Читать книгу Das geheime Leben des Ettore Majorana - Kriminalroman - Burkhard Ziebolz - Страница 10
4.
ОглавлениеHartmanns senkrechte Stirnfalte vertieft sich jedesmal, wenn ihm etwas bedenklich vorkommt und er darüber nachdenken muß. Seit er Victor Himmelreich kennengelernt hat und um die Art und Weise weiß, wie dieser an das Institut gekommen ist, furcht sie sich jedesmal, wenn er den jungen Mann sieht. Der klein gewachsene Hartmann hat nichts gegen Fürsprache oder Empfehlung, aber nur bis zu einer bestimmten, von ihm selbst definierten Grenze; in Himmelreichs Fall scheint diese überschritten worden zu sein. Weil er aber von Natur aus zu höflich ist – seine Frau nennt es schlicht feige –, seiner Kritik direkt und verbal Ausdruck zu verleihen, erschöpft sich diese in der Stirnfalte, und in gelegentlichem Runzeln der dichten Augenbrauen.
»Herr Himmelreich, darf ich Ihnen Doktor Majorana vorstellen. Er ist für einige Zeit an unser Institut gekommen, um sich über unsere Arbeiten zu informieren und uns an seinen Erkenntnissen teilhaben zu lassen.«
Himmelreich kennt Majorana natürlich, nicht erst aus den Vorgesprächen mit den Männern, die ihn nach Leipzig geschickt haben. Er kennt den Lebenslauf des gebürtigen Sizilianers, weiß um seine Arbeiten an der Universität in Rom, hat einiges davon gelesen und teilweise sogar verstanden. Vieles aber ist ihm verschlossen geblieben, liegt hinter einer Tür, die durch Intelligenz und Eifer allein nicht zu öffnen ist.
»Herr Majorana, darf ich Ihnen Victor Himmelreich vorstellen. Er kommt von Professor Schneider aus München zu uns, um seine Studien bei Professor Heisenberg fortzusetzen.«
Majoranas dunkles Gesicht mit den dicken Lippen, möglicherweise Erbe afrikanischer Vorfahren, verbreitert sich in ein höfliches Lächeln. Er ist größer, als Victor ihn sich vorgestellt hat, entspricht aber sonst genau den Bildern, die er bei seinen Berliner Auftraggebern gesehen hat: Schwarzes Haar, mit Pomade zu einer korrekten Frisur geformt, dunkle, melancholische Augen, eine relativ breite Nase. Sein Deutsch ist holprig und unsicher, er sucht nach jedem Wort, aber man versteht ihn.
»Guten Tag.«
»Professor Heisenberg hilft Herrn Majorana ein wenig mit dem Deutschen, und er hat schon viel dazu gelernt während seines Aufenthaltes.«
Hartmann fühlt sich offenbar zu dieser Entschuldigung genötigt, so, als trüge er selbst die Verantwortung für das schlechte Ausdrucksvermögen seines Gastwissenschaftlers.
Himmelreich lächelt ebenfalls und reicht dem Sizilianer die Hand. Sein Italienisch, das bis vor ganz kurzer Zeit noch so hölzern geklungen hat wie Majoranas Deutsch, ist durch den Intensivkurs – acht Stunden am Tag, vierzehn Tage lang – flüssig und auf dem aktuellsten Stand italienischer Sprachgewohnheiten.
»Freut mich ebenso. Und es freut mich besonders, daß ich mein Italienisch etwas üben kann.«
Über das Gesicht des Gegenübers huscht ein Ausdruck der Freude, schnell wie der Schatten eines Vogels. Als er antwortet, scheint er ein anderer Mensch zu sein. Wie wichtig es ist, sich ausdrücken zu können, denkt Himmelreich. Intelligenz ist wichtig, aber Sprache ist für den ersten Eindruck noch wichtiger. Sie macht den Menschen, gibt ihm Gesicht und Charakter; ohne Sprache ist er nichts.
»Wo haben Sie so gut Italienisch gelernt? Es ist fast perfekt.«
Himmelreichs Lächeln ist wie eingemeißelt. Er ist kein Schauspieler, es fällt ihm schwer, eine bestimmte Miene ohne natürliche Veranlassung über längere Zeit beizubehalten. Aber er hat sich gut auf den Moment der ersten Begegnung vorbereitet, und er denkt daran, daß er nicht hier wäre, gäbe es den Italiener nicht.
»Meine Mutter war Halbitalienerin. Leider starb sie zu früh, deshalb sind meine sprachlichen Fähigkeiten eher begrenzt geblieben. Aber ich war einige Male in ihrem Land, im Urlaub.«
Die erst Lüge, die ersten zwei sogar, von vielen, die noch kommen werden. Sie geht ihm flüssig von den Lippen, und es bleibt nichts zurück in seinem Mund, kein bitteres Gefühl der Schuld oder auch nur der schale Geschmack von Schäbigkeit.
Hartmanns Staunen ist nicht zu übersehen. Er betrachtet Himmelreich auf einmal anders, mit mehr Respekt und interessierter, so, wie man im Zoo ein seltenes, schönes Tier begutachtet.
»Ich wußte nicht, daß Sie des Italienischen mächtig sind.«
Himmelreichs Lächeln ist nicht weniger nachsichtig als das Majoranas vorher, und nur etwas demütiger.
»Es gab keinen Grund, das an die große Glocke zu hängen, zumal es auch mit meinem Fachgebiet nichts zu tun hat. Außerdem ist es nicht so gut.«
»Wie auch immer, es freut mich sehr für unseren italienischen Kollegen. Offen gestanden, außer Professor Heisenberg hat er hier nicht viel Kontakt. Er spricht kaum deutsch, und die meisten der Mitarbeiter scheuen den Ausflug auf ein sprachliches Terrain, das ihnen fremd ist. Ich nehme mich da übrigens nicht aus.«
Majorana, der der deutsch geführten Unterhaltung mit Interesse und offenkundigem Unverständnis gefolgt ist, blickt Himmelreich auffordernd an. Er blickt nicht Hartmann an, sondern Himmelreich, wie dieser mit Befriedigung registriert. Der andere hat ihn offenbar schon akzeptiert, und nicht nur das, er räumt ihm nach der kurzen Bekanntschaft schon eine Sonderstellung ein: Ansprechpartner, vielleicht Beistand, wenn es mal Verständnisprobleme oder andere Schwierigkeiten gibt.
Victor Himmelreich, Sohn eines Ladenbesitzers aus Nürnberg, ist mit sich zufrieden.