnenblumenkerne und anderes Vogelfutter. Wer sich für diesen Weg entscheidet, muss also regelmäßig für Nachschub sorgen, sodass an den Futterstellen stets genug Nahrung zur Verfügung steht. Und natürlich muss er auch ein entsprechendes Budget dafür einplanen.
Es gibt aber noch eine andere, ebenso wichtige Möglichkeit, Vögeln wieder mehr Lebensräume zu bieten: Öffnen Sie Ihren Garten für die Natur. Pflanzen Sie reichlich heimische Wildsträucher, verzichten Sie auf den Einsatz von Pestiziden und künstlichen Düngern und bieten Sie den Vögeln auch Kleinstrukturen wie Komposthaufen, eine Wiese mit Wildblumen und Wildgräsern, Holzstapel, dichtes Gestrüpp an Boden und Hauswänden oder eine kleine Wasserstelle an.
Denken Sie nicht, das sei nur ein Tropfen auf den heißen Stein: Sie sind als Gartenbesitzer ja nicht allein – und wenn Sie anfangen, Ihren Garten naturgemäß umzugestalten, schließen sich Ihnen vielleicht weitere Gärtner in Ihrem Umfeld an. Auf diese Weise nimmt die Zahl der Gärten ständig zu, in denen die Natur wieder eine Chance hat.
GÄRTEN IN DEUTSCHLAND
In Deutschland gibt es rund 15 Millionen Haus- und Schrebergärten mit einer Gesamtfläche von 15 000 Quadratkilometern. Das entspricht etwa 4 % der gesamten Landesfläche. Dagegen nehmen alle Naturschutzgebiete inklusive Nationalparks in Deutschland rund 13 000 Quadratkilometer ein – die Fläche der privaten Gärten ist also größer! Und die Gärten haben noch einen entscheidenden Vorteil: Die meist kleinen Naturschutzgebiete liegen wie Inseln mitten in Landwirtschaftsflächen. Den Pflanzen und Tieren ergeht es dort wie typischen Inselbewohnern: Es ist schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, Kontakt zu den oft weit entfernten Artgenossen anderer Inseln zu halten. Anders die Situation der Gärten. Erinnern Sie sich an den Blick auf Ihren Garten von oben: Gärten sind eben keine Inseln, sondern bilden zusammen mit den Gärten in der Umgebung vernetzte Strukturen. Tiere und Pflanzensamen sind sehr beweglich. Ein Garten ist für sie kein abgeschlossener, begrenzter Raum, sondern ein Teil dieses großen Netzwerks, den sie wie einen Weg oder Korridor nutzen können, um über den Boden bzw. durch die Luft zum Beispiel vom Waldrand A zum Waldrand B zu gelangen. Mit solch einem Netzwerk wird aktiv die Vielfalt der Lebewesen gefördert.
Nicht nur jede Blüte zählt, auch Strukturen wie unverfugte Steinmauern, offener Sandboden und Wasser sind für natürliche Netzwerke wichtig.
JEDER GARTEN ZÄHLT
Ihr Garten – und selbst wenn es nur ein Topfgarten auf Balkon, Terrasse oder im Hinterhof ist – ist also mehr als nur ein Garten. Natürlich können Sie in Ihrem Garten nicht die Welt retten und Nahrung für Millionen Insekten oder Hunderte Vögel bereitstellen – von den anderen wichtigen Tiergruppen wie Säugetieren, Eidechsen, Lurchen oder den vielen wirbellosen Kleintieren ganz zu schweigen. Aber Sie können darin einen zukunftsweisenden Beitrag für die Erde und Ihre Nachkommen leisten.
Was Sie tun, ist überhaupt nicht unbedeutend für das Ganze: Zum einen bieten Sie wenigstens einem Wildtierindividuum Nahrung, Schutz und Brutmöglichkeiten, zum anderen machen es Ihnen vielleicht die Nachbarn nach. Wenn Sie Ihren Garten oder einen Teil davon für die heimischen Tiere und Pflanzen öffnen, also auf Kiesflächen, auf das Auszupfen jedes »Unkraut«-Hälmchens oder auf Insektizide und Herbizide verzichten, dann werden Sie Teil eines naturnahen Netzwerk, dann pflanzen Sie »Zukunft«. Ab > finden Sie jede Menge Anregungen, wie Sie das tun können.
Natürlich müssen und sollen Sie dazu Ihren Garten nicht komplett neu anlegen – er soll Ihnen ja auch Freude machen oder Ernten liefern. Aber vielleicht dürfen Wildkräuter an allen entlegenen Stellen ungestört gedeihen oder Sie wählen beim nächsten Pflanzenkauf bewusst heimische, ungezüchtete Wildarten für Garten, Balkon und Terrasse oder Sie begrünen eine kahle Wand mit tierfreundlichen Kletterpflanzen oder, oder ....