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Teil 1 Das Mandat in Verkehrsstrafsachen › III. Maßnahmen vor Akteneinsicht

III. Maßnahmen vor Akteneinsicht

1. Grundsätzlich (noch) keine Erklärung zu den Akten

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Obwohl viele Mandanten bei Mandatsannahme bereits darauf drängen, dass nunmehr umgehend „etwas unternommen werde“, d.h. eine Stellungnahme vor Akteneinsicht abzugeben sei, muss derartiges Ansinnen regelmäßig zurückgewiesen werden. Wohl jeder Verteidiger hat schon die leidvolle Erfahrung gemacht, dass sich die Erklärungen und Unfalldarstellungen der eigenen Mandanten später relativieren. Besteht etwa die Möglichkeit, dass die Polizei nach Eingang der Einlassung des Beschuldigten ihrerseits erst eine Sachdarstellung – etwa zu alkoholbedingten Auffälligkeiten – abgibt, kann es durchaus passieren, dass diese Darstellung nunmehr Ausführungen enthält, die geeignet sind, die vor Aktenkenntnis abgegebene Einlassung des Beschuldigten im Einzelnen zu entkräften. Daher empfiehlt es sich, vor Akteneinsicht (§ 147 StPO) keine Erklärung zu den Akten zu reichen,[1] jede andere Vorgehensweise wäre grundsätzlich ein Kunstfehler. Nur eine konkrete Information über die Vorwürfe, wegen der ermittelt wird, versetzt den Verteidiger in die Lage, für seinen Mandanten eine effektive Verteidigung zu führen. Es gibt nur wenige Ausnahmen von diesem Prinzip, z.B. im Fall eines drohenden Haftbefehls oder einer Selbstanzeige;[2] für das Verkehrsstrafrecht sind diese Fälle zumeist nicht einschlägig, mit Ausnahme der tätigen Reue nach einer Unfallflucht gemäß § 142 Abs. 4 StGB (vgl. Rn. 370 ff.).

2. Widerspruch gegen Beschlagnahme/Sicherstellung des Führerscheins vor Akteneinsicht?

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Ob bereits vor Akteneinsicht Widerspruch gegen die Einbehaltung (Beschlagnahme oder Sicherstellung) des Führerscheins erhoben und Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 98 Abs. 2 StPO gestellt werden soll, kann nur von Fall zu Fall entschieden werden. So kann ein entsprechender Handlungsbedarf bestehen, wenn der mit dem Vorwurf des unerlaubten Entfernens vom Unfallort konfrontierte Mandant geltend machen kann, dass er nach einer angemessenen Wartefrist die erforderlichen Feststellungen unverzüglich i.S.d. § 142 Abs. 3 StGB ermöglicht hat. Letztlich wird der Verteidiger in diesen (Ausnahme-)Fällen die Beweislage sehr genau zu prüfen und die Entscheidung des Gerichts unter Berücksichtigung der Verteidigungsschrift sehr genau zu antizipieren haben. Mit anderen Worten: Ein Widerspruch oder ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung vor Akteneinsicht sollten realistische Erfolgsaussichten haben, ansonsten empfiehlt es sich, die Akteneinsicht abzuwarten. Denn eine abschlägige Entscheidung in diesem frühen Verfahrensstadium nimmt der weiteren Verteidigung jedenfalls dann den Wind aus den Segeln, wenn die spätere Akteneinsicht keine neuen verteidigungsrelevanten Aspekte offenbart. Der Grund für diese Situation liegt zumeist im sog. Inertia-Effekt[3]: Alle neuen Informationen, die zu der getroffenen Entscheidung in Widerspruch stehen, werden tendenziell abgewertet, während alle konsonanten Informationen tendenziell überschätzt werden.

3. Beschaffung der Ermittlungsakten

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Dass sich der Verteidiger um Akteneinsicht bemühen muss, ist selbstverständlich. Wer die Dinge treiben lässt, wird länger darauf warten müssen, bis ihm die Staatsanwaltschaft oder das Gericht die Akten zugänglich machen. Zudem erwarten viele Mandanten „Zwischenberichte“ über den Stand der anwaltlichen Bemühungen. Wer aber ständig bei Staatsanwaltschaft und Gericht Nachfrage hält, kann auch das Gegenteil von dem bewirken, was er eigentlich wünscht. Dienstaufsichtsbeschwerden gegen jeweils bearbeitende Dienststellen bringen in der Regel angesichts der dortigen Arbeitsbelastung keinen Erfolg; sie verzögern aber mit Sicherheit das Verfahren.

Die Aktenversendungspauschale beträgt 12 € bei Papierakten und 5 € bei elektronischen Akten.[4] Sie wird gestützt auf § 1 Abs. 1 lit. d i.V.m. § 11 Abs. 1 GKG und Nr. 9003 KV GKG. Kostenschuldner ist gem. § 28 Abs. 2 GKG derjenige, der die Aktenversendung beantragt hat, d.h. im Strafverfahren grundsätzlich der Strafverteidiger, da dessen Mandant kein persönliches Akteneinsichtsrecht beanspruchen kann.[5] Die Folge davon ist, dass der Anwalt für die Kosten persönlich eintritt; diese werden aber in der Regel vom Rechtsschutzversicherer übernommen.[6] Obwohl die Auslagenpauschale sofort nach ihrer Entstehung fällig wird, kann in Straf- und OWi-Sachen die Aktenversendung nicht von der Zahlung eines Auslagenvorschusses abhängig gemacht werden,[7] vielmehr wird die Dokumentenpauschale sofort nach ihrer Entstehung fällig (§ 9 Abs. 3 GKG). Werden die Akten lediglich in den Diensträumen des Absenders bereitgelegt, d.h. holt sie der Rechtsanwalt selbst oder ein von ihm beauftragter Mitarbeiter bei der Staatsanwaltschaft oder bei Gericht ab, fällt keine Aktenversendungspauschale an,[8] etwas anderes gilt nach (noch vereinzelter) Ansicht des OLG Koblenz jedoch dann, wenn der Anwalt die Akten zur Einsichtnahme aus seinem Gerichtsfach abholen lässt, da ein Transport durch den Wachtmeister als Versendung anzusehen sei.[9] Auf die Aktenversendungspauschale als Auslage ist Umsatzsteuer zu erheben, die der Anwalt dem Mandanten in Rechnung stellen muss; das gilt auch für Pflichtverteidiger.[10] In der Praxis ist heftig umstritten, ob die Aktenversendungspauschale auch die dem Rechtsanwalt für die Rücksendung der Akten entstehenden Portokosten abdeckt.[11]

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Der Rechtsanwalt darf seinem Mandanten eine Ablichtung der Akte überlassen, soweit dies nicht in seltenen Ausnahmefällen unzulässig ist (§ 19 Abs. 2 BORA).[12] In Verkehrssachen dürften sich ohnehin selten Einschränkungen ergeben, so dass in der Regel die gesamte Ablichtung der Akte ausgehändigt werden kann, wenn der Mandant dies wünscht. In „überschaubaren“ Fällen ist es jedoch zumeist ausreichend, wenn der Akteninhalt in einem persönlichen Gespräch eingehend mit dem Mandanten erörtert wird und dabei ggf. einzelne Aktenbestandteile überreicht werden.

4. Eigene Ermittlungstätigkeit

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Praxishinweis

Gelegentlich wird es angezeigt sein, bereits vor Akteneinsicht für den Mandanten aktiv zu werden, etwa selbst zu ermitteln. Die eigene Ermittlungstätigkeit des Verteidigers ist bei Staatsanwaltschaft und Gerichten nicht gerne gesehen, gleichwohl hat der Strafverteidiger in geeigneten Fällen nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht zu sofortigem Tätigwerden,[13] etwa um Beweismittel zu sichern.

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So kann es sich empfehlen, selbst die Unfallstelle zu besichtigen, möglicherweise auch unter Beiziehung eines Sachverständigen. Möglichst bald nach dem Unfall sollten zur späteren Verwendung in der Hauptverhandlung Lichtbilder von der Unfallstelle gefertigt werden, vor allem wenn mit örtlichen Veränderungen zu rechnen ist (Beispiel: eingeschränkte Sichtverhältnisse an einer Kreuzung wegen eines Getreidefeldes). Diese Bilder können je nach Sachlage auch von den Mandanten gefertigt werden, die der an sie herangetragenen Bitte, die Unfallstelle zu fotografieren, regelmäßig gerne nachkommen. Unter Umständen kann auch die Sicherung des Verletzungsbildes durch ein Foto nützlich sein. In geeigneten Fällen sollte der Verteidiger auch die Ampelschaltung vor Ort überprüfen, da oft genug die später vorgelegten Ampelschaltpläne veraltet sind.

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Die Anhörung von Zeugen ist nicht unproblematisch, auch wenn sie zu den wesentlichen Aufgaben des Verteidigers im Ermittlungsverfahren gehören kann.[14] Der Verteidiger muss dem bei Gericht und Staatsanwaltschaft häufig aufkommenden Verdacht, er habe den Zeugen unzulässig beeinflusst, mit Transparenz entgegenwirken. Daher sollte die Kontaktaufnahme mit dem Zeugen i.d.R. schriftlich erfolgen.[15] Über die Anhörung des Zeugen durch den Verteidiger sollte in jedem Falle ein Vermerk gefertigt werden, der vom Zeugen zu unterschreiben ist.[16] Der Vermerk sollte die Tatsache festhalten, dass der Zeuge von dem Verteidiger darauf hingewiesen wurde, dass er (der Zeuge) nicht verpflichtet ist, dem Anwalt Auskunft über seine Beobachtungen zu geben. Der Zeuge ist des Weiteren darauf hinzuweisen, dass er auf eine entsprechende Fragestellung der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts weder verschweigen muss noch darf, dass er von dem Anwalt bereits außergerichtlich vernommen wurde. Auch diese Belehrung sollte der Zeuge unterschreiben. Wird die Belehrung unterlassen, kann der Zeuge nicht nur in eine unangenehme Situation gebracht werden, sondern vor Gericht der Eindruck entstehen, er sei unzulässig beeinflusst worden.

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Der Verteidiger darf auch im Interesse des Beschuldigten einwirken auf

den Tatzeugen, die Anzeige zu unterlassen,
den Strafantragsberechtigten, den Strafantrag nicht zu stellen oder ihn zurückzunehmen, [17]
den Zeugen, seine Rechte aus §§ 52, 53, 55 StPO auszuüben.[18]

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Dies gilt nicht, soweit eine Rechtspflicht zur Anzeige besteht oder der Verteidiger sich bei seinen Einwirkungsversuchen unzulässiger Mittel – Zwang, Drohung, Täuschung, „Bestechung“ – bedient.[19]

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Häufig wird von Mandanten der Wunsch geäußert, mit Verletzten oder Hinterbliebenen Kontakt aufzunehmen. Dieser Wunsch sollte grundsätzlich unterstützt werden, da eine solche Kontaktaufnahme zumindest positive Wirkung vor Gericht entfalten und in Einzelfällen sogar dazu beitragen kann, dass ein Strafantrag nicht gestellt oder zurückgenommen wird. Dem Mandanten muss jedoch verdeutlicht werden, dass er nichts erzwingen sollte. Nicht jedes Unfallopfer wünscht den vermeintlichen Verursacher seiner Verletzungen zu sehen. Dem Mandanten sollte auch vermittelt werden, dass das Krankenbett zwar der Ort ist, dem Unfallopfer gute Genesung zu wünschen, nicht aber, den Sachverhalt zu erörtern; dem Mandanten muss bewusst sein, dass er sich mit einem potentiellen Hauptbelastungszeugen unterhält.

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