Читать книгу Jede Blüte zählt! - Bärbel Oftring - Страница 16
ОглавлениеDAS UNTERIRDISCHE NETZWERK: DER BODEN
Die Zukunft Ihres Garten liegt im Boden, deshalb gebührt ihm größte Sorgfalt und Pflege. Er gibt Pflanzen nicht nur Halt und versorgt sie mit allem, was sie brauchen, sondern beherbergt einen ganzen Mikrokosmos.
Machen Sie sich bewusst, wie wir heute mit dem Boden umgehen: Er wird umgepflügt und umgegraben, weggeschafft, bebaut und versiegelt, mit Unkrautvernichtungsmitteln, Gülle und Düngern bespritzt und schutzlos Sonne, Wind, Hitze und Regen ausgesetzt. Wir fahren mit schwerem Gerät auf ihm und treten im Garten auf ihm herum. Kurzum: Wir verhalten uns, als ob es Boden in unendlicher Fülle gäbe. Dabei ist der Erdboden nur eine recht dünne Schicht, die das Gestein im Untergrund (aus dem es durch Verwitterung entstanden ist) bedeckt. Sobald Sie einmal ein Pflanzloch für Ihren ersten Baum oder Strauch gegraben haben, wissen Sie, wie dünn die aus mineralischen Bestandteilen und Humus bestehende Bodendecke in Ihrem Garten ist.
Doch der Boden ist so viel mehr als nur die Summe aus Mineralien und Humus, wie Sie sie als Blumenerde in Säcken erwerben können. Tatsächlich gibt er Ihren Pflanzen nicht nur Halt und versorgt sie mit Wasser und Nährstoffen, sondern ist in seiner Gesamtheit lebendig und Grundlage allen Lebens auf der Erde: Ohne einen lebendigen Boden wäre kein Leben auf dem Festland möglich.
Regenwürmer sind die Meister darin, den Boden zu lockern und eine gute Krümelstruktur herzustellen
NETZWERK BODEN
Nur 5–7 % des Erdbodens bestehen aus organischen Substanzen, von denen wiederum der größte Anteil tote Biomasse – also abgestorbene und umgewandelte Pflanzen- und Tierreste – ausmacht. Der lebendige Anteil – also Pflanzenwurzeln und Bodenorganismen – umfasst ca. 1 %. Diese Lebewesen sind auf vielfältige Weise miteinander vernetzt, sie nutzen den Raum für vielerlei Lebensprozesse wie Ernährung, Kommunikation und Immunabwehr.
Die Gesamtheit der Bodenorganismen wird auch Edaphon genannt. Es besteht aus Vertretern aller Reiche, aus Bakterien, Pilzen, Pflanzen und Tieren (→ Kasten >). Tatsächlich gehört ein gesunder Boden zu den artenreichsten Ökosystemen der Erde.
So wie über der Erde gibt es auch im Erdreich komplexe Nahrungsnetze, deren Basis vor allen Dingen abgestorbene Pflanzenreste, tierischer Kot und Aas sind. Am Ende der Abbauprozesse in diesen Nahrungsnetzen stehen die in den organischen Resten enthaltenen Nährstoffe wieder den Pflanzen zur Verfügung (→ >).
Ein Blick in den Boden
Folgende Bodenorganismen finden sich in 0,3 m3 gesundem Erdreich (das entspricht einer Fläche von 1 × 1 m und 30 cm Tiefe):
je 50 Asseln, Spinnen und Schnecken
80 Regenwürmer
je 100 Larven von Käfern und Zweiflüglern (Fliegen und Mücken)
300 Hundert- und Tausendfüßer
10 000 Borstenwürmer (Enchyträen)
25 000 Rädertiere
50 000 Springschwänze (Urinsekten)
100 000 Milben
1 Million Fadenwürmer (Nematoden)
2,5 Billionen Mikroorganismen (Bakterien, Pilze und Algen)
Heterorhabditis-Nematoden (Fadenwürmer) sind willkommene Helfer im Garten: Sie sind Gegenspieler wurzel-fressender Dickmaulrüssler-Larven.
DAS IMMUNSYSTEM BODEN
Mikroorganismen, auch Mikroben genannt, umgeben als Rhizosphäre die Pflanzenwurzeln in einer hauchdünnen Schicht. In ihr kommunizieren die Wurzeln auf chemischem Weg mit den Mikroorganismen, damit diese die gerade benötigten Nährstoffe für die Pflanzen bereitstellen. Wie dies funktioniert, erfahren Sie auf >.
Untersuchungen haben gezeigt, dass in gesunden, also natürlichen Böden vor allem nützliche Mikroben vorkommen, die die Pflanzen unterstützen, während in kranken, gar toten Böden schädliche Mikroorganismen die Oberhand gewinnen.
Die nutzbringenden Mikroben sorgen für besseres Wachstum, unterstützen die Abwehr von Krankheiten und helfen, Umweltstress jeglicher Art – hervorgerufen zum Beispiel durch den Klimawandel – besser zu bewältigen. Im Boden geht es somit ähnlich zu wie in unserem Darm: Gesunde, ausgewogene Vollkosternährung fördert die »guten« Darmbakterien, während zuckerreiche oder andere unausgewogene Nahrung die »schlechten« Bakterien fördert.
Das Immunsystem der Pflanzen liegt also im Boden. Dort entscheidet sich, ob die Pflanzen gesund heranwachsen oder ob sie anfällig für Krankheiten oder einen Massenansturm von Pflanzensaugern sind. So wie sich beim Menschen eine gestörte Verdauung auf den gesamten Organismus auswirkt, so verhält es sich laut aktueller Forschung auch bei Pflanzen: Wenn der Boden nicht gesund ist, wird auch die Pflanze schwach und krank.
Die nützlichen Bodenbakterien dagegen unterstützen das Immunsystem der Pflanze und helfen, krank machende Bakterien, Viren und Pilze abzuwehren. So haben in einer gesunden Lebensgemeinschaft im Erdreich bodenbürtige Krankheitserreger kaum eine Chance. Und sollten sie doch einmal in eine Pflanzenwurzel eindringen oder Blätter befallen, so »rufen« von der Wurzel ausgeschiedene Substanzen (wie etwa Apfelsäure) nützliche Mikroben (etwa Heubakterien) herbei, die die pflanzliche Abwehr unterstützen. Im kranken oder toten Boden rufen Pflanzenwurzeln allerdings vergeblich …
Pilzsammler wissen um die lebenswichtige Verbindung zwischen Pilzen und ihren Bäumen – den Birkenpilz suchen sie nur unter Birken.
MYKORRHIZA – EINE GEMEINSCHAFT FÜRS LEBEN
Im Boden liegt auch ein weiteres lebenswichtiges Netzwerk – das zwischen Pflanzenwurzeln und Pilzen. Diese Symbiose wird Mykorrhiza genannt.
Nicht nur Bäume im Wald, sondern ungefähr 90 % aller Landpflanzenarten inklusive Gräser bilden mit jeweils bestimmten Pilzen eine solche Mykorrhiza-Lebensgemeinschaft. Während die Bäume meist mit verschiedenen Ständerpilzen wie Steinpilz etc. in Symbiose (Ektomykorrhiza) leben, gehen Kräuter, Blumen, Stauden, Gräser und Halbsträucher eine Endomykorrhiza mit niederen Pilzarten ein. Diese wachsen unterirdisch und bilden keine typischen Fruchtkörper mit Hut und Stiel. Die Myzelfäden des Pilzes umspinnen im Boden die feinen Wurzelenden oder dringen sogar in die Wurzeln ein. Diese innige Symbiose hat für beide einen großen Vorteil: Der Pilz versorgt die Pflanze mit Nährelementen, Mineralstoffen und Wasser, während er von der Pflanze die für sein Wachstum benötigten Zuckerverbindungen (Kohlenhydrate) erhält. Untersuchungen zeigen, dass Bäume etwa 80 % ihres Bedarfs an Stickstoff- und Phosphorverbindungen über den Pilz erhalten. Dadurch fördert die Symbiose direkt das ober- und unterirdische Wachstum sowie die Bildung von Blüten, Samen und Früchten. Zudem schützt das Pilzgeflecht die Pflanzenwurzel vor dem Eindringen von Schädlingen. So sind beide Partner – Pflanze und Mykorrhizapilz – aufeinander angewiesen. Stirbt der Baum, so stirbt auch sein Pilzpartner – und umgekehrt.
Auf überreich vorhandene Stickstoffverbindungen reagiert der Pilzpartner besonders empfindlich. Dann kann er die Wurzeln nicht mehr ausreichend bei der Mineralstoff- und Wasserversorgung unterstützen. Kommt nun weiterer Stress wie extreme Wetterschwankungen mit langer Trockenheit oder starker Nässe hinzu, werden die Pflanzen noch mehr geschädigt: Bäume verlieren beim nächsten Sturm unter Umständen den Halt im Boden oder werden von parasitischen Pilzen oder Borkenkäfern befallen und sterben schließlich ab.
EINE NEUE HALTUNG ZUM BODEN
In früheren und indigenen Kulturen wurde und wird der Boden als »Mutter Erde« geschätzt, verehrt und fürsorglich behandelt.
Dagegen wurde in modernen Gesellschaften, einhergehend mit der Industrialisierung und Ökonomisierung, auch der Boden zum Rohstoff, den man schonungslos ausbeuten und benutzen kann. Diesen unachtsamen Umgang findet man bei uns fast überall – in der Landwirtschaft, beim Erschließen von neuen Siedlungen oder Industriegebieten, aber auch auf Privatgrundstücken (Versiegelung von Terrassen- oder Hofflächen, Abdeckung mit Folien in »Schottergärten« oder zum Mulchen) und in der Natur (unerlaubte Müllentsorgung).
Erst langsam sickert ins Bewusstsein, wie wertvoll die obersten Zentimeter der Erdoberfläche sind und dass der Boden bedroht und nur endlich verfügbar ist. Boden bildet sich nur sehr langsam – in 100 Jahren entsteht gerade einmal eine 6 mm dicke Schicht. Ist der Boden zerstört, dauert es viele Generationen, bis er sich wieder neu gebildet hat.
Im gesunden Boden geht es nicht nur den Bodenbakterien gut, sondern auch den Pilzen – beide Partner sind lebensnotwendig für die Pflanzen. Wird jedoch das Gleichgewicht im Boden gestört, so hat das Folgen für das komplexe Miteinander von Bakterien, Pilzen und Pflanzen und bringt viele Netzwerke aus dem Gleichgewicht. Im Wissen um diese Zusammenhänge bekommt der Boden eine Bedeutung, die zu einem achtsameren Umgang mit ihm und den in ihm lebenden Organismen führt.
»DER BODEN WILL DEN HIMMEL NICHT SEHEN«
Ein Blick in die Natur verrät: Abgesehen von vereinzelten Stellen – sandige Gebiete, Abrisskanten, Maulwurfshügel etc. – gibt es zu keiner Jahreszeit offen liegenden Boden. Er ist immer von Pflanzen bedeckt, selbst im Winter. Durch die Pflanzendecke sind der Boden und die in ihm lebenden Organismen vor Hitze und Kälte, Wind und heftigem Regen geschützt: Die Sonne kann den Boden nicht direkt aufheizen, die Luft zwischen den Pflanzen isoliert vor Kälte, Regengüsse treffen gebremst auf die Oberfläche, Niederschlagswasser kann keine Bodenpartikel wegschwemmen und der Wind keine Bodenpartikel wegwehen. So geschützt, können die Bodenlebewesen ihrer wichtigen Tätigkeit nachgehen: das Erdreich lockern, organische Reste abbauen und die Pflanzen bedarfsgerecht mit Nährelementen versorgen.
Von dieser Beobachtung ausgehend können wir lernen, wie wir mit dem Boden im Garten umgehen sollten.
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Diese Pflanze zählt!
GEMEINE VOGELMIERE
Stellaria media
Die Pflanze gilt manchen Gärtnern als »Unkraut«, weil sie Unmengen Samen bildet, die das ganze Jahr keimen. Genau das sind aber dicke Pluspunkte:
1 Bedeckt den Boden, solange nichts angebaut wird, und bietet optimalen Bodenschutz das ganze Jahr über.
2 Lässt sich, wenn nötig, dank zarter Wurzeln rasch ausreißen.
3 Verdrängt andere, schwerer zu entfernende »Unkräuter«.
4 Hilft, zu nährstoffreiche Böden etwas »abzumagern«.
5 Bietet von Januar bis Dezember Bienen, Schwebfliegen, Käfern und anderen Insekten nektar- und pollenreiche weiße Blüten.
Ähnliche Effekte hat der Ehrenpreis (Veronica) mit himmelblauen Blüten.