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Kapitel 9

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Valdemossa. Das kleine Bergdorf im Nordwesten der Insel mit seinem Kartäuserkloster und den engen Gassen hat sich seine Idylle bewahrt, trotz der vielen Besucher, die jedes Jahr kommen. Etwas abseits vom Touristentrubel sieht man kleine Häuser aus Naturstein oder mit einer einfach verputzten Fassade, gerade einmal zwei Stockwerke hoch, die eng beieinander stehen. Die grünen Fensterläden sind zumeist geschlossen. Zahlreiche Blumentöpfe an den Hauswänden und bepflanzte Kübel vor den Türen tauchen die kleinen Gassen in ein farbenfrohes Blumenmeer.

Sven schlendert über die gepflasterten Gassen auf der Suche nach der Tapas-Bar Es Roquissar, die ihm von den Einheimischen aus der kleinen Cafeteria in Cas Català empfohlen wurde. Während er sich umschaut, beginnt er zu verstehen, warum die Fensterläden und Haustüren geschlossen sind. Natürlich wegen der Hitze, aber bestimmt auch wegen der vielen Besucher zur Hauptsaison. Hätten doch Frédéric Chopin und George Sand niemals im Kartäuserkloster Unterkunft gesucht und gefunden, resümiert er, dann wäre dies immer noch ein verträumter Ort, ohne die zahlreichen Geschäfte und Restaurants auf der breiten Straße zum Kloster. Die beiden waren in einer misslichen Situation: Chopin hatte Schwindsucht und das feucht-kalte Winterklima auf Mallorca führte dazu, dass sich sein Gesundheitszustand drastisch verschlechterte.

Irgendwo hat er gelesen, dass Chopin sogar drei unterschiedliche Ärzte in Palma aufgesucht haben soll, die ihm alle nicht helfen konnten. Dem muss es miserabel gegangen sein, überlegt er. Der anhaltende Husten und die extreme Magerkeit von Chopin haben dann wohl die Vermieter erschreckt und dem Paar wurde das gemietete Landhaus gekündigt. Dass die um Jahre ältere George Sand immer in Männerkleidung herumlief, hat bei den Mallorquinern auch nicht für Akzeptanz gesorgt. Wie auch, im 19. Jahrhundert.

Doch jetzt will er die Tapas-Bar finden. Sie soll in der Nähe des Chopin-Museums sein. Er greift in seine Umhängetasche, holt sein Tablet hervor und ruft den Stadtplan von Valdemossa auf. Er dreht und wendet das Tablet, kann sich aber trotzdem nicht orientieren. Ich gehe einfach weiter, beschließt er. So groß ist Valdemossa nun auch wieder nicht.

Nach gut zehn Minuten findet Sven endlich die Plaza Cartoi­xa, an deren Ende, etwas versteckt, sich das Es Roquissar befindet. Die Tapas-Bar ist in einem kleinen Dorfhaus untergebracht und winzig, gerade einmal zwanzig Quadratmeter, schätzt er. Mittendrin steht ein alter Baumstamm. Er ist noch unschlüssig, ob er drinnen Platz nehmen soll oder doch lieber draußen unter drei großen weißen Sonnenschirmen. Er betrachtet die Karte, eine Schiefertafel, die an der Hauswand lehnt und auf der mit Kreide die Tagesgerichte geschrieben stehen: eine Auswahl an Tapas, eine kalte Gurkensuppe und Wolfsbarsch mit gebackenen Kartoffeln. Sven ist angenehm überrascht. Kurz entschlossen setzt er sich draußen an einen der Holztische. Eine junge Frau kommt auf ihn zu und fragt auf Deutsch nach seinen Wünschen.

»Sieht man mir schon von Weitem den deutschen Touristen an?« Sven lächelt die junge Frau an.

»Nein, nein!« Sie blickt etwas verlegen. »Den Touristen nicht, aber vielleicht doch den Deutschen?«

»Ich nehme die Gurkensuppe und den Wolfsbarsch, dazu eine große Flasche Mineralwasser und ein Glas rosado.«

»Sehr gerne!«

Sven schaut ihr nach, als sie in der Bar verschwindet. Dieses »Sehr gerne« mag er gar nicht. In Düsseldorf begegnet einem dieser Ausspruch überall, im Kaufhaus, im Restaurant, beim Weinhändler. Und hier nun auch noch, als wenn alle denselben Kommunikationstrainer gebucht hätten.

Die junge Frau stellt zuerst das Glas Rosé vor ihm ab, dann öffnet sie die Mineralwasserflasche und gießt ihm ein Glas Wasser ein.

»Woher kommen Sie? Doch bestimmt aus Deutschland«, fragt Sven.

»Ja, aus der Nähe von Köln.«

»Och, hätte ich jetzt nicht gedacht. Eher aus der Gegend von Hannover.«

»Sie vermissen bei mir den rheinischen Akzent?«

Sven nickt und schmunzelt. »Und was hat Sie nach Valdemossa verschlagen?«

»Die Liebe! Und dann hat sich vor zwei Jahren die Chance ergeben, diese Bar zu übernehmen, die ich gemeinsam mit meiner Freundin, einer Mallorquinerin, führe.«

»Sie bleiben also hier?«

»Ja, Mallorca ist meine Trauminsel.«

»Meine auch«, antwortet Sven lachend.

»Und, was machen Sie hier, wenn ich fragen darf? Sie sind doch bestimmt nicht gekommen, um sich die Klosterzellen anzusehen, in denen George Sand und Frédéric Chopin gewohnt haben?«

»Nein, bestimmt nicht. Und ja, Sie dürfen fragen.« Sven nimmt einen Schluck Roséwein und lässt ihn genüsslich im Mund kreisen. »Ich schreibe einen kulinarischen Reiseführer über Mallorca.«

»Das ist ja spannend«, bemerkt die junge Frau. »Werden wir da auch erwähnt?«

»Könnte gut möglich sein.« Sven lächelt verschmitzt. »Kommt ganz darauf an, was Ihre Küche zaubert.«

»Na, dann lassen Sie sich mal überraschen. Meine Freundin ist eine echte Künstlerin.«

Sven trinkt von dem gekühlten Mineralwasser und schaut sich um. Viele Gäste sind noch nicht da, nur am Tisch direkt am Eingang sitzen zwei ältere Männer, trinken Wein und debattieren angeregt.

Das Erste, was ihm auffällt, als die junge Frau die Gurkensuppe bringt, ist das moderne, formschöne Geschirr in hellem Weiß.

Er nimmt die Stoffserviette und legt sie auf seinen Schoß, dann greift er nach dem Löffel. Auch das Besteck ist klassisch-modern. Schon der erste Löffel der Gurkensuppe ist ein Genuss. Viel frischer Dill, etwas Salz und Pfeffer, abgerundet mit Sahne, dazu gibt es auf einem kleinen Teller knusprig gebratenen Serranoschinken. Das ist eine sagenhafte Kombination, die leicht sämige, kalte Gurkensuppe und der etwas salzige und vor allem würzige Schinken. Sven ist begeistert. Als die junge Frau den lubina bringt, ist er voll des Lobes.

»Die Suppe war exzellent, nun bin ich auf den Wolfsbarsch gespannt.«

»Ich hoffe, der schmeckt Ihnen genauso gut, alles mallorquín.« Sven greift erneut zum Besteck, diesmal wurde ihm Fischbesteck neben den Teller gelegt. Er ist wieder angenehm überrascht: In Valdemossa in einer kleinen Tapas-Bar gibt es nicht nur stilvolles Geschirr, sondern auch Fischbesteck. Das hat er auf Mallorca so noch nicht erlebt. Meist gibt es billiges Blechbesteck, das ein Indiz für gute, originale Küche sein soll. Doch hier scheint es anders zu sein. Ihm macht es mehr Spaß, den Fisch mit Fischbesteck zu filetieren, statt mit einem einfachen Messer und einer Gabel.

Er schaut auf den Fisch auf seinem Teller, der etwa so aussieht wie eine wohlgenährte Forelle, wären da nicht der fast quadratische Kopf mit dem recht breiten Maul und die gezackte Rückenflosse. Geschickt setzt er das Fischmesser an, schlitzt den Rücken auf und klappt eine Fischhälfte um. Vorsichtig befreit er das Fleisch von den Gräten und nimmt ein erstes Stück. Auch der im Ofen zubereitete Wolfsbarsch ist vorzüglich. Nur mit etwas Salz, Pfeffer und Knoblauch gewürzt, hat er viel Eigengeschmack, das Fischfleisch ist zart, ohne dass es auseinanderfällt, und die Kartoffeln schmecken nach Kartoffeln: mit Schale, halbiert und im Backofen gegart.

Sven ist zum Platzen satt. Mittlerweile sind auch die anderen Tische auf der Terrasse besetzt, meist mit Einheimischen, so scheint es ihm. Jetzt würde er sich gerne eine Zigarette anstecken. Doch er hat schon vor Jahren aufgehört, und das ist auch gut so.

Nur ganz selten überkommt ihn noch das Bedürfnis, den Rauch zu inhalieren und weit von sich zu blasen. Doch dann wird er mit einer erfreulichen Alternative überrascht. Die junge Frau bringt ihm einen eisgekühlten Patxaran.

»Den habe ich nicht bestellt«, äußert Sven verwundert.

»Der ist vom Haus, den Digestif bekommen unsere Gäste als Zugabe.«

»Das ist eine tolle Idee. Der hilft nach dem guten und reichhaltigen Essen bestimmt, aber wieso gerade ein Patxaran?«

»Er ist bekömmlich, nimmt das Völlegefühl und in dieser Tapas-Bar hat er Tradition.«

»Wieso gerade hier?«, fragt Sven neugierig.

»Das kann ich Ihnen nicht sagen. Aber der Besitzer, von dem wir die Bar übernommen haben, hat das als Auflage in den Kaufvertrag geschrieben: Patxaran als Digestif für unsere Gäste, und das kostenlos.«

»Können Sie sich das erklären?«

»Er muss, aus welchen Gründen auch immer, eine Leidenschaft für den Patxaran gehabt haben. Davon zeugt auch ein Regal im Inneren der Bar mit lauter alten Fläschchen. Kommen Sie, ich zeige sie Ihnen.«

Sven nimmt sein Glas und folgt der jungen Frau in die Bar.

»Schauen Sie hier.«

Sven blickt verblüfft auf ein Regal voll mit Patxaran-Fläschchen.

»La cuenta, por favor«, ertönt es aus der hinteren Ecke der Bar. Jemand will die Rechnung und so wie die Stimme klingt, möglichst rasch.

Interessiert betrachtet er die Fläschchen, die alle unterschiedliche Etiketten haben. Trotz der beeindruckenden Auswahl scheinen sie neueren Datums zu sein, bestimmt nicht aus früheren Jahrhunderten. Wäre auch zu schön gewesen, schmunzelt Sven.

Die junge Bedienung kommt zurück. »Sie können gerne das eine oder andere Fläschchen erwerben.«

»Ja, eine gute Idee.«

»Sie reicht ihm eine Getränkekarte, die eine stattliche Auswahl an Patxaransorten zeigt.

»Worin besteht der Unterschied?«, will Sven wissen.

»Jeder Hersteller hat seine eigene Rezeptur. Die einen sind milder, die anderen kräftiger. Manche Hersteller fügen Kaffeebohnen hinzu, andere Zimtstangen. Sie sehen also, Patxaran ist nicht gleich Patxaran. Sie müssen aber auf das Güte- und Herkunftssiegel achten.«

Sven schaut sie irritiert an.

Sie lacht. »Ja, es gibt eine Aufsichtsbehörde zur Patxaran-Herstellung. Man will die Verbreitung von Nachahmerprodukten in minderer Qualität unterbinden.«

Sie greift nach einem Fläschchen aus dem Regal und zeigt Sven das Gütesiegel. »Auf so ein Siegel müssen Sie achten.«

»Das ist ja spannend. Wer kann mir da mehr erzählen? Vielleicht der Vorbesitzer? Den würde ich gern kennenlernen.«

»Das tut mir leid, das geht nicht mehr.«

Sven blickt sie fragend an.

»Er ist leider verstorben.«

»Schade!« Die Enttäuschung ist ihm anzumerken.

Sie streicht sich eine blonde Haarsträhne hinter das Ohr. »Aber wenn Sie mehr erfahren wollen über die Bar, den Patxaran und über Valdemossa, dann mache ich Sie gerne mit einem Freund bekannt.«

»Und wer ist das?«

»Er ist der Hausmeister des Klosters. Seine Familie lebt schon seit Generationen in Valdemossa. Er kommt immer mittags auf eine Kleinigkeit zu uns.«

»Das wäre toll. Ich würde ihn gern zu einem Patxaran einladen.«

Die junge Frau nickt Sven zu, dann greift sie nach zwei Tellern, die ihr eine etwas pummelige Frau in Kochschürze aus der Küche anreicht.

Er nippt erneut an seinem Glas und setzt sich an einen kleinen Tisch mit Blick zur offenen Küche. Pass auf, der schmeckt köstlich und gleich hast du einen im Kahn, ermahnt er sich. Interessiert schaut er der Mallorquinerin zu, wie sie liebevoll das Essen auf den Tellern anrichtet.

Die junge Deutsche bedient flink die Gäste auf der Terrasse. Immer wieder blickt er auf seine Armbanduhr. Langsam wird es Zeit für ihn, wieder nach Palma zurückzufahren. Er hat sich vorgenommen, heute noch mit seinem Reiseführer zu beginnen und Eindrücke aufzuschreiben. Der Verleger will bestimmt bald erste Resultate sehen. Er steht auf und geht zur Bar, um zu bezahlen.

»Ihr Freund kommt wohl nicht mehr?«

»Es sieht ganz danach aus, tut mir leid.« Die junge Frau balanciert schon wieder zwei Teller auf ihren Unterarmen. »Sonst ist er immer um diese Uhrzeit da.«

»Wie kann ich ihn erreichen?«, fragt Sven, als sie erneut von der Terrasse hereinkommt.

»Er wohnt in der Nähe des Klosters, auf der Carrer pins. Die Hausnummer weiß ich allerdings nicht.«

»Und wie ist sein Name?«

»Paco Ferrer. Wenn Sie ihn nicht antreffen, dann kommen Sie doch einfach morgen wieder zu uns. Ich erzähle ihm von Ihnen, dann wird er bestimmt warten und sich etwas Zeit für Sie nehmen.«

»Ja, das wäre prima. Ich versuche, morgen wiederzukommen.« Er deutet auf zwei kleine Patxaran-Fläschchen im Regal. »Die möchte ich kaufen.«

»Ja klar.« Die junge Frau öffnet die kleine Tür der Anrichte neben dem Regal und holt zwei Fläschchen heraus.

Sven verabschiedet sich und verlässt die Tapas-Bar. Die Hitze schlägt ihm entgegen und der Patxaran zeigt plötzlich seine Wirkung. Ihm rinnt der Schweiß den Nacken hinunter. Unschlüssig steht er da.

Am liebsten würde er sofort nach Cas Català zurückfahren, doch dann müsste er morgen nochmals hierher fahren, um Paco zu treffen. Er entschließt sich, die angegebene Adresse aufzusuchen, und konzentriert sich: Also hier links rauf, dann die nächste rechts, wieder weiter nach oben und dann nochmals nach links.

Und wirklich, nach der letzten Biegung gelangt er auf die Carrer pins. Die schmale Gasse ist rechts und links von kleinen Häusern gesäumt. Nicht alle haben ein Namensschild an der Tür, doch Sven geht die Häuser stoisch ab. »Wie wäre es, wenn du jemanden fragen würdest?«, spricht er mit sich selbst. Er schaut sich um. Vor einem kleinen Haus, an dem sich Kletterrosen die Hauswand hinaufhangeln, sitzt eine alte Frau in einem Schaukelstuhl. Sie ist dunkel gekleidet, trägt ein Tuch über den Haaren, die abgearbeiteten Hände liegen in ihrem Schoß.

»Señora, bitte entschuldigen Sie, wo wohnt Paco Ferrer?« Die Frau reagiert nicht. Also stellt er sich direkt vor sie hin. Mit erstaunlich klaren und hellen Augen blickt sie ihn an und legt eine Hand an ihr Ohr.

Sven erhebt seine Stimme: »Señora, entschuldigen Sie, wo wohnt Paco Ferrer?«

Die alte Frau lächelt, dann zeigt sie auf das übernächste Haus auf der anderen Seite der Gasse. Sven bedankt sich und steuert auf das gepflegte Haus zu, vor dem zwei große Kübel mit Palmen am Eingang stehen. »Der hat kein Namensschild, gut, das ich gefragt habe«, murmelt er vor sich hin. Er drückt den kleinen schwarzen Knopf. Nichts tut sich. Er drückt erneut die Klingel. Aber auch jetzt kommt niemand an die Tür. Mist, dann muss ich morgen doch noch einmal herkommen.

Er wendet sich ab und will zurück zum Parkplatz gehen, da sieht er zwei Männer. Er erkennt sie sofort. Der mit der großen Nase dreht sich nach ihm um. Sven springt hinter eine der Palmen. Was machen die denn hier? Hoffentlich haben die mich nicht gesehen. Vorsichtig lugt er zwischen den Palmwedeln hindurch. Doch die zwei Männer sind nicht mehr zu sehen.

El Gustario de Mallorca und das tödliche Elixier

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