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Bluebird27

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Mit unglaublicher Geschwindigkeit bewegten sich seine Finger über die Tasten. Er kam sich vor wie ein Pianist, der jedes Stück spielen konnte. Seine Kunst galt aber nicht der Musik, sondern den Melodien der Kommunikation.

Browneyes55: Was? Du kennst die Geeks nicht?

Bluebird27: Nein.

Browneyes55: Dann machst du einen auf Rebellen.

Bluebird27: Höre mehr Sachen von Vassline

Browneyes55: Du scheinst ein netter Kerl zu sein, hast aber keine Ahnung von guter Musik.

So verbrachte er jeden Abend, jede Nacht, jede freie Minute mit diesem Unbekannten aus der Cyberwelt. An ein gesundes soziales Leben war nicht mehr zu denken. Sein bester Freund hieß Samsung P530. Er war schwarz und bestand aus einer glänzenden Kunststoffhülle. Die einzige Verbindung zur Außenwelt. Sein Laptop, den er jede Nacht wie eine Geliebte zum Glühen brachte. Alternierend den Geschmack von Crackern und Softdrinks auf der Zunge.

Im Internet war er unter dem Decknamen Bluebird27 unterwegs. Im wahren Leben hingegen hieß er Kim Haekwon. Er war 19 Jahre alt und wieder mal durch die Abschlussprüfung gefallen. Und das in einer Gesellschaft, die nach Leistung und Perfektion strebt, ein Zeitalter des Wettbewerbs. Mittlerweile kam er sich wie ein Anachronismus auf zwei Beinen vor.

Leistung, immer nur Leistung bringen. LEISTUNG. Er konnte dieses abartige Wort nicht mehr hören. Ein Wort, das mit einem Presslufthammer in die Hirne der Schüler eingehämmert wurde. So sah die Gesellschaft heute aus und Haekwon hasste sie, weswegen er aus der Realität ins Internet flüchtete, denn in der echten Welt galt er nur als Abtrünniger. Ein Tagedieb, der seinen Eltern die Haare vom Kopf fraß. Ein Niemand, über den fleißig gelästert wurde, wenn er sich nicht in der Nähe befand. Und wenn er es tat, wurde er nur süffisant belächelt. Er hatte vieles satt. Besonders seine Mitmenschen oder besser Gegenmenschen, wie er sie liebend gern bezeichnete.

Sein Blick machte einen Rundflug durch das Zimmer. Es war vollgestopft mit überflüssigem Schnickschnack. Materieller Blödsinn, den ihm seine Eltern über Jahre hinweg an Geburtstagen und Weihnachtsfesten geschenkt hatten. Das einzig nützliche in diesem Raum war sein Laptop. Für ihn bedeutungslose Urkunden und Zeugnisse aus alten Zeiten hingen an seiner Wand. Seine Mutter, Yeon-Woo, hatte sie dort hingehängt, um anderen Gegenmenschen zu zeigen, dass er doch bereits etwas in seinem Leben erreicht hatte. Sie musste sich ebenfalls beweisen. Sie tat ihm leid.

Früher hatte er regelmäßig Tennis gespielt. Mit 14 wurde er sogar zum Sieger eines Turniers gekürt. Der Pokal zierte jetzt schon seit 5 Jahren den Wohnzimmertisch. Wenn Besuch kam, mussten seine Eltern damit prahlen. Wenn sein Furz nach Erdbeere riechen würde, dann täten sie es vermutlich auch. Er nahm es ihnen nicht übel. Da sie nicht viel vor der heuchlerischen Bekanntschaft zum Prahlen hatten, mussten sie sich etwas aus den Fingern saugen. Selbst die größten Banalitäten wurden verschossen.

„Willst du wieder die halbe Nacht vor dem Computer hocken?“ Die Stimme seiner Mutter drang ihm ins Ohr. Ohne zu klopfen war sie wieder in sein Hoheitsgebiet eingedrungen, eine Eigenart, die sie wohl nie verlernen würde.

„Nur noch zehn Minuten“, log er und starrte seine Mutter solange an, bis sie kopfschüttelnd aus seinem Zimmer verschwand. Endlich war er wieder allein. Er liebte die Ruhe der Nacht. Keine Stimmen, kein Verkehrslärm und keine Presslufthämmer. Nur die Stille gepaart mit dem gleichmäßigen Fauchen seines PC-Kühlers. Ab und zu gestört durch das Rascheln der Tüte mit Krabbencrackern. Er war mal sportlich gewesen, aber sein Körper war durch viele Sitzungen am PC, Softdrinks und Fastfood mittlerweile etwas aufgedunsen. Er fühlte sich auf keinen Fall übergewichtig, aber die Körperstruktur, die er einst besessen hatte, war verblasst. Eigentlich schade, da er viele Stunden dafür investiert hatte. Von heute auf morgen war sie einfach verschwunden. Seine Haut war bleich, kreidebleich sogar leichenblass, da er kaum das Haus verließ. Wie ein Zwangsneurotiker folgte er einem strikten Tagesablauf: Schule, Mittagessen, der Laptop und das war´s. Für Außenstehende nicht gerade ein aufregendes Leben, aber für Haekwon war es eine Erfüllung. Partys, durchzechte Nächte und seine Ex-Freundin, das gehörte der Vergangenheit an. Er kam sich wie ein Schmetterling vor, der nach einer Zeit im Kokon sich in eine Raupe verwandelt hatte. Nur liebte er sein Dasein als Raupe. Für andere Menschen nicht nachvollziehbar, aber was andere dachten, interessierte ihn schon lange nicht mehr. Mit Herz und Blut war er Rebell.

Wenn seine Mutter zum allwöchentlichen Kaffeekränzchen einlud, kamen die reichen Ziegen, die nichts anderes zu tun hatten, als den ganzen Tag zu shoppen oder über andere Leute herzuziehen. Wie schmarotzende Pilze saugten sie sich an ihre reichen Ehemänner und belasteten Kreditkarten. Wie konnte man nur so nutzlos sein, und zeitgleich über die vermeintliche Nutzlosigkeit anderer herziehen? Haekwon saß wie üblich im Wohnzimmer und schaute fern. Er trug als Zeichen des Missmutes sein grünes Che T-Shirt, aber die ungebildeten Hühner wussten wahrscheinlich nicht mal, wer Che Guevara war.

„Musst du denn immer dieses furchtbare T-Shirt tragen?“, beschwerte sich Yeon-Woo. Dieses Kleidungsstück war ihr schon lange ein Dorn im Auge.

Frau No saß ebenfalls am Tisch. Eine furchtbare Frau, die ständig von ihrem ach so prächtigen Sohn berichtete.

„Mein Sohn hat den besten Notendurchschnitt des gesamten Jahrgangs erzielt und wird nächstes Jahr an der Universität Medizin studieren.“ Sie blickte verstohlen in die Runde und stibitzte sich ein Stück Reiskuchen vom Teller.

„Das ist ja wunderbar!“ Seine Mutter und Frau Oh, eine weitere Kaffeefreundin, lobten sie im Chor. Frau No setzte ein zufriedenes Gesicht auf und genoss den Beifall, der warm und verlogen auf sie niederprasselte.

Sie schien nicht nur hohl zu sein, sondern auch vergesslich, da sie die Geschichte bereits zum zehnten Mal erzählte. Haekwon saß im Wohnzimmer und rollte genervt die Augen.

„Und was ist mit deinem Sohn? Hat er die Prüfung bestanden?“, fragte Frau No und zeigte höhnisch ihr Pferdegebiss. Ihr Sohn musste es ihr längst erzählt haben. Obwohl sie es wusste, stichelte sie Yeon-Woo. Haekwon tat so, als ob er nicht mithörte. Innerlich brannte er vor Wut. Was bildete sich diese alte Schachtel ein? Er war nicht wütend, weil Frau No ihn in ein schlechtes Licht rückte, sondern weil ihm jedes Mal sein Herz blutete, wenn er sah, dass sich seine Mutter rechtfertigen musste.

„Also… “ Sie konnte den Satz nicht beenden. Es war eine Folter der ganz anderen Art.

Frau No blickte sie lächelnd an. Es war aber keineswegs ein freundliches Lächeln, vielmehr sollte es ihren Triumph über Yeon-Woo ausdrücken.

„Jedenfalls kommen im nächsten Jahr viele Kosten auf uns zu. Neben den Studiengebühren muss er ja schließlich eine schöne Wohnung finden und habt ihr euch mal die hohen Mietpreise angesehen?“ Frau No befreite seine Mutter von der Last ihrer Antwort und setzte ihr eigenes sinnloses Geschwafel fort.

Haekwon saß lieber in seinem Zimmer, aber er wollte die Gespräche heimlich belauschen. Seine Mutter sollte nicht allein dastehen. Wenn es zu hart für sie werden sollte, würde er gegebenenfalls einschreiten und sie verteidigen. Der Ruf der Familie hin oder her, verdammt sei er. Sollten bestimmte Grenzen überschritten werden, dann würde er kräftig auf den Tisch hauen und der Schikane ein Ende bereiten. Allerdings kannte selbst Frau No glücklicherweise Grenzen und legte nicht zu lange ihren Finger in die Wunde seiner Mutter. Am liebsten hätte er Yeon-Woo mit einem guten Schulabschluss glücklich gemacht, aber er war nun mal nicht der Intelligenteste. Er konnte ihr nur seine Liebe und Zuneigung offerieren, aber das war meist nicht genug, um sich in dieser Welt zu beweisen.

Sein Vater, Hee-Chul, betrat mit einem erschöpften Gesichtsausdruck die Wohnung.

„Herr Kim, schön, dass Sie da sind. Leisten Sie uns doch Gesellschaft.“ Frau No ergriff das Wort. Sie tat so, als ob es ihre Wohnung war und bot seinem Vater einen Stuhl an.

„Das ist sehr freundlich von Ihnen, Frau No. Aber ich muss mich erst umziehen.“

Er hatte wieder seinen schwarzen Anzug an und um seinen Hals schnürte sich die knallrote Krawatte, die Haekwon ihm zu Weihnachten geschenkt hatte. Da er ein erfolgreicher Unternehmer war, wollte sich Frau No bei ihm einschmeicheln, um sich Vorteile zu verschaffen.

Kim Papier, da Ihre Ideen es verdient haben. Kim Papier sorgt für Inspiration.

Das waren die Slogans, die überall in der Stadt plakatiert waren. Als führender Hersteller von Schreibwarenartikeln konnten sie sich zwar ein eigenes Haus leisten, aber aus irgendeinem Grund hatte sich Hee-Chul damals für ein Apartment entschieden.

„Aber bleiben Sie nicht zu lange fern“, scherzte Frau No, während sie seinem Vater einen verführerischen Blick zuwarf.

Haekwons Vater wischte sich mit dem Handrücken über die verschwitzte Stirn und lächelte mild.

„Keine Sorge, Frau No. Ich werde nicht lange benötigen.“

Gedankenverloren kaute Frau Oh auf dem zähen Stück Reiskuchen, während Yeon-Woo verstört einen Schluck Kaffee trank.

Spät abends lag Haekwon auf dem Bett. Seine bleichen Arme hinter dem Kopf verschränkt und die ebenso bleiche Zimmerdecke anstarrend, konnte er seine Eltern aus dem Schlafzimmer hören.

„Du lässt dich von dieser Frau einwickeln.“ Die Eifersucht seiner Mutter spürte man selbst durch die dicken Wände.

„Ich habe doch gar nichts gemacht“, verteidigte sich Hee-Chul.

„Das glaubst du doch wohl selbst nicht. Denkst du etwa ich merke nicht, was hier läuft? Denkst du ich bin blind? Diese Frau baggert dich ständig an und ich sehe doch immer deinen leicht verstohlenen Blick, wenn du ihr ins Gesicht schaust.“

„Du spinnst doch“, erklang wieder etwas dumpfer die Stimme seines Vaters. Anscheinend hatte er sich weiter von der Wand wegbewegt. „Wenn es dir nicht passt, dann lade sie doch nicht ein“, fügte er nach einer kleinen Pause hinzu.

Schweigen. Mit diesem Argument schien er Yeon-Woo mundtot gemacht zu haben. Haekwon glaubte, sie leise weinen zu hören, oder vielleicht bildete er sich das nur ein. Mühsam richtete er sich auf, um dieser Daily Soap, die er fast jede Woche zu hören bekam, selbst zu beenden. Nun switchte er wieder auf den Laptopmodus um. Das Kunststoffgehäuse lockte ihn wie der Käsegeruch die Maus. Ein Knopfdruck und sein elektronischer Freund erwachte zum Leben. Elektrische Impulse durchzuckten das Gerät, um gehorsam die Befehle seines Herrchens entgegenzunehmen. Eingekeilt zwischen schrill leuchtender Werbung für Software, Fastfood und die neuesten Automodelle entdeckte er in der exklusiven Chatliste zum Thema Sonstiges den Namen, Browneyes55. Er war also wieder online und bereit für eine weitere Runde verbalen Kräftemessens.

Browneyes55: Du bist heute spät dran.

Bluebird27: Ja, hatte zu tun.

Browneyes55: Was denn?

Bluebird27: Privatsache. Was hast du denn heute gemacht?

Browneyes55: Was schon! Musste arbeiten.

Bluebird27: Wo?

Browneyes55: Im Prinzip überall in der Stadt.

Bluebird27: Verstehe ich nicht.

Browneyes55: Liefere Champong und andere Nudelgerichte für einen Imbiss aus.

Bluebird27: Musst du nicht zur Schule gehen?

Die nächste Zeile blieb leer. Haekwon musste einen empfindlichen Nerv getroffen haben. Er verspürte Groll gegen sich selbst, da er mit seiner schwachsinnigen Neugier möglicherweise den interessantesten Chatpartner seit Monaten in die Flucht getrieben hatte. Er, der reiche Sprössling eines erfolgreichen Schreibwarenherstellers, interessierte sich für einen Lieferjungen. Der Gedanke war so absurd, dass Haekwon selbst darüber schmunzeln musste, aber er war auch ein wenig traurig. Er legte sich wieder ins Bett, um das Deckenspannen fortzusetzen. Vermutlich schliefen seine Eltern bereits, denn das Drama, das sich nebenan abgespielt hatte, war verstummt. Schlurfenden Schrittes ging er in die Küche, um sich ein Glas Milch einzugießen, die seiner Schlaflosigkeit den Kampf ansagen sollte. Auf der Wohnzimmercouch lag ein dunkler Haufen, eingehüllt in dünnen Decken.

„Haekwon?“, die zurückhaltende Stimme seines Vaters erklang. Die gleiche Stimme, mit der er Konferenzen abhielt und Untergebene zurechtwies. Haekwon fragte sich, wie Hee-Chul so weit aufsteigen konnte, als er seinen Vater in fast devoter Haltung auf der Couch liegen sah.

„Ja“, erwiderte er nur, um einem längeren Gespräch zu entgehen.

„Warum bist du so spät noch wach?“, fragte Hee-Chul.

„Ich kann nicht schlafen.“

Das Glas in der Hand fühlte sich noch kalt an, aber je länger sich das Gespräch mit seinem Alten hinziehen würde, desto größer war die Gefahr, dass der Inhalt seinen Weg in die Toilettenschüssel finden würde.

„Und wieso schläfst du im Wohnzimmer?“

Es glich einem Kraftakt, aber etwas unbeholfen schaffte es sein Vater, sich aufzurichten. Den Oberkörper nach vorne gebeugt saß er da. Die schlaffe Haut seiner Arme wurde von steifen Schenkeln flach gedrückt. Sorgenvoll raufte er sich die Haare, während er auf die bunten Muster des Teppichs blickte.

„Deine Mutter“, fing er an. „Sie weiß manchmal nicht, was sie redet. Sie vertraut mir nicht.“

Am liebsten hätte er Hee-Chul angeschrien und ihm gesagt, dass er Frau No einfach zum Teufel jagen soll, aber diesen inneren Drang, der seine Stimmbänder hochkroch, unterdrückte Haekwon.

„Was ist das Problem?“, fragte er stattdessen wohlwissend.

Hee-Chul atmete laut aus und blieb ihm die Antwort schuldig.

„Wie läuft es in der Schule?“

In der Dunkelheit stehend zuckte Haekwon mit den Schultern.

„Du solltest dich wirklich mehr anstrengen. Nur weil ich gut verdiene, bedeutet das nicht, dass aus dir nichts Anständiges werden soll.“

„Nächstes Jahr werde ich es bestimmt schaffen.“

Nun richtete sich sein Vater ganz auf. Für einen Koreaner war er überdurchschnittlich groß. Die dunkle, hagere Silhouette näherte sich ihm.

„Und jetzt geh schlafen. Du hast morgen Schule“, sagte Heechul, während er seinem Sohn beim Vorbeigehen auf die Schulter klopfte. Noch einige Zeit stand Haekwon in der Dunkelheit. Die seltenen Gespräche mit seinem Vater gingen ihm nahe, obwohl er sie meistens mied. Seifig fühlte sich die Milch an, die zähflüssig seine Speiseröhre runterlief. Das leere Glas stellte er auf den Wohnzimmertisch. Die Putzfrau würde es ohnehin am nächsten Tag wegräumen. Der einzige Ort, wo sie nicht hindurfte, war sein Zimmer, aber das hatte er der pummeligen Sunia vom ersten Tag an deutlich gemacht. Wenn sie ihm mit ihrem aufgedunsenen Gesicht fragend anblickte und dabei die ohnehin schon schmalen Augen zusammenkniff, musste Haekwon an eine Zucchini denken, die man mit dem Fingernagel eingedrückt hatte. Ansonsten mochte er Sunia sehr und scheute sich nicht, mit ihr bei einer heißen Schokolade in der Küche zu sitzen und ein Gespräch zu führen. Reality Chat.

Browneyes55 würde sich heute nicht mehr zeigen, daher fiel es Haekwon nicht schwer, die Finger vom Laptop zu lassen. Manchmal fragte er sich ernsthaft, wie es ihm gehen würde, wenn seine Eltern nicht so nachsichtig mit ihm wären. Im Grunde seines Herzens fühlte er den Egoismus, der gelegentlich seinen Geist umklammerte. Ja, vielleicht sollte er sich wirklich mehr anstrengen.

Browneyes55 war für ihn nicht nur ein angenehmer Gesprächspartner, sondern auch eine Fallstudie. Die andere Seite der Gesellschaft, das war es, was sein wahres Interesse weckte. In seiner Welt der verlogenen Menschen, die an den Strippen der Finanzen hingen, fühlte er sich im Inneren doch sehr einsam. Freunde entpuppten sich als Feinde, Reichtum als Irrtum und Privilegien als Laster. Unzählige Male spielte er mit dem Gedanken, Gangnam zu verlassen und durch die Gassen zu schlendern, die täglich von gewöhnlichen Leuten benutzt wurden. Obwohl es für ihn eher die ungewöhnlichen Menschen waren. Er hatte diese versnobte Plastikwelt satt, in der er zu versinken drohte, bis er den Grund der Bedeutungslosigkeit erreichte. Der Reiz lag im Normalen.

Fast hätte er die Klippe des Tiefschlafes erreicht, als ihn ein schrilles Geräusch in die Realität zurückholte. Sein verschwommenes Zimmer nahm feste Strukturen an, materialisierte sich und mit schläfrigem Blick bemerkte er den grellen Bildschirm seines PC´s. Hatte er tatsächlich vergessen ihn auszuschalten? Das Chatfenster von Browneyes55 hatte sich geöffnet. Eilig richtete sich Haekwon auf und fuhr sich mit der Handfläche über die kurzen Haarstoppel. Kurz hielt er inne und musste lächeln. Schließlich benahm er sich wie ein verliebter Teenager, der sein erstes Date hatte. So absurd es auch war. Irgendetwas zog ihn magisch an, ohne zu wissen, was es war. Nicht nur der grelle Bildschirm hatte Ausstrahlung, sondern auch die Person am anderen Ende der Leitung.

Browneyes55: Sorry für meine späte Antwort.

Bluebird27: Macht nichts.

Browneyes55: Ich gehe nicht mehr zur Schule. Ich muss Geld verdienen. Die Behörden leime ich und das Schulgebäude habe ich seit Monaten nicht mehr von innen gesehen.

Bluebird27: Was sagen denn deine Eltern dazu?

Haekwon biss sich auf die Faust. Wieder so eine Frage, die Browneyes55 einschüchtern konnte. Erleichtert las er die weiteren Zeilen, die ihn wieder in einen absoluten Wachzustand versetzten. Die Digitaluhr am unteren Rand des Screens zeigte 01:31 Uhr an. Den Unterricht heute würde er also mit Dösen verbringen.

Browneyes55: Ich bin Waise. Meine Eltern kenne ich gar nicht, daher weiß ich nicht, was sie dazu sagen würden. Stolz wären sie bestimmt nicht.

Bluebird27: Meine Eltern sind auch nicht stolz auf mich.

Browneyes55: Sollen wir uns Treffen?

Wie ein Fausthieb aus einer unerwarteten Richtung traf es Haekwon. Aus Erfahrung wusste er, dass all die Magie eines Chats in Enttäuschung umschlagen konnte, wenn man der tatsächlichen Person begegnete. NewWorldOrder22 war in Wirklichkeit ein verpickelter Junge mit Hornbrille gewesen, der artig seine Klavierstunden nahm und im gleichen Bezirk wie Haekwon wohnte. Eine herbe Enttäuschung, die sich nicht wiederholen sollte.

Browneyes55: Was ist jetzt? Sollen wir uns mal treffen?

Bluebird27: Ja. Wo und wann?

Wenn das mal kein Fehler war. Nun gab es kein Zurück mehr.

Browneyes55: In der Nähe vom Seoul-Tower gibt es einen Odeng-Stand, wo ich regelmäßig esse. Lass uns dort treffen.

Bluebird27: Ok, wieso nicht.

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