Читать книгу El Gustario de Mallorca und das tödliche Elixier - Brigitte Lamberts - Страница 8

Kapitel 4

Оглавление

Mittelmeer. Fährschiff auf dem Weg nach Palma de Mallorca. Die hohen Berge im Norden der Insel lassen sich schon erahnen, trotz des Nebels, der sie umgibt. Erste Sonnenstrahlen bahnen sich zögerlich einen Weg durch die Wolken. Sven steht an der Reling und schaut in Fahrtrichtung. Er atmet einige Male kräftig ein und aus und lässt die kühle, frische Meeresluft bis tief in seine Lungenflügel gleiten. Bald hat er es geschafft. Er schaut auf seine Armbanduhr. Fünf Uhr zehn. Wenn wir pünktlich sind, dauert es keine Stunde mehr, stellt er erleichtert fest. Auch diese Nacht war eine Katastrophe, wie zuvor die Übernachtung in Montpellier. Das Hotel in einem ehemals gepflegten Herrenhaus vor den Stadtmauern, das er online gebucht hatte, war zur Jugendherberge heruntergewirtschaftet. Zu dem reservierten Pullmansitz auf der Fähre kam er erst gar nicht durch, so viele Rucksacktouristen hatten es sich schon auf dem Boden bequem gemacht. Egal, ignoriert er seine Müdigkeit, bald bin ich da und dann wird es eine aufregende Zeit. Er merkt, wie seine Energie zurückkehrt und ihn die Freude, einen kulinarischen Reiseführer über Mallorca schreiben zu können, erneut umfängt. Was für ein Auftrag! Er holt sein Tablet aus der Reisetasche und setzt sich auf eine längliche Kiste. Drei Restaurants hat ihm sein Schulfreund Tim empfohlen, der im Yachthafen Porto Portals sein Segelschiff liegen hat und, so oft es seine Arbeit erlaubt, ein paar Tage auf Mallorca verbringt. Das Angebot, auf dem Schiff zu wohnen, hat Sven dankend abgelehnt. Er hat lieber festen Boden unter den Füßen. Außerdem ist das Boot zu klein, um am Wochenende zwei Personen bequem zu beherbergen. Natürlich wollen sie sich sehen und auch etwas zusammen unternehmen. Den Tipp, sich bei Tims mallorquinischen Freunden Sergio und Consuelo Sánchez zu melden, einem älteren Ehepaar, das in ihrem Haus Gästezimmer vermietet, hat er hingegen gerne angenommen. Die beiden wird er gleich persönlich kennenlernen. Die Planung des Reiseführers ist jedoch bisher zu kurz gekommen. Dazu fehlte einfach die Zeit. Er musste noch einiges organisieren, Termine verlegen und bestehende Aufträge abarbeiten. So hat er sich lediglich einen Überblick verschafft über die Reiseführer, die aktuell auf dem Buchmarkt angeboten werden, und davon gibt es einige. Am besten fange ich in Palma an, überlegt er. Immer mehr Mallorca-Besucher, die ihren Urlaub individuell planen, bevorzugen eine Unterkunft in der quirligen Hauptstadt. So können sie Palma, die von den Mallorquinern einfach La Ciu­tat, die Stadt, genannt wird, und den Strand gleichermaßen genießen und bekommen auch noch etwas vom Alltag auf der Baleareninsel mit. Das fand auch der Verleger einen geschickten Schachzug. Svens Finger gleiten über die Tastatur. Palma wird immer mein Ausgangspunkt sein, konstatiert er. Von da aus fahre ich sternförmig über die Insel. Jede Tour eine andere Himmelsrichtung. Zur Not kann ich auch mal unterwegs übernachten, wenn die Route es verlangt. Er hält inne. Eigentlich Quatsch. Ich brauche anderthalb, maximal zwei Stunden von einem Ende der Insel zum anderen. Mit Umwegen und Aufenthalten kann ich gut eine Tour pro Tag schaffen. Anders sieht es aus, wenn ich an der Küste entlangfahre und die Insel umrunde, dann brauche ich schon mehrere Tage. Er schmunzelt. Tim hat ihm erzählt, dass die Mallorquiner ein ganz anderes Gefühl für Entfernungen besitzen. Eine Fahrt von Manacor im Osten der Insel bis in die Hauptstadt ist schon eine größere Reise, obwohl die Strecke mit dem Auto gerade einmal etwas über eine Stunde dauert. Und die deutschen Residenten empfinden das nach kurzer Zeit genauso. Dabei sind die Straßen auf Mallorca in sehr gutem Zustand, vor allem die Autobahnen und Schnellstraßen.

Sven betrachtet das Meer, das im morgendlichen Dunst dunkelblau, fast schwarz vor ihm liegt. Dann beugt er sich wieder über sein Tablet. Die touristischen Hochburgen am Meer, wie S’Arenal, Cala d’Or oder Cala Ratjada lasse ich erst einmal außen vor. Da wird es schwer, noch etwas Ursprüngliches zu finden, und außerdem sollen meine Leser ja die Insel erkunden, also umherfahren, so wie ich. Dieser Aspekt hat dem Verleger gefallen, das habe ich gespürt. Wer kennt das Landesinnere schon, außer vielleicht die typischen Ausflugziele Manacor, Sóller, Inca oder Valdemossa? Und wie ist das Motto der Mallorquiner noch gleich? ›Tranquilo‹, also immer mit der Ruhe. Es wird sich bestimmt viel Interessantes ergeben. Sven erinnert sich daran, was Tim bei ihrem letzten Telefonat erzählt hat. Er habe einmal vorzügliche Tapas in Artá gegessen, konnte aber leider nicht mehr den Namen der winzigen Bar nennen. Einige Zeit später war Tim dann in Cala Ratjada. Das liegt keine 15 Kilometer von Artá entfernt. Doch er fand kein Restaurant, das Tapas anbot. Das ist eben der Unterschied zwischen einer mallorquinischen Kleinstadt und einer deutschen Touristenhochburg, war sein Kommentar.

Sven schaut auf. Ein riesiges Kreuzfahrtschiff fährt parallel zur Fähre. Fasziniert betrachtet er den Koloss, der sich einige hundert Meter entfernt an ihnen vorbeischiebt. Er verstaut sein Tablet in der Reisetasche und geht die Reling entlang zum Bug des Schiffes. Der morgendliche Dunst löst sich auf und er kann schon die Silhouette Mallorcas erkennen. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl breitet sich in ihm aus. Die Berge im Hintergrund nehmen Kontur an. Nach einer Weile erkennt er sogar die Umrisse der Kathedrale, die vom Meer aus wirkt, als wenn sie auf einem Hügel stehen würde. Der hellgraue Kalksandstein der Kathedrale zeigt einen rötlichen Schimmer, als wenn La Seu, wie das Bauwerk von den Mallorquinern genannt wird, von innen leuchten würde. Eine laute Stimme hallt blechern durch die Lautsprecher. Sven schrickt zusammen. Nur so viel hat er verstanden, dass die Autofahrer sich bereithalten sollen, damit die Abfahrt von Deck reibungslos verlaufen kann, nachdem das Schiff angelegt hat.

Kurz darauf steht Sven in einer Menschentraube vor der noch geschlossenen Stahltür zum Parkdeck. Nachdem ein Ruck durch das Schiff gegangen ist, dauert es noch einige Minuten, bis sich die Tore automatisch aufschieben und die Menschen zu ihren Autos drängen. Sven versucht sich zu orientieren. Er war einer der Ersten am gestrigen Abend und muss durch die Autoreihen bis ganz nach vorne gehen. Von Weitem sieht er schon seinen knallroten Porsche Targa. Die meisten Fahrer haben ihre seitlichen Rückspiegel nicht eingeklappt. Also achtet er darauf, nicht mit seiner Reisetasche hängenzubleiben. Endlich hat er sein Auto erreicht. Er schließt die Wagentür auf, wirft die Tasche auf den Beifahrersitz, hebt das Mitteldach ab, verstaut es im Kofferraum und steigt ein. Dann holt er einmal tief Luft und dreht beherzt den Zündschlüssel um. Wie auf Kommando startet der Motor. Sven gibt leicht Gas und das unverkennbare Röhren ist zu hören. Es hätte auch anders ausgehen können. Er war sich nicht sicher, ob sein Schätzchen von 1985 die salzige Meeresluft auf dem offenen Deck gut verkraften würde.

Die ersten Fahrzeuge fahren die Rampe herunter. Die meisten biegen auf die rechte Haltespur ab, um auf ihre Mitreisenden zu warten, die in Scharen eine Fußgängerbrücke hinuntereilen. Die Sonnenstrahlen wärmen schon und das Licht blendet. Sven fingert eine Sonnenbrille aus seiner Reisetasche und startet durch. Er hat sich den Weg zu seiner Unterkunft genau eingeprägt: An der großen Kreuzung Paseo Marítimo und Porto Pi muss er auf die Verlängerung der Avenida Joan Miró abbiegen und dann immer geradeaus.

Nach wenigen Minuten sieht er auf der linken Seite die Mauer und das Eingangsportal zu dem Anwesen, auf dem sich der Palacio de Marivent befindet, ein herrschaftliches Landhaus, die Sommerresidenz der spanischen Königsfamilie. Er bremst ab und fährt langsam daran vorbei. In ein paar Stunden wird es hier nur so von Touristen wimmeln, die sich alle vor dem Portal ablichten lassen wollen. Rechts auf der kleinen Fußgängerinsel sieht er aus den Augenwinkeln einen Polizisten stehen, ein klares Indiz dafür, dass die königliche Familie anwesend ist. Er beschleunigt erneut. Obwohl es bis zu seiner Unterkunft keine zehn Minuten dauern soll, zieht es sich. Auf der einen Seite der Straße reihen sich mehrstöckige Hotels, weiß verputzt, mit kleinen Balkonen aneinander, auf der anderen Seite stehen flache Häuser aus grobem, grauem Naturstein mit rötlich verputzten Wandflächen. Alle fünf Meter sind zu beiden Seiten der Straße Palmen gepflanzt, noch nicht sehr groß, aber zusammen mit dem mittlerweile strahlend blauen Himmel lenken sie von den schmucklosen Hotels und Appartementhäusern ab. Hier war früher das Animierviertel von Palma, hier wurde Sangria in Kübeln gesoffen. Heute wirkt alles etwas heruntergekommen. Aber schon viel hat sich getan und in ein paar Jahren soll es genauso gepflegt aussehen wie das Wohngebiet hinter der Bucht von Cala Major, die er gerade hinter sich lässt, ebenso den Yachthafen Calanova.

Nachdem die Straße einige Kurven macht, vorbei an kleinen Geschäften, Restaurants und Hotels in historistischer Bauweise mit flachen, verglasten Loggien, gelangt er auf die Carretera Andratx. Hier wechseln sich moderne, kastenförmige Bauten mit typisch mallorquinischen Stadthäusern ab. Kurz bevor er die Grenze zwischen Palma und der Gemeinde Calvià passiert, hat er sein Ziel erreicht. Auf der Straßenseite zum Meer liegt Haus Nr. 3. Er betrachtet das weiß verputzte Stadthaus mit den kleinen Fenstern zur Straße hin. Sein Blick wandert die Fassade hinauf: Typisch für den mallorquinischen Baustil ist das Haus mit einem flachen Satteldach bedeckt und zeigt seitlich eine gemauerte Balustrade, hinter der Sven eine große Terrasse vermutet. Er stößt das schmiedeeiserne Tor auf und durchquert den kleinen, mit Palmen und Kakteen liebevoll gestalteten Garten. Er drückt die Klingel. Bevor er sich noch weiter umschauen kann, wird die Haustür mühsam aufgezogen und eine ältere kleine Frau steht im Türrahmen.

»Sven Ruge?« Sie lächelt.

»Ja. Doña Consuelo?«

Die kleine Frau bittet Sven mit einer Handbewegung hinein. »Das ist schön, Sie kennenzulernen. Wir haben von Tim schon so einiges über Sie erfahren.« Sie spricht sehr akzentuiert und langsam, damit Sven sie versteht.

»Na, hoffentlich nur Gutes«, erwidert er in fast perfektem Spanisch. Doch bevor er weiterreden kann, steht ein ebenfalls kleiner Mann mit sonnengegerbtem Gesicht vor ihm.

»Sergio! Meine Frau Consuelo haben Sie ja schon begrüßt. Schön, dass Sie da sind.«

»Hatten Sie eine gute Überfahrt?«, fragt Consuelo. Sven schüttelt den Kopf. »Die war nicht so gut, aber jetzt bin ich ja da.«

»Was war los?«, fragt ihr Mann.

»Viel zu voll und die paar Stunden Schlaf auf einer Bank im Fast-Food-Restaurant waren nicht wirklich erholsam.«

»Das tut uns leid, aber dafür gibt es jetzt als Entschädigung erst einmal ein mallorquinisches Frühstück, damit Sie sich schnell einleben.« Die Señora nickt ihm zu.

»Wollen wir unserem Gast nicht erst sein Zimmer zeigen?«, versucht Sergio seine Frau zu bremsen. Gesagt, getan. Für sein Alter geht er ziemlich agil die steile Treppe in den zweiten Stock hinauf, öffnet eine Tür und lässt Sven vorangehen. Ein kleines Schlafzimmer ohne Fenster, das nur ein großes Bett und einen Kleiderschrank beherbergt, davon abgehend ein kleines Bad mit Dusche. Sven tritt angespannt von einem Fuß auf den anderen. Doch dann öffnet der Vermieter eine weitere Tür, die in ein größeres Wohnzimmer führt mit gemütlicher Sitzecke, Fernseher und einem alten, dunklen mallorquinischen Schreibtisch. Sven hat es nicht mehr zu hoffen gewagt: Über die ganze Längsseite des Wohnzimmers erstreckt sich ein tiefer Balkon.

»Wunderschön!« Sven tritt nach draußen.

»Hier links auf dem Hügel sehen Sie den Marivent-Palast mit seinen zwei Türmen. Und das hier ist die Calanova mit unserem kleinen Hafen.« Der alte Mann, der Sven auf den Balkon gefolgt ist, deutet mit der Hand zur Bucht.

Der flache, zerklüftete Felsen ist in sattes Grün getaucht, die hohen Kiefern lassen den Palast fast klein erscheinen. Svens Blick geht auf das Meer hinaus. Auf der gegenüberliegenden Seite erkennt er im Hintergrund ein weißes Band, die Hotelhochburgen am langgezogenen Strand von Palma de Mallorca, an dessen Ende S’Arenal liegt.

Sven dreht sich um und berührt Sergio sachte an der Schulter. »Sie haben es hier wirklich sehr schön.«

Consuelo Sánchez bittet Sven, nachdem er sein Gepäck aus dem Auto geholt hat, in die kleine, gemütliche Wohnküche. Sie stellt einen Keramikteller vor ihm ab mit vier großen Stücken Pan con tomate, getoastetem Baguette mit Olivenöl, mit Salz bestreut und mit frischen Tomaten eingerieben. Sven greift zu und beißt beherzt in das erste Stück, als die alte Frau ihn fragt: »Café con leche oder lieber cortado?«

Fast hätte er sich verschluckt, doch dann gelingt es ihm trotz vollem Mund »Cortado, bitte«, herauszubringen. Er lächelt verlegen.

»Tim hat uns erzählt, Sie wollen einen kulinarischen Reiseführer über Mallorca schreiben?«

»Diese Plaudertasche.« Sven lacht auf.

»Oh, sollte das ein Geheimnis bleiben?«, fragt Consuelo erschrocken.

»Nein, nein«, er winkt ab. »Ich bin doch auf Tipps und Empfehlungen von Einheimischen angewiesen.«

»Haben Sie denn schon Pläne, Gustario?«

»Meinen Spitznamen hat er also auch ausgeplaudert«, ruft Sven gespielt entrüstet aus.

»Ich finde es wunderbar, von Freunden einen Spitznamen zu bekommen. Das zeigt echte Wertschätzung.« Sie lächelt ihm zu.

Sven ist es etwas peinlich, von Consuelo als Gustario angesprochen zu werden. Immerhin heißt ›gustar‹ auf Spanisch gern haben, mögen, gefallen oder auch schmecken.

»Um auf Ihre Frage zurückzukommen«, wechselt er das Thema, »beginnen möchte ich mit Palma und dann immer weiter über die Insel fahren. Ich bin auf der Suche nach richtig guten Empfehlungen, die sonst in keinem Reiseführer zu finden sind: gute Restaurants, urige Tapas-Bars, die schönsten Stellen der Insel, die fast nur Einheimische kennen, und natürlich echte mallorquinische Küche.«

»Da haben Sie sich aber etwas vorgenommen. Da können Sie schon allein über Palma einen Reiseführer schreiben.«

»Haben Sie spontan eine Idee für mich?«

Consuelo Sánchezʼ Kopf zittert leicht. Das war Sven bisher noch nicht aufgefallen. »Ja, die Markthalle in Santa Catalina, der ehemalige Fischmarkt. Da müssen Sie unbedingt hin.«

Sven ist nicht überzeugt. »Der Markt ist doch in jedem einigermaßen guten Reiseführer erwähnt.«

»Ja, weil er wirklich sehr sehenswert ist. Aber wer sich dort nicht auskennt, irrt nur hilflos umher. Ich kann Ihnen zwei ausgezeichnete Marktstände nennen: die Bar Ostra mit den besten Austern auf der ganzen Insel und die Tapas-Bar La Tapita mit einer Vielzahl von unterschiedlich belegten pinchos. Ich mache Ihnen schnell eine Skizze, damit Sie die Marktstände finden.«

»Ist der Markt nicht sehr von Touristen überlaufen?«

»Nein, überhaupt nicht. Hier kaufen zumeist die Leute des Viertels ein. Ganz im Gegensatz zum Viktualienmarkt Mercator de l’Olivar, wo ganze Busse vorfahren und die Touristen absetzen.« Sven wischt sich die Finger an der Serviette ab, trinkt schon im Stehen seinen letzten Schluck Espresso und bedankt sich bei Consuelo. Dann nimmt er ihre Skizze entgegen, steckt sie in die hintere Tasche seiner Jeans und schultert sein Gepäck.

Vom Balkon aus schaut er noch mal auf das Meer. Am Himmel sieht er die Flugzeuge, die vom Sonnenlicht silbern glänzen und wie Perlen an einer Schnur, eines nach dem anderen, über der Bucht von Palma einfliegen. Das ist wie in Düsseldorf, wo zur Hauptreisezeit alle zwei Minuten ein Flieger startet, geht es ihm durch den Kopf. Er spannt den Sonnenschirm auf und macht es sich im Liegestuhl bequem. Er will nur kurz entspannen, bevor er die nähere Umgebung erkundet. Doch es vergeht keine Minute und er ist fest eingeschlafen.

Die stechende Sonne hat den Sonnenschirm längst hinter sich gelassen, als Sven aufwacht. Er traut seinen Augen nicht, als er auf seine Armbanduhr sieht. Es ist schon Mittag. Er hat mehrere Stunden tief und fest geschlafen. Sven geht ins Bad und betrachtet sein Gesicht. »Na toll, gleich am ersten Tag ein schöner Sonnenbrand«, murmelt er vor sich hin. Nach einer ausgiebigen Dusche steigt er die Treppen hinunter und begegnet im ersten Stock seiner Vermieterin. Die schaut ihn entgeistert an.

»Sie kann man aber auch keinen Augenblick allein lassen. Warten Sie mal kurz, bin gleich wieder da.« Schon ist sie in ihrer Wohnung verschwunden. Rasch kehrt sie mit einer großen Tube zurück. »Keine Widerrede. Erst einschmieren, dann können Sie gehen.« Das kühle Gel fühlt sich sehr angenehm an auf der heißen Haut. Consuelo erklärt ihm, die Aloe-Vera-Creme wirke Wunder bei Verbrennungen, die Mallorquiner würden darauf schwören. Sie hätten sogar eine eigene kleine Farm im Landesinneren, die nur Aloe-Vera-Produkte herstelle. Sven bedankt sich und will ihr die Tube zurückgeben, doch Consuelo winkt ab. »Behalten Sie die. Die werden Sie noch öfter brauchen.«

Sven lässt sich treiben. Ohne Ziel läuft er durch die kleinen Gassen und Straßen. Schon nach kurzer Zeit klebt sein Hemd am Rücken und er wischt sich mit einem Stofftaschentuch den Schweiß von der Stirn. Er schmunzelt. Die Einheimischen müssen mich für verrückt halten, in der Mittagshitze durch das Viertel zu laufen, aber ich bin so froh, endlich mal wieder auf Mallorca zu sein. Das letzte Mal dürfte schon mehr als drei Jahre her sein. Da hatte ich mit einigen Freunden eine Finca in S’Alqueria Blanca in der Nähe von Santanyí gemietet. Ein toller Urlaub. Das könnten wir gelegentlich mal wiederholen.

An der nächsten Ecke biegt er rechts ab, dann nochmal rechts und steht wieder auf der Hauptstraße, die Richtung Andratx führt. Von Weitem sieht er drei kleine Tische auf dem Bürgersteig stehen. Er beschleunigt seine Schritte. San Marino steht auf dem Schild über der Eingangstür. Die einfachen weißen Falttüren sind geöffnet und Sven betritt die kleine, helle Cafeteria. Er schätzt den Raum auf gerade einmal fünfundvierzig Quadratmeter. Vier Tische nur und überall stapeln sich an den weiß gekachelten Wänden die Bierkästen. Der Wirt hinter dem Tresen schaut ihn genauso neugierig an wie die vier Männer an der Bar. Sven grüßt in die Runde.

»Ich habe Hunger und Durst, was kann ich bei Ihnen bekommen?« Er grinst den Wirt an.

»Bier, Wein, Gin Tonic, aceitunas und bocadillos«, ist die knappe Antwort. Sven überlegt. Für Gin Tonic ist es eigentlich noch etwas früh, aber ich werde heute sowieso nicht mehr alt.

»Bitte einen Gin Tonic, eine Portion aceitunas und ein Bocadillo con atuny quesco caliente.«

Der Wirt greift zur Gin-Flasche, doch Sven hält ihn zurück. »Bitte einen Larios aus der blauen Flasche, den zwölf Jahre alten, den mag ich am liebsten.« Der Wirt kann sich ein anerkennendes Nicken nicht verkneifen. Einer seiner Gäste, ein mürrisch wirkender Mann, spricht Sven neugierig an.

»Sie sehen aber nicht wie ein Urlauber aus.«

»Da haben Sie recht, ich bin nur zur Hälfte auf Urlaub hier.« Jetzt ist auch bei den anderen Männern das Interesse geweckt und Sven ahnt, dass er sich da nicht mehr rauswinden kann. Also erzählt er lieber gleich von seinem Auftrag. Noch bevor er seinen ersten Gin Tonic ausgetrunken hat, ist die Diskussion voll im Gange. Die einen finden die Idee prima, endlich erfahren die Touristen auch etwas über die originale mallorquinische Küche und nicht nur über das Zeug, das ihnen in den Hotelhochburgen vorgesetzt wird und das sie dann mit dem landestypischen Essen verwechseln. Die anderen sind skeptisch, da sie befürchten, dass die Urlauber sich auch noch über ihre kleinen Insiderbars und Cafeterias hermachen. Sven hört interessiert zu, greift sich die eine oder andere grüne Olive, die säuerlich eingelegt ist, und lässt sich das überbackene Baguette mit Thunfisch und Käse schmecken. Immer wieder ertönt vom Bürgersteig das »Hola« eines Vorbeieilenden oder ein Bekannter kommt kurz rein, um zu fragen, wie es geht. Sven fühlt sich wohl, doch langsam sollte er aufbrechen. Nach dem dritten Gin Tonic und einer Vielzahl an Anregungen und Empfehlungen, was er sich anschauen muss, bezahlt er und verabschiedet sich von seinen neuen Bekannten. Im Hinausgehen fällt sein Blick wie zufällig auf zwei Einheimische, die etwas versteckt an einem kleinen Tisch sitzen und heftig diskutieren. Worüber die Männer reden, kann Sven nicht hören. Er schmunzelt, weil sich einer der beiden beim Reden pausenlos an seine große Nase fasst. Sven tritt auf die Straße in die Hitze und freut sich unbändig über das Licht, die Sonne und die netten Menschen.

El Gustario de Mallorca und das tödliche Elixier

Подняться наверх