Читать книгу Das geheime Leben des Ettore Majorana - Kriminalroman - Burkhard Ziebolz - Страница 12

6.

Оглавление

Einmal, als ich noch ein Kind war, spielten wir auf einem alten Grundstück am Stadtrand. Es war eine Ruine, ein altes, großes Haus, das früher sicher mal das Heim reicher Leute war.

Luigi zählte und wir versteckten uns. Ich rannte in den Keller des Hauses, ein dunkler, unheimlicher Ort, und allein deshalb ein gutes Versteck. Schon die Treppe war ein Abenteuer, so verfallen wie sie war; ich tastete mich hinab, Schritt für Schritt, langsam, um nicht zu stolpern, aber auch, um mich nicht durch ein Geräusch zu verraten.

Die Treppe war lang, und schon auf halber Strecke brach mir der Schweiß aus. Ich war sechs Jahre alt, und alles andere als mutig. Ich hielt an. Von oben drang das Zählen Luigis herab – bis fünfzig, hatten wir ausgemacht. Er war bei zwanzig.

Da stand ich nun. An Umkehren war nicht zu denken, mein Erscheinen im Erdgeschoß wäre genau mit Luigis Fünfzig zusammengefallen, er hätte mich sofort gesehen. Hier stehenbleiben konnte ich aber auch nicht.

Ich blickte nach unten. Natürlich gab es kein Licht mehr in dem alten Gebäude, und keiner von uns hatte an eine Lampe gedacht, als wir hierher kamen. Es war sehr dunkel am Ende der Treppe.

Ich mußte weiter.

Schritt für Schritt, Stufe für Stufe, trieb es mich voran. Ich versuchte, das Dunkel mit den Augen zu durchdringen, und je tiefer ich kam, um so klarer wurde mir, daß keine Dunkelheit wirklich vollkommen und überall ein wenig Licht ist. Naja, so ähnlich dachte ich jedenfalls.

Dann war ich unten angekommen und sah, warum es nicht ganz dunkel war: Aus einer Nische fiel ein schwacher Lichtstrahl. Wie magisch angezogen ging ich in die Richtung und stand schließlich unter einem spinnwebenverhangenen Kellerfenster.

Ganz ruhig stand ich da, ohne mich zu rühren. Das Zählen hatte aufgehört und es drang kein Geräusch mehr in den Keller. Das einzige, was ich noch hörte, war mein eigener Atem, leise und doch unnatürlich laut in der staubigen Ruhe des Raumes.

Offenbar hatten die anderen nicht gehört, wo ich hingegangen war.

Nach zehn Minuten, in denen sich weder Luigi noch irgend ein anderer meiner Freunde auf der Treppe gezeigt hatte, war ich sicher, das beste Versteck von allen gefunden zu haben. Die Angst vor dem dunklen Keller war mein wirkungsvollster Schutz, spürte ich, und ich war nicht wenig stolz, daß ich selber sie halbwegs besiegt hatte.

Allmählich hatten sich die Augen an das Dunkel gewöhnt, und ich begann, wieder Einzelheiten auszumachen. Der Keller war beinahe leer und unglaublich schmutzig. Spielende Kinder, vielleicht auch herumstreunende Tiere, hatten offenbar alles hereingetragen, was sie in der Umgebung gefunden hatten: leere Flaschen, Blätter Zeitungspapier, ein brauner Filzhut, ein Stück Leder, das so aussah, als hätte es einmal zu einem Pferdegeschirr gehört, ein Bündel brauner Lumpen in einer der Ecken des Raumes und vieles mehr, alles überzogen von einer dicken Schicht Staubes. Aber es gab auch andere Dinge, die wohl schon immer hier gestanden hatten, ein alter Stuhl, ein Tisch mit nur noch drei Beinen. Nichts davon reizte meine Neugier.

So wartete ich noch mal zehn Minuten. Für ein spielendes Kind ist das eine Ewigkeit! Wieder gingen meine Augen auf Wanderschaft, in einer Mischung aus Furcht und Neugier tasteten sie den Fußboden ab, glitten über Wände und Decken. Dann blieben sie an etwas hängen.

Es schien ein Fleck an der Decke direkt über mir zu sein. Ich trat zögernd einen Schritt vor. Nein, kein Fleck, es war ein Loch, fünfzehn mal fünfzehn Zentimeter, vielleicht eine Stelle, an der ein Stein aus der Decke gefallen war und eine leere Höhle hinterlassen hatte.

Aus irgendeinem Grund fesselte das Loch meine Aufmerksamkeit. Es fesselte sie so sehr, daß mir der Abmarsch meiner Freunde völlig entging. Nach langer Suche hatten sie es aufgegeben, mich in der Ruine finden zu wollen, und waren auf dem Weg nach Hause, in der Hoffnung, mich dort anzutreffen.

Ich war allein in dem großen, verfallenen Haus. Ein sechsjähriger Knabe, völlig allein in einem fremden, dunklen Keller. Angst? Nein, Angst hatte ich in diesem Moment nicht mehr. Wie gesagt, ich konnte wieder etwas sehen, das machte mich sicher, und dann war da das interessante Loch.

Ich trat noch näher, war nun direkt darunter. Es ... schien sich etwas zu bewegen in den Tiefen der Höhlung. Ich beobachtete angestrengt. Da ... da war es wieder. Ein Huschen, schnell und verstohlen, begleitet von einem kurzen, trockenen Rascheln. Dann war es vorbei.

Dem mußte ich auf den Grund gehen.

Wie bitte? Ja, vielleicht haben Sie recht, wenn Sie da den kleinen Forscher sehen. Vielleicht war das schon immer in mir. Ich denke aber eher, es war nur kindliche Neugier. Jedenfalls, ich wartete bestimmt zwanzig Minuten unter dem Loch, ohne daß sich etwas tat: keine Bewegung, kein Geräusch. Wie hypnotisiert starrte ich hinauf. Ich wußte, da war etwas gewesen, dachte an eine größere Höhlung hinter der, die ich sehen konnte; die Decke wäre dick genug gewesen, ein niedriges Zwischenstockwerk aufzunehmen, zumindest aus meiner damaligen Sicht.

Aber es tat sich nichts.

Ein Stock stand zwei Meter von mir entfernt, an die Wand gelehnt. Eigentlich war es eher ein Ast, aber ein sehr gerader und gleichmäßig gewachsener ohne Nebenäste. Ich nahm ihn in die Hand. Er war schwer, und er war lang genug und würde hinauf reichen.

Dann stand ich wieder unter dem Loch, hob den Stock und schob ihn ganz langsam hinein, als hätte ich Angst, etwas darin zu zerstören. Nach ungefähr dreißig Zentimetern, so schätze ich, stieß ich auf harten Widerstand.

Es ging nicht weiter.

Ich stocherte weiter, angestrengt, erhitzt, den Kopf hochrot, in dem Loch herum, fast besessen kratzte ich und stieß an die Seitenwände, den Blick immer nach oben gerichtet.

Da passierte es.

Etwas haariges, großes Schwarzes fiel herab, ich spürte das Gewicht mitten in meinem Gesicht, auf dem linken Jochbein, und kroch auf flinken Beinen in Richtung meines Hemdkragens.

Meine Erinnerung an diesen Moment ist nicht ganz klar, aber das Gefühl der Panik in mir ist immer noch präsent wie damals. Ich weiß, ich schrie wie am Spieß, ließ den Stock fallen und fegte mit den Händen wie ein Besessener über Gesicht und Hals, immer wieder. Die Spinne war sicherlich die größte gewesen, die ich jemals gesehen hatte, eine Tarantel vielleicht oder sonst etwas Unangenehmes. Glücklicherweise zeigte sie keinerlei Interesse, mein Hemd als Ersatz für ihre Höhle zu benutzen. Vielmehr ließ sie sich auf den Boden fallen und verschwand blitzschnell in der Dunkelheit.

Ich schrie weiter, auch als sie schon weg war. Durch den Lärm hindurch, den ich selber machte, nahm ich aber auf einmal noch ein Geräusch war: Ein dröhnendes Lachen. Jemand lachte, ganz ungeniert laut und ganz nah bei mir.

Ich fuhr herum. Das braune Kleiderbündel in der Ecke, daß ich für Müll gehalten hatte, hatte seine Form verändert. Es war ein Mensch, die ganze Zeit war jemand mit mir zusammen hier unten gewesen, bewegungslos, am Anfang vielleicht schlafend und dann durch meine Bewegung aufgewacht. Er hatte alles mit angesehen!

Wie der Blitz lief ich die Treppe hinauf, immer noch brüllend, das Lachen des Fremden trug mich hinauf wie auf Flügeln. Ich lief immer weiter, aus dem Haus, den Weg hinunter, und erst nach ein paar hundert Metern hatte ich den Mut, stehenzubleiben und zu verschnaufen.

Wer er war? Keine Ahnung. Ein Landstreicher, ein Zigeuner vielleicht, der dort unten sein Lager oder seinen Schlafplatz hatte. Ich habe ihn nie wiedergesehen, glaube ich jedenfalls.

Denn sicher hätte ich ihn nicht erkannt.

Das geheime Leben des Ettore Majorana - Kriminalroman

Подняться наверх