Читать книгу Das geheime Leben des Ettore Majorana - Kriminalroman - Burkhard Ziebolz - Страница 17

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Die letzte Woche bricht an, noch sieben Tage, dann fährt Majorana zurück. Beinahe anderthalb Tage wird die Fahrt nach Rom dauern, bis Sizilien noch länger.

Er freut sich nicht, daß die Zeit in Deutschland zu Ende geht, jedenfalls nicht so, wie er es sich vorgestellt hat am Anfang seines Auslandsaufenthaltes. Zu anregend und spannend war es in Leipzig, insbesondere die Bekanntschaft mit Werner Heisenberg. Und er hat andere Freunde hier gewonnen: Himmelreich, Freeman, eine Handvoll anderer Physiker, sogar mit Nishimura, dem Japaner mit den amerikanischen Allüren, kommt er jetzt gut zurecht. Je besser sein Deutsch wird, desto mehr Kontakt findet er.

Und dann Irmgard.

Majoranas Erfahrung mit Frauen ist begrenzt, zu sehr hat er bisher in einer Welt gelebt, in der sich alles mit Gleichungen und Vektoren beschreiben läßt. Irmgard ist wie ein frischer Wind, der alles beiseite fegt, was ihn von einem normalen Dasein trennt. Aber will er das? Das ist die Kernfrage. Sein Leben gefällt ihm eigentlich, wie es ist.

Er sitzt am Schreibtisch seines Büros im Erdgeschoß des Institutes und blickt aus dem offenen Fenster. Es gibt mehrere Zimmer für die sogenannten Fortgeschrittenen, alle im Erdgeschoß, aber seines ist das schönste: ein Eckzimmer mit Aussicht in zwei Himmelsrichtungen, nur wenige Türen vom Büro Heisenbergs entfernt.

Hätte er überhaupt eine Chance bei ihr? Immer, wenn sie zusammen sind, hat er ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Es ist, als warte sie nur drauf, daß er etwas sagt, um darauf reagieren zu können. Sie verhält sich nicht allen gegenüber so, das hat er am Anfang mit noch kritischer Distanz beobachtet. Es ist schon eine Art Sonderbehandlung, die er bekommt. Und wie gut sie sich unterhalten können! Natürlich ist sie keine Physikerin, aber sie ist sehr interessiert an allem, was Ettore ihr über seine Arbeit erzählt. Und Ettore, der gewöhnlich große Mühe hat, sich überhaupt zu äußern, erzählt ihr viel.

Er stochert lustlos in den Unterlagen, die er zu ordnen hat. Eine Veröffentlichung hat er geschrieben in der Zeit seines Hierseins. Er ist sehr zufrieden, denn dafür, daß er nur gekommen war, um zu lernen, ist das eine sehr ordentliche Ausbeute. Aber natürlich hat es mehr gegeben, Hunderte von Notizzetteln und andere Aufzeichnungen, hastig niedergeschrieben, um den flüchtigen Gedanken zu konservieren. Eine von Majoranas Eigenarten ist, sich Dinge auf dem Papier seiner Zigarettenpackungen zu notieren, und so liegen auch ein paar zerdrückte Macedonia-Schachteln auf dem Tisch und harren der wissenschaftlichen Erfassung.

Warum hat er ihr so viel erzählt, über sich und sein Leben, wo er doch gewöhnlich einen wahren Horror davor hat, zuviel preiszugeben? Er weiß es nicht genau, aber wahrscheinlich ist es, weil er sich ihrer Sympathie so sicher ist. Im tiefsten Inneren ahnt er, daß seine Introvertiertheit ihre Wurzeln in einer Unsicherheit hat. Er kann es nicht ertragen, wenn andere seine Ideen nicht mit dem gleichen Enthusiasmus aufnehmen, mit dem er sie von sich geben würde, und er hat Schwierigkeiten, gut mit Kritik umzugehen, darum sagt er am liebsten gar nichts. Bei Irmgard ist er sich sicher, daß kaum Kritik kommen wird, dazu weiß sie zu wenig. Und dann ist da natürlich noch ihr Äußeres. Mädchen wie Irmgard gibt es im Süden Italiens nur selten: blond, hochgewachsen – sie ist ein wenig größer als er selber –, von kräftiger Statur und mit für eine Frau breiten Schultern. Mehr als einmal ertappt er sich, wie sein Blick an ihrem drallen Busen hängenbleibt. Er weiß, daß ihr dies nicht verborgen bleibt, aber sie sagt nichts und ändert ihr Verhalten ihm gegenüber nicht, wenn sie ihn dabei ertappt.

Seufzend macht er sich wieder an die Arbeit, als es an der Tür klopft und der Institutsleiter eintritt. Ettore dreht sich auf seinem Stuhl herum.

»Professor Heisenberg. Was kann ich für Sie tun?«

Werner Heisenbergs Miene ist ernst, ernster als er sie in der ganzen Zeit in Leipzig jemals gesehen hat. Heute sieht er nicht aus wie ein Junge, den man in einen Anzug gesteckt hat, sondern wirkt tatsächlich eher wie ein Nobelpreisträger.

»Doktor Majorana, würden Sie mich bitte kurz nach unten begleiten? Es ist etwas sehr Ernstes passiert, und ich glaube, Sie sind nicht ganz unschuldig daran.«

Ettores Miene umwölkt sich nun ebenfalls, sein Lächeln verschwindet. Was kann der andere meinen? Aber Heisenberg läßt sich auf kein weiteres Gespräch mehr ein, schreitet vor ihm durch die hohen Flure mit den zur Hälfte mit Ölfarbe bemalten Wänden. Gemeinsam gehen sie nach unten; Ettore ist immer noch ein wenig nachdenklich, aber schon auf dem Absatz der breiten Treppen zerstreuen sich seine Bedenken und sein Lächeln stellt sich wieder ein.

Die große Halle mit dem Dach aus Glas, durch das die Sonne hereinscheint, ist voll. Alle Kollegen sind versammelt, die meisten halten Gläser in der Hand. Als der Italiener vor ihnen steht, bilden sie eine Gasse und geben den Blick frei auf ein kleines Büfett.

Hartmann drückt Heisenberg und Majorana ebenfalls Gläser in die Hand, und der Professor wendet sich den Anwesenden zu.

»Als ich eben Herrn Majorana abholte, sagte ich ihm, es sei etwas Ernstes passiert, und das ist gar nicht mal so unrichtig. Die Tatsache, daß Sie uns verlassen, ist ernst genug, denn das Institut für Physik verliert mit Ihnen einen guten Kollegen. Als Sie vor einem halben Jahr zu uns kamen, waren Sie uns nur auf dem Papier ais hervorragender Physiker bekannt. Wir konnten uns täglich davon überzeugen, daß das stimmt, aber es ist noch mehr passiert, denn Sie verlassen uns jetzt als Freund.«

Er spricht etwas schneller als sonst – leichte Verlegenheit treibt seine Sätze wie der Herbstwind die gefallenen Blätter. Ettore versteht nicht jedes Wort, aber der Sinn ist ihm klar, und er erhebt bewegt das Glas.

»Vielen Dank. Ich werde viel von hier mitnehmen, und es wird sich dabei nicht nur um Wissen und neue Ideen handeln.«

Alles drängt sich um ihn, stößt mit ihm an, Himmelreich zuerst, dann Nishimura, dann die anderen. Und dann sieht er Irmgard inmitten der Leute; sie steht da und lächelt ihn an, und einen Moment lang hat er das Gefühl, mit ihr alleine zu sein, im Lichtkegel eines Scheinwerfers, und die anderen stehen nur als vage, schattenhafte Kulissen um sie herum. Eine Hand greift nach seinem Herzen und drückt es schmerzhaft zusammen wie einen Schwamm.

Und er weiß: Wenn es jemals eine Frau für ihn gäbe, so wäre sie es, Irmgard Himmelreich.

Später, wenn er sich an das Mädchen erinnert, wird er sie meist so sehen wie in dieser einen Szene. Irmgard, in einem weißen, sommerlichen Kleid, die blonden Haare nach hinten frisiert und ihn anlächelnd, so behält er sie in Erinnerung.

Victor aber wird später ein ganz anderes Bild seiner Schwester in Erinnerung haben, das ihn über viele Jahre verfolgen wird.

Das geheime Leben des Ettore Majorana - Kriminalroman

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