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Regeln ohne Regeln

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Der Ventilator gab gelegentlich ein Rattern von sich, während er kräftig Luft auf die verschwitzte Brust blies. Die gekrausten, grauen Haare darauf leisteten keinen Widerstand. Hyuna schwieg während des Essens und beobachtete mit einem gewissen Ekel dieses Schauspiel. Neben ihr saß ihr jüngerer Bruder, Ji-Min, der für seine sechs Jahre schon ziemlich aufgeweckt war. Lächelnd legte sie ihre Hände auf seinen Topfschnitt und diese liebevolle Geste wurde mit einem Leuchten aus seinen schmalen, aber lebhaften Augen erwidert. Während die Drei das Frühstück, eine dünne Seetangsuppe, ein wenig Reis und das letzte Kimchi, einnahmen, hörte man nur das Rülpsen und Schmatzen des Familienoberhauptes. Die Tischdecke aus Kunststoff war bereits mit einzelnen Reiskörnern und Suppe beschmiert, was das kitschige Blumenmuster darauf noch hässlicher erscheinen ließ.

„Kleines, du kommst nach der Schule direkt nach Hause“, grunzte Jun-Su schmatzend und schlürfte einen weiteren Löffel Seetangsuppe. Ihm klebte ein Stück getrocknetes Chilipulver zwischen den Zähnen. Bei dem Anblick kam es ihr fast hoch.

„Ja, Vater“, antwortete sie, nicht aus Gehorsam, sondern aus Furcht vor seinen Launen. Dazu liebte sie Ji-Min zu sehr, als dass sie ihn in Schwierigkeiten bringen wollte.

„Spielen wir nach der Schule etwas?“, fragte ihr kleiner Bruder.

„Ja, natürlich“, antwortete sie und gab ihm einen Kuss auf die Stirn.

Sie räumte ihre Schale in die Spüle und packte die Bücher in den Rucksack. In diesem trostlosen Leben gab es für sie nur einen Lichtblick, ihr kleiner Bruder. Ohne ihn wäre sie schon längst von zu Hause weggerannt. Manchmal schämte sie sich für ihre Gefühle. Denn der Hass auf Vater und Mutter machte sie blind für die Liebe, die sie Ji-Min nicht immer geben konnte. Ein unschuldiger Junge hineingeboren in eine Familie ohne Fürsorge. Bei dem Gedanken kamen ihr jedes Mal die Tränen. Ji-Min begleitete sie morgendlich ein Stück des Weges. Schweigend liefen sie durch das Gassenlabyrinth, eingezwängt zwischen kahlem Beton. Wenn sie wieder mit dem Zeigefinger die Risse im Gemäuer entlang strich, tat es ihr Ji-Min gleich. Dumpf schallte das Knirschen des Gesteins unter ihren Sohlen durch den Morgendunst.

„Wo wohl Mama gerade ist?“, fragte er und unterbrach das kleine Spiel.

„Bestimmt irgendwo, wo es schön ist.“

„Ich vermisse sie“, sagte Ji-Min wehmütig. „Warum hat sie uns nur verlassen?“

Hyuna zerbrach innerlich, wenn dieser kleine, unschuldige Junge versuchte, die Kälte und Gleichgültigkeit der Erwachsenenwelt zu verstehen. Es war so, als würden die Worte wie Glassplitter in ihre Ohren eindringen, ihr Gehirn zermartern und die Seele bis tief in die Nacht quälen. Ihr selbst fehlten die passenden Worte, um ihm liebevoll verständlich zu machen, dass es Dinge auf dieser Welt gab, die unerklärbar und grausam zugleich waren. Sie war doch selbst noch ein Kind und verstand vieles auch nicht.

„Du solltest jetzt wieder heimkehren, sonst wird Papa böse.“

Er streckte ihr seine Arme entgegen. Ein Junge, eine Umarmung und Ratlosigkeit. Das war es, was sie für diesen Tag mit in die Schule nahm. Über ihr hatte der Himmel sein graues Zelt gespannt und auf den Dächern schwatzten emsig die Spatzen. Hyuna genoss die morgendliche Ruhe. In einem Alltag ohne Rast waren solche Momente selten und kostbar für sie geworden. Manchmal machte sie sich tatsächlich Gedanken darüber, wo sich ihre Mutter gerade befand und was sie tat. Lange beschäftigte sie sich allerdings nicht damit, da sie wusste, dass nur Groll in ihr hochsteigen würde, der ihre Seele vergiftete. Sie stellte sich einen wunderschönen Garten in Yokohama vor, in dem unzählige Kirschbäume standen. Das helle Gelächter ihrer Mutter schallte durch die milde Luft, während sie mit ihrem Liebhaber auf einer Bank saß und Reiskuchen aß, ohne einen Gedanken daran zu verlieren, dass sie zwei Kinder in ihrer Heimat zurückgelassen hatte. Wie konnte man nur seine Vergangenheit wegwerfen wie einen angebissenen Apfel? Schmeckte die Zukunft so gut, so süß, dass man alles, was einem je etwas bedeutet hatte, einfach zurücklässt?

Hyuna wollte ihre Mutter nicht mehr wiedersehen. Auch wenn sie eines Tages vor der Haustür stehen sollte, sie würde ihr einfach die Tür vor der Nase zuschlagen und leugnen, sie zu kennen. Für eine Rabenmutter gab es keine zweite Chance, da ihre Kinder auch nie eine hatten. So einfach rechtfertigte man seine Gefühle.

Bis zum nächsten Treffen mit Soo-Jung würden noch einige Tage vergehen. Als Lieferjunge musste er flexibel bleiben und hatte nicht immer Zeit für sie. Sie beneidete ihn, da er täglich neue Sachen erlebte, wogegen sie im Kerker des Alltags gefangen gehalten wurde. Ihre Mutter war geflohen und genoss die Vorzüge der Freiheit, mit oder ohne schlechten Gewissen. Endlich war sie aus dem Mock ihres Viertels herausgetreten und betrat eine neue Welt. Die Reklamelichter täuschten den Glamour vor, der in Soaps ausgestrahlt wurde. Zwar wusste sie, dass alles nur Gaukelei war, aber auf den Betrug ließ sie sich gerne ein. Das Schulgebäude hingegen war ein pragmatischer Betonklotz und auf dem Gelände standen nur ein paar kahle Bäume, die ihre Kraft aus der trostlosen Atmosphäre zogen. Die Schuluniformen glichen den Arbeitskleidungen von Fabrikarbeitern und im gleichen Trott strömten alle Schüler, ins Gebäude, nachdem die Klingel ihren Befehl über den Hof ertönen ließ. Ein greller Schrei, der einem an manchen Tagen einen Schauer über die Haut trieb. Nur eine Freundin hatte sie in der Schule und ausgerechnet die war heute nicht da. Ansonsten mied Hyuna andere Kontakte. Zu groß war die Furcht, dass man herausfinden könnte, wo ihre sozialen Wurzeln lagen. Jahrelang hatte sie sie unter Erde verscharrt und geheim gehalten. Selbst ihrer besten Freundin hatte sie nichts erzählt. Es war ein merkwürdiges Gefühl von Scham, wenn sie bei der Kleiderspende neue Sachen abholen musste, die Schuluniform als Maske benutzte, die ihre wahre Identität kaschierte. Dabei machten ihr selbst Unterschiede nichts aus. Interessierte es sie wirklich, aus welchen Gefilden Soo-Jung kam? Ihr Interesse wäre nicht verblasst, wenn er aus reichem Hause käme. Denn sie spürte, dass er ein gutes Herz besaß, aber die Gesellschaft machte keine Ausnahmen. Alles wurde verurteilt und so stand sie mit ihren Gedanken allein da. Gestrandet auf einer einsamen Insel und umgeben vom Wasser, das zu salzig war, um ihren Durst zu stillen. Sie stand auf dem Hof und beobachtete, wie der Wind das trockene Laub über den Boden jagte. Im Schatten des Schulgebäudes, lieblos konstruiert, um nur die Funktion zu erfüllen, die jungen Leuten uniform umzufunktionieren. Hier wurden keine Kleider hergestellt, keine Spielwaren, keine Elektronikartikel, sondern humane Puppen, die alle gleich aussahen, damit sie den Anforderungen der Gesellschaft gerecht wurden. Die Produktion eigener Ideen wurde hier durch die Reproduktion altherbekannter im Keim erstickt. Alles wirkte dadurch auf Hyuna mechanisch, blechern und tot. Daheim wurde sie von negativen Emotionen überrumpelt. Hier in dieser Schmiede des Wissens wirkten Gefühle steril, luftdicht verpackt und unantastbar. Langsam trat sie ins Gebäude. Die kahlen Mauern wurden von Abbildungen geziert, die meist Männer darstellten, die sich in den verschiedenen Wissenschaftsbereichen verdient gemacht hatten. Altbackene Herren in grauen Anzügen. Die Hornbrillen gaben ihnen einen intellektuellen Anstrich. Diese Dinosaurier aus einem längst vergangenen Zeitgeist dienten als Ansporn für eine junge Generation, die durch Videospiele und Partys kontaminiert war. Lesen war für Hyuna eine Möglichkeit im Land der Träume zu verschwinden. Selbst Schulbücher las sie gerne. Es war ihre geheime Leidenschaft, die sie sicher in der Schatulle ihrer Seele aufbewahrte. Nur sie besaß den Schlüssel, und eines Tages würde sie eine Person treffen, mit der sie ihr kleines Geheimnis teilen würde. Vielleicht war Soo-Jung dieser spezielle Mensch? Vielleicht war es sogar ein Anflug von Liebe? So leicht und zart wie der Atemzug ihres kleinen Bruders im Schlaf.

Der Unterricht hatte bereits angefangen und der Mathematiklehrer, der mit einem Holzstab auf die binomische Formel an der Tafel zeigte, bedachte sie mit strengem Blick.

„Tut mir leid“, entschuldigte sich Hyuna mit gesenktem Kopf. Die gespielte Demut, Teil dieser Unterwerfungskultur, fiel ihr nicht schwer. Die anderen Schüler starrten gebannt auf die Ableitung auf der Tafel, die der Lehrer hektisch hinkritzelte. Alle blickten dorthin, als handelte es sich um eine Formel, mit der man ihre Leben verändern konnte. Hyuna hatte das Gefühl, sie würde zwischen Lernmaschinen sitzen, die unermüdlich Wissen aufnahmen, bis ihre Speicher voll war, um dann in gegebenen Momenten alles zu reproduzieren. Geld und Anerkennung durch REPRODUKTION. Das war das allerhöchste Ziel von jedem hier. In der Schulkantine verwandelten sich diese Maschinen wieder in Menschen. Der einzige Ort, an dem man Gelächter und heitere Gespräche vernahm. Alles untermalt vom kulinarischen Geräuschkonzert. Das Knistern, wenn jemand seinen Reis in ein getrocknetes Noriblatt hüllte, das Schlürfen von Misosuppe, das Krachen der Schweinerippchen. Hyuna saß vor ihrer Odengsuppe und hatte den Löffel nicht angerührt. Sie lauschte den Gesprächsfetzen, den Essgeräuschen, dem Klirren von Besteck. All das genoss sie mit geschlossenen Augen. Denn nach der lebhaften Kantine folgte wieder die mechanische Leere. Alle schlüpften in ihre eisernen Kokons. Die Menschen wurden zu Maschinen und die Maschinen wurden wieder zu Menschen. Ein ewiger Zyklus, den keiner wahrnahm. Nun blickte sie auf ihr Tablett. Rechts oben die Suppenschale, links oben die Schale mit rotleuchtendem Kimchi aus der Konservenfabrik, in der unteren Mitte der Reis, links davon immer die Essstäbchen und rechts der Löffel. Eine Mahlzeit im Micky-Maus-Format. Selbst das Essen hatte hier System. Endlich nahm sie ihre Stäbchen und begann mit ihrem Mahl, während sie die Welt um sich vergaß. Die Suppe war kalt, aber der Reis noch warm. So blieb alles im Gleichgewicht. Daheim ein zorniger Vater und ein liebevoller Bruder, kalte Worte im Klassenzimmer und warmer Reis in der Kantine. So sah ihr Leben aus. Ein Leben voller Gegensätze und sie vermochte nichts daran zu ändern. Nur eines lag in ihrer Hand: Sie konnte selbst entscheiden, wieviel Liebe sie der Welt gab. Eine Dosierung ihrer Gefühle, die sich je nach Person unterschied. Hass verspürte sie keinen, nur weniger Zuneigung. Selbst ihrer Mutter würde sie eines Tages verzeihen können. Vielleicht hatte sie irgendwann das Leben in Japan satt und würde zurückkehren in die Heimat ihrer Vorväter. Bis dato musste Hyuna sich um ihren Bruder und den arbeitslosen Vater kümmern. Die ständige Trinkerei war die Ursache für ihre Armut. Früher war er ein tüchtiger LKW-Fahrer gewesen, aber die Scheidung hatte ihn zum Reisschnaps getrieben und der Reisschnaps in die Arbeitslosigkeit. Deswegen hatte Hyuna sich geschworen nie einen Tropfen zu trinken. Wenn sie an Essständen vorbeiging und in die aufgedunsenen, benommenen Gesichter blickte, fühlte sie so etwas wie Stolz. Stolz nicht zu solchen Menschen zu zählen. Selbstbeherrschung war die einzige Barriere, die sie noch von Unvernunft trennte.

Der Unterricht war so schnell an ihr vorbeigerauscht. Sie befand sich schon auf dem Heimweg. Am Straßenrand saß eine Frau, das Gesicht völlig verdreckt und den Körper in einer zerfledderten Bundeswehrjacke aus Deutschland gehüllt. Ihre groben Hände mit schwarzen Fingernägeln ausgestreckt für eine milde Gabe, aber die Fußgänger flossen einfach an ihr vorbei und vergaßen diesen erbärmlichen Anblick. Vergessen war einfacher als handeln. Verurteilen einfacher als Verständnis.

Soll die sich doch einen Job besorgen.

Zu faul zum Arbeiten und hier rumbetteln.

Hyuna war eingefallen, dass sie noch einen getrockneten Tintenfisch im Rucksack hatte.

„Gott schütze dich“, bedankte sich die Frau lächelnd.

Die schmutzbedeckten Hände ergriffen ein Bein des Tintenfisches, als wäre es ein Rettungsring. Hyuna sagte nichts und ging einfach weiter. Über die Schulter hinweg sah sie, wie die Bettlerin mit ihren vergilbten, schiefen Zähnen daran zerrte. Das milde Lächeln der Frau ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Es war nur ein Tintenfisch gewesen, den sie ohnehin nicht mehr essen wollte. Keineswegs hatte sie im Sinn gehabt, gut zu handeln, vielmehr hatte sie in diesem Moment praktisch gedacht. Langsam erreichte sie ihr Viertel, bestehend aus kaltem Mörtel und Mülltonnen. Ein Haufen sinnlos zusammengewürfeltes Material, das man als sein Zuhause bezeichnete.

Ji-Min saß am Esstisch und spielte mit Karten, während ihr Vater auf dem Sofa lag und schnarchend seinen letzten Rausch ausschlief. Im Hintergrund lief der Fernseher: Erneute Spannungen mit dem Bruder aus dem Norden, eine Schießerei mit Toten in den USA, abgemagerte Kinder in Uganda und das Wetter. Die Stimme des Unheils gehörte einer hübschen Sprecherin, die mit erschreckender Präzision über das Elend der Welt berichtete. Dieselbe Stimme erfüllte den ganzen Raum, wie die Stimme Gottes. Doch sie verstummte, als Hyuna den Fernseher ausschaltete. Endlich hatte Ji-Min, bisher versunken in den Tiefen seines Spieltriebs, sie bemerkt.

„Da bist du ja endlich!“, rief er mit kindlicher Freude und sprang ihr um den Hals.

Die grelle Stimme ließ auch Jun-Su aus seinem Schlaf erwachen. Mit einem tiefen Grunzen öffnete er seine Augen und blickte seine beiden Kinder misstrauisch an.

„Wie spät haben wir´s?“, fragte er mit großer Unzufriedenheit.

„Gleich halb fünf“, antwortete Hyuna gehorsam.

Nach dem Schlaf war seine Laune besonders mies und aus reiner Schutzmaßnahme tat sie alles, was er von ihr verlangte. Manchmal dachte sie, dass er der unzufriedenste Mensch auf Erden war. Nicht nur die selbstherbeigeführte Armut, sondern auch die Einsamkeit waren vermutlich die Ursachen seines Grams. Keinesfalls wollte sie so werden wie er, so mies gelaunt und missmutig. Selbst als ihre Mutter noch da war, war er nicht viel anders gewesen. Solange sie denken konnte, war er das Abbild des missgelaunten Menschen gewesen. Dieser Charakterzug hatte sich im Laufe der Jahre tief in sein Gesicht geschnitten, sodass die meisten Leute ihn mieden. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis ihre Mutter weglief. Auf der Straße hieß es nur, Jun-Su, dem möchte man nicht nachts auf der Straße begegnen oder Jun-Su, das ist ein unangenehmer Zeitgenosse. Den Ruf hatte er bereits im ganzen Viertel. Wenn Hyuna allein durch die Gassen spazierte und auf bekannte Gesichter traf, hieß es nicht etwa: Wie geht es deinem Vater? Vielmehr: Kommst du zurecht? Oder was macht dein Bruder? In Bezug auf ihren Vater hatten die meisten ihren empathischen Panzer abgelegt und lästerten, bis ihnen die Zungen schmerzten. Manchmal empfand Hyuna deswegen Mitleid mit ihm, aber wenn sie wieder Daheim war und er sie mit seinem säuerlichen Alkoholatem anhauchte, wurde ihr Mitgefühl wie eine dünne Staubschicht weggeweht.

„Mach das Essen fertig“, brummte er und setzte sich an den Tisch, um Ji-Min anzustarren, der versuchte, ein Kartenhaus zu errichten.

Hyuna hockte in der Ecke und füllte den letzten Reis aus einem Leinensack in den Topf. Sie mochte das Geräusch, wenn die harten Körner tosend auf Metall trafen. Im Hintergrund hörte sie ihren Bruder weinen. Jun-Su hatte mit einer flüchtigen Handbewegung das kleine Bauwerk zerstört. Hyuna sagte nichts, sondern nahm Ji-Min in die Arme.

„Wie eine glückliche Familie“, zischte Jun-Su verächtlich, während er die beiden auf dem Stuhl sitzend betrachtete.

Zum Glück rauchte er nicht. Dafür war Hyuna dankbar. Das hätte ihr ohnehin schon knappes Geld wie eine Eisscholle im Atlantik wegschmelzen lassen. Der Topf mit dem Reis brodelte und Hyuna briet in der Pfanne das Feuerfleisch, das ihre liebe Nachbarin, Frau Lee, ihr in einem stillen Moment gegeben hatte. Die pummelige und liebenswerte Frau wohnte nur zwei Häuser weiter und brachte ihnen öfters was zu essen. Wenn sie Jun-Su erblickte, wandelte sich ihre freundliche Miene, als hätte sie gerade vom Arzt eine schlimme Diagnose erfahren. Mit Hyuna und Ji-Min hatte sie Mitleid. Unzählige Male hatte sie die beiden klamm heimlich in ihr Haus eingeladen, um sie zu bekochen. Noch nie hatte Hyuna eine so gute Misosuppe gegessen wie die von Frau Lee. Selbst ihr Bruder, der viel zu mager für sein Alter war und sich vor jeder Mahlzeit drückte, fragte regelmäßig, wann Frau Lee sie wieder einladen würde. Jun-Su wusste von all dem nichts. Überhaupt bekam er nur die Hälfte des Tages etwas mit, die nüchterne Hälfte. Brummend legte sich das Familienoberhaupt wieder auf die Couch. Auch der Fernseher lief wieder. Hyuna nahm den Kartenstapel und spielte mit Ji-Min eine Runde. Das Fleisch war durch und eine angenehm köstliche Geruchswolke breitete sich langsam im Raum aus. Frau Lees Marinade war doch die beste. Zischend erregte der Topf mit dem Reis ihre Aufmerksamkeit. Etwas Wasser war auf die Herdplatte geschwappt. Das übernahm Ji-Min. Er drehte am Schalter und weiter ging das Spiel.

Das Mahl Daheim unterschied sich keiner Weise von dem in der Schulkantine. Auch hier hörte man ein Konzert, das von Essstäbchen, Schalen und Löffeln gegeben wurde. Gelegentlich unterbrach das Rülpsen des Vaters das schöne Klimpern der Essstäbchen, die mit den Reisschalen in Berührung kamen. Jun-Su wischte sich seine vom Fett beschmierten Finger am bereits fleckigen Unterhemd ab. Die meiste Zeit herrschte Schweigen. Dann hörte man den Kühlschrank brummen, den Nachbarshund bellen und ein Ehepaar streiten. Es ging um Geld und ein kleines Baby, das die Erwachsenenprobleme nicht verstand, sehnte sich schreiend nach Ruhe. Die Bleibe steckte voller Leben, aber es war nicht das Leben, was sie wollte.

Four Kids

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