Читать книгу Das geheime Leben des Ettore Majorana - Kriminalroman - Burkhard Ziebolz - Страница 13
7.
ОглавлениеAm Tag nach der Gesellschaft bei Heisenberg sitzen Majorana, Himmelreich und Heisenberg zusammen mit George Freeman, einem Gastforscher aus Amerika, Heinrich Peters, einem jungen Physiker, der kurz zuvor einen Seminarvortrag gehalten hat, und drei weiteren Institutsangehörigen in der Ewigen Lampe, einer Gaststätte gegenüber dem Institut.
Freeman ist seit ein paar Wochen am Institut. Er ist einen Tag nach Nishimura hier angekommen. Wie die meisten Amerikaner, die es ins Ausland verschlägt, geht er davon aus, daß alle seine Muttersprache beherrschen, und spricht dementsprechend kein Wort deutsch. Majorana hingegen spricht kein Wort englisch – in vielen Bereichen der Wissenschaft ist Deutsch noch die Hauptsprache. Dennoch arbeiten die beiden sehr gut zusammen. Ihre Konversation besteht meist aus eilig auf Papier gekritzelten physikalischen Formeln, die vom jeweils anderen ebenso eilig durch andere Formeln erwidert, verändert oder ergänzt werden.
Freeman ist ein groß gewachsener, schwergewichtiger junger Mann aus dem mittleren Westen, mit blondem Haar und roter Gesichtsfarbe. Er ist engagiert und interessiert, ein fleißiger Arbeiter, aber ohne die Begabung Majoranas. Trotzdem ergänzen Majorana und er sich in bestimmten Bereichen sehr gut.
Die Gespräche in der Ewigen Lampe drehen sich anfangs noch um den Seminarvortrag des jungen Peters, wenden sich aber bald anderen Themen zu. Heisenberg, dessen Englisch nach seiner Gastprofessur in Chicago perfekt ist, dolmetscht für Freeman, so daß dieser der Diskussion folgen und an ihr teilnehmen kann.
Heisenbergs jungenhaftes Gesicht ist besorgt.
»Unser Kreis zerfällt, bevor er sich richtig aufgebaut hat. Ich hatte mich bemüht, die fähigsten Köpfe der Physik hierher zu bekommen, aber die ersten der Kollegen denken schon an Abreise.«
Der Sizilianer nimmt einen Schluck aus dem Bierglas, das ihm Wenzel, der tschechische Kellner, eben hingestellt hat.
»Wer geht denn weg?«
»Ein paar unserer jüdischen Kollegen werden das Land verlassen. Sie haben nach dem Regierungswechsel Befürchtungen, was ihre Sicherheit anbelangt.«
Freeman zündet sich eine Zigarette an. Damals, in den Dreißigern, rauchen fast alle wie die Schlote; bei vielen ist es eine schlechte Angewohnheit aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg.
»Sind die Befürchtungen berechtigt?«
Heisenberg wiegt den Kopf hin und her.
»Ich weiß nicht. Die Nationalsozialisten haben nie ein Hehl aus ihrem Verhältnis zu den Juden gemacht – lesen Sie mal das Buch von diesem Hitler. Wenn das alles kein bloßes Gerede war, in den letzten Jahren, dann ... Ich unterstütze jedenfalls jeden, der jetzt ins Ausland will, und ich habe einige Kontakte zu Instituten, die meine Leute gern aufnehmen.«
»Die Vereinigten Staaten sind immer an guten Leuten interessiert. Wer will denn fort?«
»Bloch, Frank, und Born. Schrödinger geht, und wahrscheinlich auch Mises und Freundlich.«
Majorana bläst sorgenvoll die Backen auf. Sein Blick wandert über das Mobiliar des Lokales, das dunkel gebeizt ist durch das Alter und rüde Benutzung. Kein Tisch, in den die Studenten des Institutes oder andere Gäste im Laufe der Jahre nicht schon irgend etwas hinein geritzt hätten, von mathematischen Formeln und Liebesbeteuerungen über obszön-primitive Bilder bis hin zu Hakenkreuzen zeugt ein breites Spektrum an Motiven von trunkenem Mitteilungsbedürfnis.
»Die Besten gehen. Das wird große Löcher reißen.«
»Wie ist das bei euch in Italien?« fragt Himmelreich.
Der Sizilianer zuckt mit den Schultern.
»Ehrlich gesagt, habe ich mir darüber noch nie Gedanken gemacht. Ich denke, der Antisemitismus ist bei uns nicht so verwurzelt. In Rom haben wir jedenfalls durchaus noch jüdische Kollegen – glaube ich jedenfalls.«
Der schüchterne Peters, der bisher geschwiegen hat, räuspert sich aufmerksamkeitsheischend.
»Was denken die Leute eigentlich, was ihnen passieren wird? Wir leben in einem freien Land, jeder hat ein Recht, seine Religion auszuüben, und zu sagen, was er denkt. Ich würde nie zulassen, daß mein Nachbar bedroht wird, nur weil er Jude ist, das können Sie mir glauben.«
Heiliger Eifer, getragen von echter Emotion. Er glaubt, was er sagt, das steht ihm im Gesicht geschrieben.
In diesem Augenblick betreten drei SA-Männer das Lokal und setzen sich nach kurzer Orientierung und grüßendem Nicken an den Nebentisch.
Es scheint plötzlich dunkler geworden zu sein in der Schenke. Die Blicke der Physiker hängen ein paar Sekunden wie magnetisiert an den braunen Uniformen, dann wendet sich Heisenberg an Peters.
»Würden Sie bitte noch mal wiederholen, was Sie eben sagten, Herr Peters?«
Ein paar Sekunden, und doch eine Unendlichkeit. Peters sieht ihn an, als hätte er ihn nicht verstanden, die Zeit dehnt sich wie ein altes Kaugummi. Dann überflutet Röte das Gesicht des Doktoranden und er blickt stumm zu Boden.
Heisenberg legt ihm beschwichtigend die Hand auf die Schulter.
»Entschuldigen Sie bitte, ich wollte Sie nicht bloßstellen. Aber die Gelegenheit für eine praktische Demonstration war einfach zu günstig, als daß ich sie vorübergehen lassen konnte. Nun wissen Sie, wie das funktionieren wird, im künftigen Deutschland.«
Peters flüchtet in sein Bierglas und seine Zigarette. Nach ein paar Minuten, in denen nicht viel gesprochen wird am Tisch, hat er sich wieder etwas erholt.
»Woher wußten Sie, wie ich reagieren würde?«
Nun ist es Heisenberg, der den Aschenbecher auf der Tischplatte fixiert. Seine Stimme ist sehr leise.
»Ich habe mir nur überlegt, was ich tun würde.«