Читать книгу Four Kids - Byung-uk Lee - Страница 5
Erste Begegnung
ОглавлениеDavid gegen Goliath. So kam es Haekwon zumindest vor, als er das kleine Zelt aus blauen Kunststoffplanen, worunter sich der Odeng-Stand befand, neben dem Seoul Tower erblickte. Der stählerne Fernsehturm durchbrach den grauen Himmel, von dem es reichlich goss. Für die Strecke hatte er sich ein Taxi genommen. Für den Rückweg wollte er die Metro nehmen. Die blauen Planen fanden keine Ruhe, da der Wind mit ihnen spielte. Oben über dem Eingang hatte sich Regenwasser gesammelt, sodass die wenigen Gäste beim Ein- und Austreten ihre Köpfe mit Zeitungen, Regenschirmen oder den blanken Händen schützten. Von seinem Militärschnitt perlte saures Wasser, das das blaue Hemd und die Cordhose durchweichte. Wieso er sich so fein angezogen hatte, wusste er selbst nicht. Schließlich traf er sich nicht mit einem Mädchen. Trotzdem klopfte sein Herz wild wie bei seinem ersten Date, an das er sich nur noch verschwommen erinnerte. Im Zelt roch die Luft künstlich und feucht. Zusätzlich schlug ihm der milde Duft der Fischkuchenspieße entgegen, die sich ein Bad im heißen Wasser gönnten. Hinter dem Stand befand sich eine Frau mittleren Alters mit kurzer Dauerwelle, die ihn mit einem ebenso künstlichen Lächeln begrüßte. In einer grünen Schürze gehüllt versorgte sie die bereits sitzenden Gäste mit Soju und Fischspießen. Zunächst fiel Haekwon seine Zielperson nicht sonderlich auf. Ganz im dunklen Schatten des Zeltes saß er unscheinbar auf einer Holzbank hinter einem älteren Ehepaar, das sich lachend und schmatzend vergnügte. Der kahlköpfige, bleiche Junge saß ganz still da, während er sein Essen in Sojasoße tunkte und gelegentlich einen kräftigen Schluck aus der Coladose nahm. Langsam blickte er auf, als Haekwon vor ihm stand.
„Da bist du ja endlich“, sprach er so vertraut, als würden sie sich schon seit Jahren kennen. „Setz dich oder verschwinde wieder“, fügte er mit einer Handbewegung hinzu, als Haekwon immer noch vor ihm stand und keinen Ton von sich gab.
Jemand, der geradewegs seine Meinung sagte. So lebte Haekwon doch in einer Welt, in der sich verlogene Menschen gegenseitig die Haut abzogen und sich dabei noch anlächelten. Innerlich fühlte er jetzt schon eine unerklärliche Verbundenheit zu diesem Jungen, daher entschied er sich für Ersteres und setzte auf die Bank. Gegenüber saß tatsächlich sein Freund aus der virtuellen Welt und hatte das Treffen nicht sausen lassen.
„Wenn ich so deine Klamotten sehe, bist du anscheinend Sohn eines Bonzen“, bemerkte Soo-Jung und schob sich noch ein langes, dampfendes Stück Fischkuchen in den Mund.
„Also mein Vater...“
„Hey Fräulein, bitte noch eine Portion für mich und meinen Kumpel!“
Ehrlich war er, aber Manieren hatte er keine, dachte Haekwon. Er musste mehr über ihn erfahren.
„Tschuldigung.“, meinte der Kahlkopf grinsend. „Was war mit deinem Vater?“
„Also mein Vater ist Unternehmer.“
„Mit anderen Worten deine Familie stinkt nach Geld.“
Soo-Jung lehnte sich vor, als wenn etwas an Haekwons Gesicht kleben würde. Die Bedienung brachte währenddessen eine große Schüssel mit Spießen und stellte vor Haekwon ein kleines Schälchen mit salziger Sojasoße, die sich farblich nicht von der Cola unterschied.
„Lang zu“, meinte der Kahlköpfige.
Zögernd nahm sich Haekwon einen dampfenden Spieß, der so zäh war, dass er mit den Vorderzähnen lange daran zerren musste.
„Und du bist wirklich Lieferbote?“, fragte er, während ihm noch ein Stück Fisch heiß auf der Zunge lag.
Ein Grinsen breitete sich über dem bleichen Gesicht aus.
„Ja, ich liefere in fast jede Ecke der Stadt.“
„Und warum gehst du nicht zur Schule?“
Das Grinsen verflüchtigte sich wieder und wich einer ernsten Miene.
„Du stellst ganz schön viele Fragen für das erste Treffen“, raunte Soo-Jung. „Naja, ich will nicht so sein. Du hast Glück. Heute habe ich gute Laune, daher sag ich es dir. Die Antwort auf deine Frage ist so simpel wie das Alphabet. Ich habe einfach kein Bock auf die Schule.“
Das klang für Haekwon so einleuchtend, dass er nicht nachhakte. Außerdem wollte er den Kahlkopf nicht weiter verärgern. Mit einer blauen Serviette wischte sich Soo-Jung einen Tropfen Sojasoße vom Mundwinkel und schmiss das Tuch anschließend in die Schale. Dunkel verfärbte sich die Serviette, als sie sich mit der schwarzen Flüssigkeit vollsog.
„Fräulein, wir möchten zahlen!“, rief er mit einem neckischen Grinsen der Verkäuferin zu, die herbeieilte und sich daran machte die Schalen und Schüsseln vom Tisch zu räumen. Leise grunzende Laute gab Soo-Jung von sich, während er die zerknüllten Scheine auf den kleinen Tisch legte, die sich langsam entfalteten.
Wir möchten zahlen hatte er gesagt und doch alles selbst bezahlt. Haekwon schwieg.
„Du redest nicht viel, was?“
„Naja, ich möchte nur das Nötigste sagen. Denn Worte können eine verheerende Wirkung haben.“
„Das gefällt mir“, meinte Soo-Jung. Dabei war sein bleicher Zeigefinger wie ein Revolver auf Haekwon gerichtet. „Ich persönlich rede auch nicht viel, aber die Klappe ganz halten, so wie du, könnte ich nicht.“
Als sie das kleine Zelt verließen hatte der Regen nachgelassen. Nur noch einzelne Tropfen hagelten vom stählernen Himmel. Schweigend standen sie am Straßenrand und beobachteten den Verkehrsfluss, der so zähflüssig war, als würde er aus Lava bestehen. Das Hupkonzert dröhnte Haekwon in den Ohren und die Fahrzeuge, die unermüdlich Kohlenstoffmonooxid ausspuckten, vernebelten seine Sinne.
„Ich kenne da einen Ort, dort können wir in Ruhe quatschen und was trinken.“
„Ok.“ Das erste Mal an diesem Abend lächelte Haekwon.
Sie fuhren mit der Metro durch mehrere Stadtviertel. Menschen verließen und betraten die Abteile, flüchtige Besucher so wie sie selbst. Meist abgehetzte Gesichter, dazwischen einige resignierte Mienen, aber gelegentlich sah man auch den einen oder anderen entspannten Zug. Eine Frau beugte sich über einen Kinderwagen und wedelte verzweifelt mit einer Rassel, da das Baby nicht aufhörte, zu weinen.
„Kutschi, kutschi, kutschi“, alberte sie ein kindisches Mantra.
Über Soo-Jungs Miene huschte ein Schmunzeln, das, wie Haekwon vermutete, mehr Verachtung als Belustigung äußern sollte. Wie ein Großstadtäffchen hielt sich der Kahlkopf am Kunststoffriemen fest, seine Beine in lockerer Stellung.
„Lass doch das Kind in Frieden!“, rief er der jungen Mutter zu. „Es will die scheiß Rassel nicht.“
Giftig blickte die Frau auf.
„Und du, kümmer dich um deinen eigenen Kram.“
Soo-Jungs Augen erhaschten gierig einen Blick auf den wohlgeformten Hintern der Dame, der in einem langen Rock mit Blumenmuster verpackt war. Mit der Zunge leckte er sich über die schmalen Lippen, während er seine Augen nicht vom Po der jungen Frau lösen konnte.
„Schon mal gevögelt?“, fragte er in der Menge stehend.
Haekwon spürte, wie seine Wangen leicht erröteten. Ein Kribbeln, das sich wie eine raue Decke über die gesamte Gesichtshaut zog. Seine Antwort war ein kurzes Nicken. Dabei dachte er an Yeji, seine erste Freundin. Vor seinem geistigen Auge erschien ihm das Dreiecksgesicht bedeckt mit einer dicken Hornbrille. Die Augenbrauen stets hochgezogen, eine überrascht naive Miene erzeugend.
„Also ich könnte mal wieder“, sagte Soo-Jung zwinkernd.
In der Ecke versteckte sich ein alter Mann hinter seiner Zeitung, von dem Haekwon nur raschelndes Papier und ein leises Lachen vernahm. Ob der Greis einen amüsanten Artikel las oder ihr Gespräch belauscht hatte, wusste er nicht. Allein diese Ungewissheit bereitete ihm Unbehagen, daher wollte er die Metro schnell verlassen. Doch sie verließen die eiserne Raupe erst an der letzten Station. Diesen Stadtteil hatte Haekwon zuvor nie besucht und es kam ihm so vor, als würde er einen fremden Planeten betreten, auf dem man sich behutsam bewegen musste. Hingegen stieg Soo-Jung eiligen Schrittes die Stufen hoch, mit einer Sicherheit, die Haekwon bewunderte. Auf dem Asphalt lag überall Müll. Die Gebäude, teils zerfallen, konkurrierten mit ihrem Grau mit der düsteren Wolkendecke, die wieder drohte, sich über sie zu ergießen. Der Wind wehte ihnen schneidig um die Wangen und die feuchte Kälte drückte sich langsam auf Haekwons Gemüt.
„Wie lange dauert es noch?“, fragte er.
Soo-Jung lief, ohne zu antworten einen Schritt vor ihm. Gelegentlich bildeten sich an seinem Nacken fleischige Falten, wenn er hochsah, um den Himmel zu betrachten, als wenn er dadurch einen weiteren Schauer verhindern könnte. Das Gras auf beiden Seiten der Straße war verdorrt und darbte vor sich hin. Am Ende des Weges erreichten sie ein Areal, auf dem sich mehrere zerfallende Fabriken und Lagerhallen befanden. Fossile Überreste aus besseren Zeiten. Eingeschlagene Fenster, korrodierte Metallwände und Wellblech auf dem sich moosiges Grün ausgebreitet hatte. Alles befand sich an einem Kanal, der mit schmutzigem Wasser gefüllt war.
„Willkommen in meinem Reich.“ Soo-Jung reckte beide Arme in die Höhe und lächelte verschmitzt.
„Was sollen wir hier?“
„Habe ich doch gesagt. Quatschen und was trinken. Dazu benötigt man eine Kulisse mit Charme und Atmosphäre.“
Aus seinem roten Rucksack kramte er zwei Dosen Bier, mit denen er Haekwon zuwedelte. Tatsächlich spürte er hier an diesem Ort der Verrottung einen gewissen Frieden. Diese Leere hatte etwas Anziehendes. Die Anstrengung der Menschen so viele Gegenmenschen kennenzulernen wie möglich, hatte Haekwon noch nie nachvollziehen können. Je mehr Leute man kannte desto mehr Ärger hatte man. So jedenfalls seine Faustregel. In der Schule verhielt er sich daher sehr bedeckt und streifte meist allein durch die Korridore. Diejenigen, die er einst kannte, hatten bereits ihren Schulabschluss und studierten an den verschiedenen Unis der Welt. Verstreut in alle Winde. Und Haekwon war froh über diesen Neustart. Ging nichts mehr, drückte man einfach auf die Resettaste.
„Komm wir setzen uns ans Ufer“, schlug Soo-Jung vor.
Während sie einen Dampfer verfolgten, der gemächlich an ihnen vorbeifuhr und schwarzen Qualm in den Himmel spie, öffnete Soo-Jung als erster die Dose Hite. Zischend sprudelte der Schaum ans Tageslicht, was Haekwon animierte auch sein Bier zu öffnen. Der Kahlkopf trank fast die Hälfte in einem Zug aus. Danach verzog er das Gesicht zu einer Grimasse. Erst lag einem der bittere Geschmack auf der Zunge, danach ein wärmendes Gefühl in den Eingeweiden. Im Takt zu einer nicht hörbaren Musik schlug Haekwon mit der Hacke gegen die Betonwand des Kanals, sodass am Wadenbein die Cordhose verdreckte. War er nervös?
„Bist du oft hier?“
Soo-Jung trank seine Dose aus, die er zerknüllte und ins Wasser schmiss. Einsam trieb sie dem Dampfer hinterher, von dem nur noch die Rauchfontäne zu sehen war. Einige Sekunden schweifte sein Blick über die Landschaft, die sich farblich den stählernen Fossilien angepasst hatte.
„Gelegentlich, wenn ich allein sein will, um nachzudenken. Jetzt hätte ich mal eine Frage: Was macht so ein reicher Bengel wie du den ganzen Tag? Golf oder Tennis spielen? Auf Cocktailpartys rumlungern?“
Jetzt war es Haekwon, der sich einen langen Zug aus der Dose gönnte, so als müsste er sich Mut antrinken, damit er nicht die falschen Worte wählte.
„Weißt du, ich tue eigentlich all die Dinge, die andere auch machen. Manchmal wünsche ich mir sogar, dass ich nicht der Sohn eines Bonzen wäre.“
Ein verächtliches Schnaufen vernahm er vom Kahlen, der seinen Kopf schmunzelnd schüttelte und einen weiteren Schluck nahm. Bierschaum klebte an seiner Oberlippe, die sich zu einem Grinsen verzerrt hatte.
„Wenn ich in deiner Lage wäre, dann würde ich feiern und meinen Spaß haben, bis ich tot umfalle.“
„Glaub mir. Wenn es zur Gewohnheit wird, dann möchtest du etwas anderes. Ein anderes Leben, einen anderen Freundeskreis und eine andere Umgebung. Menschen neigen leider dazu, sich schnell zu langweilen.“
Darüber musste Soo-Jung erstmal nachdenken. Denn er schwieg und blickte wieder in die Ferne. Er war doch eigentlich zufrieden mit seinem Leben. In eine andere Richtung zu streben hielt er nicht für nötig, aber nach oben war gerade nicht verkehrt.
„Gefällt dir dein Job?“
„Tja, es gibt Tage da verfluche ich ihn und er ist mir überaus lästig. An anderen Tagen wiederum denke ich mir, Mensch die Arbeit ist gar nicht mal so schlecht. Man lernt neue Leute kennen, ist den ganzen Tag an der frischen Luft und kann die Eindrücke der Stadt in sich aufnehmen.“
Der Wind wehte nun stärker über die Landschaft, ließ die Metallwände der Urriesen erzittern, pfiff durch die zerborstenen Fenster und selbst das verdorrte Gras verneigte sich ehrfürchtig vor ihm.
„Es regnet gleich wieder. Wir sollten verschwinden. Es sei denn dein Bonzenarsch will nass werden.“
Haekwon lachte laut.
„Im Sommer ist es hier besser. Dann kann man trinken, auf dem trockenen Gras liegen und den wolkenlosen Himmel betrachten. Einfach die Seele baumeln und die Gedanken schweifen lassen.“
Diese Vorstellung gefiel Haekwon. Im Grunde seines Herzens wünschte er sich doch nichts als einen ehrlichen Menschen an seiner Seite, die in dieser Welt immer seltener wurden. Vielleicht sogar ausgestorben waren. Möglich, dass er mit dem Kahlkopf eine solche Person gefunden hatte.
„Ja, lass uns gehen“, stimmte Haekwon zu, während er sich am Muttermal über der Lippe kratzte, das gelegentlich juckte.
Wieder ging Soo-Jung ein Stück voraus, sodass er sich wie ein Reisender vorkam, der von einem hiesigen Bewohner durch eine fremde Landschaft geführt wurde. Doch so fremd kam Haekwon diese Gegend nicht mehr vor. Schnell hatte sich eine Vertrautheit in seine Gedanken geschlichen, während er Soo-Jung durch eine schlecht befestigte Gasse folgte, die von zwei Lagerhallen gesäumt wurde. Die breiten, korrodierten Metallwände überragten sie und schwankten wie taumelnde Giganten, da sie von einem starken Windstoß erfasst wurden. Dann ging es wieder über den Friedhof der zerfallenen Wohnblocks, deren fenster- und türlosen Öffnungen wie schreiende Mäuler offenstanden. Doch niemand erhörte ihr lautloses Klagen. Sie befanden sich tatsächlich am äußersten Rand von Seoul. Lange Zeit schien es her zu sein, dass dieser Ort seine Blütezeit erlebt hatte. Kaum hörte die pulsierende Wirtschaftsader auf zu pochen, waren auch die Anwohner vor den scharfen Raffzähnen der Existenzbedrohung geflohen.
In der Metro schwiegen sie. Selbst die anderen Fahrgäste stimmten in ihr Schweigen ein, aber dafür nahm man andere Geräusche umso intensiver wahr. Raschelndes Zeitungspapier, Hüsteln, Räuspern, quengelnde Kinder und das Ruckeln, wenn die Bahn über eine Unebenheit fuhr. In solchen Momenten horchte Soo-Jung genau hin. Denn es waren nicht nur Geräusche der Umgebung, sondern es war viel mehr die Stimme der Stadt. Für ihn besaß sie eine eigene Sprache, die er mittlerweile verstand, eine geheime Botschaft, die nur er entschlüsseln konnte. Der Zeitungsleser in der Ecke wollte nicht angesprochen werden und seine Ruhe haben, die Kinder waren erschöpft vom langen Tag und die Schienen mussten langsam wieder saniert werden. Sein neuer Freund, wenn man ihn so bezeichnen konnte, war in Ordnung, aber schien in sich gekehrt. Jedes Mal, wenn die Metro eine schärfere Kurve fuhr, spürte Soo-Jung den Riemen, der sich in seine Hand schnitt. Von oben betrachtete er den Bürstenkopf. Haekwon hatte seine Ellenbogen auf die Knie gestützt und in gebeugter Haltung starrte er auf die Fensterscheibe, die mit Fingerabdrücken beschmiert war. Dunkelheit und dann wieder Licht. So war der Rhythmus, wenn die U-Bahn aus dem Tunnel fuhr, um die nächste Station anzufahren. Die Neonröhren hingegen brannten in disziplinierter Zuverlässigkeit auf die Fahrgäste nieder. Haekwons müdes Gesicht war von kalten Fingern umschlossen, die versuchten, sich an den erhitzten Wangen wärmen.
In der Nähe vom Seoul Tower stiegen sie aus. Inzwischen war der Himmel aufgeklart. Die Befürchtung eines weiteren Regenschauers hatte sich im Nichts aufgelöst. Am Straßenrand stehend betrachteten sie erneut den Verkehrsfluss, der sich nicht verändert hatte. Diese Stadt war ständig in Bewegung. Dynamischer Verkehr, dynamische Menschen, dynamische Leben. Nach den zerfallenen Fabrikhallen und maroden Wohnhäusern schien die Flut aus leuchtenden Reklametafeln, modernen Wolkenkratzern und Straßen voller Menschen, die sich wie unzählige Thermiten über den makellosen Asphalt bewegten, wie eine märchenhafte Glitzerwelt. Dieses künstliche Plastikleben hatte Haekwon satt, denn sie drohte, wie er selbst der Meinung war, die letzten Kulturschätze zu ersticken.
„Nächste Woche gleiche Uhrzeit, gleicher Treffpunkt?“
Soo-Jung streckte ihm die Hand entgegen.
„Abgemacht“, erwiderte Haekwon kurz und ergriff die bleichen Finger, die sich im Gegensatz zu dem unbedarften Charakter des Kahlkopfs eher zierlich und zart anfühlten. Seine wirkte grob und kräftig. Obwohl er keinen Sport mehr machte, schien dies ein Überbleibsel aus vergangenen Jahren zu sein. Regelmäßiges Tennisspielen hatten seine Oberarme und Schenkel kräftig gemacht, was ihm der Laptop und die Softdrinks wieder genommen hatten. Nur sein Griff war immer noch der Alte. Soo-Jung drehte sich um und verschwand ohne weitere Worte zu verlieren in der Menschenflut, die auf ihn zurollte, während Haekwon den dunklen Rachen der Metrounterführung hinabstieg. In Gedanken versunken, da er immer noch nicht sicher war, was er sich von weiteren Treffen erhoffte.