Читать книгу Das geheime Leben des Ettore Majorana - Kriminalroman - Burkhard Ziebolz - Страница 11
5.
ОглавлениеAnfang Juni gibt Heisenberg ein Fest für einige Freunde und Kollegen des Institutes – natürlich ist auch Majorana eingeladen. Heisenberg hat großes Interesse an dem jungen Mann, größeres als an vielen anderen seiner Mitarbeiter. Die zwei spielen abends oft Schach zusammen, und Heisenberg tut sein Bestes, um dem Italiener die deutsche Sprache näher zu bringen.
Als seine Mutter ihn einmal fragt, wieso er Majorana diese Sonderbehandlung unter all seinen Mitarbeitern angedeihen läßt, antwortet Heisenberg:
»Weil er Physik denkt. Er arbeitet nicht als Physiker, er lebt Physik, und denkt Physik.«
»So wie du«, ergänzte seine Mutter, und Heisenberg hatte genickt.
Es stimmte. Majoranas alleiniges Interesse richtete sich auf sein Fachgebiet, und dafür ist ihm eine Art natürlicher Begabung in die Wiege gelegt worden. Majorana lebt Physik, atmet Physik, bewegt sich in ihr wie in einer fremden Dimension, die nur wenigen Eingeweihten zugänglich ist. Daß seine Karriere dennoch nicht bilderbuchmäßig verläuft wie bei Heisenberg und schließlich wie bei diesem zwangsläufig mit dem Nobelpreis endet, liegt an seiner introvertierten Art und fast manischen Zurückhaltung. Er haßt es, im Mittelpunkt zu stehen, und behält daher seine Gedanken – so gut sie auch sein mögen – für sich, so lange es nur eben geht. Heisenberg ist in diesem Punkt übrigens völlig anders, er will immer überall der Beste sein – egal ob in der Physik, beim Spiel oder Sport – und wenn er es ist, zeigt er es auch.
Enrico Fermi, Majoranas alter Chef und Doktorvater in Rom, seinerseits einer der begnadetsten Physiker seiner Zeit, hat Ettores Art akzeptiert und entsprechende Rücksicht darauf genommen. Hätte er ihn zwingen sollen, mehr aus sich zu machen? Damit wäre niemandem gedient gewesen, am allerwenigsten Ettore selbst. Also läßt er ihn einfach arbeiten, und wo er kann, macht er die Gedanken seines Zöglings der Öffentlichkeit zugänglich und festigt dessen Ruf als Wissenschaftler von beachtlichem Rang. Und Majorana, der dies wohl bemerkt und zu schätzen weiß, dankt es ihm mit absoluter Loyalität.
Trotzdem werden die zwei niemals richtige Freunde.
Sie unterhalten sich oft privat, und wenn sie im Institut alleine sind, messen sie sich manchmal scherzhaft im Wettrechnen: Fermi löst dabei eine komplizierte Gleichung mit Papier und Bleistift, und Majorana rechnet dasselbe im Kopf. Wenn Fermi fertig ist, hat Majorana die Gleichung meistens schon gelöst. Das ist der Unterschied, den Heisenberg meint.
Der eine erarbeitet es sich und wendet dabei Methoden an, die er gelernt hat.
Der andere denkt es einfach.
Die Gesellschaft in Heisenbergs Haus in Leipzig setzt sich aus Freunden und ein wenig lokaler Prominenz zusammen. Außer Majorana sind nur drei Institutsangehörige eingeladen: Paul Hartmann, Saito Nishimura, ein japanischer Gastforscher, und natürlich – weniger aufgrund seiner guten Beziehungen nach Berlin als aus einer Laune Heisenbergs heraus – Victor Himmelreich. Insgesamt sind an diesem Abend etwa dreißig Personen anwesend.
Majorana fühlt sich in großen Gesellschaften immer unwohl. Er hat das Gefühl, daß die anderen Gäste ihn beobachten wie irgendein exotisches Tier, und vielleicht sogar etwas Besonderes von ihm erwarten, irgendein Kunststückchen oder einen Beweis seines überragenden Intellekts. Natürlich passiert das nie wirklich, und gewöhnlich legt sich das unsichere Gefühl nach einer Weile, wenn er durch die Gespräche abgelenkt ist.
Nur heute legt es sich nicht.
Halb unbewußt dreht er den Kopf hin und her. Ist da nicht vielleicht wirklich jemand, der ihn ansieht? Natürlich gibt es immer irgendwen, der in seine Richtung blickt, aber tut er dies möglicherweise mit größerem Interesse als es der Situation angemessen wäre? Er sieht sich verstohlen die Gesichter an, eines nach dem anderen, wird dabei – paradoxerweise – selbst zum Beobachter der anderen, ohne irgend etwas Ungewöhnliches entdecken zu können.
»Darf ich mich setzen?«
Die Stimme ist zu hoch für einen Mann, und zu tief für eine Frau. Ettore blickt auf, direkt in das lächelnde Gesicht des japanischen Gastforschers Saito Nishimura. Sein Deutsch, auf der Schule in Osaka ausgefeilt, ist sehr gut, ohne die asiatische Abkunft leugnen zu können.
»Bitte.«
Der Japaner verbeugt sich leicht, stellt sich vor und nimmt in dem Sessel ihm gegenüber Platz. Er zieht ein silbernes Zigarettenetui aus der Tasche und bietet es ihm an.
»Möchten Sie? Ah, ich sehe, Sie haben schon.«
Ettore hält demonstrativ seine eigene Packung Macedonia hoch.
»Trotzdem – vielen Dank.«
Nishimura zündet eine türkische Zigarette an und saugt den Rauch tief ein. Er trägt einen perfekt sitzenden Cut. Über der Weste, unter der Jacke, erkennt Majorana eine rote Schärpe mit fremdartigen Schriftzeichen, die quer über der Brust liegt. Eine Auszeichnung vielleicht, oder das Zeichen der Zugehörigkeit zu irgendeiner Gruppe.
»Sie sind Herr Majorana, nicht wahr? Ich habe mit großem Interesse Ihre letzte Abhandlung Über die Kerntheorie gelesen. Alles, was sie geschrieben haben, war für mich sehr schlüssig und nachvollziehbar. Und Ihre Doktorarbeit über die Quantentheorie der radioaktiven Atomkerne war wirklich herausragend. Meine Gratulation.«
»Vielen Dank.«
Majoranas Antwort fällt einsilbig aus. Er hofft, der andere wird nicht weiter auf dem angefangenen Thema bestehen; dafür ist er sogar bereit, seine schüchterne Zurückhaltung zu überwinden und die Initiative des Gespräches zu übernehmen.
»Und Sie sind Doktor Nishimura, aus Hiroshima in Japan. Auch ich bin mit einigen ihrer Arbeiten vertraut und finde sie ausgezeichnet. Wie lange sind Sie schon hier in Deutschland?«
»Etwa ein halbes Jahr. Zuerst in Hamburg, seit ein paar Tagen hier in Leipzig.«
»Ihr Deutsch ist hervorragend, soweit ich dies als Ausländer beurteilen kann. Wo haben Sie es so gut gelernt?«
Das Lächeln des Asiaten scheint seinem Naturell zu entsprechen. Es verändert sich nicht; kein einziges Mal während ihres Gespräches wird es intensiver oder weniger freundlich, sondern bleibt immer gleich flach – eine perfekt sitzende Maske.
»In der Schule. Deutsch war eines meiner liebsten Fächer, überhaupt alle Sprachen.«
»Und dennoch sind Sie dann Physiker geworden.«
»Physik war mir noch lieber. Und wie war es bei ihnen?«
Ja, wie war es eigentlich? Ettore hat sich nie darüber Gedanken gemacht, warum aus einem sizilianischen Jungen das geworden ist, was er heute ist.
»Also, Sprachen waren nicht mein bevorzugtes Gebiet. Aber die Physik ... seltsam, mir ist nie der Gedanke gekommen, ich hätte etwas anderes machen können.«
Nishimura nickt, ruckartig, wie zur eigenen Bestätigung. Der Italiener bemerkt am Revers des Mannes eine Anstecknadel, silbern mit einem japanischn Schriftzeichen, das beinahe wie eine germanische Rune aussieht.
Der Japaner registriert seinen Blick, und einen Moment lang zuckt Unbehagen durch sein Gesicht wie ein Blitz durch eine Regenwolke.
»Sie kommen von Professor Fermi in Rom?«
»Ja, von Fermi.«
»Einer der fähigsten Köpfe der Gegenwart, zusammen mit unserem Gastgeber. Und Ihnen, wenn Sie mir erlauben, das zu sagen.«
Ettore fühlt einen seltsamen Geschmack im Mund, der nicht von dem kommt, was er getrunken oder gegessen hat. Warum tut der andere das? Warum schmeichelt er ihm?
»Das ist zuviel der Ehre. Die beiden Herren sind doch noch eine andere Klasse als ich.«
Majoranas Blick irrt hilflos durch den Raum, um schließlich an Victor Himmelreich hängen zu bleiben, der mit Hartmann auf der anderen Seite des Raumes steht. Victor prostet ihm quer durch den Raum mit dem Cognacglas zu. Ettore kann das Wort Salute von seinen Lippen ablesen und nickt ihm verstehend zurück.
Der Japaner läßt sich nicht ablenken.
»Sie sind zu bescheiden. Woran haben Sie denn bei Fermi gearbeitet?«
Der Mann ist denkbar untypisch für die Mentalität seines Landes. Ettore kennt ein paar andere Japaner. Alle sind zurückhaltende Zeitgenossen, die nicht viel reden und selten eine Frage stellen, die nicht imbedingt nötig ist. Eine Konversation wie diese hier hat er noch nie erlebt.
»Wir haben auf dem Gebiet der Quantentheorie gearbeitet.«
Dieser Allgemeinplatz, einem Kollegen gegenüber geäußert, ist fast schon eine Beleidigung und zeigt überdeutlich, daß er nicht darüber reden will, aber der Japaner bleibt ganz gelassen und freundlich und verfolgt weiter sein Konzept.
»Ah ja, ich habe darüber gelesen. Sehr interessant. Sagen Sie, es gab Gerüchte über Forschungen an Waffentechnologien an ihrem Institut. Ist da etwas dran?«
»Nein. Ich habe auch davon gehört, aber das ist völlig aus der Luft gegriffen. Bei Fermi findet nur Grundlagenforschung statt.«
Das Lächeln im Gesicht des anderen bleibt, verändert sich aber leicht, in einer Art, die Ettore nicht deuten kann.
»Ach, schade. Ich finde die praktische Anwendung der Forschung immer genauso spannend wie die Forschung selbst. Entschuldigen Sie mich jetzt – dort ist unser Gastgeber, und ich habe ein paar Fragen an ihn.«
Nishimura erhebt sich und macht eine Verbeugung auf die ihm typische Art. So schnell, wie er gekommen ist, verschwindet er wieder.
Majorana, dessen Unruhe durch das Gespräch noch zugenommen hat, wendet sich wieder in Richtung Himmelreich. Als er sieht, daß dieser allein ist, nimmt er sein Glas und seine Zigarette und gesellt sich zu ihm.
Er spricht ihn auf italienisch an, wie immer, wenn sie allein sind.
»Kennst du diesen Nishimura?«
»Nicht besser als du. Wollte er etwas Bestimmtes?«
Die beiden haben sich angefreundet in den letzten Wochen. Wie sein Auftraggeber es geplant hat, ist Victor über den Status eines Kollegen hinausgewachsen, ist fast schon ein Freund geworden. Und jetzt, ... jetzt ist die Zeit reif für die eigentliche Arbeit, den lange vorbereiteten Zweck der Operation.
Nur die Gelegenheit hat sich noch nicht ergeben.
»Nur allgemeine Konversation.«
Himmelreich grinst.
»Er ist ziemlich abrupt aufgestanden. Ich hoffe, du hast ihn nicht beleidigt.«
»Bei diesen Asiaten weiß man ja nie. Aber ich glaube, ich habe nur eine seiner Fragen nicht erwartungsgemäß beantwortet. Er wollte wissen, ob Fermi an Waffen gearbeitet hat.«
Die Chance. So schnell hat der andere nicht damit gerechnet. Nun heißt es ruhig bleiben und die Gunst der Stunde nutzen. Er sammelt sich, wie soll man anfangen, und er merkt, daß ihm schwerfällt zu tun, weshalb er eigentlich hier ist.
Aber dann kommen die Worte doch heraus.
»Und? Hat er?«
»Natürlich nicht. Du weißt, was wir getan haben.«
»Aber es gibt diese Gerüchte ...«
Ettore verdreht die Augen in komischer Ungeduld.
»Du meinst die Todesstrahlen.«
»Eben die. Ein Strahl, von Italien aus einer von Fermi gebauten Apparatur abgeschossen, tötet eine Sekunde später in Algerien eine friedlich grasende Kuh.«
»Äthiopien. Ich kenne die Geschichte auch. Wie dem auch sei – es klingt wie ein Witz, und es ist auch einer.«
Er klingt glaubwürdig, wie er das so abstreitet, aber wer kann schon in einen Menschen hineinblicken? Himmelreich weiß, was er weiß.
»Du darfst nicht darüber reden, stimmt´s? Mit der Technologie dieser Strahlen ließe sich eine Menge erreichen, und viel Geld machen. Ich kenne da jemanden, der ...«
Er bricht ab, als er Ettores erstaunten Blick auf sich fühlt. Es ist kein normales Thema für Ettore, merkt er erschreckt. Ich bin unbedacht einen Schritt zu weit gegangen, denkt er, über die Grenzen der Freundschaft hinaus. Verdammt, ich kann das nicht. Warum nehmen sie keinen Experten für so etwas.
Glücklicherweise erlöst ihn einen Augenblick später Paul Hartmann aus der unangenehmen Situation. Er hat den letzten Teil von Himmelreichs Rede noch gehört.
»Die Todesstrahlen? Das wäre was für uns. Das würde uns endlich dahin bringen, wo wir hingehören.«
Hartmann ist angetrunken, ein Zustand, den weder Himmelreich noch Majorana bisher an ihm gesehen haben. Etwas schwankend steht er da, mit wäßrigen, vorquellenden Augen, ein halbleeres Glas in der Hand.
Ettore räuspert sich.
»Wo gehören wir denn hin? Und wer sind wir?«
Hartmann sieht ihn auf schwer zu deutende Weise an, einerseits wohlwollend, andererseits mit leichtem Widerwillen.
»Wir sind die Deutschen, und wir gehören an die Spitze. Und unser Führer Adolf Hitler wird uns dorthin bringen, das können Sie mir glauben. Die Erde wird zittern, und wohl den Völkern, die sich zu unseren Verbündeten zählen dürfen.«
Er redet sich in Rage, wobei er sich der abgehackten Diktion bedient, die die rhetorische Norm dieser Tage darstellt. Schweißperlen stehen auf seiner Stirn und bilden einen glänzenden Film. Er sieht ungesund aus, wie er da in seinem schlecht sitzenden grauen Anzug steht, ungesund nicht auf eine physische, sondern auf eine moralische Art.
Seine beiden Zuhörer beobachten ihn mit unterschiedlichen Gefühlen. Himmelreich fühlt leichtes Unbehagen. Hartmanns Exkurs hat zwar wenig mit ihm zu tun, aber er ahnt, daß er selber ein Teil dessen ist, was der Mann da eben propagiert, und daß er dazu beiträgt, den Zielen der Nationalsozialisten zu dienen, obwohl er im tiefsten Inneren so unpolitisch ist, wie man es nur sein kann. Und Majorana – nun Majorana sieht das Ganze eher wie ein Zuschauer im Theaterparkett; froh, nicht zu den Protagonisten zu gehören, mit Distanz und Belustigung gegenüber der besonders gelungenen Darstellung eines Narren.
»Gut, daß unsere Führer sich so hervorragend verstehen.«
»Der Duce denkt wie Adolf Hitler, das ist wahr. Aber natürlich ist klar, wer von beiden der überlegenere Geist ist.«
Majorana bemüht sich um eine energische Sprache.
»Natürlich. Sie sind Mitglied der Partei?«
Hartmann knallt die Hacken zusammen; was zackig aussehen soll, wird aufgrund seines Zustandes zu einer schwach parodistischen Einlage.
»Von Anfang an. Wie so viele, die den elenden Zustand unseres Landes vor Augen hatten, habe ich frühzeitig erkannt, daß es nur ein Mittel gibt, uns wieder zu neuer Größe zu führen. Und ich habe etwas dafür getan.«
Er ist völlig verändert, und daran ist sicher nicht nur der Alkohol schuld. Zwar ist er im alltäglichen Leben nicht unbedingt schüchtern, aber zu einem Auftritt wie diesem hätte er sich bis vor ein paar Monaten niemals hinreißen lassen.
Zuhause in Italien hat Ettore Verhaltensweisen wie die Hartmanns oft genug beobachtet in den letzten Jahren, hat sie aber dort der natürlichen Begeisterungsfähigkeit seiner Landsleute zugeschrieben. Es würde interessant sein zu beobachten, bei wie vielen der kühlen Deutschen die Begeisterung ebenso hohe Wogen schlagen wird wie bei Doktor Paul Hartmann. Sicher sind es weniger als im Land Mussolinis.
Er setzt sich etwas von der Gruppe ab, spaziert durch die Halle auf die breite Fensterfront zu. Die Fenster gehen zum Garten hinaus; sie sind hoch, zweiflügelig, und reichen bogenförmig bis fast unter die Decke des Raumes. Sie – wie überhaupt der ganze Raum – erinnern ihn an das Haus seiner Familie in Sizilien.
Er tritt an die Scheiben. Draußen ist es Nacht; über den schwarzen Himmel ziehen dunkelgraue Wolken wie eine niemals endende Karawane formloser, gehetzter Tiere. Der Vollmond leuchtet in intensivem Ocker, und ein heller Hof umgibt ihn wie ein Heiligenschein.
Ettore schaut nachdenklich, ohne eigentlich etwas zu sehen. Er starrt in die dunkle Unendlichkeit, in Gedanken ist er weit fort. Sein Blick ist auf den Garten gerichtet: alte Bäume, hochaufgerichtet wie Schiffsmasten, dazwischen alle Arten von Büschen, ein finsteres Dickicht, wie es im tiefsten Wald kaum dichter sein kann. All das nimmt er nur verschwommen wahr, wie durch eine dicke, viel zu starke Brille.
Da auf einmal macht sich sein Blick an etwas fest, an einer Unregelmäßigkeit; etwas ist dort draußen, das nicht dorthin gehört. Mit einem Schaudern, das er sich nicht erklären kann, bemerkt er, daß es ein Mensch ist, der dort steht und in die hell erleuchteten Fenster hinein blickt.
Es ist ein alter Mann, in einem abgetragenen, braunen Anzug. Klein und verkrümmt steht er dort, völlig bewegungslos, und starrt in Richtung des Hauses. Im hellen Mondlicht kann Ettore jede Einzelheit des Gesichtes ausmachen. Es ist braun und von Wind und Wetter gegerbt wie Leder, ein fadendünner Schnurrbart zieht einen feinen Strich unter die riesige, gekrümmte Hakennase. Der Mann wirkt arabisch, maurisch, wie ein Nomade der Wüste oder wie ein Zigeuner: Er ist Sinnbild dessen, der sich nie lange an einem Ort aufhält, immer in Bewegung ist, weil nur in der Bewegung seine Sicherheit liegt.
Plötzlich weiß Ettore, daß der Mann dort draußen nur wegen ihm gekommen ist. Er sieht nur ihn an, nicht das Haus oder irgend etwas anderes, sondern nur ihn, Ettore Majorana. Und er hat eine Mission, die ihn betrifft.
So stehen sie eine kleine Weile, und Majoranas Schaudern weicht einem Gefühl tiefen Friedens. Keine Bedrohung geht von dem Braunen aus. Sie fixieren sich, als gäbe es nur sie beide auf der Welt, und der Sizilianer hat Angst, sich zu rühren, wagt kaum zu atmen, weil dann der Mann verschwinden könnte wie eine Fata Morgana oder wie ein Reh, das sich erschreckt.
Langsam, ganz langsam verzieht sich das Gesicht des Alten zu einem Lächeln, entblößt zwei Reihen riesiger, tierhafter Zähne, die stark und weiß aus dem dunklen Gesicht leuchten. Dann nickt er, einmal, zweimal, wie um sich selbst etwas zu bestätigen.
Ettore geht durch den Garten, langsam, aber ohne Furcht – er weiß, von diesem Mann droht ihm keine Gefahr. Dann erhebt der Alte seine Stimme, und sie ist so rauh und heiser, daß Ettore unwillkürlich die Vision von Tausenden von Zigaretten und ebenso vielen Schnapsgläsern befällt:
»Ettore.«