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1.1 Qualitative Forschung – ein Sammelbegriff
ОглавлениеEine Vielzahl von Methoden
Was ist Qualitative Forschung? Qualitative Forschung ist zunächst einmal eine Sammelbezeichnung unter der Vieles und ausgesprochen Unterschiedliches zusammengefasst wird. Die eine, also einheitliche Qualitative Forschung als eine entwickelte in sich geschlossene Forschungsmethode gibt es nicht. Folgerichtig sind viele der in den letzten Jahren erschienenen Publikationen zur Qualitativen Forschung Sammelbände, die disparate Aufsätze zum Thema zusammenbringen und damit dem komplexen und vor allem unübersichtlichen Forschungsfeld Rechnung tragen. Für Studierende ist es kaum möglich, sich im Dickicht der Expertenbeiträge zu orientieren. Als Sammelbezeichnung verwendet, eignet sich der Begriff der Qualitativen Forschung (im Singular), um die Gemeinsamkeit der bezeichneten Forschung etwa gegen die Quantitative Forschung zu betonen. Geht es indes darum, die Vielzahl der qualitativen Methoden und Zugänge, die unter diesem Dach vereint werden, zu beschreiben, sollte man besser von qualitativen Forschungszugängen (im Plural) sprechen.
Mit der Qualitativen Forschung lassen sich Themen wie die Biografie von Lehrern oder von Taxifahrern erforschen. Es ist möglich, den unterschiedlichen Alltag von Männern und Frauen zu untersuchen oder die Freizeitinteressen von Kindern und Jugendlichen in den Blick zu nehmen. Mit der Qualitativen Forschung können Tagebücher und Briefe wissenschaftlich ausgewertet werden. Auch ist es möglich, das Verhalten von Schülern auf einem Schulhof zu beobachten oder Fotografien und Fernsehsendungen zum Thema Wohnen auf dem Lande zu analysieren.
Zugänge zum heterogenen Forschungsfeld
Es gibt eine große Anzahl von Forschungsansätzen, Forschungstraditionen und Forschungsmethoden. Hinzu kommt, dass der Qualitative Forschungsansatz in sehr unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen zu Hause ist und jeweils einen anderen Stellenwert, andere theoretische Einbindungen und jeweils disziplineigene Methodenansätze herausgebildet hat. Im „Handbuch Qualitative Sozialforschung“, das 1991 erschien, werden in der Hauptsache acht unterschiedliche Fächer ausführlich behandelt: Der Bogen reicht von der Soziologie über die Psychologie, Pädagogik und Geschichte bis zur Ethnologie (FLICK u. a. 1991). Da das Konzept der Qualitativen Forschung aber grundsätzlich offen ist, kann eine solche Aufzählung von Fachdisziplinen nur ein erster Zugang zum Forschungsfeld sein. Die fachspezifischen Zuordnungen decken keinesfalls die Vielfalt Qualitativer Forschungsbereiche angemessen ab. Zwei Aspekte gilt es zu bedenken: Zum einen lässt sich die Anzahl der akademischen Fächer, die qualitative Methoden einsetzen und ihren Forschungsgegenstand auch mit interpretativen Theorien beschreiben, beliebig erweitern. So finden sich auch in der Theologie, in den Medienwissenschaften, den Sprachwissenschaften oder den Wirtschaftswissenschaften (KAISER 2004) qualitative Ansätze. Zum anderen sind die Fächer keineswegs in sich homogen, was die wissenschaftlichen Forschungstraditionen betrifft. In der Erziehungswissenschaft existieren sehr heterogene Vorstellungen über qualitative Methoden (FRIEBERTSHÄUSER/PRENGEL 2003). So lassen sich etwa eine verzweigte und exzellent entwickelte Forschungsrichtung in der Biografieforschung (KRÜGER/MAROTZKI 1995) ausmachen und neue vielversprechende Ansätze in der pädagogischen Ethnografie erkennen (KELLE/BREIDENSTEIN 1998, ZINNECKER 1996, KRAPPMANN/OSWALD 1995). Vor allem in der Untersuchung von Kindergruppen in der Schule oder auf dem Schulhof wurden solche ethnografischen Ansätze erprobt.
Unübersichtlichkeit der Forschung
Schaut man sich etablierte Methodenbücher an, stößt man auf sehr unterschiedliche Darstellungsformen und Ordnungsmodi. Diese vielfältigen Ordnungsversuche verweisen auf ein dahinterliegendes Problem: Die Forschungslandschaft ist durch eine Unübersichtlichkeit gekennzeichnet, über deren Struktur keine klaren und einheitlichen Vorstellungen existieren. Diese fehlende Standardisierung schafft auf der einen Seite Raum für Offenheit und Kreativität qualitativer Projekte, öffnet aber auch die Tür für Projekte und Ansätze, die längst nicht nur das Prädikat „qualitätsvoll“ verdienen. Insbesondere sind im Schatten Qualitativer Forschung unzählige Berichte und Beschreibungen – Reiseberichte etwa im Fernsehen oder auf dem Sachbuchmarkt – entstanden, die sich scheinbar qualitativer Methoden (wie dem Interview oder der Teilnehmenden Beobachtung) bedienen, ohne dass sie wirklich auf Forschungsergebnissen beruhen.
Systematisierung der Vielfalt
In der Fachliteratur finden sich eine ganze Reihe von Systematisierungen, die das Ziel haben, das unübersichtliche Feld der Qualitativen Forschung zur ordnen. So kann die Qualitative Forschung gemäß der Abfolge des Forschungsprozesses dargestellt werden: Beginnend beim Forschungsdesign über die Datenerhebung bis zur Auswertung und Präsentation (FLICK 2005). Eine andere Systematik orientiert sich an der Anwendung der Qualitativen Forschung in unterschiedlichen Forschungsfeldern. Beispielsweise werden bei Eckard König und Peter Zedler in der Bilanz der Qualitativen Forschung acht pädagogische Felder benannt, in denen sich qualitative Zugänge etabliert haben (KÖNIG/ZEDLER 1995). Neben der qualitativen Bildungsforschung und der Schulpädagogik hat die Qualitative Forschung auch in so unterschiedlichen Feldern wie der sozialen Gerontologie, der beruflichen Bildung, der Medienpädagogik oder der Erwachsenenbildung Relevanz. An den unterschiedlichen Ansätzen lässt sich ein Grundprinzip der Qualitativen Forschung ablesen: Sie zeichnet sich durch eine prinzipielle Offenheit gegenüber neuen Ansätzen und differenzierten Lösungen aus, die der jeweiligen Forschungsfrage und des jeweiligen Forschungsfeldes angepasst sind. Damit ist die Qualitative Forschung auch eine Forschungsrichtung, die sehr deutlich durch ihre Geschichte und durch Vorbilder des qualitativen Forschens bestimmt ist. Folgerichtig ist im Handbuch von FLICK, VON KARDORFF und STEINKE (2000) auch von Forschungsstilen die Rede, die die Qualitative Forschung geprägt haben. In sieben folgenden Kapiteln werden dann Forscherpersönlichkeiten wie Anselm Strauss, Erving Goffmann, Harold Garfinkel, Paul Willis, Paul Parin, Clifford Geertz oder Norman K. Denzin vorgestellt. Die Kleinteiligkeit und die geringe Systematik des Qualitativen Forschungsfeldes ist also kein Mangel der theoretischen und methodischen Entwicklung des Ansatzes, sondern eine gewollte Qualität der Forschung. Vor diesem Hintergrund wundert es auch nicht, dass sehr unterschiedliche Theorien für die Qualitative Forschung von Bedeutung sind (etwa die Lebensweltanalyse, die Ethnomethodologie, der Symbolische Interaktionismus, die Geschlechterforschung, die Cultural Studies oder die Biografieforschung). Auch die Forschungsmethoden füllen ganze Bände sehr unterschiedlicher Zugänge und Verfahrensweisen.
Keine einheitliche Definition
Beim jetzigen Stand der Forschung ist es ein schwieriges Vorhaben, ein methodisches Feld, das in seiner Anlage auf Offenheit angelegt ist, systematisch und umfassend darzustellen. „So wird weder der Begriff der Qualitativen Forschung einheitlich definiert noch besteht, damit verbunden, ein Konsens über seinen Anwendungs- bzw. Geltungsbereich“ (GARZ 1995, S. 11). Diese Offenheit und Vielfalt erschwert sicherlich manchmal die Anerkennung der Qualitativen Forschung außerhalb ihrer eigenen Reihen, muss aber als Stärke einer Forschung angesehen werden, die angesichts einer komplexen, sich rasch verändernden Welt darauf verzichtet, allzu schnelle und voreilige Vereinfachungen zu akzeptieren.