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Оглавление10. Im Elfenschloss
Tochter der Lüfte
O Tochter der Lüfte
umhüllt mich Dein seidig
fließender Mantel
weht Dein erquickender
Hauch in mich ein
verweben sich meine
ungleichen Fasern
sogleich in ein einig
aufschwingendes Sein
Gipfel anpeilend
durchschauert von ewiger Ruh
zu saugen an Brüsten
mit güldenem Wein
Trunken
taumelnd am Boden
sich ernüchtert
zum Wurzelstock vortastend
wo öffnen sich lange
erblindete Augen
staunend zu schauen
in Allem webst D U.
Nellyfer erwachte mitten in der Nacht in einem rosa Himmelbett. Klägliches Geschrei drang aus unmittelbarer Nähe an ihr Ohr und von Ferne das Getrappel vieler Füßchen wie aus einem Treppenhaus.
Sich umdrehend gewahrte sie erstaunt ein schon rot angelaufenes Neugeborenes neben sich.
Waren nicht momentan keine Babys in der Krippe?
Aber gab es dort keine Treppen und erst recht kein weiches, rosa Himmelbett.
Kopfschüttelnd zog sie das Baby an sich, um ihm die Brust zu geben. Wie ausgehungert fing es an zu saugen. Also war es nicht das erste Mal! Sie musste mithilfe ihres Zauberstabs schon den Milcheinschuss ausgelöst haben.
Sie sah sich im Raum um. Er lag im Dämmerlicht. An der gegenüberliegenden Wand verströmte ein winziges Lämpchen in Seerosenform ein gedämpftes, orangefarbenes Licht.
Am Bettkopfende fand sich ein weiteres. Als Nellyfer es anknipste, war mehr zu erkennen.
Ein reizendes kleines Kinderzimmer. Rosenquarzwände mit Blumengravur, zierliche Muschelmöbel, am Erkerfenster ein Sekretär mit einem Silberstuhl, eine Schaukelstuhl Ecke; in der Raummitte eine Korbwiege, an Goldfäden vom hohen Deckengewölbe herabhängend.
Sowohl die Vorhänge vor dem hohen Bogenfenster, die Stuhlauflagen, der Himmel ihres Bettes als auch die Bettbezüge waren aus bunt geblümter Seide.
Allmählich dämmerte die Erinnerung herauf. Ja richtig! Sie hielt das Elfenprinzesschen im Arm, dem sie heute Nacht auf die Welt verhalf, und war im Elfenschloss in seinem Zimmer.
Wie konnte sie nur neben ihm einschlafen; es hätte aus dem Bett fallen können!
Sie betrachtete das Kleine, das sich beim Stillen beruhigte und sie zufrieden nuckelnd aus wasserblauen Augen ansah. Das Herz ging ihr auf. Welch ein goldiges, engelhaftes Kind!
Etwas war bei seiner Geburt passiert, das ihr noch immer in den Gliedern saß.
Nellyfer dachte angestrengt nach. Wieso war sie hier gelandet? Sie wollte doch zur Krippe. Nie im Traum hätte sie gedacht, dass Meridors Kind in der Festnacht das Licht der Welt erblicken würde.
Sonst hätte sie damit gerechnet, kurzzeitig im Schloss einquartiert zu werden.
Es musste der Schock gewesen sein, dass sie sich ohne bedenkenlos auf die Bitte der Eltern einließ, mitzukommen, um das Prinzesschen im Elfenschloss zu versorgen, damit sie sich ausschlafen konnten, und das dürfte dauern.
Wer hätte gedacht, dass Sylphon der Vater war? Jetzt sah Nellyfer alles mit anderen Augen.
Wie konnte sie ihre Kinder nur vergessen und einem greisen Baumgeist überlassen?
Buchwart war beim Nachtspuk mit den Kleinen in der Krippe völlig überfordert.
Wollte Walfred nicht nach ihnen sehen? Sie konnte nur hoffen, dass er daran dachte, auch wenn ihm nicht Bescheid gegeben wurde.
Als Nellyfer mit dem ungleichen Paar den Weiher überflog, sah sie zum ersten Mal die Lichter des Wasserschlosses aufblinken. Es hatte tatsächlich etwas mit Magie zu tun, als wollten sie den Betrachter in die Tiefe ziehen.
Hätte Meridor sie nicht immer wieder ermahnt, geradeaus zu schauen, hätte sie sich dessen kaum erwehren können und wäre vielleicht abgestürzt, durcheinander wie sie war.
Das Elfenschloss bot in der Dunkelheit schon von weitem einen grandiosen Anblick.
Das durchscheinende, verwinkelte Gebäude war für Menschenaugen unsichtbar.
Im Sternenlicht hatte sie es noch nie erlebt. Es schimmerte und funkelte silbrig und golden auf seinem Fundament von drei dicht beieinander stehenden, uralten, turmhohen Eichen, die aus dem Mischwäldchen am Südufer herausragten. Die glänzenden Zwiebelkuppeln aus durchsichtigem Goldbernstein, die sich sowohl auf den Türmen als auch den Türmchen der zahlreichen Erker mit ihren zierlichen, halbrunden Balkonen und Balustraden fanden, schienen auf den Wipfeln zu schweben.
Hier und dort schimmerten die Innenwände aus farbigem Quarz durch die Bergkristallfassade.
Weit ausgebreitete, kräftige Äste, teils übers Wasser ausgestreckt, bildeten das Fundament der Etagen, die sich wie übereinander geschichtete Bungalows ausnahmen, die sich nach oben hin verjüngten, von dichtem Laubwerk überdacht.
Die Fensterflächen waren aus klarem Bergkristall und die schmalen Bogenfenster der Erker und Türme aus durchscheinenden, pastellfarbigen Quarzen, während Treppen, Türen und Fensterrahmen mehr oder weniger durchscheinenden Bernstein aufwiesen.
Nellyfer zuckte zurück, als sich das seerosenförmige Hauptportal bei ihrer Ankunft wie von Geisterhand auftat und die Baumgeister des Eichentrios heraustraten, ohne dass sie sich angekündigt hatten.
Hochwüchsige, hölzerne Greise in bodenlangen, bräunlichen, von Seilgürteln gehaltenen Mönchskutten. Graue, strähnige Haare und ebenso lange struppige Vollbärte lugten unter spitzen Kapuzen hervor, die die aschfahlen, gegerbten Gesichter nur erahnen ließen.
Als die Elfenkönigin ihnen das Neugeborene entgegen hielt, erhellten sich ihre gestrengen Mienen. Mit geneigten Häuptern und ehrerbietig vor der Brust zusammengelegten Händen hießen die Drei das schlummernde Prinzesschen willkommen und beglückwünschten auf die gleiche Weise die Eltern zur Geburt.
Wussten sie um Sylphons Vaterschaft? Aber es war ja offensichtlich.
Eichwart, der größte und älteste der Drei, versicherte mit knarrender Stimme, dass die Alarmanlage funktioniere und sie das Schloss mit Argusaugen bewachen und für Ordnung sorgen würden, wenn die Schlosselfen vom Fest wiederkehrten.
Mit ungelenken Verbeugungen und hölzernen Gesten ließen die Baumbrüder das Paar mit seinem Kind samt Nellyfer eintreten und wünschte ihnen angenehme Träume.
Ihre Art und Eichwarts umständliche Ausdrucksweise ermüdeten Nellyfer noch mehr.
Gut, dass Meridor ihr Kind auf dem Arm behielt. Der Weg durch die weitläufige, perlmutterne Wandelhalle zur Bernsteinwendeltreppe, die sich um den Mittelstamm wand, schien sich unendlich hinzuziehen. Nellyfer konnte sich kaum noch auf den Beinen halten und beim Aufstieg wollten ihr die Füße ihren Dienst versagen.
Sie war heilfroh, als sie endlich die oberste Etage mit den königlichen Gemächern unter den Goldkuppeln erreichten.
Meridor führte sie ins Kinderzimmer und zeigte ihr das kleine, mit Rosenquarz geflieste Bad, dessen sanitäre Einrichtungen aus Rauchquarz bestanden.
Nachdem sie das Baby gebadet und gewickelt hatte, musste Nellyfer beim Stillen im weichen Himmelbett mit ihm im Arm eingeschlafen sein.
Fieberhaft überlegte sie, wie sie ein morgendliches Chaos in der Krippe verhindern konnte, das mit Sicherheit entstand, wenn die ersten Kinder aufwachten. Falls Buchwart überhaupt so lange durchhielt, würde er die Kleinen kaum versorgen können.
Hätte sie nur Walfriede vorgewarnt! Aber vielleicht hatte Meridor in weiser Voraussicht eine Regelung getroffen, und wenn nicht, konnte sie nur beten, dass die Kollegen von nebenan, die Freundin eingeschlossen, etwas bemerken und Hilfe leisten würden.
Hoffentlich wurden sie früh genug von ihren Schützlingen aufgeweckt!
Nellyfer widmete sich wieder dem Kind in ihren Armen, das gerade von ihrer Brust abließ und befriedigt aufseufzte.
Das arme Ding hatte noch gar keinen richtigen Namen.
Das Schloss kam allmählich zur Ruhe. Während sie auf das abnehmende Getrappel im Treppenhaus lauschte, hatte sie einen Geistesblitz.
Ja, so müsste es gehen! Vielleicht ließen sich noch Aufsichtsführende erwischen.
Sie legte das Baby behutsam in die Hängewiege, sang ihm etwas vor, schaukelte es sacht und strich ihm übers Köpfchen, wobei sie tunlichst Kontakt mit dem rechten Ohr vermied, wie es ihr eingeschärft wurde. „Schlaf ein, mein Schätzchen, schlaf ein.“ Auf Zehenspitzen wich sie von seiner Seite. „Ich muss noch was erledigen und bin gleich zurück, um nach dir zu sehen.“
Auf leisen Sohlen verließ Nellyfer den Raum und schlich sich durch die lang ausgestreckte, orangefarbene Diele, von der viele Türen abzweigten. Durch Wandleuchter in Muschelform, die ein milchiges Licht verströmten, fand sie sich zurecht. Sie huschte durch die Wohnungstür und verschloss sie durch leichtes Antippen mit ihrem Zauberstab.
Im Gang war es nahezu dunkel, und sie musste sich an der Wand zur Wendeltreppe vortasten. Endlich angelangt rutschte sie herunter und wäre eine Etage tiefer bald mit Mamarena zusammengestoßen, die dort ihre Wohnung hatte.
„Hoppla, so schnell des Weges? Solltest du nicht beim Baby sein?“, zischte die ältliche Hofdame sie an, die sichtlich übermüdet war. Sonst hätte sie andere Töne aufgezogen.
„Gut, dass ich dich antreffe!“ Nellyfer schilderte in Stichworten die Situation in der Krippe, nicht ohne ihre Unbedachtheit mit dem erlittenen Schock bei der Geburt zu entschuldigen.
Dass Sylphons Bekenntnis zur Vaterschaft ihr einen weitern versetzte, sagte sie lieber nicht.
Vorsichtig hörte sie nach. „Könnte frühmorgens ein Bote eine Nachricht zu Walfriede in die Kita bringen? Man müsste ihn allerdings bitten, sie aufwecken, damit sie es lesen kann.“
Mamarena schlug entgeistert die Hände über ihrem Kopf zusammen. „Kind, wo denkst du hin? Hier sind fast alle schon im Bett und verschlafen den Tag bis zum übernächsten Morgen. Nur Baumgeister haben Wechseldienst, sind aber unabkömmlich und als Boten ungeeignet."
Nellyfer erschrak. Das hatte sie nicht bedacht.
Es war im Schloss wie überall nach einer durchfeierten Nacht.
Alle waren darauf bedacht, am nächsten Tag nichts zu tun zu haben und hatten vorgearbeitet, damit sie ihn verschlafen konnten.
Mamarena, die ihre Verstörtheit bemerkte, riet ihr in überraschend mildem Tonfall, sich nach ihrer inneren Uhr zu richten und sich mit der Freundin auf telepathischem Wege in Verbindung zu setzen. Sie entgegnete ihrem zweifelnden Blick. „Du müsstest doch wissen, wie es geht, und das Baby wird dich sicher rechtzeitig aufwecken.“
Nellyfer nickte. Sie wollte es auf jeden Fall versuchen. Es würde ihr schon wieder einfallen, was sie darüber in der Elfenschule lernte.